Ludwig Feuerbach

Das Wesen des Christentums

[Vorworte]

Die in verschiedenen Arbeiten zerstreuten, meist nur gelegentlichen, aphoristischen und polemischen Gedanken des Verfassers über Religion und Christentum, Theologie und spekulative Religionsphilosophie findet der geneigte und ungeneigte Leser in vorliegendem Werke konzentriert, aber jetzt ausgebildet, durchgeführt, begründet – konserviert und reformiert, beschränkt und erweitert, gemäßigt und geschärft, je nachdem es eben sachgemäß und folglich notwendig war, aber keineswegs wohlgemerkt! vollständig erschöpft, und zwar schon aus dem Grunde nicht, weil der Verfasser, abgeneigt allen nebulosen Allgemeinheiten, wie bei allen seinen Schriften, so auch bei dieser nur ein ganz bestimmtes Thema verfolgte.

Vorliegendes Werk enthält die Elemente, wohlgemerkt! nur die und zwar kritischen Elemente zu einer Philosophie der positiven Religion oder Offenbarung, aber natürlich, wie sich im voraus erwarten läßt, einer Religionsphilosophie weder in dem kindisch phantastischen Sinne unserer christlichen Mythologie, die sich jedes Ammenmärchen der Historie als Tatsache aufbinden läßt, noch in dem pedantischen Sinne unserer spekulativen Religionsphilosophie, welche, wie weiland die Scholastik, den Articulus fidei ohne weiteres als eine logisch-metaphysische Wahrheit demonstriert.

Die spekulative Religionsphilosophie opfert die Religion der Philosophie, die christliche Mythologie die Philosophie der Religion auf; jene macht die Religion zu einem Spielball der spekulativen Willkür, diese die Vernunft zum Spielball eines phantastischen religiösen Materialismus; jene läßt die Religion nur sagen, was sie selbst gedacht und weit besser sagt, diese läßt die Religion anstatt der Vernunft reden; jene, unfähig, aus sich herauszukommen, macht die Bilder der Religion zu ihren eigenen Gedanken, diese, unfähig, zu sich zu kommen, die Bilder zu Sachen.

Es versteht sich allerdings von selbst, daß Philosophie oder Religion im allgemeinen, d.h. abgesehen von ihrer spezifischen Differenz, identisch sind, daß, weil es ein und dasselbe Wesen ist, welches denkt und glaubt, auch die Bilder der Religion zugleich Gedanken und Sachen ausdrücken, ja, daß jede bestimmte Religion, jede Glaubensweise auch zugleich eine Denkweise ist, indem es völlig unmöglich ist, daß irgendein Mensch etwas glaubt, was wirklich wenigstens seinem Denk- und Vorstellungsvermögen widerspricht. So ist das Wunder dem Wundergläubigen nichts der Vernunft Widersprechendes, vielmehr etwas ganz Natürliches, als eine sich von selbst ergebende Folge der göttlichen Allmacht, die gleichfalls für ihn eine sehr natürliche Vorstellung ist. So ist dem Glauben die Auferstehung des Fleisches aus dem Grabe so klar, so natürlich als die Wiederkehr der Sonne nach ihrem Untergang, das Erwachen des Frühlings nach dem Winter, die Entstehung der Pflanze aus dem in die Erde gelegten Samen. Nur wann der Mensch nicht mehr in Harmonie mit seinem Glauben ist, fühlt und denkt, der Glaube also keine den Menschen mehr penetrierende Wahrheit ist, nur dann erst wird der Widerspruch des Glaubens, der Religion mit der Vernunft mit besonderm Nachdruck hervorgehoben. Allerdings erklärt auch der mit sich einige Glaube seine Gegenstände für unbegreiflich, für widersprechend der Vernunft, aber er unterscheidet zwischen christlicher und heidnischer, erleuchteter und natürlicher Vernunft. Ein Unterschied, der übrigens nur so viel sagt: Dem Unglauben nur sind die Glaubensgegenstände vernunftwidrig, aber wer sie einmal glaubt, der ist von ihrer Wahrheit überzeugt, dem gelten sie selbst für die höchste Vernunft.

Aber auch inmitten dieser Harmonie zwischen dem christlichen oder religiösen Glauben und der christlichen oder religiösen Vernunft bleibt doch immer ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Glauben und der Vernunft übrig, weil auch der Glaube sich nicht der natürlichen Vernunft entäußern kann. Die natürliche Vernunft ist aber nichts andres als die Vernunft ϰατέξοχήν, die allgemeine Vernunft, die Vernunft mit allgemeinen Wahrheiten und Gesetzen; der christliche Glaube oder, was eins ist, die christliche Vernunft dagegen ist ein Inbegriff besonderer Wahrheiten, besonderer Privilegien und Exemtionen, also eine besondere Vernunft. Kürzer und schärfer: Die Vernunft ist die Regel, der Glaube die Ausnahme von der Regel. Selbst in der besten Harmonie ist daher eine Kollision zwischen beiden unvermeidlich, denn die Spezialität des Glaubens und die Universalität der Vernunft decken sich, sättigen sich nicht vollkommen, sondern es bleibt ein Überschuß von freier Vernunft, welcher für sich selbst, im Widerspruch mit der an die Basis des Glaubens gebundenen Vernunft, wenigstens in besondern Momenten, empfunden wird. So wird die Differenz zwischen Glauben und Vernunft selbst zu einer psychologischen Tatsache.

Und nicht das, worin der Glaube mit der allgemeinen Vernunft übereinstimmt, begründet das Wesen des Glaubens, sondern das, wodurch er sich von ihr unterscheidet. Die Besonderheit ist die Würze des Glaubens – daher sein Inhalt selbst äußerlich schon gebunden ist an eine besondere, historische Zeit, einen besonderen Ort, einen besonderen Namen. Den Glauben mit der Vernunft identifizieren, heißt den Glauben diluieren, seine Differenz auslöschen. Wenn ich z.B. den Glauben an die Erbsünde nichts weiter aussagen lasse als dies, daß der Mensch von Natur nicht so sei, wie er sein soll, so lege ich ihm nur eine ganz allgemeine rationalistische Wahrheit in den Mund, eine Wahrheit, die jeder Mensch weiß, selbst der rohe Naturmensch noch bestätigt, wenn er auch nur mit einem Felle seine Scham bedeckt, denn was sagt er durch diese Bedeckung anders aus, als daß das menschliche Individuum von Natur nicht so ist, wie es sein soll. Freilich liegt auch der Erbsünde dieser allgemeine Gedanke zugrunde, aber das, was sie zu einem Glaubensobjekt, zu einer religiösen Wahrheit macht, dies ist gerade das Besondere, das Differente, das nicht mit der allgemeinen Vernunft Übereinstimmende.

Allerdings ist immer und notwendig das Verhältnis des Denkens zu den Gegenständen der Religion, als ein sie be- und erleuchtendes, in den Augen der Religion oder wenigstens der Theologie ein sie diluierendes und destruierendes Verhältnis – so ist es auch die Aufgabe dieser Schrift, nachzuweisen, daß den übernatürlichen Mysterien der Religion ganz einfache, natürliche Wahrheiten zugrunde liegen –, aber es ist zugleich unerläßlich, die wesentliche Differenz der Philosophie und Religion stets festzuhalten, wenn man anders die Religion, nicht sich selbst expektorieren will. Die wesentliche Differenz der Religion von der Philosophie begründet aber das Bild. Die Religion ist wesentlich dramatisch. Gott selbst ist ein dramatisches, d.h. persönliches Wesen. Wer der Religion das Bild nimmt, der nimmt ihr die Sache, hat nur das Caput mortuum in Händen. Das Bild ist als Bild Sache.

Hier in dieser Schrift nun werden die Bilder der Religion weder zu Gedanken – wenigstens nicht in dem Sinne der spekulativen Religionsphilosophie – noch zu Sachen gemacht, sondern als Bilder betrachtet – d.h. die Theologie wird weder als eine mystische Pragmatologie, wie von der christlichen Mythologie, noch als Ontologie, wie von der spekulativen Religionsphilosophie, sondern als psychische Pathologie behandelt.

