Die Untrennbaren

Unter den Göttern war ein Streit entstanden, und in Folge dessen erschien eines Tages im olympischen Staatsanzeiger die Kundmachung:

»Der Urheber des dichterischen Genies wird gesucht. Wer sich dafür hält, Mann oder Weib, trete hervor. Apollo und die Musen haben beschlossen, ihm eine in ihrer Nähe leer gewordene Wohnung anzuweisen.«

Schon am nächsten Morgen kam durch die Lüfte hergeflogen ein unabsehbarer Schwarm. An seiner Spitze schwebte auf mächtigen, kühn ausgebreiteten Flügeln, in thaufrischer Schöne blumenumkränzt, eine reizumflossene Gestalt.

Ein goldenes Füllhorn ruhte ihr im Arme, und mit überströmender Grohmuth ausgestreute Segensspenden bezeichneten ihren Weg. Ihr Gefolge schloß ganze Welten in sich: Verkörperungen des Herrlichsten und Höchsten, wie des Furchtbarsten und Scheußlichsten; in nicht unterbrochener Reihe alle Abstufungen vom Wunderbaren bis zum Wunderlichen, lebendig gewordene Spiegelbilder aller Thaten und Unthaten aller Leidenschaften, Hoffnungen, Enttäuschungen und Träume. Die edelsten unter den unendlich mannigfachen Gebilden erschienen in hehrer Einfachheit, die anderen, unermeßlich reich geschmückt, schimmerten wie der neugeborene Tag. Ihnen auf den Fersen folgte, das Kainszeichen auf der Stirn, Brandfackeln schwingend, eine dunkle Schar. Blitzähnlich schossen diese Dämonen hin und her, und bei jedem Flügelschlage theilte und verdoppelte sich jede der grauenhaften Ausgeburten; eine riesige schwarze, mit furchtbarer Geschwindigkeit wachsende Wetterwolke rollten sie, Verderben verbreitend, durch den Raum.

Aber sie hatten ihre Meister. Unscheinbare Wesen, still und mild und dennoch heldenhaft, demüthig und dennoch unüberwindlich, wiesen die Unholde in ihre Schranken; und ein Schauspiel boten diese Kämpfe, so voll hinreißenden Schwunges, unerschöpflicher Abwechslung und Neuheit, so voll Gefahr und Triumph, so voll Jubel und Leid, daß die Götter ihm zusahen und horchten in athemloser Spannung. Was jedoch ihre größte Neugier erregte, das war eine kleine, bunte Menge, die inmitten des Gewühles auf einem grünen, blühenden Eilande, wie auf einem rettenden Schifflein segelte. Die schärfsten Kontraste prägten sich in diesen Kleinen aus; Anmuth beseelte die meisten von ihnen; das zweischneidige Schwert, das Einige führten, traf, ohne zu verwunden. Sie spielten, waren aber nicht blind für die großen Schicksale, die sich um sie her vollzogen; mit Thränen in den Augen lachten sie, und ihr Lachen glich dem fröhlichen Gesang der Drossel und erheiterte den Olymp.

Momus, der zu den Füßen Melpomene's saß, sprach zu ihr: »Wer sind Die? Ich sollte sie kennen, ich kenne sie aber nicht.«

Die Muse erwiderte: »Ein nachgeborenes Völkchen — humoristisches Pack.«

Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Führerin des Schwarmes, die nun vor den Himmlischen stand. Ein Zauber ohne Gleichen ging von ihr aus; sie schüttelte ihr seidenweiches, welliges Haar und sagte mit wonniger Zuversicht:

»Mir und den Gaben, die ich verleihe, verdankt der Dichter den Antrieb zu all seinem Können und Thun. Ich bin die Phantasie.«

Die Götter - schwiegen, sannen nach und erwogen noch die Berechtigung dieses Anspruches, als ein Mann, ganz in Eisen gepanzert, sich wuchtigen Schrittes näherte, neben die Phantasie hintrat und seine Stimme erhob:

»Diese Dame prahlt. Ohne mich wird aus dem Können, das sie ihrem Liebling in die Wiege legt, nie ein Thun; ohne mich bleiben seine Hervorbringungen eitel Anfänge und vergehen wie Schaum. Ich bin der Fleiß.«

Ein heiteres Lachen folgte dieser Erklärung, und alle Augen suchten den, der es ausgestoßen hatte.

Es war ein schlichter, kräftig gebauter Bursche, mit hellen Augen und rothen Wangen. »Meine himmlischen Herrschaften,« sagte er, »nur ungern wage ich mich in Eure wolkenüberragenden Höhen; doch zwingt mich dazu mein gutes Recht, das ich zu wahren habe. Du, Genie- Mutter,« — so wandte er sich ohne Umstände an die Phantasie, die bei seinem Anblick die schönen Lippen kaum merklich verzogen hatte, — »was würde aus Deinen Kindem, wenn ich nicht zu Gevatter bei ihnen stände? Elend müßten sie zu Grunde gehen, erdrückt unter den berauschenden Blumen, mit denen Du sie überschüttest, irre geführt durch Deine webenden Träume, toll gehetzt auf der Jagd nach Deinen lockenden Früchten, verzehrt von Deinen rastlos keimenden Gedanken. Und Du,« sprach er noch strenger zum Fleiße, »Du setzest den Sorgen, die mir diese gute Mutter und schlechte Erzieherin macht, die Krone auf. Du Maulwurf, Du! Den Eifer, den Du ihren Kindem in alle Adem spritzest, tausendmal verwünscht hab' ich ihn. Er zwingt mich, auf Tritt und Schritt hinter den von Dir besessenen Genies her zu sein, um sie zu leiten, um sie zu hindern, Deinem blinden Triebe folgend, sich todt zu arbeiten in einem todten Schachte. Ja, rühmt Euch nur, Ihr Zwei! Ohne mich wird das Beste, das Ihr zu spenden habt, Euren Auserkorenen zum Unheil und zum Fluch.«

Die Phantasie und der Fleiß senkten die Augen und widersprachen nicht. Apollo jedoch fragte:

»Wer bist Du, Einfacher und Schlichter, daß Du eine so selbstbewußte Sprache führen darfst?«

Die Antwort lautete: »Ich bin der Verstand.«

Da blickten die Götter einander an, einige von ihnen erröthetm, besonders Venus und ihr Sohn. Sie senkten die olympischen Häupter und zogen sich zu einer Berathung zurück.

Der Beschluß, der in derselben gefaßt und durch Mercur verkündet wurde, war folgender:

»Wir anerkennen die Ansprüche einey Jeden von Euch auf die in unserem Erlasse ausgeschriebene Wohnung. Doch haben wir nur diese eine zu vergeben und können, da unser Reich ohnehin täglich an Boden verliert, nicht Raum schaffen für Euch Alle. Einen aber auf Kosten der beiden Anderen zu bevorzugen, widerstrebt unserer ewigen Gerechtigkeit. So nehmt unsern Dank für Euer Erscheinen und kehrt zur Erde zurück.«

Die Phantasie winkte ihrem Gefolge und flog davon; der Fleiß und der Verstand traten zu Fuße den Heimweg an. Der Erstere, ohne sich umzusehen; der Andere jedoch warf, am Himmelsthor angelangt, mehr zufällig, als mit Absicht, einen Blick zurück nach den Gefilden der Unsterblichen. Da sah er Minerva stehen, kampfbereit in ihrem Frieden, ruhig und gerüstet. Er beugte sich voll Ehrfurcht; und die Göttin der Weisheit, mit freundlicher Gebärde, ein holdes Lächeln um den ernsten Mund, grüßte ihn.

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