Drittes Kapitel

Ich finde Rosalie glücklich. – Signora Isolabella. – Der Koch. – Biribi. – Irena. – Passano im Gefängnis. – Meine Nichte erweist sich als eine alte Bekannte Rosaliens.

In Genua, wo alle Welt ihn kannte, nannte Pogomas sich Passano. Der Mensch wußte nichts Eiligeres zu tun, als mir seine Frau und seine Tochter vorzustellen; aber ich fand in ihnen zwei so unappetitliche Geschöpfe, zwei so schmutzige und schamlose Vetteln, daß ich mich so schnell wie möglich unter einem nichtigen Vorwande freimachte. Hierauf speiste ich mit meiner neuen Nichte köstlich zu Mittag.

Sofort nach Tische eilte ich zum guten Marchese Grimaldi, denn ich wollte gerne wissen, wo Rosalie wohnte. Ich fand den Marchese nicht zu Hause, und man erwartete seine Rückkehr erst für Ende April; aber einer seiner Lakaien führte mich zu Rosalie, die sechs Monate nach meiner Abreise Petris Frau geworden war.

Das Herz klopfte mir, als ich die Wohnung dieser reizenden Frau betrat, die mir so süße Erinnerungen hinterlassen hatte. Vor allem anderen suchte ich Herrn Petri in seiner Schreibstube auf; er empfing mich mit einer Freude, die mir bewies, daß er glücklich war. Er beeilte sich, mich zu seiner Frau zu führen, die bei meinem Anblick einen Freudenschrei ausstieß und mich mit überströmender Herzensfreude umarmte.

Da Petri Geschäfte zu erledigen hatte, so bat er mich, ihn zu entschuldigen, und forderte seine Frau auf, es mir in ihrem Hause heimisch zu machen.

Rosalie brachte mir ein reizendes kleines Mädchen von sechs Monaten und sagte mir, sie sei glücklich. Sie liebe ihren Gatten, der ihr innig zugetan sei. Er sei ein ausgezeichneter Geschäftsmann, sehr ordentlich und fleißig. Da Herr von Grimaldi ihn mit seinem Einfluß beschützte, so blühe sein Geschäft und er befinde sich in sehr erfreulichen Vermögensumständen.

Sie hatte sich in der Ehe und in ihrer gesicherten Lage herrlich entwickelt, und ich fand in ihr eine Schönheit in der vollsten Bedeutung des Wortes.

»Mein lieber Freund«, sagte sie zu mir, »ich bin dir unendlich dankbar, daß du mir gleich die ersten Augenblicke nach deiner Rückkehr gewidmet hast, und ich hoffe, dich morgen zum Mittagessen bei mir zu sehen. Dir verdanke ich mein Glück, und diese Erinnerung ist noch süßer, als es die seligen Augenblicke waren, die ich mit dir verbracht habe. Umarmen wir uns, aber laß uns dabei bleiben; ich habe gegenüber einem Manne, der meiner vollen Achtung würdig ist, die Verpflichtung, eine anständige Frau zu bleiben; laß uns nicht den Frieden stören, den ich dir verdanke! Von morgen an wollen wir uns auch nicht mehr duzen.«

Ich drückte ihr zum Zeichen meiner Zustimmung zärtlich die Hand; als ich aber sprechen wollte, rief sie: »Da fällt mir etwas ein! Ich werde dir, hoffe ich, eine angenehme Überraschung bereiten!«

Damit ging sie hinaus. Wenige Augenblicke später kam sie wieder und stellte mir Veronika vor, die sie zu ihrer Kammerzofe gemacht hatte. Ich weidete mich an der Überraschung des jungen Mädchens, das ich mit Vergnügen wiedersah. Ich umarmte sie und erkundigte mich nach Annina. Sie sagte mir, es gehe dieser gut, sie arbeite bei ihrer Mutter. Ich sagte: »Ich wünsche, daß sie während der kurzen Zeit, die ich hier bleiben werde, meine Nichte bedient.«

Als Rosalie dies hörte, lachte sie laut auf und rief: »Schon wieder eine Nichte, lieber Freund? Wie zahlreich doch deine Verwandtschaft ist! Aber als deine Nichte wird sie doch, hoffe ich, morgen ebenfalls bei uns speisen.«

»Recht gern, meine liebe Freundin; sie wird es um so lieber tun, da sie Marseillerin ist.«

»Marseillerin? Aber dann wäre es wohl möglich, daß sie mich kennt! Übrigens macht das nichts, denn du hast lauter verschwiegene Nichten. Wie heißt sie?«

»Crosin.«

»Dieser Name ist mir unbekannt.«

»Das glaube ich wohl. Sie ist die Tochter einer Base, die ich in Marseille hatte.«

»Erzähle das anderen, lieber Freund! Aber das macht nichts: Du führst ein fröhliches Leben und tust recht daran, denn du machst die Frauen glücklich, die dich beglücken. Vielleicht ist das die wahre Weisheit; jedenfalls wünsche ich dir Glück dazu. Ich werde deine Nichte mit Freuden sehen; aber wenn sie mich kennen sollte, so unterrichte sie vorher als guter Lehrer.«

Von Frau Petri begab ich mich zu Signora Isolabella. Ich gab bei ihr den Brief des Marchese Triulzi ab. Nachdem ich kaum eine Minute gewartet hatte, kam sie in den Salon, begrüßte mich und sagte mir, sie habe mich mit Vergnügen erwartet. Triulzi hatte sie von meiner bevorstehenden Ankunft in Kenntnis gesetzt. Sie stellte mir den Marchese Augustino Grimaldi della Pietra vor, der während der langen Abwesenheit ihres in Lissabon lebenden Gatten ihr erster Cicisbeo war.

Frau Isolabella hatte eine sehr schöne Wohnung; dies macht immer einen günstigen Eindruck. Sie hatte ein hübsches Gesicht mit feinen und regelmäßigen Zügen und einen angenehmen Witz. Der Klang ihrer Stimme war sehr sanft, ihr Wuchs war schlank und regelmäßig, aber sie war zu mager. Sie war ungefähr dreißig Jahre alt. Von ihrer Haut will ich nichts sagen, denn sie war so ungeschickt mit Rot und Weiß bestrichen, daß diese Schichten von häßlicher Farbe das erste waren, was an ihr auffiel. Hierdurch stieß sie mich ab, trotz ihren ausdrucksvollen und lebhaften schönen Augen. Nachdem wir eine Stunde in angenehmer Unterhaltung verbracht und uns gegenseitig studiert hatten, lud sie mich beim Abschied für den nächsten Tag zum Abendessen ein.

Ich begab mich nach meiner Wohnung zurück und sprach meiner Nichte meine Anerkennung wegen der Wahl ihres Zimmers aus. Dieses war von dem meinigen nur durch eine Kammer getrennt, die ich sofort für ihre Kammerjungfer bestimmte. Ich sagte ihr, daß diese am nächsten Tage eintreten werde. Diese Aufmerksamkeit gefiel ihr sehr und brachte mich ein gutes Stück vorwärts. Hierauf sagte ich ihr, sie werde am nächsten Tage mit mir bei einem angesehenen Geschäftsmann als meine Nichte zu Mittag speisen; diese Neuigkeit machte sie ganz glücklich.