Die Methode, die aber der Verfasser hiebei befolgt, ist eine durchaus objektive – die Methode der analytischen Chemie. Daher werden überall, wo es nur nötig und möglich war, Dokumente teils gleich unter dem Text, teils in einem besondern Anhange angeführt, um die durch die Analyse gewonnenen Konklusionen zu legitimieren, d.h. als objektiv begründete zu erweisen. Findet man daher die Resultate seiner Methode auffallend, illegitim, so sei man so billig, die Schuld nicht auf ihn, sondern auf den Gegenstand zu schieben.

Daß der Verfasser diese seine Zeugnisse aus dem Archiv längst vergangner Jahrhunderte herholt, das hat seine guten Gründe. Auch das Christentum hat seine klassischen Zeiten gehabt – und nur das Wahre, das Große, das Klassische ist würdig, gedacht zu werden; das Unklassische gehört vor das Forum der Komik oder der Satire. Um daher das Christentum als ein denkwürdiges Objekt fixieren zu können, mußte der Verfasser von dem feigen, charakterlosen, komfortabeln, belletristischen, koketten, epikureischen Christentum der modernen Welt abstrahieren, sich zurückversetzen in Zeiten, wo die Braut Christi noch eine keusche, unbefleckte Jungfrau war, wo sie noch nicht in die Dornenkrone ihres himmlischen Bräutigams die Rosen und Myrten der Heidnischen Venus einflocht, um über den Anblick des leidenden Gottes nicht in Ohnmacht zu versinken; wo sie zwar arm war an irdischen Schätzen, aber überreich und überglücklich im Genusse der Geheimnisse einer übernatürlichen Liebe.

Das moderne Christentum hat keine andern Zeugnisse mehr aufzuweisen als – Testimonia paupertatis. Was es allenfalls noch hat – das hat es nicht aus sich –, es lebt vom Almosen vergangner Jahrhunderte. Wäre das moderne Christentum ein der philosophischen Kritik würdiger Gegenstand, so hätte sich der Verfasser die Mühe des Nachdenkens und Studiums, die ihm seine Schrift gekostet, ersparen können. Was nämlich in dieser Schrift sozusagen a priori bewiesen wird, daß das Geheimnis der Theologie die Anthropologie ist, das hat längst a posteriori die Geschichte der Theologie bewiesen und bestätigt. »Die Geschichte des Dogmas«, allgemeiner ausgedrückt: der Theologie überhaupt, ist die »Kritik des Dogmas«, der Theologie überhaupt. Die Theologie ist längst zur Anthropologie geworden. So hat die Geschichte realisiert, zu einem Gegenstande des Bewußtseins gemacht, was an sich – hierin ist die Methode Hegels vollkommen richtig historisch begründet – das Wesen der Theologie war.

Obgleich aber »die unendliche Freiheit und Persönlichkeit« der modernen Welt sich also der christlichen Religion und Theologie bemeistert hat, daß der Unterschied zwischen dem produzierenden heiligen Geist der göttlichen Offenbarung und dem konsumierenden menschlichen Geist längst aufgehoben, der einst übernatürliche und übermenschliche Inhalt des Christentums längst völlig naturalisiert und anthropomorphosiert ist, so spukt doch immer noch unsrer Zeit und Theologie, infolge ihrer unentschiedenen Halbheit und Charakterlosigkeit, das übermenschliche und übernatürliche Wesen des alten Christentums wenigstens als ein Gespenst im Kopfe. Allein es wäre eine Aufgabe ohne alles philosophische Interesse gewesen, wenn der Verfasser den Beweis, daß dieses moderne Gespenst nur eine Illusion, eine Selbsttäuschung des Menschen ist, zum Ziele seiner Arbeit sich gesetzt hätte. Gespenster sind Schatten der Vergangenheit – notwendig führen sie uns auf die Frage zurück: was war einst das Gespenst, als es noch ein Wesen von Fleisch und Blut war?

Der Verfasser muß jedoch den geneigten, insbesondere aber den ungeneigten Leser ersuchen, nicht außer acht zu lassen, daß er, wenn er aus der alten Zeit heraus schreibt, darum noch nicht in der alten, sondern in der neuen Zeit und für die neue Zeit schreibt, daß er also das moderne Gespenst nicht außer Augen läßt, während er sein ursprüngliches Wesen betrachtet, daß überhaupt zwar der Inhalt dieser Schrift ein pathologischer oder physiologischer, aber doch ihr Zweck zugleich ein therapeutischer oder praktischer ist.

Dieser Zweck ist – Beförderung der pneumatischen Wasserheilkunde – Belehrung über den Gebrauch und Nutzen des kalten Wassers der natürlichen Vernunft – Wiederherstellung der alten einfachen ionischen Hydrologie auf dem Gebiete der spekulativen Philosophie, zunächst auf dem der spekulativen Religionsphilosophie. Die alte ionische, insbesondere Thalessche Lehre lautet aber bekanntlich in ihrer ursprünglichen Gestalt also: Das Wasser ist der Ursprung aller Dinge und Wesen, folglich auch der Götter; denn der Geist oder Gott, welcher nach Cicero dem Wasser bei der Geburt der Dinge als ein besonderes Wesen assistiert, ist offenbar nur ein Zusatz des spätem heidnischen Theismus.

Nicht widerspricht das sokratische Γνϖϑι σαϑτόν welches das wahre Epigramm und Thema dieser Schrift ist, dem einfachen Naturelement der ionischen Weltweisheit, wenn es wenigstens wahrhaft erfaßt wird. Das Wasser ist nämlich nicht nur ein physisches Zeugungs- und Nahrungsmittel, wofür es allein der alten beschränkten Hydrologie galt; es ist auch ein sehr probates psychisches und optisches Remedium. Kaltes Wasser macht klare Augen. Und welche Wonne ist es, auch nur zu blicken in klares Wasser! wie seelerquickend, wie geisterleuchtend so ein optisches Wasserbad! Wohl zieht uns das Wasser mit magischem Reize zu sich hinab in die Tiefe der Natur, aber es spiegelt auch dem Menschen sein eignes Bild zurück. Das Wasser ist das Ebenbild des Selbstbewußtseins, das Ebenbild des menschlichen Auges – das Wasser der natürliche Spiegel des Menschen. Im Wasser entledigt sich ungescheut der Mensch aller mystischen Umhüllungen; dem Wasser vertraut er sich in seiner wahren, seiner nackten Gestalt an; im Wasser verschwinden alle supranaturalistischen Illusionen. So erlosch auch einst in dem Wasser der ionischen Naturphilosophie die Fackel der heidnischen Astrotheologie.

Hierin eben liegt die wunderbare Heilkraft des Wassers – hierin die Wohltätigkeit und Notwendigkeit der pneumatischen Wasserheilkunst, namentlich für so ein wasserscheues, sich selbst betörendes, sich selbst verweichlichendes Geschlecht, wie großenteils das gegenwärtige ist.

Fern sei es jedoch von uns, über das Wasser, das helle, sonnenklare Wasser der natürlichen Vernunft uns Illusionen zu machen, mit dem Antidotum des Supranaturalismus selbst wieder supranaturalistische Vorstellungen zu verbinden. Αριστον ύδωρ, allerdings; aber auch αριστον μέτρον. Auch die Kraft des Wassers ist eine in sich selbst begrenzte, in Maß und Ziel gesetzte Kraft. Auch für das Wasser gibt es unheilbare Krankheiten. So ist vor allem inkurabel die Venerie, die Lustseuche der modernen Frömmler, Dichter und Schöngeistler, welche, den Wert der Dinge nur nach ihrem poetischen Reize bemessend, so ehr- und schamlos sind, daß sie selbst auch die als Illusion erkannte Illusion, weil sie schön und wohltätig sei, in Schutz nehmen, so wesen- und wahrheitslos, daß sie nicht einmal mehr fühlen, daß eine Illusion nur so lange schön ist, solange sie für keine Illusion, sondern für Wahrheit gilt. Doch an solche grundeitle, lustsüchtige Subjekte wendet sich auch nicht der pneumatische Wasserheilkünstler. Nur wer den schlichten Geist der Wahrheit höher schätzt als den gleisnerischen Schöngeist der Lüge, nur wer die Wahrheit schön, die Lüge aber häßlich findet, nur der ist würdig und fähig, die heilige Wassertaufe zu empfangen.

