Achtes Kapitel

Ich lasse meinen Bruder, den Abbate, aus Paris ausweisen. – Frau du Rumain bekommt durch meine Kabbala ihre Stimme wieder. – Ein schlechter Spaß. – Die Corticelli. – Ich nehme den kleinen Aranda mit nach London. – Ankunft in Calais.

Frau von Urfé empfing mich wie immer mit offenen Armen; dies- mal aber überraschte sie mich, indem sie sofort nach der Be- grüßung dem kleinen Aranda befahl, aus ihrem Arbeitszimmer den versiegelten Brief zu holen, den sie ihm am Morgen übergeben habe.

Ich öffnete diesen Brief, der von demselben Tage datiert war, und las:

»Mein Genius hat mir bei Tagesanbruch gesagt, daß Galtinardo von Fontainebleau abfährt und daß er noch heute bei mir zu Mittag speisen wird.«

Der Zufall hatte die Wahrheit gesprochen; aber solche Dinge sind mir hundertmal in meinem Leben begegnet – Dinge, die ganz ausgezeichnet sind, um anderen Leuten, aber nicht mir, den Kopf zu verdrehen. Ich gestehe, daß diese Dinge mich in Erstaunen versetzt haben; aber sie haben mich niemals dazu veranlaßt, meine Vernunft aufzugeben. Man behauptet irgend etwas, das man erraten hat, und zieht daraus die Folgerung, daß man eine prophetische Gabe besitze; aber man spricht nicht von den tausend Fällen, in denen die Ereignisse die Weissagungen zuschanden gemacht haben. Vor ungefähr sechs Monaten ging ich die törichte Wette ein, daß eine Hündin am nächsten Tage fünf Junge werfen würde, und zwar lauter weibliche. Ich gewann. Alle Welt erklärte das für ein Wunder, nur ich nicht. Denn wenn der Zufall nicht meine Kühnheit begünstigt hätte, wäre ich der erste gewesen, der darüber gelacht hätte, damit die Lacher sich nicht über meine Zuversicht lustig machen möchten.

Selbstverständlich bewunderte ich die Weisheit ihres Schutzgeistes, und teilte lebhaft die Freude, die Frau von Urfé darüber empfand, während ihrer Schwangerschaft so gesund zu sein. Überzeugt, daß ich kommen würde, hatte die gute Närrin allen Gästen, die an diesem Tage bei ihr speisen sollten, unter dem Vorwand eines Unwohlseins absagen lassen. Wir verbrachten daher den ganzen Nachmittag unter vier Augen und beschäftigten uns damit, die Mittel zu finden, wie wir den kleinen Aranda veranlassen könnten, freiwillig nach London zu gehen. Da ich durchaus nicht wußte, wie das zu erreichen wäre, so waren alle Antworten des Orakels dunkel, verworren und hatten einen doppelten oder dreifachen Sinn. Frau von Urfé hatte eine große Abneigung dagegen, ihm zu sagen, daß er reisen müsse. Ich mochte daher nicht mit ihrem Gehorsam Mißbrauch treiben und sah ein, daß ich mir den Kopf zerbrechen müßte, um den kleinen Mann dahin zu bringen, daß er selber es als eine Gunst erbäte, die Reise machen zu dürfen.

Da ich das Bedürfnis hatte, mich zu zerstreuen, ging ich in die italienische Komödie, wo ich Frau du Rumain fand. Sie war entzückt, mich wieder in Paris zu sehen, und sagte zu mir: »Ich fühle das größte Bedürfnis, Ihr Orakel um Rat zu fragen. Und ich beschwöre Sie, besuchen Sie mich morgen!«

Natürlich versprach ich ihr das gern.

Die Vorstellung interessierte mich wenig, denn das gespielte Stück gefiel mir nicht. Ich wäre fortgegangen, wenn ich nicht gewünscht hätte, das Ballett zu sehen. Daß dieses für mich ganz besonders interessant sein würde, hatte ich allerdings nicht erwartet. Man stelle sich meine Überraschung vor, als ich unter den Figurantinnen die Corticelli entdeckte! Ich bekam Lust, mit ihr zu sprechen; nicht als ob sie in mir irgend einen verliebten Wunsch erweckt hätte, sondern weil ich neugierig war, ihre Abenteuer kennen zu lernen. Als ich hinausging, begegnete ich dem guten Baletti, der sich vom Theater zurückgezogen hatte und in allen Ehren von einer Pension lebte. Nachdem ich ihn umarmt und mich erkundigt hatte, wie es ihm gehe, sprach ich mit ihm über die Corticelli; er sagte mir ihre Wohnung und erzählte mir, daß es ihr sehr traurig gehe.

Zum Abendessen ging ich zu meinem Bruder; er und seine Frau waren sehr erfreut, mich wiederzusehen, und beide wünschten sich Glück, daß ich gerade zur rechten Zeit gekommen sei, unseren Bruder, den Abbate, zu überreden, daß er freiwillig ihr Haus verlasse; denn sie seien sonst entschlossen, ihn hinauszuwerfen.

»Wo ist er?«

»Du wirst ihn gleich sehen; denn es ist die Stunde des Abendessens, und da Essen und Trinken für ihn die beiden wichtigsten Angelegenheiten dieser Welt sind, so wird er ganz bestimmt kommen.«

»Was hat er dir getan?«

»Er hat alle schlechten Streiche verübt, deren ein Taugenichts fähig ist. Aber da kommt er; ich werde dir alles in seiner Gegenwart erzählen.«

Der Abbate war erstaunt, mich zu sehen; er machte mir ein Kompliment, obgleich ich ihn nicht ansah, und fragte mich, was ich gegen ihn hätte.

»Was ein Ehrenmann gegen ein Ungeheuer haben kann! Ich besitze den Brief, den du an Passano geschrieben hast, und wonach ich ein Betrüger, ein Spion, ein Dukatenbeschneider, ein Giftmischer bin. Was sagt Herr Abbate dazu?«

Er antwortete nicht und setzte sich zu Tisch.

