Drittes Kapitel

Ich komme mit Maton in Dresden an. – Sie macht mir ein Geschenk. – Leipzig. – Die Castelbajac. – Graf Schwerin. – Rückkehr nach Dresden und Abreise von dort. – Prag. – Ankunft in Wien. – Hinterhalt Pocchinis.

Als ich mich in meinem Wagen allein sah und neben mir ein schönes Mädchen hatte, das gleichsam aus den Wolken gefallen war, stellte ich mir vor, ich wäre der sehr ehrenwerte Diener des Schicksals. Nur ihr Schutzgeist konnte sie in meine Arme geführt haben; denn ich fühlte mich herzlich bereit, für sie alles Gute zu tun, was in meiner Macht läge. Aber wem verdankte ich sie? Meinem guten oder meinem bösen Geist? Ich warf diese Frage auf, überließ es aber natürlich der Zeit, mir die Antwort darauf zu geben. Ich lebte eben so dahin, ohne meine Gewohnheiten zu ändern und absichtlich nicht daran denkend, daß ich anfing, nicht mehr ein junger Mann zu sein, und daß ich auf Liebe auf den ersten Blick, die mir so oft zuteil geworden war, nicht mehr rechnen konnte.

Ich wußte natürlich, daß meine neue Begleiterin, wenn sie nicht ganz dumm war, sich mit mir nur in der festen Absicht eingelassen haben konnte, gegen mich ohne Schranken gefällig zu sein; aber das genügte mir nicht. Wie der Leser weiß, litt ich an der fixen Idee, geliebt sein zu wollen. Dies war für mich die Vorbedingung des Glückes, alles übrige war nur flüchtiger Genuß. Da ich nun seit Zaïra nur Genüsse dieser Art gehabt hatte, so arbeitete meine Phantasie bereits an einem Liebesverhältnis in allerschönster Form.

Ich erfuhr bald, daß meine Begleiterin Maton hieß; dies war ihr Familienname, und ich war nicht neugierig, den Namen des oder der Heiligen zu wissen, in deren Schutz ihre Patin sie bei der Taufe gestellt hatte. Ich fragte sie, ob sie ebensogut Französisch schreibe, wie sie es spreche, und sie zeigte mir einen selbstgeschriebenen Brief. Das gab mir die Gewißheit, daß sie eine sorgfältige Erziehung erhalten hatte, und ich gestehe, daß dies mir Vergnügen machte, denn ich glaube, dieser Umstand erhöhte in meinen Augen den Wert meiner neuen Eroberung, wenn ich mir auch nicht Rechenschaft darüber ablegte. Sie sagte mir, sie sei aus Breslau fortgegangen, ohne von irgendeinem Menschen Abschied zu nehmen, ja sie habe nicht einmal ihrer Tante und ihrer Cousine mitgeteilt, daß sie vielleicht nicht wiederkommen werde.

»Und Ihre Sachen?«

»Meine Sachen! Die lohnten nicht einmal die Mühe des Einpackens. Meine ganze Habe ist dieses Paket; es enthält weiter nichts als ein Hemd, ein paar Strümpfe, einige Taschentücher, ein paar Bänder und dergleichen.«

»Was wird Ihr Liebhaber sagen?«

»Ich möchte wohl, daß er etwas sagen könnte; aber ich habe leider keinen.«

»Das erscheint kaum glaublich.«

»Ich habe zwei Liebhaber gehabt. Der erste war ein Schuft: er verführte mich, indem er sich meine Unerfahrenheit zunutze machte, und verließ mich, als ich ihm nichts Neues mehr bieten konnte; der zweite war ein anständiger Mensch, aber er war ein armer Leutnant ohne Hoffnung auf Beförderung. Er hat mich nicht verlassen, aber er wurde in ein anderes Regiment nach Stettin versetzt, und seitdem ...«

»Seitdem?«

»Wir waren zu arm, um uns zu schreiben, und so mußten wir in aller Stille unser Schicksal tragen.«

Diese Geschichte kam mir ganz natürlich vor, und ich begriff, daß Maton offenbar nur mit mir gegangen war, um ihr Glück oder wenigstens etwas Besseres zu suchen, als was sie bis dahin gehabt hatte; dies zu finden, konnte nicht schwer sein.

Sie war fünfundzwanzig Jahre alt, und da sie Breslau niemals verlassen hatte, so mußte sie neugierig sein, wie die übrige Welt aussähe, und es mußte ihr eine Freude sein, mit Dresden zu beginnen. Ich verhehlte mir nicht, daß ich eine Dummheit begangen hatte, indem ich mir eine solche Bürde auflud; denn dieses Mädchen mußte mir viel Geld kosten. Trotzdem schien mir, daß ich entschuldbar wäre: denn indem ich den Vorschlag machte, mit mir zu kommen, war hundert gegen eins zu wetten, daß sie mein Anerbieten nicht annehmen würde. Um alle lästigen Gedanken zu verjagen, wünschte ich mir Glück, daß ich wieder einmal im vollen Besitz eines hübschen Mädchens wäre, dessen ganzes Verdienst ich bald kennen lernen mußte. Ich beschloß, während der Reise nichts gegen sie zu unternehmen, weil ich sehen wollte, ob ihre moralischen Eigenschaften, unabhängig von ihren körperlichen Formen, mich in sie verliebt machen würden. Als es dunkel wurde, hielt ich bei einem Posthause an, das mir den Eindruck machte, als ob ich dort gut aufgehoben sein würde. Maton, die halbtot vor Hunger war, aber nicht gewagt hatte, mir etwas davon zu sagen, aß mit einem Appetit, der mir Vergnügen machte; da sie aber nicht an Weintrinken gewöhnt war, so wäre sie bei Tisch eingeschlafen, wenn ich sie nicht gebeten hätte, sich zu Bett zu legen. Sie tat dies, indem sie mich tausendmal um Entschuldigung bat und mir versicherte, so etwas würde nicht wieder vorkommen. Lachend und ihr Mut einsprechend, blieb ich am Tisch sitzen, ohne mich auch nur umzudrehen und zu sehen, ob sie sich angekleidet oder nackt zu Bett legte. Einige Augenblicke später ging ich ebenfalls zu Bett, und um fünf Uhr war ich wieder auf den Beinen, um die Pferde und den Kaffee zu bestellen. Maton lag in tiefem Schlaf; sie hatte sich vollständig bekleidet zu Bett gelegt und schwitzte dicke Tropfen. Ich weckte sie und sagte ihr, ein anderes Mal sollte sie es sich bequem machen, wenn sie sich zu Bett legte; denn in den unbequemen Kleidern und unter der Hitze könnte ihre Gesundheit leiden.

