Sprichwort über Zunge
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Eine gezähmte Zunge ist ein seltener Vogel.
Gedanken zum Zitat
Das bildhafte Sprichwort »Eine gezähmte Zunge ist ein seltener Vogel« verknüpft die Kunst des maßvollen Sprechens mit dem Bild eines seltenen Vogels, also etwas Kostbarem kaum zu finden und schwer zu halten ist. Die Aussage bringt damit auf den Punkt, das Zurückhaltung im Reden, bedachtes Formulieren und Schweigen an der richtigen Stelle eher die Ausnahme als die Regel sind.
Sprache ist eine der größten Gaben des Menschen, aber auch eine seiner gefährlichsten. Worte können verbinden oder verletzen, aufbauen oder zerstören. Im täglichen Miteinander zeigt sich jedoch oft, wie schwer es Menschen fällt, ihre Zunge zu »zähmen«: Schnell ist ein unbedachtes Wort gesagt, eine Bemerkung gemacht, die kränkt, verurteilt oder Gerüchte nährt. Das Sprichwort deutet an, dass es viel Selbstdisziplin, Empathie und innere Reife braucht, um nicht jedem Impuls zu folgen, sofort zu urteilen oder ungefragt zu kommentieren.
Die »gezähmte Zunge« steht somit für ein bewusstes, überlegtes Sprechen, für jemanden, der nicht aus Reiz oder Eitelkeit spricht, sondern mit Maß, Respekt und Einsicht. Dass dies so selten ist wie ein exotischer Vogel, macht die Redewendung deutlich. Sie beklagt ein menschliches Defizit: die mangelnde Sprachdisziplin in einer Welt, in der Reden oft wichtiger scheint als Denken.
Gerade in Zeiten digitaler Kommunikation, in der Worte schnell und ungefiltert öffentlich verbreitet werden, zeigt sich, wie wertvoll eine »gezähmte Zunge« sein kann. Ein vorschneller Tweet, ein unbedachter Kommentar in sozialen Medien – und der Schaden ist angerichtet. Umso mehr wird die Tugend des klugen Schweigens zur Rarität und damit zur besonderen Qualität.
Wer seine Zunge im Griff hat, besitzt nicht nur eine sprachliche Fähigkeit, sondern eine ethische: Rücksicht, Selbstkontrolle und Weisheit. Und in einer Welt voller lauter Stimmen sind stille, überlegte Worte ein wahrer Schatz.