Hierauf erzählte mein anderer Bruder mir folgendes:

»Als dieser schöne Herr zu mir kam, empfing ich ihn mit Freuden, und meine Frau nahm ihn auf das freundschaftlichste auf. Ich gab ihm ein sehr sauberes Zimmer und bat ihn, mein Haus als das seinige zu betrachten. Wohl um uns zu seinen Gunsten einzunehmen, sagte er uns sofort, du seiest der größte Schuft von der Welt. Um uns dies zu beweisen, erzählte er uns: er habe ein junges Mädchen aus Venedig entführt, das er habe heiraten wollen; in Genua habe er dich aufgesucht, weil er sich mit ihr in der drückendsten Not befunden habe. Allerdings hat er anerkannt, daß du ihn sofort aus dem Elend errettest habest. Du habest dich jedoch verräterischerweise seiner Schönen bemächtigt und sie zu zwei anderen Mädchen gesellt, die du bereits gehabt habest. Du habest in seiner Gegenwart bei ihr geschlafen und habest ihn aus Marseille fortgeschickt, um dich ungestört mit ihr belustigen zu können. Er hat seine häßliche Geschichte damit geschlossen, daß er uns sagte: wegen der Entführung des jungen Mädchens könne er nicht nach Venedig zurückkehren; er sei daher auf uns angewiesen, bis er die Möglichkeit gefunden habe, von seinen Talenten oder von seinem Priesterberuf zu leben. Ich fragte ihn, was für Talente dies seien, und er antwortete mir, er werde italienischen Unterricht geben. Da wir nun aber sahen, daß er selber sehr schlecht italienisch spricht, so lachten wir über sein Vorhaben, als wir erfuhren, daß er kein Wort französisch versteht. Es blieb also nur sein Priesterberuf übrig, und gleich am nächsten Tage sprach meine Frau mit Herrn de Sauci, dem Schatzmeister der geistlichen Pfründen. Sie bat ihn, unseren Bruder dem Erzbischof von Paris vorzustellen, der ihm vielleicht eine Anstellung in seinem Dienst geben würde, bis er sich einer guten Pfründe würdig gezeigt hätte. Zu diesem Zweck mußte er unsere Pfarrkirche besuchen. Ich sprach mit dem Pfarrer von St.-Sauveur, und dieser versprach mir, sich für ihn zu interessieren. Er nannte mir die Stunde, zu der er die Messe lesen könnte, wofür er das übliche Almosen von zwölf Sous erhalten würde. Das war ein guter Anfang, der zu Besserem führen konnte. Als wir aber unserem Bruder von dem Erfolg unserer Bemühungen Mitteilung machten, da geriet der Herr Abbate in Zorn und sagte, er sei nicht der Mann, für zwölf Sous Messen zu lesen oder einem Bischof den Hof zu machen in der Hoffnung, dadurch in dessen Dienste eintreten zu können, denn er wolle in keines Menschen Dienst stehen. Wir waren entrüstet, verbargen jedoch unseren Ärger. Nun hat aber der Bursche in den drei oder vier Wochen, seitdem er hier ist, es fertig gebracht, unser ganzes Haus auf den Kopf zu stellen. Infolgedessen hat gestern die Kammerzofe meiner Frau zu unserem großen Bedauern uns verlassen, und die Köchin will fortgehen, weil er sie fortwährend in der Küche belästigt. Darum sind wir fest entschlossen, ihn fortzuschicken, um so mehr, da seine Gesellschaft uns unerträglich ist. Ich bin über deine Ankunft hocherfreut, denn ich hoffe, wir werden zusammen ein Mittel finden, ihn fortzuschicken, und je eher dies geschieht, desto besser wird es sein.«

»Nichts ist leichter als das!« antwortete ich. »Wenn er in Paris bleiben will, so mag er das tun; aber schicke schon morgen seine Sachen in ein möbliertes Zimmer und laß ihm zugleich ein polizeiliches Verbot zustellen, daß er dein Haus nicht wieder betreten darf. Will er abreisen, so möge er sagen, wohin. Ich verpflichte mich, ihm noch heute Abend, bevor ich gehe, die Reise zu bezahlen.«

»Man kann nicht nobler sein! Nun, Abbate, was sagst du dazu?«

»Ich sage: es ist genau ebenso, wie Giacomo mich aus Marseille fortgeschickt hat. Es ist sein Stil: Gewalttätigkeit, Despotismus!«

»Scheusal, danke Gott, daß ich statt Prügel dir Geld geben will. Erinnere dich, daß du versucht hast, mich in Lyon an den Galgen zu bringen.«

»Wo ist Marcolina?«

»Habe ich dir Rechenschaft zu geben? Schnell, wähle: Rom oder Paris? Aber in Paris bekommst du keinen Heller.«

»Ich werde nach Rom gehen.«

»Schön. Die Reise kostet für einen einzelnen Menschen nur zwanzig Louis; aber ich werde dir fünfundzwanzig geben.«

»Wo sind sie?«

»Das wirst du gleich sehen. Bitte, gib mir Papier, Tinte und eine Feder.«

»Was willst du schreiben?«

»Anweisungen auf Lyon, Turin, Genua, Florenz und Rom. Für die Reise nach Lyon wird für dich morgen ein Platz im Eilwagen bezahlt sein; nach deiner Ankunft erhältst du dort fünf Louis: die gleiche Summe wird dir in jeder der vier anderen Städte ausbezahlt werden; solange du aber hier in Paris bist, hast du keinen Heller von mir zu erhoffen. Ich wohne im Hotel Montmorency; weiter brauchst du nichts zu wissen.«

Hierauf grüßte ich meinen Bruder und dessen Frau und sagte ihnen auf Wiedersehen. Checco, so hieß mein Bruder, der Maler, mit seinem Kosenamen, sagte mir, er werde mir am nächsten Tage den Koffer des Abbate zuschicken; ich sagte ihm, er solle dies unter allen Umständen tun und sich im übrigen ganz auf mich verlassen.

Am anderen Tage kam der Koffer und mit ihm der Abbate. Ohne ihn anzusehen, ließ ich ihm ein Zimmer geben, indem ich dem Wirt mit lauter Stimme sagte, ich wolle drei Tage lang, aber nicht eine Stunde länger, für Wohnung und Essen des Abbate bürgen. Dieser wollte mit mir sprechen, aber ich verwies ihn in hartem Ton auf den nächsten Tag und verbot in seiner Gegenwart meinem Clairmont nachdrücklich, ihn in mein Zimmer eintreten zu lassen.