Vorrede zur zweiten Auflage

Die albernen und perfiden Urteile, welche über diese Schrift seit ihrer Erscheinung in der ersten Auflage gefällt wurden, haben mich keinesweges befremdet, denn ich erwartete keine anderen und konnte auch rechtlicher- und vernünftigerweise keine anderen erwarten. Ich habe es durch diese Schrift mit Gott und Welt verdorben. Ich habe die »ruchlose Frechheit« gehabt, schon in dem Vorwort auszusprechen, daß »auch das Christentum seine klassischen Zeiten gehabt habe und nur das Wahre, das Große, das Klassische würdig sei, gedacht zu werden, das Unwahre, Kleine, Unklassische aber vor das Forum der Satire oder Komik gehöre, daß ich daher, um das Christentum als ein denkwürdiges Objekt fixieren zu können, von dem dissoluten, charakterlosen, komfortabeln, belletristischen, koketten, epikureischen Christentum der modernen Welt abstrahiert, mich zurückversetzt habe in Zeiten, wo die Braut Christi noch eine keusche, unbefleckte Jungfrau war, wo sie noch nicht in die Dornenkrone ihres himmlischen Bräutigams die Rosen und Myrten der heidnischen Venus einflocht, wo sie zwar arm war an irdischen Schätzen, aber überreich und überglücklich im Genusse der Geheimnisse einer übernatürlichen Liebe«. Ich habe also die ruchlose Frechheit gehabt, das von den modernen Scheinchristen vertuschte und verleugnete wahre Christentum aus dem Dunkel der Vergangenheit ans Licht wieder hervorzuziehen, aber nicht in der löblichen und vernünftigen Absicht, es als das Nonplusultra des menschlichen Geistes und Herzens hinzustellen, nein! in der entgegengesetzten, in der ebenso »törichten« als »teuflischen« Absicht, es auf ein höheres, allgemeineres Prinzip zu reduzieren – und bin infolge dieser ruchlosen Frechheit mit Fug und Recht der Fluch der modernen Christen, insbesondere der Theologen geworden. Ich habe die spekulative Philosophie an ihrer empfindlichsten Stelle, an ihrem eigentlichen Point d'honneur angegriffen, indem ich die scheinbare Eintracht, welche sie zwischen sich und der Religion gestiftet, unbarmherzig zerstörte – nachwies, daß sie, um die Religion mit sich in Einklang zu bringen, die Religion ihres wahren, wesenhaften Inhalts beraubt; zugleich aber auch die sogenannte positive Philosophie in ein höchst fatales Licht gesetzt, indem ich zeigte, daß das Original ihres Götzenbildes der Mensch ist, daß zur Persönlichkeit wesentlich Fleisch und Blut gehört – durch meine extraordinäre Schrift also die ordinären Fachphilosophen gewaltig vor den Kopf gestoßen. Ich habe mir ferner durch die äußerst unpolitische, leider! aber intellektuell und sittlich notwendige Aufklärung, die ich über das dunkle Wesen der Religion gegeben, selbst die Ungnade der Politiker zugezogen – sowohl der Politiker, welche die Religion als das politischste Mittel zur Unterwerfung und Unterdrückung des Menschen betrachten, als auch derjenigen, welche die Religion als das politisch gleichgültigste Ding ansehen, und daher wohl auf dem Gebiete der Industrie und Politik Freunde, aber auf dem Gebiete der Religion sogar Feinde des Lichts und der Freiheit sind. Ich habe endlich, und zwar schon durch die rücksichtslose Sprache, mit welcher ich jedes Ding bei seinem wahren Namen nenne, einen entsetzlichen, unverzeihlichen Verstoß gegen die Etikette der Zeit gemacht.

Der Ton der »guten Gesellschaften«, der neutrale, leidenschaftlose Ton konventioneller Illusionen und Unwahrheiten ist nämlich der herrschende, der normale Ton der Zeit – der Ton, in welchem nicht etwa nur die eigentlich politischen, was sich von selbst versteht, sondern auch die religiösen und wissenschaftlichen Angelegenheiten, id est Übel der Zeit, behandelt und besprochen werden müssen. Schein ist das Wesen der Zeit – Schein unsre Politik, Schein unsre Sittlichkeit, Schein unsre Religion, Schein unsre Wissenschaft. Wer jetzt die Wahrheit sagt, der ist impertinent, »ungesittet«, wer »ungesittet«, unsittlich. Wahrheit ist unsrer Zeit Unsittlichkeit. Sittlich, ja autorisiert und honoriert ist die heuchlerische Verneinung des Christentums, welche sich den Schein der Bejahung desselben gibt; aber unsittlich und verrufen ist die wahrhaftige, die sittliche Verneinung des Christentums – die Verneinung, die sich als Verneinung ausspricht. Sittlich ist das Spiel der Willkür mit dem Christentum, welche den einen Grundartikel des christlichen Glaubens wirklich fallen-, den andern aber scheinbar stehenläßt, denn wer einen Glaubensartikel umstößt, der stößt, wie schon Luther sagte, [1] alle um, wenigstens dem Prinzipe nach, aber unsittlich ist der Ernst der Freiheit vom Christentum aus innerer Notwendigkeit, sittlich ist die taktlose Halbheit, aber unsittlich die ihrer selbst gewisse und sichere Ganzheit, sittlich der lüderliche Widerspruch, aber unsittlich die Strenge der Konsequenz, sittlich die Mittelmäßigkeit, weil sie mit nichts fertig wird, nirgends auf den Grund kommt, aber unsittlich das Genie, weil es aufräumt, weil es seinen Gegenstand erschöpft – kurz, sittlich ist nur die Lüge, weil sie das Übel der Wahrheit oder – was jetzt eins ist – die Wahrheit des Übels umgeht, verheimlicht.

Wahrheit ist aber in unsrer Zeit nicht nur Unsittlichkeit, Wahrheit ist auch Unwissenschaftlichkeit – Wahrheit ist die Grenze der Wissenschaft. In demselben Sinne, als sich die Freiheit der deutschen Rheinschifffahrt jusqu' à la mer, erstreckt sich die Freiheit der deutschen Wissenschaft jusqu' à. la vèritè. Wo die Wissenschaft zur Wahrheit kommt, Wahrheit wird, da hört sie auf, Wissenschaft zu sein, da wird sie ein Objekt der Polizei – die Polizei ist die Grenze zwischen der Wahrheit und Wissenschaft. Wahrheit ist der Mensch, nicht die Vernunft in abstracto, das Leben, nicht der Gedanke, der auf dem Papier bleibt, auf dem Papier seine volle, entsprechende Existenz findet. Gedanken daher, die unmittelbar aus der Feder in das Blut, aus der Vernunft in den Menschen übergehen, sind keine wissenschaftlichen Wahrheiten mehr. Wissenschaft ist wesentlich nur ein unschädliches, aber auch unnützliches Spielwerkzeug der faulen Vernunft; Wissenschaft ist nur Beschäftigung mit für das Leben, für den Menschen gleichgültigen Dingen, oder, gibt sie sich ja mit nicht gleichgültigen Dingen ab, doch eine so indifferente, gleichgültige Beschäftigung, daß darum kein Mensch sich kümmert. Ratlosigkeit im Kopfe, Tatlosigkeit im Herzen – Wahrheits- und Gesinnungslosigkeit, kurz, Charakterlosigkeit ist daher jetzt die notwendige Eigenschaft eines echten, rekommandabeln, koschern Gelehrten – wenigstens eines solchen Gelehrten, dessen Wissenschaft ihn notwendig in Berührung mit den delikaten Punkten der Zeit bringt. Aber ein Gelehrter von unbestechlichem Wahrheitssinne, von entschiedenem Charakter, der eben deswegen den Nagel mit einem Schlage auf den Kopf trifft, der das Übel bei der Wurzel packt, den Punkt der Krisis, der Entscheidung, unaufhaltsam herbeiführet – ein solcher Gelehrter ist kein Gelehrter mehr – Gott bewahre! – er ist ein »Herostat« – also flugs mit ihm an den Galgen oder doch wenigstens an den Pranger! Ja, nur an den Pranger; denn der Tod am Galgen ist den ausdrücklichen Grundsätzen des heutigen »christlichen Staatsrechts« zufolge ein unpolitischer und »unchristlicher«, weil offen ausgesprochner, unleugbarer Tod, aber der Tod am Pranger, der bürgerliche Tod, ist ein höchst politischer und christlicher, weil hinterlistiger, heuchlerischer Tod – Tod, aber ein Tod, der nicht scheint Tod zu sein. Und Schein, purer Schein ist das Wesen der Zeit in allen nur einigermaßen kitzligen Punkten.

