Der Staat hat immer nur den Zweck, den Einzelnen zu beschränken, zu bändigen, zu subordinieren, ihn irgend einem Allgemeinen untertan zu machen; er dauert nur so lange, als der Einzelne nicht Alles in Allem ist, und ist nur die deutlich ausgeprägte Beschränktheit Meiner, meine Beschränkung, meine Sklaverei. Niemals zielt ein Staat dahin, die freie Tätigkeit der Einzelnen herbeizuführen, sondern stets die an den Staatszweck gebundene. Durch den Staat kommt auch nichts Gemeinsames zu Stande, so wenig als man ein Gewebe die gemeinsame Arbeit aller einzelnen Teile einer Maschine nennen kann: es ist vielmehr die Arbeit der ganzen Maschine als einer Einheit, ist Maschinenarbeit. In derselben Art geschieht auch Alles durch die Staatsmaschine; denn sie bewegt das Räderwerk der einzelnen Geister, deren keiner seinem eigenen Antriebe folgt. Jede freie Tätigkeit sucht der Staat durch seine Zensur, seine Überwachung, seine Polizei zu hemmen, und hält diese Hemmung für seine Pflicht, weil sie in Wahrheit Pflicht der Selbsterhaltung ist. Der Staat will aus den Menschen etwas machen, darum leben in ihm nur gemachte Menschen; jeder, der Er Selbst sein will, ist sein Gegner und ist nichts. »Er ist nichts« heißt so viel, als: der Staat verwendet ihn nicht, überläßt ihm keine Stellung, kein Amt, kein Gewerbe u. dergl.

E. Bauer träumt in den liberalen Bestrebungen II, 50 noch von einer »Regierung, welche aus dem Volke hervorgehend, nie gegen dasselbe in Opposition stehen könne«. Zwar nimmt er (S. 69) das Wort »Regierung« selbst zurück: »In der Republik gilt gar keine Regierung, sondern nur eine ausführende Gewalt. Eine Gewalt, welche rein und allein aus dem Volke hervorgeht, welche nicht dem Volke gegenüber eine selbständige Macht, selbständige Prinzipien, selbständige Beamten hat, sondern welche in der einzigen, obersten Staatsgewalt, in dem Volke ihre Begründung, die Quelle ihrer Macht und ihrer Prinzipien hat. Der Begriff Regierung paßt also gar nicht in den Volksstaat.« Allein die Sache bleibt dieselbe. Das »Hervorgegangene, Begründete, Entquollene« wird ein »Selbständiges« und tritt, wie ein Kind aus dem Mutterleibe entbunden, gleich in Opposition. Die Regierung, wäre sie nichts Selbständiges und Opponierendes, wäre gar nichts.

»Im freien Staate gibt es keine Regierung usw.« (S. 94.) Dies will doch sagen, das Volk, wenn es der Souverän ist, läßt sich nicht leiten von einer oberen Gewalt. Ist's etwa in der absoluten Monarchie anders? Gibt es da etwa für den Souverän eine über ihm stehende Regierung? Über dem Souverän, er heiße Fürst oder Volk, steht nie eine Regierung, das versteht sich von selbst. Aber über Mir wird in jedem »Staate« eine Regierung stehen, sowohl im absoluten als im republikanischen oder »freien«. Ich bin in Einem so schlimm daran, wie im Andern.

Die Republik ist gar nichts anderes, als die – absolute Monarchie: denn es verschlägt nichts, ob der Monarch Fürst oder Volk heiße, da beide eine »Majestät« sind. Gerade der Konstitutionalismus beweist, daß Niemand nur Werkzeug sein kann und mag. Die Minister dominieren über ihren Herrn, den Fürsten, die Deputierten über ihren Herrn, das Volk. Es sind also hier wenigstens schon die Parteien frei, nämlich die Beamtenpartei (sogenannte Volkspartei). Der Fürst muß sich in den Willen der Minister fügen, das Volk nach der Pfeife der Kammern tanzen. Der Konstitutionalismus ist weiter als die Republik, weil er der in der Auflösung begriffene Staat ist.

E. Bauer leugnet (S. 56), daß das Volk im konstitutionellen Staate eine »Persönlichkeit« sei; dagegen also in der Republik? Nun, im konstitutionellen Staate ist das Volk – Partei, und eine Partei ist doch wohl eine »Persönlichkeit«, wenn man einmal von einer »staatlichen« (S. 76) moralischen Person überhaupt sprechen will. Die Sache ist die, daß eine moralische Person, heiße sie Volkspartei oder Volk oder auch »der Herr«, in keiner Weise eine Person ist, sondern ein Spuk.

Ferner fährt E. Bauer fort (S. 69): »die Bevormundung ist das Charakteristische einer Regierung.« Wahrlich noch mehr das eines Volkes und »Volksstaates«; sie ist das Charakteristische aller Herrschaft. Ein Volksstaat, der »alle Machtvollkommenheit in sich vereinigt«, der »absolute Herr«, kann Mich nicht mächtig werden lassen. Und welche Chimäre, die »Volksbeamten« nicht mehr »Diener, Werkzeuge« nennen zu wollen, weil sie den »freien, vernünftigen Gesetzeswillen des Volkes ausführen« (S. 73). Er meint (S. 74): »Nur dadurch, daß alle Beamtenkreise sich den Ansichten der Regierung unterordnen, kann Einheit in den Staat gebracht werden;« sein Volksstaat soll aber auch »Einheit« haben; wie wird da die Unterordnung fehlen dürfen, die Unterordnung unter den – Volkswillen.