Hierauf begab ich mich zu Frau du Rumain; der Schweizer sagte zu mir: »Mein Herr, alles schläft noch. Aber wer sind Sie? Ich habe einen Befehl.«

»Der Chevalier de Seingalt.«

»Bitte, treten Sie hier in meine Loge ein und unterhalten Sie sich mit meiner Nichte. Ich bin gleich wieder hier.«

Ich trete ein und finde ein reizendes junges Mädchen, sehr sauber gekleidet und mit lustigem Gesicht.

»Mein Fräulein, Ihr Oheim hat mir gesagt, ich solle mich mit Ihnen unterhalten.«

»Mein Onkel ist komisch, er hat weder mich noch Sie vorher gefragt.«

»Allerdings nicht; aber er hat erraten, daß ich nicht erst befragt zu werden brauchte, um Sie sehr hübsch zu finden.«

»Sehr schmeichelhaft, mein Herr! Aber ich weiß, was Komplimente wert sind.«

»Ich bezweifle nicht, daß man Ihnen dieses Kompliment oft gemacht hat; aber Sie verdienen es wirklich.«

»Das freut mich; aber ein Verdienst ist dies nicht.«

»Sie sind streng, mein Fräulein.«

»Wenn Sie vernünftig sind, werden Sie mir das nicht als Verbrechen anrechnen.«

Das Gespräch begann mich ebensosehr zu interessieren wie die schönen Augen der jungen Nichte; zum Glück machte der Oheim der Sache ein Ende, indem er mich bat, ihm zu folgen. Er führte mich zur Kammerfrau, die brummend einen Rock überwarf.

»Was haben Sie denn, mein schönes Fräulein? Sie scheinen nicht bei guter Laune zu sein.«

»Sie hätten wohl um zwölf Uhr kommen können! Es ist noch nicht neun Uhr, und die Gnädige ist erst um drei nach Hause gekommen. Es tut mir leid um sie; ich werde sie wecken.«

Ich wurde sofort in das Schlafzimmer geführt, und obgleich die Gräfin ihre Augen noch nicht ganz offen hatte, dankte sie mir, daß ich sie hätte wecken lassen, während ich sie zugleich um Entschuldigung bat, daß ich sie in ihrem Schlaf gestört hätte.

»Raton!« rief sie; »gib uns Schreibzeug und geh! Du kommst nicht eher herein, als bis ich dich rufe. Und vergiß nicht, daß ich für jedermann noch schlafe. «

»Gut, gnädige Frau, ich werde ebenfalls schlafen!«

»Mein lieber Herr, wie kommt es, daß das Orakel uns betrogen hat? Mein Mann lebt noch, und er sollte doch schon vor sechs Monaten sterben. Allerdings befindet er sich nicht eben wohl! Doch danach werden wir später fragen. Ich werde Ihnen gleich sagen, worauf es mir jetzt hauptsächlich ankommt. Wie Sie wissen, ist die Musik meine Leidenschaft; meine Stimme ist wegen ihres Umfanges und wegen ihrer Stärke berühmt. Nun, mein lieber Freund, ich habe sie verloren; seit drei Monaten singe ich nicht mehr. Man hat mich mit Arzneien vollgestopft, die alle nichts genützt haben. Ich bin untröstlich! Ich bin unglücklich, denn der Gesang war der einzige Genuß, der mir mein Leben lieb machte. Ich flehe Sie an: fragen Sie das Orakel nach einem Heilmittel, das mir die Stimme wieder verschafft. Wie glücklich wäre ich, wenn ich singen könnte – womöglich gleich morgen! Ich werde zahlreiche Gesellschaft bei mir haben, und ich würde mich an dem allgemeinen Erstaunen erfreuen. Wenn das Orakel will, so bin ich überzeugt, es ist auch möglich. Denn ich habe eine ausgezeichnete Brust. Da haben Sie die Frage! Sie ist lang, aber um so besser; die Antwort wird ebenfalls lang sein, und ich habe lange Antworten gerne.«

Ich liebte zuweilen ebenfalls lange Fragen, weil ich beim Bau der Pyramide Zeit hatte, darüber nachzudenken, was ich antworten sollte. Im Falle der Madame du Rumain handelte es sich um ein Heilmittel gegen ein leichtes Übel. Aber ich war kein Arzt und kannte keines. Außerdem durfte, der Kabbala zu Ehren, das Orakel sich nicht in den ausgefahrenen Geleisen der Heilkunst bewegen. Ich begriff bald, daß eine vernünftige Lebensweise ihre Kehle wieder in den normalen Zustand bringen würde, und jeder denkende Arzt hätte dieses Wunder bewirken können. Ich jedoch bedurfte des imponierenden Apparates eines Scharlatans, und zwar gerade darum, weil ich auf eine Frau von Geist, wenn auch von befangenem Geist, einwirken mußte. Ich verfiel daher darauf, ihr einen Sonnenkultus zu verordnen, und ich setzte diesen auf eine Stunde an, die sie zu einer Lebensweise nötigte, welche sie gesund machen konnte und die sie pünktlich befolgen mußte, ohne daß ich ihr es besonders vorschrieb.

Demgemäß erklärte das Orakel: sie werde ihre Stimme in einundzwanzig Tagen, vom Tage des Neumondes an gerechnet, wieder erhalten, wenn sie jedem Tag in einem Zimmer, das mindestens »ein« Fenster nach Osten habe, der aufgehenden Sonne einen Kultus darbringe.

Ein zweites Orakel gebot ihr, den Kultus nur nach einem siebenstündigen, ununterbrochenen Schlaf darzubringen. Die Stunden des Schlafes entsprachen der Anzahl der Planeten. Bevor sie zu Bette gehe, solle sie dem Monde ein Badeopfer bringen, indem sie ihre Beine bis zu den Knien in lauwarmem Wasser halte. Ferner bezeichnete ich ihr die Psalmen, die sie hersagen müsse, um sich den Mond geneigt zu machen, sowie andere, die sie bei Sonnenaufgang hinter einem geschlossenen Fenster hersagen müsse.