Kaum hatte sie die Augen aufgeschlagen, so stand sie auf und ging hinaus, ohne Zweifel, um sich zu waschen; frisch und sauber kam sie wieder herein, wünschte mir guten Morgen und fragte mich, ob ich sie umarmen wolle.

»Mit großem Vergnügen!« antwortete ich.

Hierauf bat ich sie, sich mit dem Frühstück zu beeilen, weil ich am selben Abend in Dresden anzukommen wünschte. Das gelang mir jedoch nicht, denn es wurde eine Ausbesserung am Wagen notwendig, wodurch ich fünf Stunden verlor, und so mußte ich unterwegs noch einmal übernachten. Maton legte sich ausgekleidet zu Bett; ich besaß jedoch die Standhaftigkeit, sie nicht anzusehen.

In Dresden angekommen, stieg ich im Hotel de Saxe ab und nahm für mich den ganzen ersten Stock. Meine Mutter war auf dem Lande; ich fuhr zu ihr hinaus, und die liebe gute Frau war überglücklich, mich zu sehen, besonders meinen Arm in der Binde, denn das sah sehr malerisch aus. Hierauf besuchte ich meinen Bruder Giovanni und dessen Frau, die Römerin Teresa Roland, die ich bereits vor ihm gekannt hatte, und die mich mit großer Freude empfing. Ferner besuchte ich meine Schwester, die Frau von Peter August. Hierauf ging ich mit meinem Bruder zum Starosten Grafen von Brühl, um ihn und seiner Gemahlin, der Tochter des Wojwoden von Kiew, meine Aufwartung zu machen. Sie war entzückt, Neuigkeiten von ihrer Familie zu hören. Ich wurde überall sehr gefeiert und mußte überall die Geschichte meines Duells erzählen. Übrigens will ich gestehen, daß ich mich nicht bitten ließ; denn ich war eitel darauf.

Zu jener Zeit tagten gerade die Stände in Dresden; während der Minderjährigkeit des Kurfürsten Friedrich August war dessen ältester Oheim, Prinz Xaver, Regent des Landes.

Am selben Abend ging ich in die Italienische Oper, wo eine Pharaobank gehalten wurde. Ich spielte vorsichtig, denn mein ganzer Reichtum bestand in achthundert Dukaten.

Als ich nach Hause kam, setzte man uns ein gutes Abendessen vor, und Maton gefiel mir durch ihren Appetit und ihre Liebenswürdigkeit. Als wir mit dem Essen fertig waren, fragte ich sie zärtlich, ob sie mein Bett teilen wollte, und sie antwortete mir im herzlichsten Ton, sie sei ohne jeden Rückhalt mein. Als wir nach einer wollüstigen Nacht aufstanden, waren wir die besten Freunde von der Welt.

Ich verbrachte den ganzen Vormittag damit, für sie zu bestellen, was sie zu ihrer Toilette brauchte, und das war nicht weniger als alles, denn sie hatte tatsächlich nichts. Ich hatte viele Besuche, und alle wünschten, daß ich sie Maton vorstellte. Ich hielt diese jedoch in ihrem Zimmer eingeschlossen und antwortete immer nur, das Mädchen sei meine Haushälterin und nicht meine Frau, und ich könne daher nicht die Ehre haben, sie ihnen vorzustellen. Demgemäß hatte ich ihr auch Befehl gegeben, niemanden einzulassen, wenn ich nicht zu Hause wäre. Sie arbeitete in ihrem Zimmer an der Wäsche, die ich ihr gekauft hatte, und half der Näherin, die ich für sie angenommen hatte. Da ich sie jedoch nicht zur Sklavin machen wollte, so fuhr ich manchmal in der reizenden Umgegend von Dresden mit ihr spazieren; bei solchen Gelegenheiten konnte sie nach ihrem Belieben mit allen meinen Bekannten sprechen, denen wir begegneten.

Diese Zurückhaltung meinerseits dauerte die ganzen vierzehn Tage, die das Mädchen bei mir blieb, und begann allmählich alle jungen Offiziere von Dresden zu reizen, besonders den Grafen Bellegarde, der nicht gewöhnt war, von einer Schönen, die er nach seinem Geschmack fand, abgewiesen zu werden, wenn er sich um sie bewarb. Jung, schön, freigebig, kühn, ja zuweilen sogar frech, kam er eines Tages in mein Zimmer, als ich mich gerade zu Tisch setzte, und lud sich bei mir zum Essen ein. Ich konnte weder seine Bitte abschlagen, noch Maton hinausschickcn. Während des ganzen Essens neckte er sie durch Scherze und Witze nach Soldatenart, ohne jedoch auch nur im geringsten die Grenzen der Höflichkeit zu überschreiten. Maton benahm sich sehr gut; sie spielte weder die Zimperliche, noch verletzte sie den Respekt, den sie mir und sich selber schuldete.

Da ich die Gewohnheit hatte, nach Tisch Siesta zu halten, bat ich eine halbe Stunde, nachdem wir uns erhoben hatten, den Grafen ohne alle Umstände, sich zu entfernen. Er fragte mich lachend, ob das Fräulein ebenfalls Siesta halte, und ich sagte ihm, es wäre unsere Gewohnheit, sie gemeinsam zu halten, so oft wir Lust dazu bekämen, was an diesem Tage wahrscheinlich der Fall sein würde. Hierauf nahm er seinen Hut und Degen und lud mich mit Maton für den nächsten Tag zum Mittagessen ein. Ich antwortete ihm: »Ich gehe mit ihr nirgendswohin, aber es steht Ihnen frei, jeden Tag bei mir zu essen, was eben gerade auf dem Tisch steht, und Sie können sicher sein, uns stets beisammen zu finden.«

Auf diese ablehnende Antwort wußte er nichts zu sagen und verabschiedete sich, wenn auch nicht ärgerlich, so doch jedenfalls sehr kühl.