»Im konstitutionellen Staate ist es der Regent und seine Gesinnung, worauf am Ende das ganze Regierungsgebäude beruht.« (Ebendaselbst S. 130.) Wie wäre das anders im »Volksstaate«? Werde Ich da nicht auch von der Volks- Gesinnung regiert und macht es für Mich einen Unterschied, ob Ich Mich in Abhängigkeit gehalten sehe von der Fürsten-Gesinnung oder von der Volks-Gesinnung, der sogenannten »öffentlichen Meinung«? Heißt Abhängigkeit so viel als »religiöses Verhältnis«, wie E. Bauer richtig aufstellt, so bleibt im Volksstaate für Mich das Volk die höhere Macht, die »Majestät« (denn in der »Majestät« haben Gott und Fürst ihr eigentliches Wesen), zu der Ich im religiösen Verhältnis stehe. – Wie der souveräne Regent, so würde auch das souveräne Volk von keinem Gesetze erreicht werden. Der ganze E. Bauersche Versuch läuft auf einen HerrenWechsel hinaus. Statt das Volk frei machen zu wollen, hätte er auf die einzig realisierbare Freiheit, auf die seinige, bedacht sein sollen.

Im konstitutionellen Staate ist endlich der Absolutismus selbst in Kampf mit sich gekommen, da er in eine Zweiheit zersprengt wurde: es will die Regierung absolut sein, und das Volk will absolut sein. Diese beiden Absoluten werden sich aneinander aufreiben.

E. Bauer eifert dagegen, daß der Regent durch die Geburt, durch den Zufall gegeben sei. Wenn nun aber »das Volk die einzige Macht im Staate« (S. 132) geworden sein wird, haben Wir dann nicht an ihm einen Herrn aus Zufall? Was ist denn das Volk? Das Volk ist immer nur der Leib der Regierung gewesen: es sind Viele unter Einem Hute (Fürstenhut) oder Viele unter Einer Verfassung. Und die Verfassung ist der – Fürst. Fürsten und Völker werden so lange bestehen, als nicht beide zusammenfallen. Sind unter Einer Verfassung mancherlei »Völker«, z. B. in der altpersischen Monarchie und heute, so gelten diese »Völker« nur als »Provinzen«. Für Mich ist jedenfalls das Volk eine – zufällige Macht, eine Natur-Gewalt, ein Feind, den Ich besiegen muß.

Was hat man unter einem »organisierten« Volke sich vorzustellen (ebendaselbst S. 132)? Ein Volk, »das keine Regierung mehr hat«, das sich selbst regiert. Also worin kein Ich hervorragt, ein durch den Ostrazismus organisiertes Volk. Die Verbannung der Iche, der Ostrazismus, macht das Volk zum Selbstherrscher.

Sprecht Ihr vom Volke, so müßt Ihr vom Fürsten reden; denn das Volk, soll es Subjekt sein und Geschichte machen, muß, wie alles Handelnde, ein Haupt haben, sein »Oberhaupt«. Weitling stellt dies im »Trio« dar, und Proudhon äußert: une société, pour ainsi dire acéphale, ne peut vivre.

Die vox populi wird Uns jetzt immer vorgehalten, und die »öffentliche Meinung« soll über die Fürsten herrschen. Gewiß ist die vox populi zugleich vox dei, aber sind sie beide etwas nutz, und ist die vox principis nicht auch vox dei?

Es mag hierbei an die »Nationalen« erinnert werden. Von den achtunddreißig Staaten Deutschlands verlangen, daß sie als Eine Nation handeln sollen, kann nur dem unsinnigen Begehren an die Seite gestellt werden, daß achtunddreißig Bienenschwärme, geführt von achtunddreißig Bienenköniginnen, sich zu Einem Schwarme vereinigen sollen. Bienen bleiben sie alle; aber nicht die Bienen als Bienen gehören zusammen und können sich zusammentun, sondern nur die untertänigen Bienen sind mit den herrschenden Weiseln verbunden. Bienen und Völker sind willenlos, und es führt sie der Instinkt ihrer Weisel.

Verwiese man die Bienen auf ihr Bienentum, worin sie doch Alle einander gleich seien, so täte man dasselbe, was man jetzt so stürmisch tut, indem man die Deutschen auf ihr Deutschtum verweist. Das Deutschtum gleicht ja eben darin ganz dem Bienentum, daß es die Notwendigkeit der Spaltungen und Separationen in sich trägt, ohne gleichwohl bis zur letzten Separation vorzudringen, wo mit der vollständigen Durchführung des Separierens das Ende desselben erscheint: Ich meine, bis zur Separation des Menschen vom Menschen. Das Deutschtum trennt sich zwar in verschiedene Völker und Stämme, d. h. Bienenkörbe, aber der Einzelne, welcher die Eigenschaft hat, ein Deutscher zu sein, ist noch so machtlos, wie die vereinzelte Biene. Und doch können nur Einzelne miteinander in Verein treten, und alle Völker-Allianzen und Bünde sind und bleiben mechanische Zusammensetzungen, weil die Zusammentretenden, soweit wenigstens die »Völker« als die Zusammengetretenen angesehen werden, willenlos sind. Erst mit der letzten Separation endigt die Separation selbst und schlägt in Vereinigung um.