Diese letzte Vorschrift erfüllte sie mit Bewunderung. Sie sagte: »Das Orakel hat sehr richtig vorausgesehen, daß ich mich bei offenen Fenstern hätte erkälten können. Ich werde alles tun, was das Orakel mir vorschreibt; aber ich flehe Sie an, mein lieber Freund, besorgen Sie alles, was für den Kultus notwendig ist.«

»Ich werde Ihnen nicht nur alles besorgen, sondern um Ihnen einen Beweis meines Eifers zu geben, werde ich selber am ersten Tage die Räucherungen vornehmen, damit Sie lernen, wie es gemacht wird. Denn die Anwesenheit von Frauen ist durch die Art dieser beiden Kulte ausgeschlossen.«

Sie nahm meine Anerbietungen mit sichtlicher Dankbarkeit an. Eine solche hatte ich allerdings erwartet, denn ich wußte, daß man gerade den geringsten Diensten einen unendlichen Wert beimißt. Dies ist das große Geheimnis, um in der Welt Glück zu haben, besonders bei den Damen der großen Gesellschaft.

Da schon am nächsten Tage Neumond war, der erste Tag für ihren Kultus, so ging ich um neun Uhr abends zu ihr; denn um sieben Stunden schlafen zu können, bevor sie der aufgehenden Sonne opferte, mußte sie vor zehn Uhr zu Bette gehen. Die Beobachtung aller dieser Kleinigkeiten war wichtig, wie ein jeder begreifen wird. Ich war überzeugt, daß die Dame, wenn überhaupt, nur durch eine vernünftige Lebensweise ihre Stimme wieder erlangen konnte. Ich täuschte mich nicht in meinen Mutmaßungen und erfuhr in London den glücklichen Erfolg meiner Methode durch einen Brief, der aus jeder Zeile herzliche Dankbarkeit atmete.

Frau du Rumain, deren Tochter den Fürsten Polignac heiratete, liebte das Vergnügen und besuchte gern große Soupers. Infolgedessen konnte sie nicht immer vollkommen gesund sein, und sie hatte ihre Stimme verloren, indem sie ihr zu große Anstrengungen zugemutet hatte. Als sie sie durch ein Verfahren wieder erlangt hatte, das sie dem Einfluß der Geister zuschrieb, lachte sie die vernünftigen Leute aus, die ihr sagten, die Magie sei eine chimärische Wissenschaft.

Ich fand bei Frau von Urfé einen Brief von Teresa Imer. Sie schrieb, sie sei entschlossen, nach Paris zu kommen, um ihren Sohn abzuholen, wenn ich ihn nicht zu ihr brächte. Sie verlangte eine bestimmte Antwort. Ich wünschte mir nichts Besseres, aber ich fand Teresa sehr unverschämt.

Ich sagte zum kleinen Aranda: »Deine Mutter erwartet uns in acht Tagen in Abdeville und wünscht dich dort zu sehen. Wir wollen miteinander hinreisen und ihr diese Freude machen.«

»Mit Vergnügen,« sagte er; »aber mit wem werde ich nach Paris zurückreisen, wenn Sie nach London gehen?«

»Sie werden ganz allein reisen,« antwortete Frau von Urfé ihm, »und zwar als Postillon gekleidet.«

»Zu Pferde! O, welches Vergnügen!«

»Aber Sie werden täglich nur acht oder zehn Stationen reiten, denn Sie brauchen nicht ihr Leben zu riskieren, indem Sie bei Nacht reiten.«

»Gern; aber nicht wahr, ich werde als Kurier gekleidet sein?«

»Ja; ich werde Ihnen eine schöne Jacke und Lederhosen machen lassen und werde Ihnen eine prachtvolle Satteltasche mit dem Wappen von Frankreich schenken.«

»Man wird mich für einen Kabinettskurier halten, und ich werde sagen, ich komme von London.«

Ich war überzeugt, daß ich nur einige Schwierigkeiten einzuwenden brauchte, um seinen Entschluß unerschütterlich zu machen. Darum erklärte ich in mißbilligendem Ton, ich würde niemals meine Einwilligung dazu geben, denn das Pferd könnte stürzen und er den Hals brechen. Ich ließ mich drei Tage lang bitten, bevor ich schließlich der Fürsprache der Marquise nachgab; ich tat dies jedoch nur unter der Bedingung, daß er nur den Rückweg zu Pferde machen solle.

Da er überzeugt war, daß er nach Paris zurückkehren würde, so wollte er nur soviel Wäsche mitnehmen, wie für eine sehr kurze Reise notwendig ist. Da ich jedoch wußte, daß er mir nicht aus den Fingern kommen würde, wenn ich ihn erst einmal in Abbeville hatte, so schickte ich heimlich seinen Koffer nach Calais, wo wir ihn bei unserer Ankunft vorfanden. Die gute Frau von Urfé ließ ihm eine prachtvolle Kurierausrüstung machen, wobei auch die hohen Stiefel nicht vergessen wurden.

So war denn diese Angelegenheit, die sehr schwierig zu sein schien, durch einen reinen Zufall in Ordnung gebracht worden. Ich erkenne gern an, daß der Zufall mich manchesmal in meinem Leben ganz ohne mein Zutun ebenso gut bedient hat.

Ich ging hierauf zu einem Bankier und nahm bei ihm Kreditbriefe über große Summen auf mehrere bedeutende Londoner Bankhäuser, da ich die Absicht hatte, dort viele Bekanntschaften zu machen.

Als ich über die Place des Victoires ging, kam ich an der Wohnung der Corticelli vorbei. Aus Neugier trat ich ein. Sie war sehr erstaunt, mich zu sehen. Nach einem langen Schweigen brach sie schließlich in Tränen aus, als sie sah, daß ich nichts sagte.