Kein Wunder also, daß die Zeit des scheinbaren, des illusorischen, des renommistischen Christentums an dem Wesen des Christentums einen solchen Skandal genommen hat. Ist doch das Christentum so sehr außer Art geschlagen und außer Praxis gekommen, daß selbst die offiziellen und gelehrten Repräsentanten des Christentums, die Theologen, nicht einmal mehr wissen oder wenigstens wissen wollen, was Christentum ist. Man vergleiche nur, um sich hievon mit eignen Augen zu überzeugen, die Vorwürfe, welche mir die Theologen z. B. in betreff des Glaubens, des Wunders, der Vorsehung, der Richtigkeit der Welt gemacht, mit den historischen Zeugnissen, die ich in meiner Schrift, namentlich in dieser zweiten, eben deswegen mit Belegstellen bedeutend vermehrten Auflage anführe, und man wird erkennen, daß diese ihre Vorwürfe nicht mich, sondern das Christentum selbst treffen, daß ihre »Indignation« über meine Schrift nur eine Indignation über den wahren, aber ihrem Sinne gänzlich entfremdeten Inhalt der christlichen Religion ist. Nein! es ist kein Wunder, daß in einer Zeit, welche – übrigens offenbar aus Langerweile – den abgelebten, den jetzt ach! so kleinlichen Gegensatz zwischen Protestantismus und Katholizismus – ein Gegensatz, über den jüngst noch der Schuster und Schneider hinaus war – mit affektierter Leidenschaftlichkeit wieder angefacht und sich nicht geschämt hat, den Hader über die gemischten Ehen als eine ernsthafte, hochwichtige Angelegenheit aufzunehmen, eine Schrift, welche auf den Grund historischer Dokumente beweist, daß nicht nur die gemischte Ehe, die Ehe zwischen Gläubigen und Ungläubigen, sondern die Ehe überhaupt dem wahren Christentum widerspricht, daß der wahre Christ – aber ist es nicht die Pflicht der »christlichen Regierungen«, der christlichen Seelsorger, der christlichen Lehrer, dafür zu sorgen, daß wir alle wahre Christen seien? – keine andere Zeugung kennt, als die Zeugung im heiligen Geiste, die Bekehrung, die Bevölkerung des Himmels, aber nicht der Erde – nein! es ist kein Wunder, daß in einer solchen Zeit eine solche Schrift ein empörender Anachronismus ist.

Aber eben deswegen, weil es kein Wunder, so hat mich auch das Geschrei über und gegen meine Schrift im geringsten nicht aus dem Konzept gebracht. Ich habe vielmehr in aller Ruhe meine Schrift noch einmal der strengsten, ebensowohl historischen als philosophischen Kritik unterworfen, sie von ihren formellen Mängeln soviel als möglich gereinigt und mit neuen Entwicklungen, Beleuchtungen und historischen Zeugnissen – höchst schlagenden, unwidersprechlichen Zeugnissen bereichert. Hoffentlich wird man jetzt, wo ich oft Schritt für Schritt den Gedankengang meiner Analyse mit historischen Belegen unterbreche und unterstütze, sich überzeugen, wenn man nicht stockblind ist, und eingestehen, wenn auch widerwillig, daß meine Schrift eine getreue, richtige Übersetzung der christlichen Religion aus der orientalischen Bildersprache der Phantasie in gutes, verständliches Deutsch ist. Und weiter will meine Schrift nichts sein als eine sinngetreue Übersetzung – bildlos ausgedrückt: eine empirisch- oder historisch-philosophische Analyse, Auflösung des Rätsels der christlichen Religion. Die allgemeinen Sätze, die ich in der Einleitung vorausschicke, sind keine apriorischen, selbstersonnenen, keine Produkte der Spekulation; sie sind entstanden erst aus der Analyse der Religion, sind nur, wie überhaupt die Grundgedanken der Schrift, in Gedanken umgesetzte, d. h. in allgemeine Ausdrücke gefaßte und dadurch zum Verständnis gebrachte tatsächliche Äußerungen des menschlichen Wesens – und zwar des religiösen Wesens und Bewußtseins des Menschen. Die Gedanken meiner Schrift sind nur Konklusionen, Folgerungen aus Prämissen, welche nicht wieder Gedanken, sondern gegenständliche, entweder lebendige oder historische Tatsachen sind – Tatsachen, die ob ihrer plumpen Existenz in Großfolio in meinem Kopfe gar nicht Platz hatten. Ich verwerfe überhaupt unbedingt die absolute, die immaterielle, die mit sich selbst zufriedne Spekulation – die Spekulation, die ihren Stoff aus sich selbst schöpft. Ich bin himmelweit unterschieden von den Philosophen, welche sich die Augen aus dem Kopfe reißen, um desto besser denken zu können; ich brauche zum Denken die Sinne, vor allem die Augen, gründe meine Gedanken auf Materialien, die wir uns stets nur vermittelst der Sinnentätigkeit aneignen können, erzeuge nicht den Gegenstand aus dem Gedanken, sondern umgekehrt den Gedanken aus dem Gegenstande, aber Gegenstand ist nur, was außer dem Kopfe existiert. Ich bin Idealist nur auf dem Gebiete der praktischen Philosophie, d. h. ich mache hier die Schranken der Gegenwart und Vergangenheit nicht zu Schranken der Menschheit, der Zukunft, glaube vielmehr unerschütterlich, daß gar manches, ja wohl gar manches, was den kurzsichtigen, kleinmütigen Praktikern heute für Phantasie, für nie realisierbare Idee, ja für bloße Chimäre gilt, schon morgen, d. h. im nächsten Jahrhundert – Jahrhunderte im Sinne des einzelnen Menschen sind Tage im Sinne und Leben der Menschheit – in voller Realität dastehen wird. Kurz, die Idee ist mir nur der Glaube an die geschichtliche Zukunft, an den Sieg der Wahrheit und Tugend, hat mir nur politische und moralische Bedeutung; aber auf dem Gebiete der eigentlichen theoretischen Philosophie gilt mir im direkten Gegensatze zur Hegelschen Philosophie, wo gerade das Umgekehrte stattfindet, nur der Realismus, der Materialismus in dem angegebenen Sinne. Den Grundsatz der bisherigen spekulativen Philosophie: alles, was mein ist, führe ich bei mir selbst – das alte Omnia mea mecum porto kann ich daher leider! nicht auf mich applizieren. Ich habe gar viele Dinge außer mir, die ich nicht in der Tasche oder im Kopfe mit mir transportieren kann, aber gleichwohl doch zu mir selbst rechne, nicht zu mir nur als Menschen, von dem hier keine Rede ist, sondern zu mir als Philosophen. Ich bin nichts als ein geistiger Naturforscher, aber der Naturforscher vermag nichts ohne Instrumente, ohne materielle Mittel. Als ein solcher – als ein geistiger Naturforscher also schrieb ich denn auch diese meine Schrift, die folglich nichts andres enthält als das Prinzip, und zwar bereits praktisch bewährte, d. h. in concreto, an einem besondern Gegenstande – einem Gegenstande übrigens von allgemeiner Bedeutung – an der Religion dargestellte, entwickelte und durchgeführte Prinzip einer neuen, von der bisherigen Philosophie wesentlich unterschiednen, dem wahren, wirklichen, ganzen Wesen des Menschen entsprechenden, aber freilich gerade eben deswegen allen durch eine über-, d. h. widermenschliche, widernatürliche Religion und Spekulation verdorbenen und verkrüppelten Menschen widersprechenden Philosophie – einer Philosophie, welche nicht, wie ich mich schon anderwärts ausdrückte, den Gänsekiel für das einzige entsprechende Offenbarungsorgan der Wahrheit hält, sondern Augen und Ohren, Hände und Füße hat, nicht den Gedanken der Sache mit der Sache selbst identifiziert, um so die wirkliche Existenz durch den Kanal der Schreibfeder auf eine papierne Existenz zu reduzieren, sondern beide voneinander trennt, aber gerade durch diese Trennung zur Sache selbst kommt, nicht das Ding, wie es Gegenstand der abstrakten Vernunft, sondern wie es Gegenstand des wirklichen, ganzen Menschen, also selbst ein ganzes, wirkliches Ding ist, als das wahre Ding anerkennt – einer Philosophie, welche, weil sie sich nicht auf einen Verstand für sich selbst, auf einen absoluten, namenlosen Verstand, von dem man nicht weiß, wem er angehört, sondern auf den Verstand des – freilich nicht verspekulierten und verchristelten – Menschen stützt, auch die menschliche, nicht eine wesen- und namenlose Sprache spricht, ja welche, wie der Sache, so der Sprache nach, gerade das Wesen der Philosophie in die Negation der Philosophie setzt, d. h. nur die in succum et sanguinem vertierte, die Fleisch und Blut, die Mensch gewordene Philosophie für die wahre Philosophie erklärt und daher ihren höchsten Triumph darin findet, daß sie allen plumpen und verschulten Köpfen, welche in den Schein der Philosophie das Wesen der Philosophie setzen, gar nicht Philosophie zu sein scheint.