Da meine Mutter von ihrem Landaufenthalt zurückgekommen war, suchte ich sie am nächsten Tage auf; sie wohnte im dritten Stock eines Hauses nicht weit von meinem Gasthof, und vom Fenster aus sah ich den Erker der von mir eingenommenen Wohnung. Indes ich zufällig an das Fenster trat und ohne jede Absicht nach meinem Gasthof hinübersah, bemerkte ich Maton im Erker; sie stand am Fenster desselben, arbeitete an ihrer Wäsche und unterhielt sich mit Herrn von Bellegarde, der am Fenster eines Zimmers neben dem Erkerzimmer stand. Dieses Zimmer gehörte ebenfalls zum Gasthof und stieß unmittelbar an meine Wohnung an, gehörte aber nicht zu derselben.

Diese Entdeckung belustigte mich; ich kannte das Terrain und hatte keine Angst, gegen meinen Willen zum Hahnrei gemacht zu werden. Ich wünschte indessen keineswegs, daß der schöne Graf sich einen Einbruch in mein Gebiet erlaubte; ich war eifersüchtig, aber mit dem Verstande, nicht mit dem Herzen.

Ich kam zum Mittagessen nach Hause. Da ich sicher war, daß man mich nicht gesehen hatte, so war ich sehr heiter, und Maton war es ebenfalls. Ich brachte das Gespräch auf Bellegarde und sagte: »Ich glaube, er ist in Sie verliebt.«

»Er ist ein Mädchenjäger, wie alle Offiziere, und ich glaube nicht, daß er in mich mehr verliebt ist als in irgendeine andere.«

»Wie? Ist er denn nicht heute Morgen hier gewesen, um mir einen Besuch zu machen?«

»Nein, und wenn er gekommen wäre, so hätte die Kleine ihm die Türe geöffnet und ihm gesagt, Sie seien nicht zu Hause.«

»Aber hast du ihn nicht unter meinem Fenster auf und ab gehen sehen, als die Wachtparade abgehalten wurde?«

»Nein.«

Mehr brauchte ich nicht zu wissen: sie waren miteinander im Einverständnis. Maton log, und wenn ich nicht einschritt, war ich in vierundzwanzig Stunden angeführt. Natürlich hätte ich in meinem Alter über einen solchen Verrat mich nicht wundern sollen; aber mein Geist oder vielmehr mein Selbstgefühl hatte sich noch nicht mit dieser Möglichkeit vertraut gemacht.

Ich verbarg meine Gefühle, blieb bei guter Laune und schäkerte nach dem Mittagessen einige Augenblicke mit ihr. Hierauf ging ich ins Theater, und nachdem ich ziemlich glücklich gespielt hatte, begab ich mich während des zweiten Aktes nach Hause; es war noch hell. Der Kellner stand vor der Türe; ich fragte ihn, ob im ersten Stock noch andere Zimmer außer den von mir bewohnten wären.

»Noch zwei nach der Straße hinaus.«

»Sagt Eurem Herrn, ich nehme sie.«

»Sie sind seit gestern Abend bestellt.«

»Von wem?«

»Von einem Schweizer Offizier, der heute abend mit zahlreicher Gesellschaft darin speisen will.«

Um keinen Verdacht zu erregen, sagte ich nichts mehr. Ich hatte mich bereits überzeugt, daß es sehr leicht war, von Bellegardes Zimmer in den Erker zu steigen. Außerdem führte von diesem Zimmer eine Verbindungstür in das Zimmer, worin die Schöne mit dem Dienstmädchen schlief, wenn ich keine Lust hatte, sie bei mir zu haben. Diese Tür war auf unserer Seite mit einem Riegel verschlossen. Sobald aber Maton sich im Einverständnis befand, war dies ein trauriges Sicherheitsmittel.

Leise ging ich nach oben und fand Maton im Erker sitzen, wo sie die frische Luft genoß. Nach einigen Vorreden sagte ich ihr, daß ich die Zimmer tauschen wollte: »Du nimmst das meinige, und ich ziehe in dieses, wo ich zuweilen ein bißchen lesen oder die Vorübergehenden beobachten kann.«

Sie fand meinen Gedanken sehr glücklich und sagte, mein Vorschlag sei ihr um so angenehmer, da wir beide denselben Genuß haben würden, wenn ich ihr erlauben wollte, in dem Erkerzimmer zu arbeiten, so oft ich ausgegangen wäre. An dieser Antwort erkannte ich, daß Maton ebenso schlau war wie ich selber. Ich war überzeugt, daß sie mich betrog oder daß sie mich früher oder später unfehlbar betrügen würde. Und von diesem Augenblick an liebte ich sie nicht mehr.

Ich ließ sofort die Sachen umstellen; hierauf aßen wir fröhlich zu Abend, scherzten und lachten, so daß trotz ihrer Schlauheit und ihrer Erfahrung – die sie ohne Zweifel besaß – Maton nichts merkte.

In meinem neuen Zimmer allein geblieben, hörte ich bald die Stimmen Vellegardes und seiner lustigen Kumpane. Ich setzte mich in den Erker, aber die Vorhänge des Nebenzimmers waren zugezogen, was mir wahrscheinlich beweisen sollte, daß kein Einverständnis stattfinde. Ich ließ mich dadurch nicht täuschen und erfuhr denn auch richtig, daß Jupiter von Merkur benachrichtigt worden war, Amphitryon habe das Zimmer gewechselt.

Am nächsten Tage zwang mich ein starkes Kopfweh, woran ich sonst niemals litt, den ganzen Tag im Hause zu verbringen. Ich ließ mir die Ader schlagen, und meine gute Mutter, die mir Gesellschaft leisten wollte, speiste mit Maton. Meine Mutter hatte eine Schwäche für das Mädchen; sie hatte mich oft gebeten, sie ihr zuzuschicken, um ihr Gesellschaft zu leisten, ich war jedoch so vernünftig gewesen, dazu nicht meine Zustimmung zu geben. Da ich mich am zweiten Tage auch nicht besser befand, so nahm ich Medizin ein; aber schon am Abend sah ich mit Schrecken, daß eine scheußliche Krankheit mich befallen hatte. Diese war ein Geschenk von Maton, denn seit Lemberg hatte ich mit keiner anderen Verkehr gehabt. Ich verbrachte die Nacht in heftigem Zorn. Bei Tagesanbruch stand ich auf, trat in ihr Zimmer, deckte sie plötzlich auf und hatte den ekelhaftesten Anblick, den man sich denken kann. Die Elende gestand mir, sie sei seit sechs Monaten krank; sie habe jedoch gehofft, daß sie mir ihr Leiden nicht mitteilen werde, denn sie habe sich stets sorgfältig gewaschen, so oft sie vorausgesehen habe, daß ich mir mit ihr zu tun machen werde.

