Zwanzigstes Kapitel: Diversion

Unter Diversion versteht der Sprachgebrauch einen solchen Anfall des feindlichen Landes, wodurch Kräfte von dem Hauptpunkt abgezogen werden. Nur wenn dies die Hauptabsicht ist und nicht der Gegenstand, welchen man bei der Gelegenheit angreift und erobert, ist es eine Unternehmung eigentümlicher Art, sonst bleibt es ein gewöhnlicher Angriff.

Natürlich muß die Diversion darum doch immer ein Angriffsobjekt haben, denn nur der Wert dieses Objektes kann den Feind veranlassen, Truppen dahin zu schicken; außerdem sind diese Objekte, im Fall die Unternehmung als Diversion nicht wirkt, eine Entschädigung für die darauf gewandten Kräfte.

Diese Angriffsobjekte können nun Festungen sein oder bedeutende Magazine oder reiche und große Städte, besonders Hauptstädte, Kontributionen aller Art, endlich Beistand unzufriedener Untertanen des Feindes.

Daß Diversionen nützlich sein können, ist leicht zu begreifen, aber gewiß sind sie es nicht immer, sondern oft sogar schädlich. Die Hauptbedingung ist: daß sie mehr Streitkräfte des Feindes vom Hauptkriegstheater abziehen, als wir auf die Diversion verwenden, denn wenn sie nur ebensoviel abziehen, so hört die Wirksamkeit als eigentliche Diversion auf und das Unternehmen wird ein untergeordneter Angriff. Selbst da, wo man einen Nebenangriff anordnet, weil man der Umstände wegen die Aussicht hat, mit wenig Kräften unverhältnismäßig viel auszurichten, z. B. eine wichtige Festung leicht zu nehmen, muß man es nicht mehr Diversion nennen. Man pflegt es freilich auch Diversion zu nennen, wenn ein Staat, während er sich gegen einen anderen wehrt, durch einen dritten angefallen wird - aber ein solcher Anfall unterscheidet sich von einem gewöhnlichen Angriff in nichts als der Richtung, es ist also kein Grund, ihm einen besonderen Namen zu geben, denn in der Theorie soll man durch eigene Benennungen auch nur Eigentümliches bezeichnen.

Wenn aber schwache Kräfte stärkere herbeiziehen sollen, so müssen offenbar eigentümliche Verhältnisse die Veranlassung dazu geben, und es ist also für den Zweck einer Diversion nicht genug, irgendeine Streitkraft auf einen bisher unbetretenen Punkt abzuschicken.

Wenn der Angreifende irgendeine feindliche Provinz, die nicht zum Hauptkriegstheater gehört, durch einen kleinen Haufen von 1000 Mann heimsuchen läßt, um Kontributionen einzutreiben usw., so ist freilich vorherzusehen, daß der Feind dies nicht durch 1000 Mann verhindern kann, die er dahin absendet, sondern er wird, wenn er die Provinz gegen Streifereien sichern will, allerdings mehr dahin schicken müssen. Aber, muß man fragen, kann der Verteidiger anstatt seine Provinz zu sichern, nicht das Gleichgewicht dadurch herstellen, daß er die korrespondierende Provinz unseres Landes durch ein ebensolches Detachement heimsuchen läßt? Es muß also, wenn für den Angreifenden ein Vorteil hervorgehen soll, zuvor feststehen, daß in der Provinz des Verteidigers mehr zu holen oder zu bedrohen ist als in der unserigen. Ist dies der Fall, so kann es nicht fehlen, daß eine ganz schwache Diversion mehr feindliche Streitkräfte beschäftigen wird, als die ihrigen betragen. Dagegen geht aus der Natur der Sache hervor, daß, je mehr die Massen wachsen, dieser Vorteil schwindet, denn 50000 Mann können eine mäßige Provinz nicht nur gegen 50000 Mann mit Erfolg verteidigen, sondern selbst gegen eine etwas größere Zahl. Bei stärkeren Diversionen wird also der Vorteil sehr zweifelhaft, und je größer sie werden, um so entschiedener müssen die übrigen Verhältnisse sich schon zum Vorteil der Diversion stellen, wenn bei dieser überhaupt etwas Gutes herauskommen soll.