Als ein Spezimen dieser Philosophie nun, welche nicht die Substanz Spinozas, nicht das Ich Kants und Fichtes, nicht die absolute Identität Schellings, nicht den absoluten Geist Hegels, kurz, kein abstraktes, nur gedachtes oder eingebildetes, sondern ein wirkliches oder vielmehr das allerwirklichste Wesen, das wahre Ens realissimum: den Menschen, also das positivste Realprinzip zu ihrem Prinzip hat, welche den Gedanken aus seinem Gegenteil, aus dem Stoffe, dem Wesen, den Sinnen erzeugt, sich zu ihrem Gegenstande erst sinnlich, d. i. leidend, rezeptiv verhält, ehe sie ihn denkend bestimmt, ist also meine Schrift – obwohl andrerseits das wahre, das Fleisch und Blut gewordne Resultat der bisherigen Philosophie – doch so wenig ein in die Kategorie der Spekulation zu stellendes Produkt, daß sie vielmehr das direkte Gegenteil, ja die Auflösung der Spekulation ist. Die Spekulation läßt die Religion nur sagen, was sie selbst gedacht und weit besser gesagt, als die Religion; sie bestimmt die Religion, ohne sich von ihr bestimmen zu lassen; sie kommt nicht aus sich heraus. Ich aber lasse die Religion sich selbst aussprechen; ich mache nur ihren Zuhörer und Dolmetscher, nicht ihren Souffleur. Nicht zu erfinden – zu entdecken, »Dasein zu enthüllen« war mein einziger Zweck; richtig zu sehen, mein einziges Bestreben. Nicht ich, die Religion betet den Menschen an, obgleich sie oder vielmehr die Theologie es leugnet; nicht meine Wenigkeit nur, die Religion selbst sagt: Gott ist Mensch, der Mensch Gott; nicht ich, die Religion selbst verleugnet und verneint den Gott, der nicht Mensch, sondern nur ein Ens rationis ist, indem sie Gott Mensch werden läßt und nun erst diesen menschlich gestalteten, menschlich fühlenden und gesinnten Gott zum Gegenstande ihrer Anbetung und Verehrung macht. Ich habe nur das Geheimnis der christlichen Religion verraten, nur entrissen dem widerspruchvollen Lug- und Truggewebe der Theologie – dadurch aber freilich ein wahres Sakrilegium begangen. Wenn daher meine Schrift negativ, irreligiös, atheistisch ist, so bedenke man, daß der Atheismus – im Sinne dieser Schrift wenigstens – das Geheimnis der Religion selbst ist, daß die Religion selbst zwar nicht auf der Oberfläche, aber im Grunde, zwar nicht in ihrer Meinung und Einbildung, aber in ihrem Herzen, ihrem wahren Wesen an nichts andres glaubt, als an die Wahrheit und Gottheit des menschlichen Wesens. Oder man beweise mir, daß sowohl die historischen als rationellen Argumente meiner Schrift falsch, unwahr sind – widerlege sie – aber ich bitte mir aus – nicht mit juristischen Injurien oder theologischen Jeremiaden oder abgedroschenen spekulativen Phrasen oder namenlosen Miserabilitäten, sondern mit Gründen, und zwar solchen Gründen, die ich nicht selbst bereits gründlichst widerlegt habe.

Allerdings ist meine Schrift negativ, verneinend, aber, wohlgemerkt! nur gegen das unmenschliche, nicht gegen das menschliche Wesen der Religion. Sie zerfällt daher in zwei Teile, wovon der Hauptsache nach der erste der bejahende, der zweite – mit Inbegriff des Anhangs – nicht ganz, doch größtenteils – der verneinende ist; aber in beiden wird dasselbe bewiesen, nur auf verschiedene oder vielmehr entgegengesetzte Weise. Der erste ist nämlich die Auflösung der Religion in ihr Wesen, ihre Wahrheit, der zweite die Auflösung derselben in ihre Widersprüche; der erste Entwicklung, der zweite Polemik, jener daher der Natur der Sache nach ruhiger, dieser lebendiger. Gemach schreitet die Entwicklung vorwärts, aber rasch der Kampf, denn die Entwicklung ist auf jeder Station in sich befriedigt, aber der Kampf nur im letzten Ziele. Bedenklich ist die Entwicklung, aber resolut der Kampf. Licht erheischt die Entwicklung, aber Feuer der Kampf. Daher die Verschiedenheit der beiden Teile schon in formeller Beziehung. Im ersten Teile also zeige ich, daß der wahre Sinn der Theologie die Anthropologie ist, daß zwischen den Prädikaten des göttlichen und menschlichen Wesens, folglich – denn überall, wo die Prädikate, wie dies vor allem bei den theologischen der Fall ist, nicht zufällige Eigenschaften, Akzidenzen, sondern das Wesen des Subjekts ausdrücken, ist zwischen Prädikat und Subjekt kein Unterschied, kann das Prädikat an die Stelle des Subjekts gesetzt werden, weshalb ich verweise auf die Analytik des Aristoteles oder auch nur die Einleitung des Porphyrius – folglich auch zwischen dem göttlichen und menschlichen Subjekt oder Wesen kein Unterschied ist, daß sie identisch sind; im zweiten zeige ich dagegen, daß der Unterschied, der zwischen den theologischen und anthropologischen Prädikaten gemacht wird oder vielmehr gemacht werden soll, sich in Nichts, in Unsinn auflöst. Ein sinnfälliges Beispiel. Im ersten Teile beweise ich, daß der Sohn Gottes in der Religion wirklicher Sohn ist, Sohn Gottes in demselben Sinne, in welchem der Mensch Sohn des Menschen ist, und finde darin die Wahrheit, das Wesen der Religion, daß sie ein tiefmenschliches Verhältnis als ein göttliches Verhältnis erfaßt und bejaht; im zweiten dagegen, daß der Sohn Gottes – allerdings nicht unmittelbar in der Religion selbst, sondern in der Reflexion derselben über sich – nicht Sohn im natürlichen, menschlichen Sinn, sondern auf eine ganz andre, der Natur und Vernunft widersprechende, folglich sinn- und verstandlose Weise Sohn sei, und finde in dieser Verneinung des menschlichen Sinnes und Verstandes die Unwahrheit, das Negative der Religion. Der erste Teil ist demnach der direkte, der zweite der indirekte Beweis, daß die Theologie Anthropologie ist; der zweite führt daher notwendig auf den ersten zurück; er hat keine selbständige Bedeutung; er hat nur den Zweck zu beweisen, daß der Sinn, in welchem die Religion dort genommen worden ist, der richtige sein muß, weil der entgegengesetzte Sinn Unsinn ist. Kurz, im ersten Teile habe ich es hauptsächlich – hauptsächlich, sage ich, denn es war unvermeidlich, nicht in den ersten auch schon die Theologie, wie in den zweiten die Religion hineinzuziehen – mit der Religion zu tun, im zweiten mit der Theologie, aber nicht nur, wie man hier und da irrtümlich gemeint hat, mit der gemeinen Theologie, deren mir übrigens wohlbekannte Quisquilien ich vielmehr mir soviel als möglich vom Leibe hielt, mich überall nur auf die wesentlichste, die strengste, notwendigste Bestimmung des Gegenstandes beschränkend, wie z. B. bei den Sakramenten nur auf zwei, denn im strengsten Sinne (s. Luther T. XVII. p. 558 nach der zitierten Ausgabe) gibt es nur zwei, also auf die Bestimmung, welche einem Gegenstand allgemeines Interesse gibt, ihn über die beschränkte Sphäre der Theologie erhebt, sondern auch, was ja schon der bloße Augenschein zeigt, mit der spekulativen Theologie oder Philosophie. Mit der Theologie, sage ich, nicht mit den Theologen; denn ich kann überall nur fixieren, was prima causa ist – das Original, nicht die Kopie, Prinzipien, nicht Personen, Gattungen, aber nicht Individuen, Objekte der Geschichte, aber nicht Objekte der Chronique scandaleuse.