»Unglückliche! Du hast mich vergiftet. Aber davon darf kein Mensch etwas wissen; denn es ist meine eigene schwere Schuld, und ich schäme mich, daß ich es gar nicht sagen kann. Steh auf; du sollst sehen, wie gut ich bin.«

Sie stand auf, und ich ließ alle Kleider und Wäsche, womit ich sie versehen hatte, in einen Koffer packen. Hierauf befahl ich meinem Bedienten, in einen anderen Gasthof zu gehen und ein kleines Zimmerchen für sie zu mieten. Dieses war bald gefunden. Der Bediente meldete es mir, ich sagte ihm, er solle im Vorzimmer meine Befehle erwarten, und bedeutete Maton, sie habe sich sofort in ihre neue Wohnung zu begeben, denn ich wolle nichts mehr mit ihr zu tun haben. Ich gab ihr fünfzig Taler, worüber ich mir eine ausführliche Quittung schreiben ließ. Es war darin der Grund angeführt, weshalb ich sie fortschickte, und sie erklärte ausdrücklich, daß sie unter keinen Vorwänden irgendwelche Ansprüche erheben könnte. Diese Bedingungen waren natürlich sehr demütigend, und sie wünschte sie gemildert zu sehen; doch unterwarf sie sich ihnen, als ich ihr sagte, ich sei entschlossen, sie ohne einen Heller und so bloß, wie sie zu mir gekommen sei, auf die Straße zu setzen.

»Was soll ich hier in Dresden machen, wo ich keinen Menschen kenne?«

»Wenn Sie nach Breslau zurückkehren wollen, von wo ich Sie unglücklicherweise mitgenommen habe, so will ich Ihnen die Reisekosten bezahlen.«

Da sie nichts antwortete, so schickte ich sie mit ihren Sachen nach ihrem neuen Zimmer. Sie warf sich in der Hoffnung, mich zu rühren, vor mir auf die Knie, aber ich drehte ihr den Rücken zu.

Ich handelte so, ohne das geringste Mitleid zu empfinden; denn was das Mädchen mir angetan hatte oder antun wollte, zeigte mir, daß sie ein Ungeheuer war, das mir auf diese oder jene Art das Leben gekostet haben würde.

Am nächsten Tage verließ ich den Gasthof und mietete auf sechs Monate das möblierte erste Stockwerk des Hauses, worin meine Mutter wohnte. Zugleich traf ich meine Maßregeln, um meinen Körper von dem Gift zu befreien, das die niederträchtige Schlesierin eingeflößt hatte. Ein jeder, der mich sah, fragte mich, was ich mit meiner Haushälterin gemacht hätte; ich antwortete stets, ich bedürfte ihre Dienste nicht mehr und hätte sie daher entlassen, ohne mich weiter um sie zu bekümmern.

Acht Tage darauf sagte mein Bruder Giovanni mir, der Graf von Bellegarde und fünf oder sechs von seinen Freunden befänden sich in ärztlicher Behandlung. So gut hatte Maton sie in diesen paar Tagen behandelt.

»Sie tun mir leid, aber sie haben selber Schuld«, antwortete ich ihm. »Warum haben sie sich der Gefahr ausgesetzt?«

»Ein Mädchen, das mit dir nach Dresden gekommen ist!«

»Und das ich fortgejagt habe. Es genügt mir, daß es ihnen nicht gelungen ist, sie kennen zu lernen, solange sie noch bei mir war. Sage den Herren, sie haben unrecht, wenn sie sich über mich beklagen, und noch mehr unrecht, wenn sie ihre Schande offenbaren. Sie mögen sich dies zur Lehre dienen lassen und sollen versuchen, in aller Stille wieder gesund zu werden. Sonst werden alle vernünftigen Leute sie auslachen. Bist du nicht auch meiner Ansicht?«

»Diese Geschichte macht dir keine Ehre.«

»Das weiß ich wohl; deshalb brüste ich mich auch nicht damit, und ich bin nicht dumm genug, sie über alle Dächer zu schreien. Deine jungen Herren müssen rechte Windbeutel sein; denn sie hätten sich doch denken können, daß ich starke Gründe haben müßte, das Mädchen so plötzlich fortzuschicken; und deshalb hätten sie auf ihrer Hut sein müssen. Sie verdienen den Schaden, den sie ihnen zugefügt hat, und ich wünsche nur, daß sie sich die Lehre zu Herzen nehmen.«

»Sie sind ganz erstaunt, daß du dich so wohl befindest.«

»Du kannst sie trösten und ihnen sagen, daß sie mich ebenso schlecht behandelt hat wie sie, daß ich aber nichts davon sage, weil mir nichts daran liegt, für einen Dummkopf zu gelten.«

Mein guter Giovanni, der sich selber der Dummheit überführt sah, sagte kein Wort mehr und ging.

Ich unterwarf mich einer strengen Kur und hatte das Glück, Mitte August mich vollkommen gesund zu sehen.

Um diese Zeit kam die Fürstin Lubomirska, die Schwester des Fürsten Adam Czartoryski, nach Dresden und wohnte beim Grafen Brühl. Ich hatte die Ehre, ihr meine Aufwartung zu machen, und erfuhr aus ihrem Munde, daß ihr königlicher Vetter so schwach gewesen war, sich von der Verleumdung täuschen zu lassen. Ich sagte zu ihr: ich sei der Meinung Ariostos, daß die Tugenden nur unter dem Schleier der Standhaftigkeit achtungswert sind. »Sie haben wohl bemerkt, Fürstin, daß es dem König, als ich zum letzten Male bei Ihnen mit ihm zusammen speiste, beliebte, so zu tun, wie wenn er mich nicht sähe. Ich beklage den Herrscher, der unter solchen Umständen der Achtung des Philosophen unwürdig wird. Eure Hoheit gehen jetzt nach Wien und werden nächstes Jahr nach Paris gehen; Sie werden mich dort sehen und können dann Ihrem Vetter, dem König, schreiben, daß Sie mich dort nicht gesehen haben würden, wenn man mich wirklich in effigie gehenkt hätte.«