Nun bemühen sich die Nationalen, die abstrakte, leblose Einheit des Bienentums herzustellen; die Eigenen aber werden um die eigen gewollte Einheit, den Verein, kämpfen. Es ist dies das Wahrzeichen aller reaktionären Wünsche, daß sie etwas Allgemeines, Abstraktes, einen leeren, leblosen Begriff herstellen wollen, wogegen die Eigenen das stämmige, lebenvolle Einzelne vom Wust der Allgemeinheiten zu entlasten trachten. Die Reaktionären möchten gerne ein Volk, eine Nation aus der Erde stampfen; die Eigenen haben nur Sich vor Augen. Im Wesentlichen fallen die beiden Bestrebungen, welche heute an der Tagesordnung sind, nämlich die Wiederherstellung der Provinzialrechte, der alten Stammeseinteilungen (Franken, Bayern usw., Lausitz usw.) und die Wiederherstellung der Gesamt-Nationalität in Eins zusammen. Die Deutschen werden aber nur dann einig werden, d. h. sich vereinigen, wenn sie ihr Bienentum sowohl als alle Bienenkörbe umstoßen; mit andern Worten: wenn sie mehr sind als – Deutsche; erst dann können sie einen »Deutschen Verein« bilden. Nicht in ihre Nationalität, nicht in den Mutterleib müssen sie zurückkehren wollen, um wiedergeboren zu werden, sondern in sich kehre Jeder ein. Wie lächerlich-sentimental, wenn ein Deutscher dem andern den Handschlag gibt und mit heiligem Schauer die Hand drückt, weil »auch er ein Deutscher ist«! Damit ist er was Rechtes! Aber das wird freilich so lange noch für rührend gelten, als man für »Brüderlichkeit« schwärmt, d. h. als man eine »Familiengesinnung« hat. Vom Aberglauben der »Pietät«, von der »Brüderlichkeit« oder »Kindlichkeit«, oder wie die weichmütigen Pietäts-Phrasen sonst lauten, vom Familiengeiste vermögen die Nationalen, die eine große Familie von Deutschen haben wollen, sich nicht zu befreien.

Übrigens müßten sich die sogenannten Nationalen nur selbst recht verstehen, um sich aus der Verbindung mit den gemütlichen Deutschtümlern zu erheben. Denn die Vereinigung zu materiellen Zwecken und Interessen, welche sie von den Deutschen fordern, geht ja auf nichts Anderes, als einen freiwilligen Verein hinaus. Carriere ruft begeistert aus: »Die Eisenbahnen sind dem tieferblickenden Auge der Weg zu einem Volksleben, wie es in solcher Bedeutung noch nirgends erschienen ist.« Ganz recht, es wird ein Volksleben sein, das nirgends erschienen ist, weil es kein – Volksleben ist. – So bestreitet denn Carriere S. 10 sich selbst. »Die reine Menschlichkeit oder Menschheit kann nicht besser, als durch ein seine Mission erfüllendes Volk dargestellt werden«. Dadurch stellt sich ja nur die Volkstümlichkeit dar. »Die verschwommene Allgemeinheit ist niedriger, als die in sich geschlossene Gestalt, die ein Ganzes selber ist, und als lebendiges Glied des wahrhaft Allgemeinen, des Organisierten, lebt«. Es ist ja eben das Volk die »verschwommene Allgemeinheit«, und ein Mensch erst die »in sich geschlossene Gestalt«.

Das Unpersönliche dessen, was man »Volk, Nation« nennt, leuchtet auch daraus ein, daß ein Volk, welches sein Ich nach besten Kräften zur Erscheinung bringen will, den willenlosen Herrscher an seine Spitze stellt. Es befindet sich in der Alternative, entweder einem Fürsten unterworfen zu sein, der nur sich, sein individuelles Belieben verwirklicht – dann erkennt es an dem »absoluten Herrn« nicht den eigenen, den sogenannten Volkswillen –, oder einen Fürsten auf den Thron zu setzen, der keinen eigenen Willen geltend macht – dann hat es einen willenlosen Fürsten, dessen Stelle ein wohlberechnetes Uhrwerk vielleicht ebenso gut versähe –. Deshalb darf die Einsicht nur einen Schritt weiter gehen, so ergibt sich von selber, daß das Volks-Ich eine unpersönliche, »geistige« Macht sei, das – Gesetz. Das Ich des Volkes, dies folgt daraus, ist ein – Spuk, nicht ein Ich. Ich bin nur dadurch Ich, daß Ich Mich mache, d. h. daß nicht ein Anderer Mich macht, sondern Ich mein eigen Werk sein muß. Wie aber ist es mit jenem Volks-Ich? Der Zufall spielt es dem Volke in die Hand, der Zufall gibt ihm diesen oder jenen gebornen Herrn, Zufälligkeiten verschaffen ihm den gewählten; er ist nicht sein, des »souveränen«Volkes, Produkt, wie Ich mein Produkt bin. Denke Dir, man wollte Dir einreden, Du wärest nicht dein Ich, sondern Hans oder Kunz wäre dein Ich! So aber geht's dem Volke, und ihm mit Recht. Denn das Volk hat so wenig ein Ich, als die elf Planeten zusammengerechnet ein Ich haben, obwohl sie sich um einen gemeinsamen Mittelpunkt wälzen.

Bezeichnend ist die Äußerung Baillys für die Sklavengesinnung, welche man vor dem souveränen Volke, wie vor dem Fürsten hat. »Ich habe, sagt er, keine Extravernunft mehr, wenn die allgemeine Vernunft sich ausgesprochen. Mein erstes Gesetz war der Wille der Nation: sobald sie sich versammelt hatte, habe ich nichts weiter gekannt, als ihren souveränen Willen.« Er will keine »Extravernunft« haben, und doch leistet allein diese Extravernunft Alles. Ebenso eifert Mirabeau in den Worten: »Keine Macht auf Erden hat das Recht, zu den Repräsentanten der Nation zu sagen: Ich will!«

Wie bei den Griechen möchte man den Menschen jetzt zu einem zoon politikon machen, einem Staatsbürger oder politischen Menschen. So galt er lange Zeit als »Himmelsbürger«. Der Grieche wurde aber mit seinem Staate zugleich entwürdigt, der Himmelsbürger wird es mit dem Himmel; Wir hingegen wollen nicht mit dem Volke, der Nation und Nationalität zugleich untergehen, wollen nicht bloß politische Menschen oder Politiker sein. »Volksbeglückung« strebt man seit der Revolution an, und indem man das Volk glücklich, groß u. dergl. macht, macht man Uns unglücklich: Volksglück ist – mein Unglück.