Meine junge Marseillerin, die Croce verrückt gemacht hatte, war hübsch wie ein Engel; aber ihr edler Anstand und ihr sanfter Charakter übertrafen noch bei weitem die anderen Reize, mit denen die Natur sie reichlich ausgestattet hatte. Ich war bereits heftig in sie verliebt und bedauerte sehr, daß ich mich nicht gleich am ersten

Tage ihrer bemächtigt hatte. Hätte ich sie beim Wort genommen, so wäre ich ein ruhiger Liebhaber geworden und hätte, wie ich glaube, keine lange Zeit gebraucht, um ihren ersten Verführer bei ihr in Vergessenheit zu bringen. Ich hatte wenig zu Mittag gegessen und war daher sehr hungrig, als wir zu Tisch gingen. Da meine Nichte stets einen entzückenden Appetit hatte, so gedachten wir dem ausgezeichneten Abendessen, das wir vorzufinden erwarteten, alle Ehre anzutun. Aber es kam ganz anders: die Speisen waren abscheulich. Ich befahl Clairmont, die Wirtin zu rufen. Sie kam und sagte mir, sie könne nichts dabei tun, denn mein Koch habe alles zurechtgemacht.

»Mein Koch?«

»Ja, mein Herr, der Koch, den Ihr Sekretär, Herr Passano, für Ihren Dienst angenommen hat. Hätte er mir den Auftrag gegeben, so würde ich Ihnen einen ausgezeichneten Koch besorgt haben, der viel weniger gekostet hätte als dieser.«

»Besorgen Sie ihn mir zu morgen.«

»Gern; aber vorher befreien Sie sich bitte von dem, den Sie jetzt haben, und befreien Sie auch mich von ihm, denn er hat sich mit seiner Frau und seinen Kindern bei mir einquartiert. Befehlen Sie Passano, ihn fortzuschicken.«

»Ich werde es besorgen, unterdessen mieten Sie mir Ihren Koch; ich werde übermorgen einen Versuch mit ihm machen.«

Ich begleitete meine Nichte in ihr Zimmer und bat sie, sie möchte zu Bett gehen, ohne auf mich zu achten. Während sie sich auszog, las ich die Zeitung. Als ich damit fertig war, trat ich an ihr Bett heran, wünschte ihr gute Nacht und sagte: »Sie könnten mir wohl die Unannehmlichkeit ersparen, allein schlafen zu müssen.«

Ohne mir zu antworten, schlug sie die Augen nieder. Ich gab ihr einen Kuß und ging hinaus.

Am nächsten Morgen trat meine schöne Nichte in mein Zimmer, als Clairmont mir gerade die Füße wusch. Sie bat mich, ihr Kaffee geben zu lassen, weil die Schokolade sie zu sehr erhitze. Ich befahl meinem Kammerdiener Kaffee zu holen. Sobald er hinausgegangen war, kniete sie nieder und wollte mir die Füße abtrocknen.

»Das werde ich unter keinen Umständen zugeben, mein liebes Fräulein.«

»Warum denn nicht? Es ist doch nur ein Freundschaftsbeweis.«

»Ich verstehe. Aber Sie können solche Freundschaftsbeweise nur einem Geliebten geben, ohne sich zu erniedrigen.«

Bescheiden stand sie auf und setzte sich auf einen Stuhl, ohne ein Wort zu sagen.

Da Clairmont zurückgekommen war, so zog ich mich vollends an.

Unterdessen hatte die Wirtin uns unser Frühstück gebracht; sie fragte meine Nichte, ob sie nicht eine schöne Mantilla von Pekingseide nach Genueser Mode kaufen wolle. Ich ersparte ihr die Verlegenheit, indem ich der Wirtin sofort sagte, sie möge die Modistin hereinkommen lassen. Einen Augenblick später trat diese ein; inzwischen hatte ich aber bereits meiner jungen Schutzbefohlenen zwanzig Genueser Zechinen gegeben, und sie gebeten, sich des Geldes für ihre kleinen Ausgaben zu bedienen. Sie nahm die Goldstücke, indem sie mir auf das anmutigste dankte und mich ihren köstlichen Lippen einen zärtlichen Kuß rauben ließ.

Nachdem ich das Mäntelchen gekauft und die Modistin wieder fortgeschickt hatte, kam Passano; er erlaubte sich, mir wegen des Kochs Vorstellungen zu machen. Er sagte: »Ich habe ihn in Ihrem Auftrag für die ganze Zeit Ihres Aufenthaltes in Genua angenommen; er erhält täglich vier Franken, außerdem Kost und Wohnung.

»Wo ist mein Brief?«

»Hier steht es: ›Besorgen sie mir einen guten Koch, den ich während der ganzen Zeit meines Aufenthaltes in Genua behalten werde.‹«

»Haben Sie die Klausel bemerkt: einen guten Koch? Dieser aber ist ein abscheulicher Stümper, und für die Beurteilung seiner Güte dürfte ich doch wohl allein nur maßgebend sein.«

»Sie irren sich: der Mensch wird Ihnen beweisen, daß er gut ist. Er wird einen Prozeß gegen Sie anstrengen, und diesen werden Sie verlieren.«

»Sie haben also einen Vertrag in aller Form mit ihm abgeschlossen?«

»Ja, dazu war ich von Ihnen ermächtigt.«

»Lassen Sie ihn heraufkommen, ich will ihn einmal sehen.«

Während Passano den Küchenmann holte, befahl ich Clairmont, einen Advokaten zu rufen. Der Koch kam; ich las den Vertrag. Dieser war so abgefaßt, daß ich nach der Strenge der Buchstaben vor Gericht unrecht bekommen mußte. Trotzdem änderte ich aber meinen Entschluß nicht.

»Mein Herr,« sagte der Koch zu mir, »ich bin ein geschickter Mann in meinem Fach, und ich werde viertausend Genuesen finden, die mir dies bezeugen.«

»Das würde nicht für deren guten Geschmack sprechen; das Abendessen, das Sie gestern für mich gemacht haben, beweist auf alle Fälle, daß Sie nur ein Sudelkoch sind.«

Da nichts so leicht verletzlich ist als die Eitelkeit eines Kochkünstlers, so war ich auf eine lebhafte Antwort gefaßt. In diesem Augenblick trat aber der Advokat ein, und da er den Schluß unseres Gespräches gehört hatte, so sagte er zu mir, der Mann würde viele Leute finden, die ihm bezeugen würden, daß er ein sehr guter Koch sei. Ich aber würde keinen Menschen finden, der behaupten würde, daß er schlecht sei.

»Das mag sein, Herr Advokat; ich bleibe jedoch bei meiner Meinung, und da ich seine Kocherei abscheulich finde, so verlange ich, daß er geht, denn ich will einen anderen annehmen. Ich brauche doch nur diesen Mann zu bezahlen, wie wenn er mich bedient hätte.«

»Das genügt mir nicht«, rief der Koch laut; »ich werde Sie verklagen, um eine angemessene Entschädigung wegen Ehrverletzung zu erhalten.«

Bei diesen Worten stieg mir der Senf in die Nase, wie man zu sagen pflegt. Ich hätte ihn vielleicht zur Tür hinausgeworfen. Aber in demselben Augenblick trat Don Augustino Grimaldi ein. Als der hohe Herr unseren Streit erfuhr, lachte er, zuckte die Achseln und sagte: »Mein lieber Herr, gehen Sie nicht vor Gericht, denn Sie würden die Kosten bezahlen müssen, da alle Beweise gegen Sie sind. Der Mann hat recht, wenn er auch vielleicht nicht berechtigt ist, sich für einen ausgezeichneten Koch zu halten. Unrecht hat nur derjenige, der ihn angenommen hat, ohne mit ihm auszumachen, daß er eine Probemahlzeit liefern müsse. Es ist entweder eine Dummheit oder eine Gaunerei.«

Passano fiel ihm ins Wort und sagte grob, er sei weder ein Dummkopf noch ein Gauner.