Wenn meine Schrift nur den zweiten Teil enthielte, so hätte man allerdings vollkommen recht, derselben eine nur negative Tendenz vorzuwerfen – den Satz: die Religion ist Nichts, ist Unsinn, als den wesentlichen Inhalt derselben zu bezeichnen. Allein ich sage keineswegs: – wie leicht hätte ich es mir dann machen können! – Gott ist Nichts, die Trinität ist Nichts, das Wort Gottes ist Nichts usw., ich zeige nur, daß sie nicht Das sind, was sie in der Illusion der Theologie sind, – nicht ausländische, sondern einheimische Mysterien, die Mysterien der menschlichen Natur; ich zeige, daß die Religion das scheinbare, oberflächliche Wesen der Natur und Menschheit für ihr wahres, inneres Wesen nimmt und daher das wahre, esoterische Wesen derselben als ein andres, als ein besondres Wesen vorstellt, daß folglich die Religion in den Bestimmungen, die sie von Gott, z. B. vom Worte Gottes gibt – wenigstens in den Bestimmungen, welche keine negativen sind in dem eben angegebenen Sinne –, nur das wahre Wesen des menschlichen Wortes definiert oder vergegenständlicht. Der Vorwurf, daß nach meiner Schrift die Religion Unsinn, Nichts, pure Illusion sei, hätte nur dann Grund, wenn ihr zufolge auch Das, worauf ich die Religion zurückführe, was ich als ihren wahren Gegenstand und Inhalt nachweise, der Mensch, die Anthropologie Unsinn, Nichts, pure Illusion wäre. Aber weit gefehlt, daß ich der Anthropologie eine nichtige oder auch nur untergeordnete Bedeutung gebe – eine Bedeutung, die ihr gerade nur so lange zukommt, als über ihr und ihr entgegen eine Theologie steht – indem ich die Theologie zur Anthropologie erniedrige, erhebe ich vielmehr die Anthropologie zur Theologie, gleichwie das Christentum, indem es Gott zum Menschen erniedrigte, den Menschen zu Gott machte, freilich wieder zu einem dem Menschen entfernten, transzendenten, phantastischen Gott – nehme daher auch das Wort: Anthropologie, wie sich von selbst versteht, nicht im Sinne der Hegelschen oder bisherigen Philosophie überhaupt, sondern in einem unendlich höhern und allgemeineren Sinne.

Die Religion ist der Traum des menschlichen Geistes. Aber auch im Traume befinden wir uns nicht im Nichts oder im Himmel, sondern auf der Erde – im Reiche der Wirklichkeit, nur daß wir die wirklichen Dinge nicht im Lichte der Wirklichkeit und Notwendigkeit, sondern im entzückenden Scheine der Imagination und Willkür erblicken. Ich tue daher der Religion – auch der spekulativen Philosophie oder Theologie – nichts weiter an, als daß ich ihr die Augen öffne, oder vielmehr nur ihre einwärts gekehrten Augen auswärts richte, d. h. ich verwandle nur den Gegenstand in der Vorstellung oder Einbildung in den Gegenstand in der Wirklichkeit.

Aber freilich für diese Zeit, welche das Bild der Sache, die Kopie dem Original, die Vorstellung der Wirklichkeit, den Schein dem Wesen vorzieht, ist diese Verwandlung, weil Enttäuschung, absolute Vernichtung, oder doch ruchlose Profanation; denn heilig ist ihr nur die Illusion, profan aber die Wahrheit. Ja die Heiligkeit steigt in ihren Augen in demselben Maße, als die Wahrheit ab- und die Illusion zunimmt, so daß der höchste Grad der Illusion für sie auch der höchste Grad der Heiligkeit ist. Verschwunden ist die Religion und an ihre Stelle getreten selbst bei den Protestanten der Schein der Religion – die Kirche, um wenigstens der unwissenden und urteilslosen Menge den Glauben beizubringen, es bestehe noch der christliche Glaube, weil heute noch die christlichen Kirchen, wie vor tausend Jahren, dastehen und heute noch, wie sonst, die äußerlichen Zeichen des Glaubens im Schwang sind. Was keine Existenz mehr im Glauben hat – der Glaube der modernen Welt ist nur ein scheinbarer Glaube, ein Glaube, der nicht glaubt, was er zu glauben sich einbildet, nur ein unentschiedner, schwachsinniger Unglaube, wie dies von mir und andern hinlänglich bewiesen worden – das soll doch noch in der Meinung gelten, was nicht mehr in sich selbst, in Wahrheit heilig ist, doch wenigstens noch heilig scheinen. Daher die scheinbar religiöse Entrüstung der gegenwärtigen Zeit, der Zeit des Scheines und der Illusion, über meine Analyse namentlich von den Sakramenten. Aber man verlange nicht von einem Schriftsteller, der sich nicht die Gunst der Zeit, sondern nur die Wahrheit, die unverhüllte, nackte Wahrheit zum Ziele setzt, daß er vor einem leeren Scheine Respekt habe oder heuchle, um so weniger, als der Gegenstand dieses Scheines an und für sich der Kulminationspunkt der Religion, d. h. der Punkt ist, wo die Religiosität in Irreligiosität umschlägt. Dies zur Rechtfertigung, nicht zur Entschuldigung meiner Analyse von den Sakramenten.