Welch' leeres Gerede die politischen Liberalen mit emphatischem Anstande machen, das sieht man wieder recht in Nauwerk's »Über die Teilnahme am Staate«. Da wird über die Gleichgültigen und Teilnahmlosen geklagt, die nicht im vollen Sinne Staatsbürger seien, und der Verfasser spricht so, als könne man gar nicht Mensch sein, wenn man sich nicht lebendig am Staatswesen beteilige, d. h. wenn man nicht Politiker sei. Darin hat er Recht; denn wenn der Staat für den Hüter alles »Menschlichen« gilt, so können Wir nichts Menschliches haben, ohne an ihm Teil zu nehmen. Was ist aber damit gegen den Egoisten gesagt? Gar nichts, weil der Egoist sich selbst der Hüter des Menschlichen ist und mit dem Staate nur die Worte spricht: Geh' Mir aus der Sonne. Nur wenn der Staat mit seiner Eigenheit in Berührung kommt, nimmt der Egoist ein tätiges Interesse an ihm. Wenn den Stubengelehrten der Zustand des Staates nicht drückt, soll er sich mit ihm befassen, weil es seine »heiligste Pflicht« ist? Solange der Staat es ihm nach Wunsche macht, was braucht er da von seinen Studien aufzusehen? Mögen doch diejenigen, welche die Zustände aus eigenem Interesse anders haben wollen, sich damit beschäftigen. Die »heilige Pflicht« wird nun und nimmermehr die Leute dazu bringen, über den Staat nachzudenken, so wenig als sie aus »heiliger Pflicht« Jünger der Wissenschaft, Künstler usw. werden. Der Egoismus allein kann sie dazu antreiben, und er wird es, sobald es viel schlechter geworden ist. Zeigtet Ihr den Leuten, daß ihr Egoismus die Beschäftigung mit dem Staatswesen fordere, so würdet Ihr sie nicht lange aufzurufen haben; appelliert Ihr hingegen an ihre Vaterlandsliebe u. dergl., so werdet Ihr lange zu diesem »Liebesdienste« tauben Herzen predigen. Freilich, in eurem Sinne werden sich die Egoisten überhaupt nicht am Staatswesen beteiligen.

Eine echt liberale Phrase bringt Nauwerk S. 16: »Der Mensch erfüllt erst damit vollständig seinen Beruf, daß er sich als Mitglied der Menschheit fühlt und weiß, und als solches wirksam ist. Der Einzelne kann die Idee des Menschentums nicht verwirklichen, wenn er sich nicht auf die ganze Menschheit stützt, nicht aus ihr wie Antäos seine Kräfte schöpft.

Ebendaselbst heißt es: „Die Beziehung des Menschen zur res publica wird von der theologischen Ansicht zur reinen Privatsache herabgewürdigt, wird somit hinweg geleugnet.« Als ob die politische Ansicht es mit der Religion anders machte! Da ist die Religion eine »Privatsache«.

Wenn statt der »heiligen Pflicht«, der »Bestimmung des Menschen«, des »Berufes zum vollen Menschentum« und ähnlicher Gebote den Leuten vorgehalten würde, daß ihr Eigennutz verkümmert werde, wenn sie im Staate Alles gehen lassen, wie's geht, so würden sie ohne Tiraden so angeredet, wie man sie im entscheidenden Augenblicke wird anreden müssen, wenn man seinen Zweck erreichen will. Stattdessen sagt der theologenfeindliche Verfasser: »Wenn irgendeine Zeit, so ist es auch die unsrige, in welcher der Staat auf alle die Seinigen Ansprüche macht. – Der denkende Mensch erblickt in der Beteiligung an der Theorie und Praxis des Staates eine Pflicht, eine der heiligsten Pflichten, welche ihm obliegen« – und zieht dann die »unbedingte Notwendigkeit, daß Jedermann sich am Staate beteilige«, näher in Betrachtung.

Politiker ist und bleibt in alle Ewigkeit der, welchem der Staat im Kopfe oder im Herzen oder in beiden sitzt, der vom Staate Besessene oder der Staatsgläubige.

»Der Staat ist das notwendigste Mittel für die vollständige Entwicklung der Menschheit.« Er ist's allerdings gewesen, solange Wir die Menschheit entwickeln wollten; wenn Wir aber Uns werden entwickeln wollen, kann er Uns nur ein Hemmungsmittel sein.

Kann man jetzt noch Staat und Volk reformieren und bessern? So wenig als den Adel, die Geistlichkeit, die Kirche usw.: man kann sie aufheben, vernichten, abschaffen, nicht reformieren. Kann Ich denn einen Unsinn durch Reformieren in Sinn verwandeln, oder muß [Ich] ihn geradezu fallen lassen?

Es ist fortan nicht mehr um den Staat (die Staatsverfassung usw.) zu tun, sondern um Mich. Damit versinken alle Fragen über Fürstenmacht, Konstitution usw. in ihren wahren Abgrund und ihr wahres Nichts. Ich, dieses Nichts, werde meine Schöpfungen aus Mir hervortreiben.

Zu dem Kapitel der Gesellschaft gehört auch »die Partei«, deren Lob man jüngst gesungen hat.