»Aber Sie sind der Vetter des Kochs«, sagte die Wirtin zu ihm.

Dieses Wort kam gerade zur rechten Zeit; es enthüllte mir das Geheimnis; ich schickte den Advokaten fort, nachdem ich ihn bezahlt hatte, und befahl dem Koch, sich zu entfernen. Hierauf sagte ich zu meinem sogenannten Sekretär: »Passano, bin ich Ihnen Geld schuldig?«

»Im Gegenteil; Sie haben mir den Monat vorausbezahlt, und ich bin verpflichtet, Ihnen noch zehn Tage zu dienen.«

»Die zehn Tage schenke ich Ihnen; ich entlasse Sie auf der Stelle, es sei denn, daß Ihr Vetter noch heute mein Haus verläßt und Ihnen den dummen Vertrag gibt, den Sie in meinem Namen unterschrieben haben. Gehen Sie!«

»Sie haben den gordischen Knoten zerhauen!« sagte Herr von Grimaldi zu mir. Hierauf bat er mich, ihm doch die Dame vorzustellen, die er bei mir sehe. Ich tat dies, indem ich ihm sagte, sie sei meine Nichte.

»Sie werden der Signora Isolabella ein großes Vergnügen machen, indem Sie sie ihr vorstellen.«

»Da Herr Marchese Triulzi sie in seinem Briefe nicht genannt hat, so werde ich mir diese Freiheit nicht herausnehmen.«

Der Marchese brachte das Gespräch auf einen anderen Gegenstand, und von meiner Nichte war nicht mehr die Rede. Wenige Augenblicke später entfernte er sich. Kaum war er fort, da trat Annina mit ihrer Mutter ein. Das junge Mädchen hatte sich während meiner Abwesenheit auf eine ganz unglaubliche Art entwickelt. Die Sommersprossen waren verschwunden, und ihre Haut leuchtete wie eine Rose; ihre Zähne waren vom schönsten Schmelz, und ihr Busen, den sie bescheiden mit einem Flor verhüllte, hatte eine vollkommene Rundung erlangt. Ich stellte sie ihrer Herrin vor, deren Überraschung mir viel Spaß machte.

Aus Anninas Augen leuchtete das Vergnügen, daß sie darüber empfand, wieder bei mir zu sein. Sie ging in das Zimmer ihrer Herrin, um dieser beim Ankleiden zu helfen. Ich gab der Mutter ein paar Zechinen und schickte sie fort, um mich anzuziehen.

Als ich gegen Mittag mit meiner Nichte fortgehen wollte, um uns zu Rosalie zu begeben, trat meine Wirtin mit meinem neuen Koch ein. Ich gab ihm an, welche Speisen ich am nächsten Tage zu erhalten wünschte, und die Wirtin gab mir den Vertrag, den Passano mit seinem Vetter abgeschlossen hatte. Dieser burleske Sieg versetzte mich in fröhliche Laune.

Wir fanden bei Petri eine glänzende Gesellschaft. Aber man stelle sich meine angenehme Überraschung vor, als ich sah, wie Rosalie und meine Nichte plötzlich einander um den Hals fielen, sich bei ihren Namen nannten und sich wie zwei gute Freundinnen küßten. Nach diesem ersten Zärtlichkeitsausbruch gingen meine beiden Freundinnen, wie ich mir gedacht hatte, in ein anderes Zimmer; als sie nach einer Viertelstunde wieder herauskamen, strahlten ihre Gesichter vor Zufriedenheit. Plötzlich aber änderte sich die Szene: als Petri in diesem Augenblick eintrat, stellte Rosalie ihm meine Nichte unter ihrem wahren Namen vor, und er begrüßte sie auf das herzlichste. Er stand in Geschäftsverbindung mit ihrem Vater und hatte von diesem gerade eben einen Brief erhalten, den er aus der Tasche zog und ihr zu lesen gab. Meine Nichte verschlang die Zeilen mit Tränen in den Augen und küßte dann voll Ehrerbietung die Unterschrift. Dieser Ausbruch kindlicher Liebe ließ mich die Gedanken erraten, die in diesem Augenblick auf das Herz des jungen Mädchens einstürmten, und rührte mich so tief, daß ich Tränen vergoß. Dann aber zog ich Rosalie beiseite und bat sie, ihrem Mann zu sagen, daß ich ihn aus wichtigen Gründen ersuchen müsse, seinem Geschäftsfreunde nichts von diesem Zusammentreffen zu schreiben.

Das Mittagessen war ebenso glänzend wie gut, und Rosalie spielte die Wirtin mit der ihr eigenen Gewandtheit und Anmut. Doch galten die Huldigungen der Gäste nicht ihr allein, denn meine angebliche Nichte erhielt den größeren Teil davon. Dies war natürlich; ihr Vater, ein reicher Handelsherr in Marseille, war in den kaufmännischen Kreisen Genuas sehr vorteilhaft bekannt, außerdem aber gewannen ihr auch ihr Geist und ihre Schönheit die allgemeine Aufmerksamkeit, und ein sehr liebenswürdiger junger Mann, der in der Gesellschaft war, verliebte sich ernstlich in sie. Dieser junge Mann war eine sehr gute Partie; er war der Gatte, den der Himmel meiner reizenden Schutzbefohlenen bestimmt hatte. Welche Wonne empfand ich darüber, daß ich mich gleichsam als Glücksstifter ansehen durfte, den das Schicksal diesem reizenden Mädchen zugeführt hatte, um sie vom Abgrund der Schande zurückzureißen, in welchen Armut und Verzweiflung sie zu stürzen drohten! Ich gestehe, in meiner langen, abenteuerlichen Laufbahn kam niemals eine Wollust dem süßen Gefühl gleich, das ich empfand, wenn ich etwas Gutes tun konnte; allerdings darf ich nicht behaupten, daß ich das Gute stets nur um seiner selbst willen und ohne jede gewinn- und genußsüchtige Nebenabsicht getan habe.

Als wir fröhlich und zufrieden vom Tisch aufgestanden waren, wurde der Vorschlag gemacht, Karten zu spielen; Rosalie wußte jedoch, daß ich Gesellschaftsspiele nicht liebte, und erklärte daher, wir müßten ein Trente et Quarente machen. Mit diesem Vorschlag waren alle Anwesenden gern einverstanden. Das Spiel beschäftigte uns bis zum Abendessen, ohne daß große Gewinne oder Verluste vorkamen. Um Mitternacht trennten wir uns alle im besten Einvernehmen.

Als ich in meiner Wohnung mit meiner Nichte allein war, fragte ich sie, woher sie Rosalie kenne.

»Ich kannte sie in unserem Hause. Sie kam mit ihrer Mutter und brachte die Wäsche; ich habe sie immer gern gehabt.«

»Ihr seid ungefähr von gleichem Alter.«

»Sie ist zwei Jahre älter als ich; ich habe sie sofort wiedererkannt.«

»Was hat sie Ihnen gesagt?«

»Daß Sie sie von Marseille mitgenommen haben und daß sie Ihnen ihr Glück verdankt.«

»Hat sie Ihnen sonst nichts anvertraut?«

»Nein, aber es gibt Dinge, die man nicht auszusprechen braucht.«

»Da haben Sie recht; und Sie, was haben Sie zu ihr gesagt?«

»Nichts, als was sie sich ohnehin denken konnte. Ich habe ihr gestanden, daß Sie nicht mein Oheim sind, und wenn sie glaubt, daß Sie mein Liebhaber sind, so bin ich darob nicht böse. Sie können sich gar nicht vorstellen, welche Freude mir die heutige Gesellschaft gemacht hat. Sie sind dazu geboren, Menschen glücklich zu machen.«

»Aber Croce?«

»Ach, ich bitte Sie, sprechen Sie nicht mehr von ihm.«

Dieses Gespräch hatte mich in Feuer und Flammen gesetzt. Sie rief Annina, und ich ging zu Bett.

