Sprichwort über Zunge
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Vor Schande war nie beßre List,
als wer der Zunge Meister ist.
Gedanken zum Zitat
Das Sprichwort »Vor Schande war nie beßre List, als wer der Zunge Meister ist« stammt aus einer älteren sprachlichen Epoche und lässt sich ins heutige Deutsch etwa so übersetzen: »Es gab nie ein besseres Mittel gegen Schande, als die Fähigkeit, seine Zunge zu beherrschen«. Es betont die Bedeutung der sprachlichen Zurückhaltung und der klugen Rede als wirksames Mittel, um sich vor Schande, Blamage oder unangenehmen Konsequenzen zu schützen. In einem ausführlichen Kommentar lässt sich dieses Sprichwort aus mehreren Perspektiven beleuchten – sprachlich, moralisch, gesellschaftlich und psychologisch.
Das Sprichwort basiert auf einer tiefen Einsicht in das menschliche Miteinander. Die Sprache ist das zentrale Mittel der Kommunikation, aber sie ist auch Quelle von Missverständnissen, Streit, Verrat oder Unbedachtheit. Wer »der Zunge Meister ist«, also überlegt spricht, sich in bestimmten Momenten bewusst zurückhält oder diplomatisch ausdrückt, schützt sich nicht nur selbst, sondern wahrt auch die eigene Würde. Schande ist in diesem Zusammenhang nicht nur ein äußerer Gesichtsverlust, sondern kann auch innere Reue und moralisches Versagen meinen. Wer vorschnell spricht, beleidigt, lügt oder Geheimnisse preisgibt, bringt sich leicht in eine Lage, die er später bereut.
In der heutigen Gesellschaft, in der Kommunikation durch soziale Medien oft unkontrolliert und impulsiv stattfindet, gewinnt dieses alte Sprichwort neue Aktualität. Die Kunst des Schweigens oder des klugen Redens ist in einer Zeit, in der jeder jederzeit alles öffentlich sagen kann, von unschätzbarem Wert. Skandale entstehen oft nicht durch Taten, sondern durch Worte , egal ob unüberlegte Tweets, beleidigende Kommentare oder peinliche Enthüllungen. Ein »Meister der Zunge« wäre also jemand, der sich der Wirkung seiner Worte bewusst ist und sie gezielt, überlegt und verantwortungsvoll einsetzt.
Auch aus philosophischer Sicht ist das Sprichwort interessant. Es berührt das Ideal des Sophrosyne in der antiken Ethik, der Mäßigung und Selbstbeherrschung. Sprachliche Zurückhaltung zeugt von innerer Stärke und Selbstdisziplin. Wer sich nicht von Emotionen überwältigen lässt, sondern erst denkt, dann spricht oder im Zweifel schweigt, entgeht oft der Schande, die aus Kurzschlusshandlungen resultiert. Das bedeutet nicht, dass man sich immer zurückhalten soll. Vielmehr geht es um die Kunst des angemessenen Sprechens: zur rechten Zeit, mit Bedacht und dem richtigen Maß an Offenheit.
Sprache ist Macht, aber auch Verantwortung. Wer über sie Herr ist, bewahrt sich selbst vor Schaden, nicht durch List im negativen Sinn, sondern durch Klugheit und innere Reife. In einer Welt, in der oft impulsiv geredet wird, ist die Fähigkeit zur sprachlichen Selbstkontrolle vielleicht die modernste Tugend, die wir kultivieren können.