Im Staate gilt die Partei. »Partei, Partei, wer sollte sie nicht nehmen!« Der Einzelne aber ist einzig, kein Glied der Partei. Er vereinigt sich frei und trennt sich wieder frei. Die Partei ist nichts als ein Staat im Staate, und in diesem kleineren Bienenstaate soll dann ebenso wieder »Friede« herrschen, wie im größeren. Gerade diejenigen, welche am lautesten rufen, daß im Staate eine Opposition sein müsse, eifern gegen jede Uneinigkeit der Partei. Ein Beweis, wie auch sie nur einen – Staat wollen. Nicht am Staate, sondern am Einzigen zerscheitern alle Parteien.

Nichts hört man jetzt häufiger als die Ermahnung, seiner Partei treu zu bleiben, nichts verachten Parteimenschen so sehr als einen Parteigänger. Man muß mit seiner Partei durch dick und dünn laufen und ihre Hauptgrundsätze unbedingt gutheißen und vertreten. Ganz so schlimm wie mit geschlossenen Gesellschaften steht es zwar hier nicht, weil jene ihre Mitglieder an feste Gesetze oder Statuten binden (z. B. die Orden, die Gesellschaft Jesu usw.). Aber die Partei hört doch in demselben Augenblicke auf, Verein zu sein, wo sie gewisse Prinzipien bindend macht und sie vor Angriffen gesichert wissen will; dieser Augenblick ist aber gerade der Geburtsakt der Partei. Sie ist als Partei schon eine geborne Gesellschaft, ein toter Verein, eine fix gewordene Idee. Als Partei des Absolutismus kann sie nicht wollen, daß ihre Mitglieder an der unumstößlichen Wahrheit dieses Prinzipes zweifeln; sie könnten diesen Zweifel nur hegen, wenn sie egoistisch genug wären, noch etwas außer ihrer Partei sein zu wollen, d. h. unparteiische. Unparteiisch vermögen sie nicht als Parteimenschen zu sein, sondern nur als Egoisten. Bist Du Protestant und gehörst zu dieser Partei, so darfst Du den Protestantismus nur rechtfertigen, allenfalls »reinigen«, nicht verwerfen; bist Du Christ und gehörst unter den Menschen zur christlichen Partei, so kannst Du nicht als Mitglied dieser Partei, sondern nur dann, wenn Dich dein Egoismus, d. h. Unparteilichkeit, dazu treibt, darüber hinausgehen. Welche Anstrengungen haben die Christen bis auf Hegel und die Kommunisten herab gemacht, um ihre Partei stark zu machen; sie blieben dabei, daß das Christentum die ewige Wahrheit enthalten müsse, und man sie nur herauszufinden, festzustellen und zu rechtfertigen brauche.

Kurz die Partei verträgt nicht die Unparteilichkeit, und in dieser eben erscheint der Egoismus. Was schiert Mich die Partei. Ich werde doch genug finden, die sich mit Mir vereinigen, ohne zu meiner Fahne zu schwören.

Wer von einer Partei zur andern übertritt, den schimpft man sofort einen »Überläufer«. Freilich fordert die Sittlichkeit, daß man zu seiner Partei halte, und ihr abtrünnig werden, heißt sich mit dem Makel der »Untreue« beflecken; allein die Eigenheit kennt kein Gebot der »Treue, Anhänglichkeit usw.«, die Eigenheit erlaubt Alles, auch die Abtrünnigkeit, den Übertritt. Unbewußt lassen sich auch selbst die Sittlichen von diesem Grundsatze leiten, wenn es gilt, einen zu ihrer Partei Übertretenden zu beurteilen, ja sie machen wohl Proselyten; sie sollten nur zugleich sich darüber ein Bewußtsein verschaffen, daß man unsittlich handeln müsse, um eigen zu handeln, d. h. hier, daß man die Treue brechen müsse, ja selbst seinen Eid, um sich selbst zu bestimmen, statt von sittlichen Rücksichten bestimmt zu werden. In den Augen der Leute von streng sittlichem Urteil schillert ein Apostat stets in zweideutigen Farben, und wird nicht leicht ihr Vertrauen erwerben: ihm klebt ja der Flecken der »Untreue« an, d. h. einer Unsittlichkeit. Bei dem niederen Manne findet man diese Ansicht fast allgemein; die Aufgeklärten geraten, wie immer, auch hier in eine Unsicherheit und Verwirrung, und der in dem Prinzipe der Sittlichkeit notwendig begründete Widerspruch kommt ihnen wegen der Konfusion ihrer Begriffe nicht zum deutlichen Bewußtsein. Den Apostaten geradehin unsittlich zu nennen, getrauen sie sich nicht, weil sie selbst zur Apostasie, zum Übertritt von einer Religion zur andern usw. verleiten, und den Standpunkt der Sittlichkeit vermögen sie doch auch nicht aufzugeben. Und doch wäre hier die Gelegenheit zu ergreifen, um aus der Sittlichkeit hinauszuschreiten.

Sind etwa die Eignen oder Einzigen eine Partei? Wie könnten sie Eigne sein, wenn sie die Angehörigen einer Partei wären!

Oder soll man es mit keiner Partei halten? Eben indem man sich ihnen anschließt und in ihren Kreis eintritt, knüpft man einen Verein mit ihnen, der so weit dauert, als Partei und Ich ein und dasselbe Ziel verfolgen. Aber heute teile Ich noch die Tendenz der Partei und morgen schon kann Ich es nicht mehr und werde ihr »untreu«. Die Partei hat nichts Bindendes (Verpflichtendes) für Mich und Ich respektiere sie nicht; gefällt sie Mir nicht mehr, so feinde Ich sie an.