Wie ich's erwartet hatte, kam Annina zu mir, sobald sie ihre Herrin zu Bett gebracht hatte. Sie sagte: »Wenn es wahr ist, daß Madame nur Ihre Nichte ist, so darf ich mir wohl mit der Hoffnung schmeicheln, daß Sie mich noch lieben?«

»Ganz gewiß, meine liebe Annina. Ich liebe dich immer. Zieh dich aus und komm in mein Bett: wir wollen ein wenig plaudern.«

Annina ließ nicht auf sich warten; die Zeit hatte sie gereift, und in zwei Stunden voll süßer Wollust erschöpfte ich mit ihr die Gluten, die eine andere Liebe in allen meinen Sinnen entfacht hatte.

Am nächsten Morgen kam Passano zu mir und sagte, er habe durch Zahlung von sechs Zechinen die Sache mit dem Koch in Ordnung gebracht. Ich gab ihm das Geld, indem ich ihm empfahl, in Zukunft nicht so vorschnell zu sein.

Hierauf ging ich zu Rosalie, der ich ein großes Vergnügen machte, indem ich mich bei ihr zum Frühstück einlud. Nachdem wir gegessen hatten, bat ich sie, am nächsten Tage mit ihrem Mann und vier Personen ihrer Wahl bei mir zu speisen.

»Von Ihnen wird die Entscheidung abhängen,« sagte ich »ob ich den Koch in meine Dienste nehme; er liefert morgen sein Probestück.«

Sie sagte zu und sprach hierauf den Wunsch aus, die Geschichte meiner Liebschaft mit ihrer schönen Landsmännin kennen zu lernen.

»Ach, reizende Freundin, werden Sie mir Glauben schenken, wenn ich Ihnen sage, daß ich noch beim A-B-C stehe?«

»Wenn Sie es mir sagen, glaube ich es, obgleich es mir unglaublich scheint.«

»Trotzdem ist es vollkommen wahr; allerdings kenne ich sie erst seit sehr kurzer Zeit; außerdem will ich, wie Sie wissen, Liebesglück stets nur dem Gefühl verdanken. Liebe aus Gefälligkeit würde mich töten.«

»Das begreife ich. Aber was hat sie Ihnen über mich gesagt?«

Ich berichtete ihr nun Wort für Wort unser Gespräch vom vorigen Abend; sie freute sich sehr darüber und sagte: »Da Sie mit Ihrer neuen Nichte noch auf dem Fuße einer zartfühlenden Freundschaft stehen, so möchte ich Sie fragen, ob es Ihnen unlieb wäre, wenn der junge Mann, der gestern so aufmerksam gegen sie war, morgen als Gast zu Ihnen käme?«

»Es interessiert mich sehr, zu erfahren, wer er ist.«

»Er heißt N. und ist der einzige Sohn eines reichen Kaufmanns.«

»Bringen Sie ihn unter allen Umständen mit!«

In meiner Wohnung fand ich meine Nichte in ihrem Bett. Ich sagte ihr, daß ihre Landsmännin am nächsten Tage bei uns speisen würde, und beruhigte sie durch die Versicherung, Herr Petri werde nicht an ihren Vater schreiben, daß sie in Genua sei. Hierüber war sie sehr erfreut, denn die Befürchtung, daß ihr Vater ihren Aufenthalt erfahren könnte, hatte sie sehr gequält.

Da ich zum Essen eingeladen war, sagte ich ihr, sie könne entweder bei Rosalie zu Abend speisen oder auch zu Hause bleiben, wenn sie dies lieber wolle.

»Ich danke Ihnen, lieber Oheim, für Ihre großen Aufmerksamkeiten, die mich beschämen. Ich werde zu Rosalie gehen.«

»Gut. Sind Sie mit Annina zufrieden?«

»Da fällt mir etwas ein, lieber Oheim: sie sagte mir, sie habe die Nacht mit Ihnen verbracht und Sie seien ihr Liebhaber und gleichzeitig der ihrer Schwester gewesen.«

»Das gebe ich zu; aber sie ist eine dumme Plaudertasche.«

»Sie müssen ihr verzeihen. Sie hat mir gesagt, sie habe in das Opfer nur eingewilligt, nachdem Sie ihr versichert haben, daß ich wirklich Ihre Nichte sei. Übrigens fühle ich, daß sie mir die Sache nur aus Eitelkeit anvertraut hat und zugleich in der Hoffnung, sich dadurch bei mir in eine Art von Achtung zu setzen, denn sie hat es für selbstverständlich gehalten, daß ich ein junges Mädchen, das Sie lieben, achten werde.«

»Viel lieber wäre es mir, Sie hätten das Recht, eifersüchtig auf sie zu sein! Aber das schwöre ich Ihnen: wenn Annina nicht ganz taktvoll und diensteifrig gegen Sie ist, so werde ich sie ohne die geringste Rücksicht auf meine Beziehungen zu ihr vor die Tür setzen; denn sie ist nur ein Notbehelf, dessen ich mich bediene, weil ich mich Ihnen gegenüber in einer so eigentümlichen Lage befinde. Sie, mein Fräulein, können mich nicht lieben, und ich habe nicht das Recht, mich hierüber zu beklagen; aber Sie sind keine Frau, die sich dazu herbeilassen könnte, die erniedrigende Rolle meiner gefälligen Beischläferin zu spielen.«

Es war mir durchaus nicht unlieb, daß meine Nichte um das Verhältnis zwischen mir und Annina wußte; aber die Art, wie sie diese Tatsache aufnahm, ärgerte mich ziemlich. Es schien mir klar zu sein, daß sie keinen Gefallen an mir fand, und daß es ihr ganz angenehm war, wenn ihre Kammerzofe sie vor der Gefahr beschützte, der sie bei unseren täglichen, stundenlangen Zusammenkünften ausgesetzt war, denn sie mußte sich der Macht ihrer Reize wohl bewußt sein.

Wir speisten selbzweit und erhielten von der Geschicklichkeit meines neuen Kochs einen guten Vorbegriff. Herr Petri hatte mir versprochen, mir einen tadellosen Lakaien zu besorgen. Dieser stellte sich vor, als wir mit dem Essen so ziemlich fertig waren, und ich machte meiner Nichte ein Geschenk, indem ich den jungen Mann zu ihrer besonderen Bedienung annahm.

Wir machten eine Spazierfahrt, und ich brachte meine Nichte zu Rosalie, bei der sie blieb. Ich selber fuhr zu Signora Isolabella, bei der ich eine zahlreiche und glänzende Gesellschaft fand: der vornehmste Adel Genuas war in ihren Sälen versammelt.