Was übrigens den eigentlichen Sinn der insbesondre in der Schlußanwendung gegebenen Analyse von den Sakramenten betrifft, so bemerke ich nur, daß ich hier den wesentlichen Inhalt meiner Schrift, das eigentliche Thema derselben, besonders in Beziehung auf ihre praktische Bedeutung, an einem sinnlichen Beispiel veranschauliche, daß ich hier die Sinne selbst zu Zeugen von der Wahrhaftigkeit meiner Analyse und Gedanken aufrufe, ad oculos, ja ad tactum, ad gustum demonstriere, was ich durch die ganze Schrift ad captum dozierte. Wie nämlich das Wasser der Taufe, der Wein und das Brot des Abendmahls in ihrer natürlichen Kraft und Bedeutung genommen unendlich mehr sind und wirken, als in einer supranaturalistischen, illusorischen Bedeutung; so ist überhaupt der Gegenstand der Religion im Sinne der Schrift, also im anthropologischen Sinne aufgefaßt, ein unendlich ergiebigerer und reellerer Gegenstand der Theorie und Praxis, als im Sinne der Theologie; denn wie das, was im Wasser, Wein und Brot als ein von diesen natürlichen Stoffen Unterschiednes mitgeteilt wird oder vielmehr werden soll, nur etwas in der Vorstellung, Einbildung, aber nichts in Wahrheit, in Wirklichkeit ist, so ist auch der Gegenstand der Religion überhaupt, das göttliche Wesen im Unterschiede vom Wesen der Natur und Menschheit, d. h. wenn die Bestimmungen desselben, wie Verstand, Liebe usw., etwas andres sein und bedeuten sollen, als eben diese Bestimmungen, wie sie das Wesen des Menschen und der Natur ausmachen, nur etwas in der Vorstellung, in der Einbildung, aber nichts in Wahrheit und Wirklichkeit. Wir sollen also – ist die Lehre der Fabel – die Bestimmungen und Kräfte der Wirklichkeit, überhaupt die wirklichen Wesen und Dinge nicht wie die Theologie und spekulative Philosophie zu willkürlichen Zeichen, zu Vehikeln, Symbolen oder Prädikaten eines von ihnen unterschiednen, transzendenten, absoluten, d. i. abstrakten Wesens machen, sondern in der Bedeutung nehmen und erfassen, welche sie für sich selbst haben, welche identisch ist mit ihrer Qualität, mit der Bestimmtheit, die sie zu dem macht, was sie sind – so erst haben wir die Schlüssel zu einer reellen Theorie und Praxis. Ich setze in der Tat und Wahrheit an die Stelle des unfruchtbaren Taufwassers die Wohltat des wirklichen Wassers. Wie »wässerig«, wie trivial! Jawohl, sehr trivial. Aber eine sehr triviale Wahrheit war seinerzeit auch der Ehestand, welchen Luther auf den Grund seines natürlichen Menschensinns der scheinheiligen Illusion des ehelosen Standes entgegensetzte. Das Wasser ist mir daher allerdings Sache, aber doch zugleich wieder nur Vehikel, Bild, Beispiel, Symbol des »unheiligen« Geistes meiner Schrift, gleichwie auch das Wasser der Taufe – der Gegenstand meiner Analyse – zugleich eigentliches und bildliches oder symbolisches Wasser ist. Ebenso ist es mit dem Wein und Brot. Die Bosheit hat hieraus den lächerlichen Schluß gezogen: Baden, Essen und Trinken sei die Summa summarum, das positive Resultat meiner Schrift. Ich erwidre hierauf nur dieses: wenn der ganze Inhalt der Religion in den Sakramenten enthalten ist, es folglich auch keine anderen religiösen Akte oder Handlungen gibt, als die bei der Taufe und beim Abendmahl verrichtet werden, so ist allerdings auch der ganze Inhalt und das positive Resultat meiner Schrift: Baden, Essen und Trinken, sintemal und alldieweil meine Schrift nichts ist, als eine sachgetreue, ihrem Gegenstand sich aufs strengste anschließende, historisch-philosophische Analyse – die Selbstenttäuschung, das Selbstbewußtsein der Religion.

Eine historisch-philosophische Analyse, im Unterschiede von den nur historischen Analysen des Christentums. Der Historiker zeigt, z. B. wie Daumer, daß das Abendmahl ein aus dem alten Menschenopferkultus stammender Ritus ist, daß einst statt des Weines und Brotes wirkliches Menschenfleisch und Blut genossen wurde. Ich dagegen mache nur die christliche, im Christentum sanktionierte Bedeutung desselben zum Objekt meiner Analyse und Reduktion und befolge dabei den Grundsatz, daß nur die Bedeutung, welche ein Dogma oder Institut, mag dieses nun in andern Religionen vorkommen oder nicht, im Christentum, natürlich nicht im heutigen, sondern alten, wahren Christentum hat, auch der wahre Ursprung desselben ist, inwiefern es ein christliches ist. Oder er zeigt, wie z. B. Lützelberger, daß die Erzählungen von den Wundern Christi sich in lauter Widersprüche und Ungereimtheiten auflösen, daß sie spätere Erdichtungen sind, daß folglich Christus kein Wundertäter, überhaupt nicht der gewesen ist, den die Bibel aus ihm gemacht hat. Ich dagegen frage nicht darnach, was wohl der wirkliche, natürliche Christus im Unterschiede von dem gemachten oder gewordenen supranaturalistischen gewesen ist oder sein mag; ich nehme diesen religiösen Christus vielmehr an, aber zeige, daß dieses übermenschliche Wesen nichts andres ist, als ein Produkt und Objekt des übernatürlichen menschlichen Gemüts. Ich frage nicht: ob dieses oder jenes, überhaupt ein Wunder geschehen kann oder nicht; ich zeige nur, was das Wunder ist, und zwar nicht a priori, sondern an den Beispielen von Wundern, die in der Bibel als wirkliche Begebenheiten erzählt werden, beantworte aber damit gerade die Frage von der Möglichkeit oder Wirklichkeit oder gar Notwendigkeit des Wunders auf eine Weise, die selbst die Möglichkeit aller dieser Fragen aufhebt. So viel über meinen Unterschied von den antichristlichen Historikern. Was aber mein Verhältnis betrifft zu Strauß und Bruno Bauer, in Gemeinschaft mit welchen ich stets genannt werde, so mache ich hier nur darauf aufmerksam, daß schon in dem Unterschiede des Gegenstandes, wie ihn auch nur der Titel angibt, der Unterschied unsrer Werke angedeutet ist. B[auer] hat zum Gegenstand seiner Kritik die evangelische Geschichte, d. i. das biblische Christentum oder vielmehr biblische Theologie, Str[auß] die christliche Glaubenslehre und das Leben Jesu, das man aber auch unter den Titel der christlichen Glaubenslehre subsumieren kann, also das dogmatische Christentum oder vielmehr die dogmatische Theologie, ich das Christentum überhaupt, d. h. die christliche Religion und als Konsequenz nur die christliche Philosophie oder Theologie. Daher zitiere ich hauptsächlich auch nur solche Männer, in welchen das Christentum nicht nur ein theoretisches oder dogmatisches Objekt, nicht nur Theologie, sondern Religion war. Mein hauptsächlicher Gegenstand ist das Christentum, ist die Religion, wie sie unmittelbares Objekt, unmittelbares Wesen des Menschen ist. Gelehrsamkeit und Philosophie sind mir nur die Mittel, den im Menschen verborgnen Schatz zu heben.