Diese vorteilhaften Verhältnisse können nun sein:

a) Streitkräfte, welche der Angreifende für die Diversion disponibel machen kann, ohne den Hauptangriff zu schwächen;

b) Punkte des Verteidigers, die von großer Wichtigkeit sind und durch die Diversion bedroht werden können;

c) unzufriedene Untertanen desselben;

d) eine reiche Provinz, welche beträchtliche Kriegsmittel hergeben kann.

Wenn eine solche Diversion unternommen werden soll, die, nach diesen verschiedenen Rücksichten geprüft, Erfolg verspricht, so wird man finden, daß die Gelegenheit dazu nicht häufig ist.

Aber nun kommt noch ein Hauptpunkt. Jede Diversion bringt den Krieg in eine Gegend, wohin er ohne sie nicht gekommen wäre; dadurch wird sie mehr oder weniger immer feindliche Streitkräfte wecken, die sonst geruht hätten, sie wird dies aber auf eine höchst fühlbare Weise tun, wenn der Gegner durch Milizen und Nationalbewaffnungsmittel zum Kriege ausgerüstet ist. Es ist ja ganz in der Natur der Sache, und die Erfahrung lehrt es hinlänglich, daß, wenn eine Gegend plötzlich von einer feindlichen Abteilung bedroht wird und zu ihrer Verteidigung nichts vorgekehrt ist, alles, was sich in einer solchen Gegend an tüchtigen Beamten vorfindet, alle mögliche außergewöhnliche Mittel aufbietet und in Gang setzt, um das Übel abzuwehren. Es entstehen also hier neue Widerstandskräfte, und zwar solche, die dem Volkskrieg naheliegen und ihn leicht wecken können.

Dieser Punkt muß bei jeder Diversion wohl ins Auge gefaßt werden, damit man sich nicht seine eigene Grube gräbt.

Die Unternehmung auf Nordholland im Jahr 1799, auf Walcheren 1809 sind, als Diversionen betrachtet, nur insofern zu rechtfertigen, als man die englischen Truppen nicht anders brauchen konnte, aber es ist nicht zweifelhaft, daß dadurch die Summe der Widerstandsmittel bei den Franzosen erhöht worden ist, und eben das würde jede Landung in Frankreich selbst tun. Daß die französische Küste bedroht sei, hat allerdings große Vorteile, weil es doch eine bedeutende Truppenzahl, die die Küste bewachen, neutralisiert, aber die Landung mit einer bedeutenden Macht wird immer nur dann zu rechtfertigen sein, wenn man auf den Beistand einer Provinz gegen ihre Regierung rechnen kann.

Je weniger eine große Entscheidung im Kriege vorliegt, um so eher sind Diversionen zulässig, aber freilich um so kleiner wird auch der Gewinn, welcher aus ihnen zu ziehen ist. Sie sind nur ein Mittel, die gar zu stagnante Masse in Bewegung zu bringen.

Ausführung

1. Eine Diversion kann einen wirklichen Angriff in sich schließen, dann ist die Ausführung von keinem besonderen Charakter begleitet als dem der Kühnheit und Eile.

2. Sie kann aber auch die Absicht haben, mehr zu scheinen, als sie ist, indem sie zugleich Demonstration ist. Welche besonderen Mittel hier anzuwenden sind, kann nur ein schlauer Verstand angeben, der die Verhältnisse und Menschen gut kennt. Daß hierbei immer eine große Zerstreuung der Kräfte notwendig wird, ist in der Natur der Sache.

3. Sind die Kräfte nicht ganz unbedeutend, und ist der Rückzug auf gewisse Punkte beschränkt, so ist eine Reserve, an die sich alles anschließt, eine wesentliche Bedingung.

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