In jeder Partei, welche auf sich und ihr Bestehen hält, sind die Mitglieder in dem Grade unfrei oder besser uneigen, sie ermangeln in dem Grade des Egoismus, als sie jenem Begehren der Partei dienen. Die Selbständigkeit der Partei bedingt die Unselbständigkeit der Parteiglieder.

Eine Partei kann, welcher Art sie auch sei, niemals ein Glaubensbekenntnis entbehren. Denn an das Prinzip der Partei müssen ihre Angehörigen glauben, es muß von ihnen nicht in Zweifel gezogen oder in Frage gestellt werden, es muß das Gewisse, Unzweifelhafte für das Parteiglied sein. Das heißt: Man muß einer Partei mit Leib und Seele gehören, sonst ist man nicht wahrhaft Parteimann, sondern mehr oder minder – Egoist. Hege einen Zweifel am Christentum und Du bist schon kein wahrer Christ mehr, hast Dich zu der »Frechheit« erhoben, darüber hinaus eine Frage zu stellen und das Christentum vor deinen egoistischen Richterstuhl zu ziehen. Du hast Dich am Christentum, dieser Parteisache (denn z. B. Sache der Juden, einer andern Partei, ist sie doch nicht) – versündigt. Aber wohl Dir, wenn Du Dich nicht schrecken lässest: deine Frechheit verhilft Dir zur Eigenheit.

So könnte ein Egoist also niemals Partei ergreifen oder Partei nehmen? Doch, nur kann er sich nicht von der Partei ergreifen und einnehmen lassen. Die Partei bleibt für ihn allezeit nichts als eine Partie: er ist von der Partie, er nimmt teil.

Der beste Staat wird offenbar derjenige sein, welcher die loyalsten Bürger hat, und je mehr der ergebene Sinn für Gesetzlichkeit sich verliert, umso mehr wird der Staat[,] dieses System der Sittlichkeit, dieses sittliche Leben selbst, an Kraft und Güte geschmälert werden. Mit den »guten Bürgern« verkommt auch der gute Staat und löst sich in Anarchie und Gesetzlosigkeit auf. »Achtung vor dem Gesetze!« Durch diesen Kitt wird das Staatsganze zusammengehalten. »Das Gesetz ist heilig, und wer daran frevelt, ein Verbrecher.« Ohne Verbrechen kein Staat: die sittliche Welt – und das ist der Staat – steckt voll Schelme, Betrüger, Lügner, Diebe usw. Da der Staat die »Herrschaft des Gesetzes«, die Hierarchie desselben ist, so kann der Egoist in allen Fällen, wo sein Nutzen gegen den des Staates läuft, nur im Wege des Verbrechens sich befriedigen.

Der Staat kann den Anspruch nicht aufgeben, daß seine Gesetze und Anordnungen heilig seien. Dabei gilt dann der Einzelne gerade so für den Unheiligen (Barbaren, natürlichen Menschen, »Egoisten«) gegenüber dem Staate, wie er von der Kirche einst betrachtet wurde; vor dem Einzelnen nimmt der Staat den Nimbus eines Heiligen an. So erläßt er ein Duellgesetz. Zwei Menschen, die beide darüber einig sind, daß sie ihr Leben für eine Sache (gleichviel welche) einsetzen wollen, sollen dies nicht dürfen, weil's der Staat nicht haben will: er setzt eine Strafe darauf. Wo bleibt da die Freiheit der Selbstbestimmung? Ganz anders verhält es sich schon, wann, wie z. B. in Nordamerika, sich die Gesellschaft dazu bestimmt, die Duellanten gewisse üble Folgen ihrer Tat tragen zu lassen, z. B. Entziehung des bisher genossenen Kredits. Den Kredit zu verweigern, das ist Jedermanns Sache, und wenn eine Sozietät ihn aus diesem oder jenem Grunde entziehen will, so kann sich der Betroffene deshalb nicht über Beeinträchtigung seiner Freiheit beklagen: die Sozietät macht eben nur ihre eigene Freiheit geltend. Das ist keine Sündenstrafe, keine Strafe für ein Verbrechen. Das Duell ist da kein Verbrechen, sondern nur eine Tat, wider welche die Sozietät Gegenmaßregeln ergreift, eine Abwehr statuiert. Der Staat hingegen stempelt das Duell zu einem Verbrechen, d. h. zu einer Verletzung seines heiligen Gesetzes: er macht es zu einem Kriminalfall. Überläßt jene Sozietät es dem Beschlusse des Einzelnen, ob er sich üble Folgen und Ungelegenheiten durch seine Handlungsweise zuziehen wolle, und erkennt sie hierdurch seinen freien Entschluß an, so verfährt der Staat gerade umgekehrt, indem er dem Entschlusse des Einzelnen alles Recht abspricht, und dafür dem eigenen Beschlusse, dem Staatsgesetze, das alleinige Recht zuerkennt, so daß, wer gegen das Gebot des Staates sich vergeht, so angesehen wird, als handle er wider Gottes Gebot; eine Ansicht, welche gleichfalls von der Kirche eingehalten wurde. Gott ist da der Heilige an und für sich, und die Gebote der Kirche wie des Staates sind die Gebote dieses Heiligen, die er der Welt durch seine Gesalbten und Gottesgnaden-Herrn zustellt. Hatte die Kirche Todsünden, so hat der Staat todeswürdige Verbrechen, hatte sie Ketzer, so hat er Hochverräter, jene Kirchenstrafen, er Kriminalstrafen, jene inquisitorische Prozesse, er fiskalische, kurz dort Sünden, hier Verbrechen, dort Sünder, hier Verbrecher, dort Inquisition und hier – Inquisition. Wird die Heiligkeit des Staats nicht gleich der kirchlichen fallen? Der Schauer seiner Gesetze, die Ehrfurcht vor seiner Hoheit, die Demut seiner »Untertanen«, wird dies bleiben? Wird das »Heiligengesicht« nicht verunziert werden?