Da die Leipziger September-Messe sehr schön war, so fuhr ich dorthin, um zu meiner Kräftigung recht viele Lerchen zu essen, die mit Recht sehr berühmt sind. Da ich in Dresden mit weiser Zurückhaltung gespielt hatte, obwohl ich immer nur gesetzt hatte, so hatte ich einige hundert Dukaten gewonnen, so daß ich mit einem Kreditbrief von dreitausend sächsischen Talern auf den Bankier Hofmann nach Leipzig abreiste. Dieser machte mich mit einem achtzigjährigen, sehr geistreichen Herrn bekannt, dem Direktor aller Bergwerke des Kurfürstentums. Von diesem ehrenwerten Greis erfuhr ich einen Umstand, der allerdings von geringer Bedeutung, dennoch aber sehr bemerkenswert ist, weil kein Russe ihn kennt: daß nämlich die Kaiserin Katharina die Zweite, die von ganz Rußland und von allen, die sie gesehen haben, für brünett gehalten wurde, ja deren Haare sogar sehr schwarz waren, eigentlich blond war. Der Direktor, der sie von ihrem siebenten bis zum zehnten Jahre täglich in Stettin gesehen hatte, erzählte mir, man habe damals begonnen, die junge Prinzessin mit Bleikämmen zu strählen und die Haare mit einer Salbe einzureiben, wodurch sie schwarz geworden wären. Dies tat man, weil Katharina bereits in ihrem zehnten Jahre zur künftigen Gattin des Herzogs von Holstein, des späteren unglücklichen Zaren, Peters des Dritten, bestimmt war. Da die Russen im allgemeinen blond sind, so bot der Hof alles auf, die Herrscherfamilie schwarzhaarig zu machen. Ich bezweifle jedoch, daß dies gelingen wird, es sei denn durch die natürliche Mischung der Rassen.

In Leipzig hatte ich ein Abenteuer, dessen ich mich stets mit Vergnügen erinnere. Die Prinzessin von Arenberg, die von Wien eingetroffen war und in demselben Gasthof wohnte wie ich, hatte die Laune, die Messe zu besuchen, ohne erkannt zu werden. Da sie ein großes Gefolge bei sich hatte, ließ sie sich durch eine ihrer Kammerfrauen vertreten und mischte sich unter die Personen, die die falsche Prinzessin begleiteten. Meine Leser werden vermutlich wissen, daß die Prinzessin sehr hübsch war, daß sie viel Geist besaß und daß sie den verstorbenen Kaiser Franz den Ersten mit ihrer Huld beglückt hatte.

Ich hatte von dieser Maskerade Kenntnis erhalten und verließ den Gasthof gleichzeitig mit ihr. Als nun die falsche Prinzessin vor einem Laden stehen blieb, um die ausgelegten Schmucksachen zu besehen, trat ich an die angebliche Zofe heran, die mich nicht kannte, und fragte sie ohne alle Umstände, wie man eben mit einem Kammermädchen spricht, ob es wahr sei, daß die Dame – damit zeigte ich auf diese – die berühmte Prinzessin von Arenberg sei.

»Natürlich ist sie es.«

»Ich kann es kaum glauben: denn sie ist nicht hübsch, außerdem hat sie nicht die Haltung und das Benehmen einer Prinzessin.«

»Offenbar verstehen Sie sich nicht auf Prinzessinnen.«

»Daran wäre jedenfalls nicht schuld, daß ich keine gesehen habe; um Ihnen aber zu beweisen, daß ich mich auf Prinzessinnen verstehe, so will ich Ihnen sagen, daß Sie eigentlich die Prinzessin sein müßten, denn ich würde gern hundert Dukaten geben, um die Nacht mit Ihnen zu verbringen.«

»Hundert Dukaten! Sie wären schön angeführt, wenn ich Sie beim Wort nähme.«

»Versuchen Sie es. Ich wohne in demselben Gasthof wie Sie, und wenn Sie es möglich machen, daß wir zusammenkommen, will ich das Geschenk im voraus geben, jedoch nur wenn ich sicher bin, daß ich Sie bekomme; denn ich liebe es nicht, angeführt zu werden.«

»Schön. Sagen Sie nichts und versuchen Sie, vor oder nach dem Abendessen mit mir zu sprechen. Wenn Sie den Mut haben, ein bißchen zu riskieren, so werden wir die Nacht miteinander verbringen.«

»Wie heißen Sie?«

»Caroline.«

Ich war vollkommen überzeugt, daß aus der Sache nichts werden würde, aber es machte mir Spaß, die Prinzessin belustigt und ihr zu verstehen gegeben zu haben, daß sie mir gefiele. Ich beschloß daher, die so glücklich begonnene Rolle des Unwissenden weiter zu spielen. Um die Zeit des Abendessens begann ich vor den Gemächern der Prinzessin herumzustrolchen. Nachdem ich drei- oder viermal vor dem Zimmer stehen geblieben war, worin sich die Kammerfrauen aufhielten, kam eine von ihnen heraus und fragte mich, ob ich etwas suchte.

»Ich wünsche eine von Ihren Kolleginnen zn sehen, mit der ich das Vergnügen hatte, mich einen Augenblick auf der Straße zu unterhalten.«

»Jedenfalls Caroline?«

»Ja.«

»Sie bedient die Prinzessin bei Tisch, aber in einer halben Stunde wird sie herauskommen.«

Ich verbrachte diese halbe Stunde in meinem Zimmer und kam dann wieder. Bald kam dasselbe Mädchen, mit der ich bereits gesprochen hatte, wieder heraus und sagte mir, ich möchte in eine Kammer eintreten, die sie mir zeigte; Caroline würde sofort zu mir kommen.

Die Kammer war dunkel, klein und unbequem; ich trat ein, und nach kurzer Zeit erschien eine Frau. Ich war fest überzeugt, daß es diesmal die wirkliche Caroline war, aber ich spielte meine Rolle weiter.

Kaum war sie eingetreten, so ergriff sie meine Hand und sagte mir, ich möchte nur bleiben, sie würde zu mir kommen, sobald ihre Herrin zu Bett gegangen wäre.