Zu jener Zeit schwärmten die Damen der großen Gesellschaft für das Biribi, ein wahres Gaunerspiel; die Herren, die ihnen gefallen wollten, mußten es ihnen natürlich nachtun. Dieses Spiel war in Genua streng verboten und darum natürlich um so mehr beliebt. Das Verbot konnte sich jedoch nicht auf Privatgesellschaften erstrecken, denn die Vorgänge im Innern vornehmer Häuser unterstehen nicht der Macht der Regierung. Um es kurz zu machen: ich fand bei der Signora Isolabella ein Biribispiel in vollem Gange. Die Spieler, die die Bank hielten, gingen von Haus zu Haus, wenn man sie bestellte; die Liebhaber des Spieles erhielten Bescheid und fanden sich pünktlich ein.

Obgleich ich gegen dieses Spiel eine Abneigung habe, wollte ich mich doch nicht ausschließen und beteiligte mich daher wie die anderen.

Im Spielsaal befand sich ein Bildnis der Dame des Hauses im Kostüm einer Harlequine; eine Laune des Zufalls wollte es, daß auf dem Tableau des Biribi ein ähnliches Bild war. Aus einem sehr natürlichen Antrieb von Galanterie wählte ich dieses Feld und spielte auf keinem anderen. Ich setzte jedesmal eine Zechine; das Tableau hatte sechsunddreißig Felder und man bezahlte dem Gewinner den zweiunddreißigfachen Einsatz, was für den Bankhalter einen ungeheuren Vorteil bedeutete. Jeder Spieler zog drei Nummern hintereinander. Das Biribi wurde von drei Personen gehalten: der eine ging mit dem Sack rum, der zweite zahlte aus, und der dritte überwachte das Tableau und strich sorgsam alle verlorenen Sätze ein, sobald bekannt war, welches Feld gewonnen hatte. Die Bank war ungefähr zweitausend Zechinen stark. Der Tisch, ein schöner Teppich und vier silberne Leuchter gehörten den Spielhaltern.

Ich saß zur Linken der Signora Isolabella, bei der das Spiel begann, und da wir fünfzehn oder sechzehn Spieler waren, hatte ich etwa fünfzig Zechinen verloren, als ich an die Reihe kam; denn meine Harlequine war nicht ein einziges Mal herausgekommen. Jeder bedauerte mich oder tat wenigstens so; denn beim Spiel erstickt für gewöhnlich der Egoismus jedes andere Gefühl.

Als ich an die Reihe kam, zog ich meine Harlequine und erhielt zweiunddreißig Zechinen. Ich lasse diese auf derselben Figur stehen, gewinne und erhalte tausend Zechinen. Von diesen lasse ich fünfzig stehen, und die Harlequine kommt zum dritten Male heraus. Da das ganze Geld der Bank nicht ausreicht, so gehören mir Tisch, Teppich, Spieltableau, Leuchter und Biribi, und ich bemächtige mich meines Eigentums. Alle Welt beglückwünscht mich. Die ausgebeutelten Gauner werden ausgelacht, ausgepfiffen und hinausgeworfen.

Als dann aber der erste Rausch der Begeisterung sich gelegt hatte, sah ich die Damen betrübte Gesichter machen; denn da das Spiel zu Ende war, so wußten sie nicht, was sie anfangen sollten. Um sie zu trösten und wieder aufzuheitern, erklärte ich ihnen, ich würde die Bank übernehmen, aber bei gleichem Spiel, und würde daher für die gewinnenden Figuren den sechsunddreißigfachen Einsatz auszahlen statt des zweiunddreißigfachen. Man fand mich reizend, und ich amüsierte die ganze Gesellschaft bis zum Abendessen, ohne etwas zu verlieren oder zu gewinnen. Als das Spiel zu Ende war, bat ich die Dame des Hauses, die ganze Spieleinrichtung freundlichst annehmen zu wollen; dies war ein sehr hübsches Geschenk.

Das Abendessen war sehr angenehm; mein Abenteuer bildete den hauptsächlichen Gegenstand der Unterhaltung. Beim Abschied bat ich Signora Isolabella und ihren Marchese, bei mir zu speisen; sie nahmen die Einladung sehr eifrig an. Hierauf holte ich meine Nichte ab, die mir sagte, sie habe einen köstlichen Abend verbracht.

»Ein sehr liebenswürdiger junger Mann, den meine Freundin morgen zum Essen mitbringen wird, war außerordentlich zuvorkommend gegen mich.«

»Ist das nicht derselbe, der sich gestern bei der Tafel fortwährend mit Ihnen beschäftigte?«

»Ja, der ist es. Unter anderen schönen Dingen hat er mir auch gesagt, er wolle nach Marseille reisen, um meinen Vater kennen zu lernen und bei ihm um meine Hand anzuhalten, wenn ich damit einverstanden sei. Ich habe ihm nichts darauf geantwortet, aber ich habe bei mir selber gedacht: wenn der arme junge Mann sich diese Mühe macht, wird er angeführt sein.«

»Warum denn?«

»Weil er mich nicht sehen wird. Ein Kloster wird mein Asyl werden. Mein Vater ist voll von Güte und Zärtlichkeit: er wird mir vergeben, das weiß ich. Aber es ist meine Pflicht, mich selber zu bestrafen.«

»Das ist ein sehr trauriger Gedanke, meine liebenswürdige Nichte. Ich hoffe. Sie werden ihn aufgeben. Sie haben alles, was nötig ist, um einen Mann zu beglücken, der Sie zu beglücken würdig ist und der dank seinem Vermögen so unabhängig ist, wie ein Mensch es nur sein kann. Je mehr ich über Sie nachdenke, desto mehr bin ich überzeugt, daß ich recht habe.«

Wir sprachen nicht länger über diesen Gegenstand, denn sie war der Ruhe bedürftig. Annina kam herein, um sie auszukleiden, und ich bemerkte mit Vergnügen, wie gütig meine Nichte sie behandelte; ebensowenig entging mir jedoch, mit welcher Gleichgültigkeit die Zofe ihre Herrin bediente. Als sie daher zu mir kam und sich in mein Bett legte, machte ich ihr freundliche Vorstellungen darüber, und ersuchte sie, ihren Pflichten besser nachzukommen. Anstatt mir durch Liebkosungen zu antworten, wie sie hätte tun sollen, begann Annina zu weinen.

»Mein liebes Kind, deine Tränen langweilen mich; ich lasse dich nur kommen, um fröhlich mit dir zu sein, und wenn du mich traurig machen willst, schicke ich dich fort.«

Trotzig und empfindlich, wie alle dummen Mädchen bei solchen Anlässen es sind, stand die Kleine auf und ging hinaus, ohne ein Wort zu sagen.

In verdrießlicher Stimmung schlief ich ein.

Am nächsten Morgen sagte ich ihr im Tone des Herrn, sie habe mir einen häßlichen Streich gespielt, und wenn das noch einmal vorkäme, würde ich sie entlassen. Anstatt den Versuch zu machen, mich durch Liebkosungen zu beschwichtigen, fing die kleine Rebellin herzbrechend zu weinen an. Hierüber ärgerlich, schob ich sie zur Tür hinaus; dann begann ich das am vorigen Abend gewonnene Geld zu zählen.

Ich dachte schon nicht mehr an Annina, als meine Nichte mit freundlichem Gesicht bei mir eintrat und mich sanft und gefühlvoll fragte, warum ich die arme Annina gekränkt habe.

»Meine liebe Nichte, sagen Sie ihr, sie soll vernünftig sein und Sie gut bedienen; sonst würde ich sie zu ihrer Mutter zurückschicken!«

Ohne mir zu antworten, nahm sie lachend eine Hand voll Silbermünzen und lief hinaus. Ich hatte keine Zeit, lange über dieses eigentümliche Benehmen nachzudenken, denn unmittelbar darauf trat Annina ein, ließ meine Taler in ihrer Schürze klimpern, küßte mich und versprach mir, sie wolle mich in ihrem ganzen Leben nicht wieder ärgern.