Welch' eine Torheit, von der Staatsgewalt zu verlangen, daß sie mit dem Einzelnen einen ehrlichen Kampf eingehen und, wie man bei der Preßfreiheit sich ausdrückt, Sonne und Wind gleich teilen solle. Wenn der Staat, dieser Gedanke, eine geltende Macht sein soll, so muß er eben eine höhere Macht gegen den Einzelnen sein. Der Staat ist »heilig« und darf sich den »frechen Angriffen« der Einzelnen nicht aussetzen. Ist der Staat heilig, so muß Zensur sein. Die politischen Liberalen geben das erstere zu und bestreiten die Konsequenz. Jedenfalls aber räumen sie ihm die Repressivmaßregeln ein, denn – sie bleiben dabei, daß Staat mehr sei als der Einzelne und eine berechtigte Rache ausübe, Strafe genannt.

Strafe hat nur dann einen Sinn, wenn sie die Sühne für die Verletzung eines Heiligen gewähren soll. Ist Einem etwas heilig, so verdient er allerdings, wo er es anfeindet, Strafe. Ein Mensch, der ein Menschenleben bestehen läßt, weil es ihm heilig ist, und er eine Scheu vor seiner Antastung trägt, ist eben ein – religiöser Mensch.

Weitling legt die Verbrechen der »gesellschaftlichen Unordnung« zur Last und lebt der Erwartung, daß unter kommunistischen Einrichtungen die Verbrechen unmöglich werden, weil die Versuchungen zu denselben, z. B. das Geld, wegfallen. Da indes seine organisierte Gesellschaft auch zur heiligen und unverletzlichen erhoben wird, so verrechnet er sich bei jener gutherzigen Meinung. Solche, die sich mit dem Munde zur kommunistischen Gesellschaft bekenneten, unter der Hand hingegen an ihrem Ruin arbeiteten, würden nicht fehlen. Bei »Heilmitteln gegen den natürlichen Rest menschlicher Krankheiten und Schwächen« muß Weitling ohnehin verbleiben, und »Heilmittel« kündigen immer schon an, daß man die Einzelnen als zu einem bestimmten »Heil berufen« ansehen, mithin sie nach Maßgabe dieses »menschlichen Berufes« behandeln werde. Das Heilmittel oder die Heilung ist nur die Kehrseite der Strafe, die Heiltheorie läuft parallel mit der Straftheorie; sieht diese in einer Handlung eine Versündigung gegen das Recht, so nimmt jene sie für eine Versündigung des Menschen gegen sich, als einen Abfall von seiner Gesundheit. Das Richtige aber ist, daß Ich sie entweder als eine ansehe, die Mir recht oder Mir nicht recht ist, als Mir feindlich oder freundlich, d. h. daß Ich sie als Mein Eigentum behandle, welches Ich pflege oder zertrümmere. »Verbrechen« oder »Krankheit« ist beides keine egoistische Ansicht der Sache, d. h. keine Beurteilung von Mir aus, sondern von einem Andern aus, ob sie nämlich entweder das Recht, das allgemeine, oder die Gesundheit teils des Einzelnen (des Kranken), teils des Allgemeinen (der Gesellschaft) verletzt. Das »Verbrechen« wird mit Unerbittlichkeit behandelt, die »Krankheit« mit »liebreicher Milde, Mitleid« u. dergl.

Dem Verbrechen folgt die Strafe. Fällt das Verbrechen, weil das Heilige verschwindet, so muß nicht minder die Strafe in dessen Fall hineingezogen werden; denn auch sie hat nur einem Heiligen gegenüber Bedeutung. Man hat die Kirchenstrafen abgeschafft. Warum? Weil, wie Jemand sich gegen den »heiligen Gott« benehme, Jedermanns eigene Sache sei. Wie aber diese eine Strafe, die Kirchenstrafe, gefallen ist, so müssen alle Strafen fallen. Wie die Sünde gegen den sogenannten Gott des Menschen eigene Sache ist, so die gegen jede Art des sogenannten Heiligen. Nach unsern Strafrechtstheorien, mit deren »zeitgemäßer Verbesserung« man sich vergeblich abquält, will man die Menschen für diese oder jene »Unmenschlichkeit« strafen und macht dabei das Alberne dieser Theorien durch ihre Konsequenz besonders deutlich, indem man die kleinen Diebe hängt und die großen laufen läßt. Für Eigentumsverletzung hat man das Zuchthaus, und für »Gedankenzwang«, Unterdrückung »natürlicher Menschenrechte«, nur – Vorstellungen und Bitten.