Erinnern muß ich auch noch, daß meine Schrift ganz wider meine Absicht und Erwartung in das allgemeine Publikum gekommen ist. Zwar habe ich von jeher nicht den Gelehrten, nicht den abstrakten und partikulären Fakultätsphilosophen, sondern den universellen Menschen mir zum Maßstab der wahren Lehr- und Schreibart genommen, überhaupt den Menschen – nicht diesen oder jenen Philosophen – als das Kriterium der Wahrheit betrachtet, von jeher die höchste Virtuosität des Philosophen in die Selbstverleugnung des Philosophen – darein gesetzt, daß er weder als Mensch, noch als Schriftsteller den Philosophen zur Schau trägt, d. h. nur dem Wesen, aber nicht der Form nach, nur ein stiller, aber nicht lauter oder gar vorlauter Philosoph ist, und mir daher bei allen meinen Schriften, so auch bei dieser, die höchste Klarheit, Einfachheit und Bestimmtheit, die nur immer der Gegenstand erlaubt, zum Gesetz gemacht, so daß sie eigentlich jeder gebildete und denkende Mensch, wenigstens der Hauptsache nach, verstehen kann. Aber dessen ungeachtet kann meine Schrift nur von dem Gelehrten – versteht sich nur von dem wahrheitliebenden, urteilsfähigen, dem über die Gesinnungen und Vorurteile des gelehrten und ungelehrten Pöbels erhabnen Gelehrten – gewürdigt und vollständig verstanden werden; denn, obwohl ein durchaus selbständiges Erzeugnis, ist sie doch zugleich nur eine notwendige Konsequenz der Geschichte. Sehr häufig beziehe ich mich auf diese oder jene geschichtliche Erscheinung, ohne sie auch nur dem Namen nach zu bezeichnen, weil ich es für überflüssig hielt –, Beziehungen, die also nur dem Gelehrten verständlich sind. So beziehe ich mich z. B. gleich im ersten Kapitel, wo ich die notwendigen Konsequenzen des Gefühlsstandpunktes entwickle, auf den Philosophen Jacobi und Schleiermacher, im zweiten Kapitel von vornherein hauptsächlich auf den Kantianismus, Skeptizismus, Deismus, Materialismus, Pantheismus, im Kapitel vom »Standpunkt der Religion«, da, wo ich den Widerspruch zwischen der religiösen oder theologischen und physikalischen oder naturphilosophischen Anschauung der Natur erörtre, auf die Philosophie im Zeitalter der Orthodoxie und zwar vorzüglich die Cartesische und Leibnizsche Philosophie, in welcher dieser Widerspruch auf eine besonders charakteristische Weise hervortritt. Wer daher nicht die geschichtlichen Voraussetzungen und Vermittelungsstufen meiner Schrift kennt, dem fehlen die Anknüpfungspunkte meiner Argumente und Gedanken; kein Wunder, wenn meine Behauptungen ihm oft rein aus der Luft gegriffen zu sein scheinen, stehen sie auch gleich auf noch so festen Füßen. Zwar ist der Gegenstand meiner Schrift von allgemeinem menschlichen Interesse; auch werden einst die Grundgedanken derselben – allerdings nicht in der Weise, in welcher sie hier ausgesprochen sind und unter den gegenwärtigen Zeitverhältnissen ausgesprochen werden konnten – sicherlich Eigentum der Menschheit werden, denn nur hohle, machtlose, dem wahren Wesen des Menschen widersprechende Illusionen und Vorurteile sind es, die ihnen in der gegenwärtigen Zeit entgegenstehen. Aber ich behandelte meinen Gegenstand zunächst nur als eine wissenschaftliche Angelegenheit, als ein Objekt der Philosophie, und konnte ihn zunächst auch nicht anders behandeln. Und indem ich die Aberrationen der Religion, Theologie und Spekulation rektifiziere, muß ich mich natürlich auch ihrer Ausdrücke bedienen, ja selber zu spekulieren, oder – es ist eins – zu theologisieren scheinen, während ich doch gerade die Spekulation auflöse, d. h. die Theologie auf die Anthropologie reduziere. Meine Schrift enthält, sagte ich oben, das und zwar in concreto entwickelte Prinzip einer neuen, nicht schul- aber menschgerechten Philosophie. Ja sie enthält es, aber nur indem sie es erzeugt, und zwar aus den Eingeweiden der Religion – daher, im Vorbeigehen gesagt, die neue Philosophie nicht mehr, wie die alte katholische und moderne protestantische Scholastik, in Versuchung geraten kann und wird, ihre Übereinstimmung mit der Religion durch ihre Übereinstimmung mit der christlichen Dogmatik zu beweisen; sie hat vielmehr, als erzeugt aus dem Wesen der Religion, das wahre Wesen der Religion in sich, ist an und für sich, als Philosophie, Religion. Aber eben eine genetische und folglich explizierende und demonstrierende Schrift ist schon um dieser ihrer formellen Beschaffenheit willen keine für das allgemeine Publikum geeignete Schrift.

Schließlich verweise ich zur Ergänzung dieser Schrift in betreff mancher scheinbar unmotivierter Behauptungen auf meine frühern Schriften, besonders auf: »P. Bayle. Ein Beitrag zur Geschichte der Philosophie und Menschheit« und »Philosophie und Christentum«, wo ich mit wenigen, aber scharfen Zügen die historische Auflösung des Christentums geschildert und gezeigt habe, daß das Christentum längst nicht nur aus der Vernunft, sondern auch aus dem Leben der Menschheit verschwunden, daß es nichts weiter mehr ist, als eine fixe Idee, welche mit unsern Feuer- und Lebensversicherungsanstalten, unsern Eisenbahnen und Dampfwagen, unsern Pinakotheken und Glyptotheken, unsern Kriegs- und Gewerbsschulen, unsern Theatern und Naturalienkabinetten im schreiendsten Widerspruch steht.

Bruckberg, den 14. Februar 1843
L. F.

Postscr. Als ich diese Vorrede niederschrieb, war noch nicht die neuschellingsche Philosophie – diese Philosophie des bösen Gewissens, welche seit Jahren lichtscheu im Dunkeln schleicht, weil sie wohl weiß, daß der Tag ihrer Veröffentlichung der Tag ihrer Vernichtung ist – diese Philosophie der lächerlichsten Eitelkeit, welche zu ihren Argumenten nur Namen und Titel hat, und was für Namen und Titel! – diese theosophische Posse des philosophischen Cagliostro des neunzehnten Jahrhunderts [2] durch die Zeitungen förmlich als »Staatsmacht proklamiert« worden. Wahrlich, wäre diese Posse mir gegenwärtig gewesen – ich würde meine Vorrede anders geschrieben haben.

31. März

Armes Deutschland! Du bist schon oft in den April geschickt worden, selbst auch auf dem Gebiete der Philosophie, namentlich von dem eben genannten Cagliostro, der dir stets nur blauen Dunst vorgemacht hat, nie gehalten, was er versprochen, nie bewiesen, was er behauptet. Aber sonst stützte er sich doch wenigstens auf den Namen der Vernunft, den Namen der Natur – also auf Namen von Sachen, jetzt will er dich zum Schlüsse gar betören mit Namen von Personen, den Namen eines Savigny, eines Twesten und Neander! Armes Deutschland! selbst deine wissenschaftliche Ehre will man dir nehmen. Unterschriften sollen für wissenschaftliche Beweise, für Vernunftgründe gelten! Doch du läßt dich nicht betören. Du kennst noch zu gut die Geschichte mit dem Augustinermönch. Du weißt, daß nie noch eine Wahrheit mit Dekorationen auf die Welt gekommen, nie im Glänze eines Thrones unter Pauken und Trompeten, sondern stets im Dunkel der Verborgenheit unter Tränen und Seufzern geboren worden ist; du weißt, daß nie die »Hochgestellten«, eben weil sie zu hoch gestellt sind, daß stets nur die Tiefgestellten von den Wogen der Weltgeschichte ergriffen werden.

Den 1. April

Vorwort zur dritten Auflage

1848

Überzeugt, daß man nicht wenig genug reden und schreiben kann, namentlich aber gewohnt, da zu schweigen, wo die Taten reden, unterlasse ich es auch bei diesem Bande, dem Leser a priori zu sagen, wovon er a posteriori durch seine eigene Augen sich überzeugen kann. Nur darauf muß ich schon im voraus aufmerksam machen, daß ich bei dieser Ausgabe alle fremden Wörter, soviel als möglich, vermieden und alle, wenigstens größern, lateinischen und griechischen Belegstellen übersetzt habe, um sie auch den Ungelehrten verständlich zu machen, daß ich mich aber bei diesen Übersetzungen zwar strenge an den Sinn, nicht aber grade das Wort des Originals gebunden habe.

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Anmerkungen:
  1. Luther drückt sich hierüber auch also aus: »Rund und rein, ganz und alles gegläubt oder nichts gegläubt. Der heilige Geist läßt sich nicht trennen, noch teilen, daß er ein Stück sollte wahrhaftig und das andere falsch lehren oder gläuben lassen ... Wo die Glocke an einem Orte berstet, klingt sie auch nichts mehr und ist ganz untüchtig.« O wie wahr! Wie beleidigen den musikalischen Sinn die Glockentöne des modernen Glaubens! Aber freilich, wie ist auch die Glocke zerborsten!
  2. Die urkundlichen Beweise von der Wahrheit dieses Bildes sind in Kapps kategorischer Schrift über Schelling in Hülle und Fülle zu finden.
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