So war der Charakter meiner neuen Nichte. Sie wußte, daß ich sie anbetete; sie liebte mich, wollte mich aber nicht zum Liebhaber haben und machte sich doch den Einfluß zunutze, den meine Leidenschaft ihr verlieh. Im Kodex der weiblichen Koketterie sind Fälle dieser Art sehr bekannt.

Passano kam zu mir, ohne daß ich ihn hatte rufen lassen, und beglückwünschte mich zu meinem Siege vom Tage vorher.

»Wer hat Ihnen das gesagt?«

»Ich komme aus dem Kaffeehaus, wo alle Welt davon spricht. Es ist ein wunderbarer Sieg, denn die Biribanti sind abgebrühte Gauner. Das Abenteuer wird Aufsehen machen, denn man behauptet, Sie hätten unmöglich die Bank dieser Gauner sprengen können, ohne mit dem Mann, der den Sack hielt, im Einverständnis zu sein.«

»Mein Lieber, Sie langweilen mich. Da, geben Sie dieses Goldstück Ihrer Frau und gehen Sie!«

Das Goldstück, das ich ihm gab, war hundert Genueser Lire wert; die Regierung hatte diese Münze als ein bequemes Zahlungsmittel für den inneren Verkehr schlagen lassen; es gab in gleicher Prägung auch Stücke zu fünfzig und fünfundzwanzig Lire.

Ich war noch immer damit beschäftigt, mein Gold und mein Silber zu zählen, als Clairmont mir ein Briefchen brachte. Es war eine zärtliche Einladung von Irena, die den Wunsch aussprach, ich möchte mit ihr frühstücken. Ich wußte nicht, daß sie in Genua war, und diese Neuigkeit machte mir viel Vergnügen. Ich schloß mein Geld ein, kleidete mich in aller Eile an und begab mich zu ihr. Ich fand sie in einer schön eingerichteten Wohnung, und ihr alter Vater, Graf Rinaldi, umarmte mich unter Freudentränen.

Nach den ersten üblichen Komplimenten sprach der alte Herr mir seinen Glückwunsch zu meinem Gewinn aus.

»Dreitausend Zechinen«, rief er aus, »sind ein schönes Stück Geld!«

»Ganz gewiß.«

»Das Spaßhafte dabei ist, daß der Mann, der den Sack hielt, ein Angestellter der beiden anderen war.«

»Was finden Sie denn dabei spaßhaft?«

»Daß er, ohne etwas zu riskieren, die Hälfte der Summe gewonnen hat; denn ohne diese Bedingung würde er sich wahrscheinlich nicht mit Ihnen eingelassen haben.«

»Sie glauben also, daß wir unter einer Decke steckten?«

»Das glaubt ein jeder, und es kann auch gar nicht anders sein. Der Kerl ist ein Spitzbube, der sein Glück gemacht hat, indem er andere Spitzbuben betrog. Alle Falschspieler von Genua zollen ihm Beifall und singen Ihr Lob!«

»Sie feiern mich als einen noch größeren Spitzbuben?«

»Diesen Namen gibt man Ihnen nicht – oh nein! Man bewundert Ihren großartigen Geist; man lobt Sie, beneidet Sie!«

»Vielen Dank für ein solches Lob.«

»Ich habe die Geschichte von einem Herrn, der beim Kampf zugegen war. Er sagt, das zweite und dritte Mal haben Sie dank der Beihilfe des Mannes, der den Sack hielt, die Kugel am Gefühl erkannt.«

»Und Sie sind überzeugt, daß dies die Wahrheit ist?«

»Fest überzeugt. Kein Ehrenmann hätte es an Ihrer Stelle anders gemacht. Doch rate ich Ihnen, sich bei der Zusammenkunft, die Sie mit Ihrem Manne haben werden, wohl in acht zu nehmen; denn Sie werden Spione auf Ihren Fersen haben. Wenn Sie wollen, stehe ich Ihnen zu Diensten.«

Es gelang mir, mich selber zu beherrschen und nicht der Entrüstung nachzugeben, die eine solche Sprache in mir erregte. Ich bewahrte meine Kaltblütigkeit, nahm aber mit verächtlicher Miene, ohne ein Wort zu sagen, meinen Hut und ging. Irena wollte mir, wie einst in Mailand, den Ausgang verlegen; ich stieß sie jedoch hart zurück und verließ das Zimmer mit dem festen Entschluß, mich niemals wieder mit diesem elenden alten Grafen einzulassen.

Die Verleumdung verletzte mich tief, obgleich ich recht gut wußte, daß sie mir nach der Denkweise oder, wenn man will, nach der Moral der Spieler viel Ehre machte. Nach dem, was Passano und Rinaldi mir gesagt hatten, konnte ich nicht daran zweifeln, daß die Geschichte allgemein bekannt war. Daß man daran glaubte, wunderte mich durchaus nicht. Ich hatte aber vollkommen ehrlich gehandelt, und ich konnte daher nicht zugeben, für einen Gauner gehalten zu werden, da ich mir doch meiner Ehrenhaftigkeit bewußt war.

Ich hatte das Bedürfnis, mein Herz auszuschütten, und ging daher nach der Strada Balbi, um dem Marchese Grimaldi einen Besuch zu machen und mit ihm über die Angelegenheit zu sprechen. Der hohe Herr war nicht zu Hause; er war zu einer Sitzung in den Regierungspalast gegangen. Ich ließ mich dorthin führen, und sobald er von meiner Anwesenheit erfuhr, kam er in eine Art von Wartesaal, worin ich mich befand, und begrüßte mich auf das freundlichste. Als ich ihm erzählt hatte, was für eine Geschichte über mich im Umlauf wäre, sagte er: »Mein lieber Chevalier, Sie müssen darüber lachen und dürfen sich nicht einmal die Mühe machen, zu widersprechen.«

»Sie raten mir also, zuzugestehen, daß ich ein Gauner bin?«

»Nein; denn nur Dummköpfe werden Sie dafür halten. Verachten Sie diese, es sei denn, daß jemand es Ihnen ins Gesicht sagt.«

»Ich möchte wohl den Patrizier kennen, der die Geschichte erzählt hat, und der dabei gewesen zu sein behauptet.«

»Ich kenne ihn nicht. Er hat unrecht getan, es zu erzählen; aber Sie würden ebenfalls unrecht haben, wenn Sie versuchten, seinen Namen zu erfahren; denn ich bin fest überzeugt, er hat durchaus nicht die Absicht gehabt, Sie zu beleidigen. Er glaubte eben gar nichts Böses von Ihnen zu sagen.«

»Ich bewundere solche Auffassung, aber sie verwirrt mich, denn ich begreife durchaus nicht, worauf sich eine solche Ansicht gründet. Nehmen wir, bitte, einmal an, die Sache wäre so, wie man sie erzählt, und sagen Sie mir, ob Sie glauben, daß sie mir Ehre machen würde?«

»Weder Ehre noch Schande. So sind nun einmal unsere Sitten; so denkt man hier allgemein über die Glücksspiele. Man wird lachen, man wird Sie rühmen, ja man wird Sie sogar lieben; denn ein jeder wird sagen, er hätte es an Ihrer Stelle ebenso gemacht.«