Der Kriminalkodex hat nur durch das Heilige Bestand und verkommt von selbst, wenn man die Strafe aufgibt. Allerwärts will man gegenwärtig ein neues Strafgesetz schaffen, ohne sich über die Strafe selbst ein Bedenken zu machen. Gerade die Strafe aber muß der Genugtuung den Platz räumen, die wiederum nicht darauf abzielen kann, dem Rechte oder der Gerechtigkeit genug zu tun, sondern Uns ein Genüge zu verschaffen. Tut Uns Einer, was Wir Uns nicht gefallen lassen wollen, so brechen Wir seine Gewalt und bringen die Unsere zur Geltung: Wir befriedigen Uns an ihm und verfallen nicht in die Torheit, das Recht (den Spuk) befriedigen zu wollen. Nicht das Heilige soll sich gegen den Menschen wehren, sondern der Mensch gegen den Menschen, so wie ja auch nicht mehr Gott sich gegen den Menschen wehrt, dem sonst und zum Teil freilich noch jetzt alle »Diener Gottes« die Hand boten, um den Lästerer zu strafen, wie sie eben heute noch dem Heiligen ihre Hand leihen. Jene Hingebung an das Heilige bewirkt denn auch, daß man, ohne lebendigen, eigenen Anteil, die Übeltäter nur in die Hände der Polizei und Gerichte liefert: ein teilnahmsloses Überantworten an die Obrigkeit, »die ja das Heilige aufs Beste verwalten wird«. Das Volk ist ganz toll darauf, gegen Alles die Polizei zu hetzen, was ihm unsittlich, oft nur unanständig zu sein scheint, und diese Volkswut für das Sittliche beschützt mehr das Polizeiinstitut, als die Regierung es nur irgend schützen könnte.

Im Verbrechen hat sich seither der Egoist behauptet und das Heilige verspottet: der Bruch mit dem Heiligen, oder vielmehr des Heiligen kann allgemein werden. Eine Revolution kehrt nicht wieder, aber ein gewaltiges, rücksichtsloses, schamloses, gewissenloses, stolzes – Verbrechen, grollt es nicht in fernen Donnern, und siehst Du nicht, wie der Himmel ahnungsvoll schweigt und sich trübt?

Wer sich weigert, seine Kräfte für so beengte Gesellschaften, wie Familie, Partei, Nation zu verwenden, der sehnt sich immer noch nach einer würdigeren Gesellschaft und meint etwa in der »menschlichen Gesellschaft« oder der »Menschheit« das wahre Liebesobjekt gefunden zu haben, dem sich zu opfern seine Ehre ausmache: von nun an »lebt und dient er der Menschheit«.

Volk heißt der Körper, Staat der Geist jener herrschenden Person, die seither Mich unterdrückt hat. Man hat Völker und Staaten dadurch verklären wollen, daß man sie zur »Menschheit« und »allgemeinen Vernunft« erweiterte; allein die Knechtschaft würde bei dieser Ausweitung nur noch intensiver werden, und die Philanthropen und Humanen sind so absolute Herrn als die Politiker und Diplomaten.

Neuere Kritiker eifern gegen die Religion, weil sie Gott, das Göttliche, Sittliche usw. außer dem Menschen setze oder zu etwas Objektivem mache, wogegen sie eben diese Subjekte vielmehr in den Menschen verlegen. Allein in den eigentlichen Fehler der Religion, dem Menschen eine »Bestimmung« zu geben, verfallen jene Kritiker nicht minder, indem auch sie ihn göttlich, menschlich u. dgl. wissen wollen: Sittlichkeit, Freiheit und Humanität usw. sei sein Wesen. Und wie die Religion, so wollte auch die Politik den Menschen »erziehen«, ihn zur Verwirklichung seines »Wesens«, seiner »Bestimmung« bringen, etwas aus ihm machen, nämlich einen »wahren Menschen«, die eine in der Form des »wahren Gläubigen«, die andere in der des »wahren Bürgers oder Untertanen«. In der Tat kommt es auf Eins hinaus, ob man die Bestimmung das Göttliche oder Menschliche nennt.

Unter Religion und Politik befindet sich der Mensch auf dem Standpunkte des Sollens: er soll dies und das werden, soll so und so sein. Mit diesem Postulat, diesem Gebote tritt nicht nur Jeder vor den Andern hin, sondern auch vor sich selbst. Jene Kritiker sagen: Du sollst ein ganzer, ein freier Mensch sein. So stehen auch sie in der Versuchung, eine neue Religion zu proklamieren, ein neues Absolutes, ein Ideal aufzustellen, nämlich die Freiheit. Die Menschen sollen frei werden. Da könnten selbst Missionäre der Freiheit erstehen, wie das Christentum in der Überzeugung, daß Alle eigentlich dazu bestimmt seien, Christen zu werden, Missionäre des Glaubens aussandte. Die Freiheit würde dann, wie bisher der Glaube als Kirche, die Sinnlichkeit als Staat, so als eine neue Gemeinde sich konstituieren und von ihr aus eine gleiche »Propaganda« betreiben. Allerdings läßt sich gegen ein Zusammentreten kein Einwand aufbringen; um so mehr aber muß man jeder Erneuerung der alten Fürsorge, der Heranbildung, kurz dem Prinzipe, aus Uns etwas zu machen, gleichviel ob Christen, Untertanen oder Freie und Menschen, entgegentreten.

Wohl kann man mit Feuerbach und Andern sagen, daß die Religion das Menschliche aus dem Menschen hinausgerückt und in ein Jenseits so verlegt habe, daß es dort unerreichbar als ein für sich Persönliches, als ein »Gott« sein eigenes Dasein führte; allein der Irrtum der Religion ist damit keineswegs erschöpft. Man könnte sehr wohl die Persönlichkeit des entrückten Menschlichen fallen lassen, könnte den Gott ins Göttliche verwandeln, und man bliebe dennoch religiös. Denn das Religiöse besteht in der Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Menschen, d. h. in der Aufstellung einer zu erstrebenden »Vollkommenheit«, in dem »nach seiner Vollendung ringenden Menschen«. (»Darum sollt Ihr vollkommen sein, wie Euer Vater im Himmel vollkommen ist« . Matth. V, 48.): es besteht in der Fixierung eines Ideals, eines Absoluten. Die Vollkommenheit ist das »höchste Gut«, der finis bonorum; das Ideal eines Jeden ist der vollkommene Mensch, der wahre, der freie Mensch usw.

 Top