»Und ohne Licht?«

»Ei ja, allerdings! Ohne Licht – denn die Leute von Hause gehen fortwährend hin und her; sie würden merken, daß jemand in der Kammer ist, und das will ich nicht.«

»Aber, reizende Caroline, ohne Licht habe ich keine Seele. Außerdem ist dieser Ort nicht geeignet, um fünf oder sechs Stunden zu verbringen. Ich will Ihnen etwas sagen: das erste Zimmer im oberen Stock ist das meine. Ich werde allein sein, und ich schwöre Ihnen, es wird niemand zu mir kommen! Kommen Sie herauf, und Sie machen mich glücklich. Die hundert Dukaten habe ich hier!«

»Das ist unmöglich. Nicht um eine Million würde ich es wagen, nach oben zu gehen.«

»Um so schlimmer für Sie; denn nicht um anderthalb Millionen würde ich in diesem Loch bleiben, wo nur ein Stuhl ist. Leben Sie wohl, schöne Caroline!«

»Warten Sie doch, lassen Sie mich zuerst hinausgehen!«

Das schlaue Zöfchen lief schnell hinaus, ich war aber ebenso schlau wie sie und ergriff ihren Rock, so daß sie die Tür nicht hinter sich schließen konnte. Wir gingen also miteinander hinaus, ich brachte sie bis an ihre Tür und sagte dort zu ihr: »Leben Sie wohl, Caroline. Die Falle war nicht ganz richtig aufgestellt!«

Im höchsten Grade befriedigt von diesem Maskenscherz legte ich mich zu Bett. Offenbar wollte man mich die Nacht in einem Loch verbringen lassen, um mich dafür zu bestrafen, daß ich es gewagt hatte, der Geliebten eines Kaisers hundert Dukaten anzubieten. Ohne Zweifel biß sich die Prinzessin auf die Lippen, weil ihr Streich ihr mißlungen war.

Am nächsten Mittag trat in dem Augenblick, wo ich um ein Paar Spitzenmanschetten handelte, die Prinzessin von Arenberg in den Laden ein. In ihrer Begleitung war der Graf von Zinzendorf, den ich vor zwölf Jahren in Paris bei der Cavamacchie gekannt hatte. Als ich mich zurückzog, um der Prinzessin Platz zu machen, erkannte der Graf mich, redete mich an und fragte mich, ob ich den Casanova kenne, der vor sechs Monaten das Duell gehabt habe.

»Ach, Herr Graf, das bin ich selber; ich trage infolge davon noch meinen Arm in der Binde.«

»Ich mache Ihnen mein Kompliment dazu, mein Lieber; die Geschichte dieses Duells muß jedenfalls sehr interessant sein.«

Hierauf stellte der Graf mich der Prinzessin vor und fragte sie, ob sie von meinem Zweikampf gehört habe.

»Ja, ich habe durch die Zeitungen davon erfahren. Also der Herr hier ist der Held dieser Geschichte! Ich bin entzückt, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

Diese Worte sprach die Prinzessin sehr wohlwollend und zugleich mit der Ruhe vollendeter Verstellung, die man nur bei Hofe richtig lernt. Sie tat, wie wenn sie mich gar nicht kenne, und ich ahmte natürlich ihre Zurückhaltung nach.

Als ich nach Tisch dem Grafen meinen Besuch machte, bat er mich, mit ihm einen Augenblick bei der Prinzessin einzutreten; diese werde sehr erfreut sein, aus meinem eigenen Munde die Erzählung meines seltsamen Abenteuers zu vernehmen. Ich folgte ihm mit großem Vergnügen. Die Prinzessin hörte meiner Erzählung sehr aufmerksam zu und blieb immer Prinzessin; ihre Kammerzofen sahen mich nicht an. Den Tag darauf reiste sie ab, und mein Abenteuer hatte keine weiteren Folgen.

Gegen Ende der Messe empfing ich zu meiner großen Überraschung den Besuch der schönen Castelbajac. Sie erschien in dem Augenblick, wo ich mich allein zu Tisch setzen wollte, um so recht mit Genuß ein Dutzend schöner Lerchen zu verspeisen und mich hierauf zu Bett zu legen.

»Wie, Madame? Sie hier?«

»Leider ja, zu meinem großen Unglück! Ich bin seit drei Wochen hier; ich habe Sie zwanzigmal gesehen, und wir sind Ihnen immer ausgewichen.«

»Wir? Wer?«

»Schwerin.«

»Er ist hier?«

»Im Gefängnis. Wegen eines falschen Wechsels, den er diskontiert hat; und ich weiß nicht, was man mit dem Unglücklichen machen wird. Er hätte fliehen sollen, aber er will, wie es scheint, durchaus sich hängen lassen.«

»Und Sie haben mit ihm die ganze Zeit verbracht, seitdem Sie England verließen? Das ist drei Jahre her.«

»Ganz recht, überall hat er gestohlen, gegaunert, betrogen und dann die Flucht ergriffen. Auf der ganzen Welt ist keine so unglückliche Frau wie ich.«

»Wieviel beträgt der falsche Wechsel?«

»Dreihundert Taler. Vergessen Sie alles, Herr Casanova; tun Sie ein heroisches Werk, retten Sie den Unglücklichen vor dem Galgen oder dem Zuchthaus und mich vor dem Tode; denn ich werde mich töten.«

»Meinetwegen mag man ihn hängen, Madame; denn er hat versucht, mich mit seinen falschen Banknoten an den Galgen zu bringen. Aber ich gestehe Ihnen, um Sie tut es mir leid. Darum lade ich Sie ein, übermorgen mit mir nach Dresden zu fahren, und verspreche Ihnen dreihundert Taler, sobald die Justiz über diesen Spitzbuben die verdiente Strafe ausgesprochen hat. Ich begreife nicht, daß eine Frau wie Sie sich hat in einen Mann verlieben können, der weder hübsch noch geistreich ist, der weder Talent noch Vermögen hat; denn alles, was er hat, ist sein Name Schwerin.«