»Sie auch?«

»Ja. Wäre ich gewiß gewesen, daß in der Kugel sich die Harlequine befand, so hätte ich gerade so, wie Sie es getan haben, die Bank gesprengt. Ich will Ihnen aufrichtig sagen: ich weiß nicht, ob Sie durch Glück oder durch Geschicklichkeit gewonnen haben; aber wenn ich ein Urteil fällen sollte, das auf Wahrscheinlichkeit gegründet wäre, so würde ich sagen, daß Sie die Kugel gekannt haben. Geben Sie zu, daß ich richtig denke!«

»Ich gebe es zu, aber Ihre Anschauung ist trotzdem eine für mich entehrende Annahme; Sie werden daher Ihrerseits zugeben, daß alle diejenigen, die die Vermutung hegen, ich hätte durch Geschicklichkeit oder durch ein Einverständnis mit einem Spitzbuben gewonnen, mich beleidigen.«

»Das kommt auf die Auffassung an. Ich gebe zu, daß sie Sie beleidigen, wenn Sie sich beleidigt fühlen; dies können sie jedoch nicht vermuten, und wenn sie keine Ahnung haben, daß solche Annahme Sie verletzt, und wenn sie durchaus nicht die Absicht haben, Sie zu verletzen, so kann keine Beleidigung vorliegen, übrigens verspreche ich Ihnen, daß Sie keinen Menschen finden werden, der so unvorsichtig wäre, Ihnen zu sagen, Sie hätten einen betrügerischen Gewinn gemacht. Aber sagen Sie mir, ob es möglich ist, irgendeinen Menschen zu verhindern, so zu denken?«

»Gut. Mag man es denken, man hüte sich aber, es mir zu sagen!«

Ich ging nach Hause. Ich war ärgerlich auf Grimaldi, auf Rinaldi, auf die ganze Welt und besonders auf mich selber: ich ärgerte mich, daß ich mich ärgerte, denn schließlich hätte ich einfach über die ganze Geschichte lachen können, da ich wußte, daß ich unschuldig war, und daß bei der Sittenverderbnis, die jedes Urteil beeinflußte, diese Geschichte, einerlei, ob sie wahr oder falsch war, meine Ehre nicht berühren konnte. Im Gegenteil, dieses Abenteuer brachte mich in den Ruf eines geistreichen Mannes in einem Sinne, der in Genua noch mehr als an jedem anderen Ort den unangenehmen Begriff veredelt, den die Jansenisten mit dem Worte Gauner verbinden. Schließlich überraschte ich mich selber bei dem Gedanken, daß ich mir gar kein Gewissen daraus gemacht hätte, die Biribibank zu sprengen, wenn der Mann mit dem Sack mir vorher einen derartigen Vorschlag gemacht hätte – wäre es auch nur gewesen, um eine liebenswürdige Gesellschaft lachen zu machen. Vielleicht ärgerte es mich bei der ganzen Geschichte am meisten, daß man mir eine Heldentat zuschrieb, deren Verdienst ich nicht beanspruchen konnte.

Da es bald Zeit zum Mittagessen war, bemühte ich mich, meine schlechte Laune zu überwinden; denn ich hatte die Verpflichtung, für die Erheiterung der liebenswürdigen Gesellschaft zu sorgen, die ich bei mir sehen sollte. Meine Nichte erschien nur mit ihren Reizen geschmückt; denn sie hatte weder Perlen noch Brillanten, da ihr unglückseliger Croce alles verkauft hatte. Aber sie war elegant angezogen und sehr gut frisiert, und ihr prachtvolles Haar war kostbarer als ein Rubinschmuck.

Einige Augenblicke später kam Rosalie; sie war reich geschmückt und noch sehr schön. In ihrer Begleitung kamen ihr Mann und dessen Oheim nebst seiner Frau, sowie zwei Freunde, von denen der eine der Anbeter meiner schönen Marseillerin war.

Signora Isolabella und ihr unzertrennlicher Schatten, Marchese Grimaldi, kamen spät, wie es in der vornehmen Gesellschaft üblich ist.

Gerade als wir uns zu Tische setzen wollten, meldete Clairmont mir, ein Mann möchte mit mir sprechen.

»Lassen Sie ihn hereinkommen.«

Kaum war er eingetreten, so rief Herr von Grimaldi: »Das ist ja der Mann mit dem Sack!«

»Was wollen Sie von mir?« sagte ich kurz.

»Mein Herr, ich möchte Sie um eine Unterstützung bitten. Ich bin Familienvater; man glaubt, ich ...«

Ich ließ ihn nicht ausreden, sondern sagte: »Ich habe niemals einem Unglücklichen eine Unterstützung verweigert. Clairmont, geben Sie dem Mann zehn Zechinen. – Gehen Sie!«

Dieser Vorfall war mir erwünscht; er trug dazu bei, mir meine gute Laune wiederzugeben.

Wir setzten uns zu Tisch, und in demselben Augenblick übergab man mir einen Brief. Da ich Passanos Handschrift erkannte, so steckte ich ihn uneröffnet in die Tasche.

Mein Mittagsmahl war glänzend und lecker. Mein Koch verdiente sich damit die Rittersporen. Signora Isolabella nahm zwar durch ihren hohen Rang und ihren glänzenden Schmuck den ersten Platz ein; sonst aber wurde sie durch meine beiden Nichten in den Schatten gestellt. Der junge Genueser bemühte sich auf das aufmerksamste um seine schöne Marseillerin; ich sah deutlich, daß sie nicht unempfindlich dagegen war, und erblickte darin ein gutes Zeichen. Ich wünschte aufrichtig, daß sie sich in irgend jemanden verlieben möchte; ich liebte sie sehr, und darum schmerzte mich ihr Gedanke, sich in einem Kloster begraben zu wollen. Sie konnte nur wieder glücklich werden, wenn sie den Unseligen vergaß, der sie an den Rand der Schande gebracht hatte.

Als beim Essen meine Gäste einen Augenblick miteinander beschäftigt waren, wurde ich neugierig den Brief zu lesen, den Passano mir geschrieben hatte. Ich las folgendes:

»Ich bin auf die Bank gegangen, um das Goldstück zu wechseln, das Sie mir gaben. Man hat es gewogen und festgestellt, daß zehn Karat am richtigen Gewicht fehlen. Man hat von mir verlangt, daß ich angeben solle, von wem ich die Münze erhalten habe; natürlich habe ich mich geweigert, diesem Verlangen zu entsprechen. Ich habe mich also ins Gefängnis bringen lassen, und wenn Sie nicht ein Mittel finden, mich daraus zu befreien, so wird man einen Kriminalprozeß gegen mich anstrengen; Sie begreifen jedoch, daß ich mich nicht hängen lassen darf.«

Ich gab den Brief dem Marchese Grimaldi; als wir vom Tische aufgestanden waren, nahm er mich beiseite und sagte zu mir: »Das ist eine sehr üble Geschichte, denn sie muß den Menschen, der das Goldstück beschnitten hat, geraden Weges zum Galgen führen.«

»Nun, so wird man eben die Biribi-Halter hängen. Es wird nicht eben Schade um sie sein.«

»Dann wäre aber Signora Isolabella bloßgestellt, denn das Biribi ist streng verboten. Ich werde mit den Staatsinquisitoren sprechen; lassen Sie mich nur machen. Schreiben Sie Passano, er solle auch weiterhin schweigen, und versichern Sie ihm, daß Sie für alles aufkommen. Das Münzgesetz wird gerade in bezug auf diese Goldstücke strenge gehandhabt, weil die Regierung wünscht, daß diese Goldstücke in Ansehen bleiben; darum will sie die Münzenbeschneider durch ein strenges Beispiel erschrecken.«

Nachdem ich Passano geschrieben hatte, ließ ich eine Wage kommen. Wir wogen alle Goldstücke, die ich im Biribi gewonnen hatte, und fanden, daß sie ohne Ausnahme beschnitten waren. Herr von Grimaldi übernahm es, sie zerschneiden zu lassen und an einen Goldschmied zu verkaufen.