»Wenn ich dich niemals gekannt hätte,« rief sie, »wäre ich nicht unglücklich.«

»Du wärest auf alle Fälle unglücklich, wenn auch in anderer Form, denn dein Unglück ist nur eine Folge deiner schlechten Aufführung. Aber laß jetzt das Weinen und sage mir, worin dein Unglück besteht.«

»Da ich mich in Turin nicht mehr halten konnte, nachdem du mich entehrt hattest...«

»Fandest du es ohne Zweifel angebracht, nach Paris zu gehen und dich hier entehren zu lassen. Aber nimm einen anderen Ton an, sonst gehe ich!«

Sie erzählte mir nun einen ganz verruchten Lebenswandel. Ich war betroffen; denn schließlich mußte ich mir doch gestehen, daß ich den ersten Anlaß zu dieser Reihe von Unglücksfällen gegeben hatte. Hieraus ergab sich für mich die moralische Notwendigkeit, der Unglücklichen zu Hilfe zu kommen, so sehr ich mich auch über sie zu beklagen haben mochte.

»Du lebst«, sagte ich ihr, »in Schimpf und Schande; eine scheußliche Krankheit verzehrt deinen Leib; du kannst jeden Augenblick auf die Straße geworfen und dann von deinen Gläubigern ins Gefängnis gebracht werden. Was gedenkst du unter diesen Umständen zu tun?« '

»Ach! Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich in die Seine zu stürzen; denn um etwas anderes tun zu können, müßte ich Geld haben, und ich besitze nicht einmal so viel, um die Ausgaben für den heutigen Tag bestreiten zu können.«

»Und wenn du Geld hättest, was würdest du dann tun?«

»Zunächst würde ich mich bemühen, gesund zu werden; wenn mir dann noch genug übrig bliebe, würde ich nach Bologna gehen, und dort würde ich leben, so gut ich könnte. Vielleicht hätte die Erfahrung mich klüger gemacht.«

»Arme Corticelli, du tust mir leid! Obgleich du dich gegen mich schurkisch benommen hast – wodurch du heute dich im Elend befindest – will ich dich nicht verlassen. Da hast du vier Louis für die dringendsten Bedürfnisse; morgen werde ich wiederkommen und dir den Ort nennen, wo du gesund werden kannst. Wenn du wieder hergestellt bist, werde ich dir das nötige Reisegeld geben. Trockne deine Tränen, bereue deine Schuld, fasse gute Vorsätze. Der Himmel möge Mitleid mit dir haben.«

Das arme, unglückliche Mädchen warf sich mir zu Füßen, ergriff eine meiner Hände, die sie mit Küssen und Tränen bedeckte, und bat mich um Verzeihung für das Unrecht, das sie mir angetan habe. Ich tröstete sie und entfernte mich dann mit wundem Herzen. Um das menschliche Gefühl, das mich antrieb, nicht sich abkühlen zu lassen, nahm ich gleich auf der Straße einen Fiaker und fuhr zu einem mir befreundeten alten Wundarzt in der Rue de Seine. Ich erzählte ihm den Sachverhalt und sagte ihm, was ich von ihm wünschte. Er hörte mich ruhig an und sagte dann: »Die Kur wird sechs Wochen dauern; die betreffende Person wird völlig unbekannt bleiben, aber sie muß vorher bezahlen.«

»Sehr gern; aber die Person ist arm, und es handelt sich um einen Akt der Mildtätigkeit von meiner Seite.«

Ohne mir zu antworten, nahm der brave Mann ein Blatt Papier und schrieb einen Brief, den er an eine Adresse ganz draußen in der Vorstadt St.-Antoine richtete. Dieser Brief lautete:

»Sie werden die Person, die Ihnen diesen Brief nebst dreihundert Franken überbringt, in Pension nehmen und werden Sie in sechs Wochen als geheilt entlassen, wenn Gott es nicht anders fügt. Die Person hat ihre Gründe, um nicht erkannt werden zu wollen.«

Erfreut, diese Angelegenheit so schnell und so billig in Ordnung gebracht zu haben, ging ich ruhiger nach Hause. Ich legte mich sofort zu Bett, obwohl mein Bruder mich zu sprechen verlangte. Ich ließ ihm sagen, ich wolle ihn erst am anderen Tage sehen.

Schon um acht Uhr kam er zu mir. Dumm, wie immer, sagte er mir, er habe mir einen Vorschlag zu machen und sei überzeugt, daß ich nichts dagegen einwenden werde.

»Ich habe durchaus nicht die Absicht, deine Vorschläge zu hören. Wählst du Paris oder Rom?«

»Gib mir das Reisegeld; ich werde in Paris bleiben und mich schriftlich verpflichten, weder meinen Bruder noch dich jemals aufzusuchen. Das muß dir doch einerlei sein.«

»Es kommt dir nicht zu, darüber zu urteilen, was mir paßt. Entferne dich; ich habe weder Zeit noch Lust, dich anzuhören, überlege es dir: entweder bleibst du in Paris und bekommst keinen Heller, oder du gehst mit fünfundzwanzig Louis nach Rom, wie ich dir bereits gesagt habe.«

Hierauf rief ich Clairmont und befahl ihm, den Abbate hinauszuführen.

Es drängte mich, die Angelegenheit der Corticelli in Ordnung zu bringen. Ich begab mich daher sofort nach der Vorstadt St.-Antoine und fand dort ein Ehepaar von freundlichem Wesen und verständigem Aussehen; die Einrichtung des Hauses war vorzüglich geeignet für Kuren, die geheim gehalten werden sollten. Ich sah das für die neue Pensionärin bestimmte Zimmer und das Bad und war mit der Sauberkeit und mit der guten Ordnung zufrieden. Ich bezahlte gegen Quittung hundert Taler und sagte den Leuten, die kranke Dame werde im Laufe dieses oder des folgenden Tages kommen.

Zu Mittag speiste ich mit Frau von Urfé und dem kleinen Aranda. Nach dem Essen sprach die gute Marquise ganz glücklich lange Zeit von ihrer Schwangerschaft, deren Symptome sie bereits festgestellt hatte. Sie sagte mir, wie glücklich sie sein werde, wenn sie erst die deutlichen Zeichen ihres neuen Lebens und Wachstums verspüren werde. Ich mußte beständig auf der Hut sein, um mich nicht der Lachlust hinzugeben, die ihre Einfalt jeden Augenblick in mir erregte. Nachdem ich mich frei gemacht hatte, begab ich mich wieder zur Corticelli, die mich ihren Retter, ihren Schutzengel nannte. Ich gab ihr zwei Louis, da sie einige kleine Schmucksachen auf dem Leihhaus auszulösen wünschte, und versprach ihr, vor meiner Abreise sie noch einmal zu besuchen, um ihr hundert Taler zu geben, die für ihre Rückreise nach Bologna genügen würden. Hierauf ging ich zu Frau du Rumain, die sich für drei Wochen von allen ihren Bekannten verabschiedet hatte.