»Ach, ich muß Ihnen leider zu meiner Schande gestehen, daß ich ihn niemals geliebt habe. Seitdem der andere Spitzbube Castelbajac – dessen Frau ich, nebenbei bemerkt, niemals gewesen bin – ihn mit mir bekannt machte, habe ich nur gezwungen mit ihm gelebt; aber seine Tränen und seine Verzweiflung haben mich oft gerührt. Hätte das Schicksal mir einen ehrenwerten Mann zugeführt, mit dem ich mich durch die Bande des Gesetzes hätte vereinigen können – ich hätte mich von Herzen gern von diesem Unglücklichen losgesagt, der früher oder später noch die Ursache meines Todes sein wird.«

»Wo wohnen Sie?«

»Augenblicklich nirgends; denn man hat mich auf die Straße gesetzt, nachdem man mir alle meine Sachen abgenommen hat. Haben Sie Mitleid mit mir!«

Mit diesen Worten warf die Unglückselige sich unter strömenden Tränen vor mir auf die Knie. Ich war tief gerührt. Der Kellner des Gasthofs stand dabei und sah ganz verblüfft diesem Auftritt zu, da ich ihm noch nicht gesagt hatte, daß er hinausgehen sollte. Die Frau war unfraglich eine der größten Schönheiten Frankreichs; sie mochte etwa sechsundzwanzig Jahre alt sein. Sie war die Frau eines Apothekers in Montpellier und hatte das Unglück gehabt, sich von Castelbajac verführen zu lassen. In London hatte sie keinen Eindruck auf mich gemacht, weil ich damals von einem anderen Gegenstand zu sehr in Anspruch genommen war, aber sie besaß alles, was ein Weib sich nur wünschen kann, um zu gefallen.

Ich hob sie auf, indem ich ihr sagte, ich sei sehr geneigt, ihr zu helfen, müßte sie aber bitten, sich zu beruhigen und sogar mit mir zu Abend zu speisen. Der Kellner brachte, ohne daß ich ihm etwas gesagt hatte, sofort ein zweites Bett in mein Zimmer, worüber ich herzlich lachen mußte.

Die arme Frau aß trotz ihrem Kummer mit großem Appetit; sie erinnerte mich an die Witwe von Ephesus. Nachdem sie tüchtig gegessen hatte, stellte ich sie vor die Wahl, daß ich nichts für sie tun und sie in Leipzig ihrem Schicksal überlassen, oder daß ich versuchen würde, alle ihre Sachen herauszubekommen, und daß ich sie mit mir nach Dresden nehmen, ihr alles Notwendige beschaffen und hundert Dukaten in Gold geben würde, sobald ich gewiß wäre, daß sie sie nicht dem Elenden schenkte, der sie in eine so jämmerliche Lage gebracht hätte.

Sie brauchte nicht lange nachzudenken, um ihren Entschluß zu fassen, und sagte zu mir: »Wenn ich in Leipzig bleibe, so sehe ich keine Möglichkeit, dem unglückseligen Wechselfälscher nützlich zu werden. Außerdem könnte ich selber keine vierundzwanzig Stunden mehr leben, denn ich habe keinen Heller. Ich müßte entweder betteln oder mich prostituieren, und weder zu dem einen noch zu dem anderen kann ich mich entschließen. Wenn Sie mir die hundert Dukaten in diesem Augenblick gäben und ich mittels dieser Summe den Unglücklichen aus dem Gefängnis befreite, so wäre ich noch ebenso tief im Unglück und wüßte nicht, wie ich von hier fortkommen oder wohin ich gehen sollte. Ich nehme also Ihr großmütiges Anerbieten an, und Sie können auf meine Dankbarkeit zählen.«

Ich umarmte sie und versprach ihr, die von ihrem Wirt mit Beschlag belegten Sachen frei zu machen; hierauf lud ich sie ein, sich zu Bett zu legen; denn sie bedurfte der Ruhe.

»Ich sehe voraus,« sagte sie zu mir, »daß Sie, weil Sie Gefallen an mir finden oder auch nur aus Höflichkeit, sich mir nähern und Gunstbezeigungen von mir verlangen werden, die ich herzlich gern aus Liebe und aus Dankbarkeit Ihnen gewähren würde; aber es wäre ein übler Lohn für Ihre Großmut, wenn ich Ihnen nicht sofort mitteilen wollte, in welcher beschämenden Lage ich mich befinde. Hier, sehen Sie meine Wäsche – in diesen Zustand hat mich der Elende versetzt. Darum kann ich ihn auch ohne Bedauern verlassen, obwohl er selber mir immer noch leid tut.«

Ich dachte an die Krankheit, von der ich kaum genesen war, und schlug mir vor den Kopf, denn ich sah, daß ich mich sehr leicht von neuem hatte vergiften können. Die Handlungsweise der Frau fand ich edel und zartfühlend; ich dankte ihr daher und gab ihr die Versicherung, daß ich ihr meine Dankbarkeit noch beweisen würde.

Die schöne Französin hatte trotz ihrem Fehltritt tiefe Gefühle und ein ausgezeichnetes Herz; gerade dieses war ein schlechtes Geschenk, das die Natur ihr gemacht hatte, denn diesem guten Herzen verdankte sie ihr ganzes Unglück.

Gleich am nächsten Tage fand ich einen ehrlichen Makler, dem ich die Angelegenheit in allen Einzelheiten mitteilte; er übernahm es, den Wirt zu veranlassen, daß er gegen eine vernünftige Entschädigung der Frau Castelbajac ihre Sachen herausgäbe. Mit sechzig sächsischen Talern wurde die Sache abgemacht, und schon am Nachmittag sah die arme Frau sich wieder im Besitze aller ihrer Sachen, die sie niemals herauszubekommen geglaubt hatte. Sie war ganz und gar von Dankbarkeit durchdrungen und beklagte den unglücklichen Zustand, der sie hinderte, mir Beweise davon zu geben.

Dies entspricht der Natur: eine gefühlvolle Frau glaubt einem Manne, der ihr Wohltaten erwiesen hat, nichts Besseres antun zu können, als daß sie sich rückhaltlos ihm hingibt. Ich glaube, ein Mann denkt anders, und der Grund davon ist sehr einfach: der Mann ist geschaffen, um zu geben, das Weib aber, um zu empfangen.

Am nächsten Tage, kurz vor unserer Abreise, kam der Makler und sagte uns, der von Schwerin betrogene Bankier habe einen besonderen Boten nach Berlin gesandt, um den Gesandten zu fragen, ob der König von Preußen etwas dagegen habe, daß man mit aller Strenge des Gesetzes gegen den Grafen Schwerin verfahre.