Als wir in den Saal zurückkehrten, fanden wir alle meine Gäste schon beim Kartenspielen. Herr von Grimaldi schlug mir eine Partie Quinze zu zweien vor. Dies ist ein unangenehmes Spiel, das mir stets mißfallen hat; ich war jedoch der Gastgeber und nahm daher aus Höflichkeit die Aufforderung an. In vier Stunden verlor ich fünfhundert Zechinen.

Am nächsten Tage kam Grimaldi zu mir und sagte mir, Passano sei aus dem Gefängnis entlassen worden und man habe ihm den Wert des Goldstücks vergütet. Zugleich übergab er mir dreizehnhundert Zechinen, die er aus dem Verkauf meines Goldes gelöst hätte. Wir kamen überein, daß ich am nächsten Tage Signora Isolabella besuchen solle, und daß er mir dann Revanche im Quinze geben wolle.

Ich war nach meiner Gewohnheit pünktlich zur Stelle und verlor dreitausend Zechinen; von diesen bezahlte ich ihm am nächsten Tage tausend, für die anderen zweitausend gab ich ihm Wechsel mit meinem Akzept. Als die Wechsel fällig waren, befand ich mich in England in mißlichen Vermögensumständen und mußte sie daher protestieren lassen. Als ich fünf Jahre später in Barcelona war, wurde Herr von Grimaldi durch einen Halunken angestiftet, mich in Schuldhaft nehmen zu lassen, obgleich er an meiner Ehrenhaftigkeit nicht zweifelte und überzeugt war, daß ich ihn nur aus Mangel an Mitteln nicht bezahlte. Er trieb sogar das Zartgefühl so weit, daß er mir einen sehr höflichen Brief schrieb, worin er mir den Namen meines Feindes mitteilte und mir versicherte, daß er niemals das Geringste unternehmen würde, um mich zur Zahlung zu zwingen. Dieser Feind war Passano, der damals sich in Barcelona aufhielt, ohne daß ich es wußte. Ich werde später darauf zu sprechen kommen; doch kann ich mir nicht versagen, schon hier eine traurige Beobachtung mitzuteilen – daß nämlich alle, die ich zur Beihilfe an dem tollen Betruge gegen Madame d'Urfé heranzog, mich verraten haben, mit Ausnahme einer jungen Venetianerin, die der Leser im nächsten Kapitel kennen lernen wird.

Trotz meinen Verlusten lebte ich gut, und es fehlte mir nicht an Geld; denn schließlich hatte ich nur verloren, was ich im Biribi gewonnen hatte. Rosalie kam oftmals, entweder allein oder mit ihrem Gatten, zu mir zum Mittagessen, und ich speiste regelmäßig bei ihr zu Abend mit meiner Nichte, deren Liebschaft Fortschritte machte. Ich sagte ihr dieses, indem ich ihr Glück wünschte, aber sie behauptete stets, ein Kloster werde bald ihr Zufluchtsort sein; ihr Entschluß in dieser Hinsicht stehe unerschütterlich fest. Die Frauen begehen oft aus Starrsinn die widersinnigsten Handlungen; es kann wohl sein, daß sie sich selber einer Täuschung hingeben und ihre Irrtümer in gutem Glauben begehen. Wenn dann aber der Schleier zerreißt, sieht ihr Auge nur noch die Tiefe des Abgrundes, in den sie sich gestürzt haben, weil sie nicht auf die Ratschläge der Vernunft hörten.

Unterdessen hatte meine Nichte eine freundschaftliche Zuneigung zu mir gefaßt, und seitdem ich Annina hatte, war ihr Vertrauen so erstarkt, daß sie sich oftmals morgens auf den Rand meines Bettes setzte, während die Kleine noch in meinen Armen lag. Ihre Gegenwart fachte meine Glut zu neuer Flamme an, und ich löschte diese mit der Blonden, während meine Blicke die Braune verschlangen. Dieser schienen unsere Liebkosungen Genuß zu bereiten, und ich las in ihren Augen, daß ihre Sinne ein süßes Martyrium erlitten. Da Annina sehr kurzsichtig war, so merkte sie nichts von meinen Zerstreuungen, und meine Nichte ließ sich zu leichten Liebkosungen herbei, da sie wußte, daß sie dadurch meinen Genuß vermehrte. Wenn sie mich für erschöpft hielt, bat sie Annina aufzustehen und sie mit mir allein zu lassen, da sie mir etwas zu sagen habe. Dann lachte und scherzte sie mit mir; obwohl sie ganz leicht gekleidet war, bildete sie sich ein, daß ihre Reize keine Macht über mich ausüben könnten, oder wenigstens nicht bis zu dem Grade, um mich für sie gefährlich zu machen. Sie täuschte sich; aber ich dachte natürlich nicht daran, ihr ihren Irrtum zu benehmen, weil ich befürchtete, dadurch ihr Vertrauen zu verlieren, übrigens bereitete ich durch diese Handlungsweise nur meinen Sieg vor, denn die Fortschritte, die ich in ihrer Freundschaft machte, gaben mir die Gewißheit, daß sie sich schließlich mir doch ergeben würde, wenn auch nicht während unseres Aufenthaltes in Genua, so doch auf der Reise, wo wir beständig in der größten Ungezwungenheit beisammen sein und in jenem süßen Müßiggange leben würden, dessen natürliche Folge die Selbstvergessenheit ist. Dann wird man müde, sich anzustrengen, zu denken, zu plaudern und sogar zu lachen. Die Bewegung der Reise, die ungewohnte Ernährung und die körperliche Nähe erhitzen das Blut; man läßt sich gehen und tut irgend etwas, gewissermaßen nur, um sich zu versichern, daß man noch am Leben ist, und weil man nicht so viel Tatkraft hat, Widerstand zu leisten. Wenn dann später die Überlegung hinzutritt, ist man gewöhnlich ganz froh, daß es so gekommen ist.

Aber die Geschichte meiner Reise von Genua nach Marseille stand im großen Buche des Schicksals geschrieben, das ich nicht kennen konnte, da ich es niemals gelesen hatte. Ich wußte nur, daß ich abreisen mußte; denn Frau von Urfé erwartete mich in Marseille. An diese Reise knüpften sich entscheidende Kombinationen, von denen das Schicksal des allerhübschesten Geschöpfes abhängen sollte, einer Venetianerin, die mich nicht kannte, und von deren Existenz ich keine Ahnung hatte; trotzdem war ich vom Schicksal dazu bestimmt, das Werkzeug ihres Glückes zu sein. Das Geschick hatte mich augenscheinlich nur deshalb so lange in Genua zurückgehalten, um auf sie zu warten.

Da ich meine Abreise auf den zweiten Ostertag festgesetzt hatte, so hatte ich noch sechs Tage vor mir. Ich rechnete mit dem Bankier ab, an den Greppi mich gewiesen hatte, und nahm einen Kreditbrief auf Marseille, obgleich es mir dort an Mitteln nicht fehlen konnte, weil ja meine Großschatzmeisterin, Frau von Urfé, da war. Ich verabschiedete mich bei Signora Isolabella und ihren Freunden, um meine ganze Zeit Rosalien und ihrer Familie widmen zu können.

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