Die Dame war von der größten Rechtschaffenheit und außerordentlich hübsch, aber sie hatte einen gewissen geckenhaften Ton an sich, der so eigentümlich war, daß ich oft recht herzlich darüber lachen mußte. Sie sprach von der Sonne und von dem Monde wie von zwei mächtigen Herrschern, deren Bekanntschaft zu machen sie im Begriff stände. Als sie eines Tages mit mir über das Glück der Auserwählten nach dem Tode sprach, sagte sie, das Glück der Seelen müsse im Himmel darin bestehen, daß sie Gott »wahnsinnig« liebten. Ein friedliches, ruhiges Glück begriff sie nicht, denn zwischen Ruhe und Gleichgültigkeit konnte sie keinen Unterschied sehen.

Nachdem ich ihr die Kräuter für die Räucherungen gegeben hatte, bezeichnete ich ihr die Psalmen, die sie herzusagen hätte; hierauf nahmen wir unter vier Augen ein köstliches Abendessen ein, und nach Beendigung desselben befahl sie ihrer Kammerfrau, sie einzuschließen und mich um zehn Uhr zu erwarten, um mich in ein Schlafzimmer im zweiten Stock zu führen, das sie mit einem sybaritischen Luxus für mich hatte Herrichten lassen. »Sorge dafür, meine Liebe,« schloß sie, »daß Herr von Seingalt morgen früh um fünf in mein Zimmer kommt.«

Um neun Uhr setzte ich ihre Füße in eine Badewanne mit lauem Wasser und zeigte ihr, wie sie die Räucherungen vorzunehmen hätte, damit sie an den nächsten Tagen dies allein tun könnte. Ihre Beine waren von den Händen der Grazien geformt; ich trocknete sie ihr verliebt bis zu den Knieen ab und lachte innerlich über die Danksagungen, die sie mir dafür abstattete. Hierauf brachte ich sie liebevoll zu Bett, doch begnügte ich mich, einen feierlichen Kuß auf ihre hübsche Stirn zu drücken. Nachdem ich dies alles erledigt hatte, ging ich zu Bett. Ihre Kammerfrau, eine junge und hübsche Zofe, bediente mich unter lauter Scherzen, aber mit einer Geschicklichkeit, wie sie diesen Mädchen besonders in Frankreich eigen ist. Ich mußte laut auflachen, als sie mir sagte: da ich die Kammerzofe ihrer Herrin geworden sei, so sei es nicht mehr als recht und billig, daß sie mein Kammerdiener werde. Ihr munteres Wesen stimmte mich heiter und ich wollte sie auf meinen Schoß ziehen; aber gewandt wie ein Reh entschlüpfte sie meinen Armen und lief hinaus, indem sie mir sagte, ich müsse mich schonen, um am anderen Morgen um fünf gut zu bestehen. Sie irrte sich, aber der Schein war allerdings gegen ihre Herrin, und im allgemeinen lassen es ja die Dienstboten ihrer Herrschaft gegenüber weder an Verdacht noch an übler Nachrede fehlen.

Als ich früh um fünf Uhr das Zimmer der Frau du Rumain betrat, fand ich sie schon beinahe angekleidet, und wir gingen sofort in ein anderes Zimmer, von wo man die aufgehende Sonne hätte sehen können, wenn die Aussicht nicht durch das Hotel de Bouillon versperrt gewesen wäre. Aber natürlich war die unmittelbare Aussicht vollkommen gleichgültig. Sie vollzog den Kultus mit der ganzen Würde einer antiken Baalspriesterin. Hierauf setzte sie sich an ihr Klavier, indem sie mir sagte, am schwersten erscheine es ihr, den langen neunstündigen Vormittag auszufüllen; denn sie speiste um zwei Uhr zu Mittag. Dies war damals die Essensstunde der vornehmen Welt. Wir nahmen ein Gabelfrühstück zu uns, denn ich hatte ihr vorgeschrieben, daß sie möglichst wenig Kaffee trinken sollte. Beim Abschied versprach ich ihr, sie vor meiner Abreise von Paris noch einmal aufzusuchen.

In das Hotel Mormoreney zurückgekehrt, fand ich meinen Bruder auf mich wartend. Er war sehr unruhig, weil ich die Nacht nicht nach Hause gekommen war. Sowie ich ihn erblickte, rief ich ihm zu: »Paris oder Rom?«

»Rom!« antwortete er mit frommer Heuchlermiene.

»Warte im Vorzimmer; ich werde deine Angelegenheit sofort erledigen.«

Als ich fertig war, ließ ich ihn rufen. In demselben Augenblick traten mein anderer Bruder und dessen Frau zusammen mit ihm ein. Sie sagten mir, sie wollten sich bei mir zum Mittagessen einladen.

»Seid willkommen!« antwortete ich ihnen; »ihr seid gerade zur rechten Zeit gekommen, um zu sehen, wie ich den Abbate abfertige. Er hat sich endlich entschlossen, auf die von mir für gut befundene Art und Weise nach Rom zu reisen.«

Ich schickte Clairmont nach der Abfertigungsstelle der Eilwagen, um für den Abbate einen Platz bis Lyon zu bezahlen. Hierauf schrieb ich fünf Wechsel auf Lyon, Turin, Genua, Florenz und Rom aus.

»Wer bürgt mir dafür, daß die Anweisungen mir ausbezahlt werden?«

»Ich, du Tölpel. Wenn du sie nicht haben willst, dann laß sie hier.«

Clairmont brachte einen bezahlten Fahrschein, der für die Abreise am nächsten Tage gültig war. Ich gab ihm diesen und forderte ihn in harten Worten auf, das Zimmer zu verlassen.

