Sprichwort über Not

  • Not geht nie irre.

Gedanken zum Zitat

Das Sprichwort »Not geht nie irre« ist eine prägnante und zugleich tiefgründige Redewendung. Es suggeriert, dass Notlagen, also Bedrängnis, Elend oder existentielle Herausforderungen, ihren Weg unweigerlich zu den Menschen finden – und zwar mit erschreckender Zielsicherheit. Man kann ihm sowohl eine warnende als auch eine erkenntnisreiche Bedeutung beimessen.

Zunächst ist die Redensart pessimistisch-realistisch: Sie bringt zum Ausdruck, dass Not ein universeller Bestandteil des menschlichen Lebens ist. Niemand kann sich ihr auf Dauer entziehen. Ob materiell, emotional, gesundheitlich oder geistig – Not kennt viele Gesichter, und sie macht früher oder später bei jedem Menschen Station. In dieser Lesart verweist das Sprichwort auf die Unausweichlichkeit menschlicher Krisen. Not ist kein Irrtum, kein Zufall, kein Versehen – sie gehört zum Menschsein dazu, wie Freude, Erfolg und Glück. Wer meint, er könne ein Leben lang unbeschadet durchs Leben gehen, wird früher oder später eines Besseren belehrt.

Doch das Sprichwort kann auch ermutigend verstanden werden – denn gerade in Zeiten der Not entfaltet der Mensch oft ungeahnte Kräfte. Die Not »geht nie irre« – sie trifft uns, ja – aber sie verfehlt dabei nicht ihren eigentlichen Sinn: uns zur Besinnung zu bringen, uns zu Wachstum, Veränderung, vielleicht sogar zu Mitgefühl zu führen. In diesem Sinn könnte man sagen: Not als Wegweiser. Denn oft wird der Mensch erst durch Not gezwungen, sich mit Dingen auseinanderzusetzen, die er im bequemen Zustand verdrängt. Sie zwingt zur Konzentration auf das Wesentliche, sie durchbricht Selbstzufriedenheit, sie stellt Sinnfragen.

Eine weitere Deutung liegt im Bereich der gesellschaftlichen Gerechtigkeit. Die Not geht nie irre – sie trifft oft zuerst die Schwächsten. Das ist ein Hinweis darauf, wie soziale Strukturen wirken: Wer am Rand steht, wer wenig hat, wer verletzlich ist, wird von Krisen und Schicksalsschlägen oft zuerst und am härtesten getroffen. In dieser Hinsicht ist das Sprichwort auch ein Appell an Solidarität: Wenn die Not uns alle irgendwann erreicht, sollten wir nicht wegsehen, wenn sie bereits bei anderen angekommen ist.

Schließlich kann man das Sprichwort auch als Anstoß zur Demut verstehen. Kein Reichtum, kein Status, keine Macht schützt dauerhaft vor Not. Sie lässt sich nicht täuschen, nicht ablenken, nicht dauerhaft fernhalten. Wer das anerkennt, lebt bewusster – vielleicht auch mitfühlender.

Denn »Not geht nie irre« erinnert uns an die existenzielle Wahrheit, dass Krisen und Leid feste Bestandteile des Lebens sind – nicht als Strafe, sondern als Prüfstein, Wegweiser, Weckruf. Not fordert uns heraus, sie belehrt uns, sie macht uns menschlicher – wenn wir bereit sind, uns ihr zu stellen. So verstanden, ist die Not zwar gefürchtet, aber nicht sinnlos. Sie verfehlt nie ihr Ziel – vielleicht auch, weil sie uns zu uns selbst führt.

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