Sprichwort über Zeit
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Ungleiche Zeit macht ungleiche Leut.
Gedanken zum Zitat
Das Sprichwort »Ungleiche Zeit macht ungleiche Leut« bringt eine tiefgreifende gesellschaftliche Beobachtung auf den Punkt: Die äußeren Umstände, in denen Menschen leben, prägen ihr Denken, Fühlen und Handeln und führen dazu, dass sie sich in ihrer Lebensweise, in ihren Werten und Gewohnheiten stark unterscheiden. Das Sprichwort verweist damit auf die enge Verbindung zwischen Zeitgeschehen und menschlichem Charakter, zwischen gesellschaftlichen Bedingungen und individueller Entwicklung.
Mit »ungleicher Zeit« sind nicht nur unterschiedliche historische Epochen gemeint, sondern auch die konkreten Lebensverhältnisse innerhalb einer Zeitspanne wie beispielsweise Krisen- und Friedenszeiten, wirtschaftlicher Wohlstand oder Armut, technische Umbrüche oder kulturelle Wandlungen. Wer etwa in Zeiten des Mangels aufwächst, lernt Sparsamkeit, Misstrauen und Überlebenskunst. Wer hingegen in einer Phase des Überflusses lebt, entwickelt oft andere Eigenschaften: Offenheit, Risikofreude oder Konsumfreude. So entstehen unterschiedliche Menschen aus unterschiedlichen Zeiten nicht im biologischen, sondern im sozialen und kulturellen Sinn.
Das Sprichwort ist aber nicht nur eine Feststellung, sondern auch eine Warnung davor, andere vorschnell zu beurteilen. Es mahnt zur Empathie und zum Verständnis: Wenn Menschen sich stark unterscheiden, liegt das nicht allein an ihrer Persönlichkeit, sondern oft auch an den Umständen, die sie geprägt haben. Ein älterer Mensch mag konservativ erscheinen, weil er vielleicht Entbehrung oder Krieg erlebt hat. Ein junger Mensch wirkt leichtsinnig, weil er in Sicherheit und Freiheit aufwuchs. Die Zeit formt die Menschen, aber sie tut es nicht überall und nicht für alle auf dieselbe Weise.
Zugleich erinnert das Sprichwort an die Dynamik der Gesellschaft: Kein Mensch, keine Generation ist »für sich«. Wir alle sind Ergebnis unserer Zeit und wirken zugleich an ihr mit. Diese Wechselwirkung führt dazu, dass Unterschiede zwischen Menschen nicht nur möglich, sondern unausweichlich sind. Verständnis füreinander wächst dort, wo man erkennt: Der andere ist nicht besser oder schlechter, er ist ein Produkt anderer Umstände.
Wer die Zeit verstehen will, muss den Menschen verstehen und umgekehrt. Nur so entsteht eine Gesellschaft, die nicht spaltet, sondern verbindet.