»Aber ich könnte doch mit euch speisen!«

»Nein, ich will nichts von dir wissen. Du kannst mit Passano speisen; du warst ja sein Helfershelfer bei dem abscheulichen Anschlag, den der Schuft gegen mich ersonnen hatte. Clairmont, werfen Sie diesen Menschen hinaus und erlauben Sie ihm niemals wieder, meine Schwelle zu überschreiten!«

Mehr als einer meiner Leser wird der Ansicht sein, daß ich meinen Bruder, den Abbate, barbarisch behandelt habe. Ich habe allerdings keinem Menschen über meine Anschauungs- und Handlungsweise Rechenschaft abzulegen; aber ich will nur soviel sagen: ich hatte schon von Natur eine starke Abneigung gegen diesen Bruder; außerdem aber hatte sein Benehmen als Mensch und Priester und besonders sein Einverständnis mit Passano ihn mir dermaßen verhaßt gemacht, daß ich mit vollkommener Gleichgültigkeit, um nicht zu sagen, mit großem Vergnügen, ihn hätte am Galgen sehen können. Ein jeder hat seine Moral, ein jeder hat seine Leidenschaften, und meine höchste Leidenschaft ist stets die Rachsucht gewesen.

»Was haben Sie mit dem Mädchen gemacht, das er entführt hatte?« fragte meine Schwägerin mich.

»Ich habe sie unter dem Schutz der Gesandten nach Venedig zurückgeschickt; sie hat mehr als dreißigtausend Franken Vermögen, besitzt schöne Schmucksachen, hat eine gute Ausrüstung an Kleidern und Wäsche und fährt in einem Wagen, der mehr als zweihundert Gulden wert ist und den ich ihr geschenkt habe.«

»Das ist alles ganz schön und gut, mein lieber Schwager; aber bedenken Sie, welchen Schmerz der Abbate empfinden mußte, als er sie bei Ihnen im Bett liegen sah.«

»Die Dummköpfe, liebe Schwägerin, sind dazu da, um solche und noch ganz andere Schmerzen zu haben. Hat er Ihnen gesagt, daß sie ihm niemals erlaubt hat, sie zu küssen, und daß sie ihm kräftige Ohrfeigen gab?«

»Im Gegenteil; er sprach nur von ihrer Liebe zu ihm.«

»Er hat sich selber schöngefärbt, liebe Schwägerin; in Wirklichkeit war es eine sehr häßliche Sache.«

Nachdem wir einige Stunden mit sehr angenehmem Geplauder verbracht hatten, entfernte mein Bruder sich, und ich begleitete meine Schwägerin in die Oper.

Als wir miteinander allein waren, schüttete die arme Frau in schwesterlichem Vertrauen ihr Herz aus und beklagte sich bitterlich über ihren Gatten:

»Seit zehn Jahren bin ich nun mit ihm verheiratet, und ich bin noch immer so wie am Tage vor unserer Hochzeit.«

»Wie, liebe Schwester? Immer noch Jungfrau?«

»Wie am Tage meiner Geburt. Man sagt mir, ich könne leicht die Lösung unserer unfruchtbaren Ehe durchsetzen; aber ich will keinen Skandal, und außerdem bin ich so schwach, ihn zu lieben, und ich will ihm keinen Kummer machen.«

»Sie sind ein seltenes Weib, liebe Schwester! Aber warum geben Sie ihm denn keinen Stellvertreter?«

»Dies könnte ich allerdings, glaube ich, tun, ohne mein Gewissen zu beschweren; aber ich will lieber meine schreckliche Lage erdulden und mir nichts vorzuwerfen haben.«

»Das ist sehr verdienstvoll, und ich lobe Sie darum; aber sind Sie sonst glücklich?«

»Er steckt über und über in Schulden, und wenn ich ihn nötigen wollte, mir meine Mitgift herauszugeben, würde ihm kein Hemd bleiben. Warum hat er mich geheiratet, da er doch seine Impotenz kennen mußte? Es ist eine Ungeheuerlichkeit!«

«Ja, aber Sie müssen ihm verzeihen.«

Die Frau hatte recht, daß sie sich beklagte; denn ohne den Geschlechtsgenuß ist die Ehe ein Dornenzweig ohne Blüten. Sie hatte Leidenschaften, aber ihre Grundsätze waren stärker; wäre es anders gewesen, so hätte sie außer dem Hause gesucht, was sie in ihrem Hause nicht fand. Mein Bruder, der seine Impotenz wohl kannte, entschuldigte sich damit, daß er seine Frau sehr lieb habe; er habe darum gehofft, das Zusammenleben mit ihr werde die ihm mangelnde Fähigkeit allmählich entwickeln. Er hatte sich selber betrogen und damit auch seine Lebensgefährtin. Nach dem Tode dieser Frau erweckte eine andere die gleiche Hoffnung in ihm; aber diesmal fand er mehr Leidenschaft als Tugend, und seine zweite Gattin zwang ihn, aus Paris zu fliehen und ihr seine ganze Habe zurückzulassen. In zwanzig Jahren werde ich von ihr sprechen.

Am nächsten Morgen um sechs Uhr reiste der Abbate im Eilwagen ab; ich habe ihn erst sechs Jahre darauf in Rom wiedergesehen. Ich verbrachte den Tag bei Frau von Urfé und gab dem Anschein nach meine Einwilligung dazu, daß der kleine Aranda zu Pferde von Abbeville nach Paris zurückkehren dürfe. Ich setzte unsere Abreise auf den übernächsten Tag fest.

Am nächsten Tage speiste ich wieder bei Frau von Urfé, die immer noch in Wonne ob ihrer Wiedergeburt schwamm. Hierauf nahm ich einen Fiaker und besuchte die Corticelli in ihrer Zurückgezogenheit. Ich fand sie traurig und krank; aber sie war mit ihrem Schicksal zufrieden und lobte sehr das freundliche Benehmen des Chirurgen und seiner Frau. Das Ehepaar versicherte mir, sie werde gründlich geheilt werden. Ich übergab ihr zwölf Louis und versprach, ihr eine gleiche Summe zu schicken, sobald sie mir von Bologna geschrieben hätte. Sie versprach es mir, aber die arme Unglückliche hat ihr Versprechen nicht halten können, denn sie erlag der Behandlung, wie mein alter Chirurgus mir nach London schrieb. Zugleich fragte er bei mir an, wie er zwölf Louis bestellen könne, die sie einer Signora Laura vermacht habe, die mir wohl bekannt sein werde. Ich schickte ihm die Adresse, und der ehrliche Mann beeilte sich, den letzten Willen der Verstorbenen zu erfüllen.

Ich wurde von allen verraten, deren ich mich bei meinem Zauberschwindel mit der Frau von Urfé bediente, nur von Marcolina nicht, und alle, mit Ausnahme der schönen und geistreichen Venetianerin, sind im Unglück gestorben. Der Leser wird später Passano und Costa wiederfinden.

Am Tage vor meiner Abreise nach London speiste ich abends bei Frau du Rumain. Sie versicherte mir, ihre Stimme beginne bereits wieder zu kommen, und sie fügte eine vernünftige Bemerkung hinzu, über die ich mich freute. Sie sagte nämlich: »Ich glaube, die Lebensweise, zu der dieser kabbalistische Kultus mich nötigt, trägt gewiß auch zu meiner Besserung bei.«

»Verlassen Sie sich darauf, gnädige Frau! Wenn Sie diese Überzeugung haben, so bleiben Sie bei Ihrer jetzigen Lebensweise; Sie werden dadurch lange Zeit Ihre Stimme und Ihre Gesundheit sich erhalten.«

Ich sah, daß man oft, um zur Wahrheit zu gelangen, mit einer Täuschung beginnen muß. Dem Licht muß notwendigerweise Finsternis vorangegangen sein.

Ich verabschiedete mich von meiner guten Frau von Urfé mit einer Rührung, wie ich sie nie zuvor empfunden hatte, wie wenn ich ein Vorgefühl gehabt hätte, daß ich sie zum letztenmal sähe. Ich versicherte ihr, ich würde alle meine Versprechungen ohne Ausnahme halten. Sie umarmte mich mit der größten Zärtlichkeit und sagte mir, sie sei auf dem Gipfel des Glückes und erkenne an, daß sie dieses nur mir verdanke. Endlich nahm ich den kleinen Aranda in seinen Stulpstiefeln, die er anbetete, mit mir in das Hotel Mormorency, von wo wir erst gegen Abend abfuhren; er hatte mich nämlich gebeten, bei Nacht zu reisen, weil er sich schämte, in seinen Kurierkleidern im Wagen zu fahren.

Kaum waren wir in Abbeville angekommen, so fragte er mich, wo seine Mutter sei.

»Danach werden wir uns nach dem Essen erkundigen.«

»Aber man kann doch in einem Augenblick erfahren, ob meine Mutter hier ist oder nicht.«

»Allerdings; aber es eilt nicht.«

»Und wenn sie nicht hier ist?«

»Dann reisen wir weiter; wir werden sie unterwegs treffen. Bis zum Mittagessen wollen wir die schöne Fabrik des Herrn Varobes besehen.«

»Gehen Sie allein hin; ich bin müde und will lieber schlafen, bis Sie wiederkommen.«

»Gut.«

Nachdem ich zwei Stunden lang die herrliche Fabrik besehen hatte, die ihr Besitzer mir in eigener Person zeigte, ging ich nach meinem Gasthof zurück und ließ meinen jungen Menschen rufen.

»Mein Herr,« sagte der Wirt, der zugleich Postmeister war, »er ist fünf Minuten nach Ihrem Fortgehen nach Paris abgeritten. Er hat gesagt, er wolle die Depeschen holen, die Sie in Paris vergessen haben.«

»Wenn Sie ihn mir nicht zurückbringen lassen, richte ich Sie mit einem Prozeß zugrunde. Denn Sie durften ihm ohne meinen Befehl kein Pferd geben.«

»Beruhigen Sie sich, mein Herr! Wir werden den kleinen Taugenichts festnehmen, bevor er in Amiens ist.«

Er rief einen kräftigen und munteren Postillon; als dieser den Grund meiner Unruhe vernahm, lachte er und sagte: »Ich hole ihn ein, gnädiger Herr, und wenn das Jungchen einen Vorsprung von vier Stunden hätte! Ich verspreche Ihnen, bis sechs Uhr bin ich mit ihm wieder hier.«

»Ich verspreche dir zwei Louis Trinkgeld.«

»Dafür, gnädiger Herr, würde ich Ihnen einen Türken bringen!«

Fünf Minuten später saß der Postillon im Sattel, und als ich ihn davonjagen sah, zweifelte ich nicht mehr am Erfolg. Aber trotz meinem guten Appetit konnte ich mich doch nicht zu Tisch setzen, so sehr wurmte es mich, daß ein junger Mensch ohne Erfahrung mich angeführt hatte. Ich warf mich auf mein Bett und schlief, bis der Postillon mich weckte und mir meinen Flüchtling brachte, der wie ein Toter aussah. Ohne ein Wort mit diesem zu sprechen, befahl ich, ihn in einem guten Zimmer mit einem guten Bett einzusperren und ihm ein gutes Abendessen aufzutragen. Außerdem verlangte ich, daß der Wirt dafür bürgte, daß er bis zum Augenblick meiner Abreise nach Calais nicht wieder entfliehen würde. Der Postillon hatte ihn auf der fünften Poststation ganz in der Nähe von Amiens eingeholt; der gute Junge war bereits todmüde gewesen und hatte sich sanft wie ein Lamm in sein Schicksal ergeben.

Mit Tagesanbruch ließ ich ihn mir vorführen und fragte ihn, ob er freiwillig oder gefesselt mit mir nach London gehen wolle.

»Ich werde Ihnen freiwillig folgen, darauf gebe ich Ihnen mein Ehrenwort; aber nur zu Pferde und wenn ich Ihrem Wagen vorausreiten darf; denn sonst würde ich mich in diesen Kleidern für entehrt halten. Man soll nicht sagen können, Sie hätten mich verfolgen lassen, wie wenn ich Ihnen etwas gestohlen hätte!«

»Ich nehme dein Ehrenwort an; aber halte es auch! Bestelle in meinem Namen noch ein Reitpferd und umarme mich.«

Mit fröhlichem Herzen stieg er zu Pferd und ritt mit Clairmont voraus. Er war sehr erstaunt, als er seinen Koffer bereits in Calais fand, wo er zwei Stunden vor mir ankam.

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