Als die Castelbaiac das hörte, rief sie: »Das ist der Schlag, den der Unglückliche am meisten befürchtete! Es ist um ihn geschehen. Der König wird seine Schulden bezahlen, aber Schwerin wird sein Leben in Spandau beschließen. Warum war er nicht schon vor vier Jahren dort!«

Glücklich und dankbar reiste sie mit mir ab; in Dresden war man sehr überrascht, als ich mit dieser neuen Begleiterin erschien. Sie hatte nicht, wie Maton, das Aussehen einer Dirne, sondern konnte sich in der Gesellschaft sehen lassen, beherrschte den guten Ton und hatte ein bescheidenes und doch imponierendes Auftreten. Ich stellte sie als Gräfin Blasin meiner Mutter und meinen Verwandten vor, und ließ sie in meinem schönsten Zimmer wohnen. Ich ließ den Wundarzt rufen, der mich behandelt hatte, und nahm ihm einen Eid ab, daß er niemals über den Zustand der Gräfin sprechen, sondern sagen werde, er komme nach wie vor meinetwegen. Ich nahm sie mit ins Theater und an andere öffentliche Orte und machte mir eine Freude daraus, sie als eine Person von ausgezeichneter Herkunft auftreten zu lassen. Eine nicht zu scharfe, aber pünktlich befolgte Kur gab ihr in kurzer Zeit ihre Gesundheit wieder. Gegen Ende November befand sie sich so wohl, daß sie imstande zu sein glaubte, mich glücklich zu machen.

Die Vermählung wurde in aller Heimlichkeit vollzogen und war sehr süß. Als Hochzeitsgeschenk erhielt ich am Tage darauf die Nachricht, der König von Preußen habe Schwerins Schuld bezahlt, und der Taugenichts sei unter guter Bedeckung nach Berlin gebracht worden. Wenn er nicht gestorben ist, befindet er sich noch in Spandau.

Die Zeit war also gekommen, wo ich der Schönen, in die ich mich wirklich verliebt hatte, die hundert Dukaten zahlen mußte. Daß ich sie liebte, war kein Wunder, denn sie war sanft, schön und anständig. Ich sagte ihr ganz offen, daß ich meiner Interessen wegen nach Portugal gehen müsse, daß ich aber nicht in Begleitung einer schönen Frau dorthin gehen könne, ohne das Glück in Frage zu stellen, das ich dort zu finden erwarte. Außerdem würden meine Mittel mir nicht erlauben, die Kosten einer so langen Reise für zwei Personen zu bestreiten.

Die Castelbajac hatte zu viele Beweise meiner Liebe empfangen, um glauben zu können, daß ich ihrer überdrüssig wäre und mich ihrer zu entledigen wünschte, um mit einer anderen zusammen zu leben. Sie sagte nur freundschaftlich, sie schulde mir alles, und ich sei ihr nichts schuldig; wenn ich aber meinen Wohltaten die Krone aufsetzen wolle, so möge ich ihr die Mittel geben, nach Montpellier zurückzukehren. »Ich habe dort Verwandte,« sagte sie zu mir, »die mich gut aufnehmen werden, und ich hoffe, zu meinem Gatten zurückkehren zu können. Ich bin das verlorene Kind; ich werde in ihm den guten Vater finden.«

Ich gab ihr mein Wort, daß ich ihr die Mittel verschaffen würde, in ihre Heimat zurückzukehren.

Etwa Mitte Dezember verließ ich Dresden mit Madame Blasin. Ich hatte nur noch vierhundert Dukaten zu meiner Verfügung, weil das Glück mir an der Pharaobank den Rücken gekehrt und weil die Leipziger Reise mit allen ihren Folgen mir dreihundert Dukaten gekostet hatte. Hiervon sagte ich jedoch meiner Schönen nichts, sondern dachte nur daran, ihr meine Liebe auf jede mögliche Art zu beweisen.

Wir machten in Prag einen kurzen Aufenthalt und kamen in Wien am ersten Weihnachtsfeiertage an. Wir stiegen im »Roten Ochsen« ab; Frau Gräfin Blasin, die sich in eine Modistin verwandelt hatte, wohnte in dem einen Zimmer und ich in dem anderen, so daß wir getrennt gelten konnten, dabei aber doch in inniger Vertraulichkeit vereint blieben.

Gleich am nächsten Morgen, als wir miteinander Kaffee tranken, traten zwei Menschen bei ihr ein und richteten in grobem Tone die Frage an sie:

»Wer sind Sie, Madame?«

»Ich heiße Blasin.«

»Wer ist dieser Herr?«

»Fragen Sie ihn selber.«

»Was machen Sie in Wien?«

»Ich trinke Milchkaffee, wie Sie sehen.«

»Wenn der Herr nicht Ihr Gatte ist, werden Sie binnen vierundzwanzig Stunden abreisen.«

»Der Herr ist nicht mein Gatte, sondern nur mein Freund, und ich werde abreisen, wann es mir gefällt, es sei denn, daß man mich mit Gewalt fortschafft.«

»Gut. Wir wissen, mein Herr, daß Sie ein Zimmer für sich haben. Aber das ist einerlei.«

Einer von den beiden Polizisten ging in mein Zimmer; ich folgte ihm und fragte: »Was wollen Sie hier?«

»Nur Ihr Bett ansehen. Wie ich bemerke, haben Sie nicht darin geschlafen. Das genügt.«

»Zum Teufel nochmal, was geht Sie das an? Wer kann denn nur solch ein abscheuliches Spürsystem erlauben?«

Er antwortete nicht, sondern begab sich wieder in das Zimmer der Blasin. Die beiden Büttel wiederholten nochmals den Befehl, binnen vierundzwanzig Stunden abzureisen, und entfernten sich.

Ich sagte zu meiner Begleiterin: »Kleiden Sie sich an und berichten Sie den ganzen Vorfall dem französischen Gesandten. Sagen Sie, Sie seien Fräulein Blasin, Modistin, und warten hier nur auf eine Gelegenheit, um sich nach Straßburg und von dort nach Montpellier zu begeben.«

Während sie sich ankleidete, ließ ich einen Wagen und einen Lohndiener kommen. Madame Blasin kam nach einer Stunde wieder und sagte mir, der Gesandte habe ihr versichert, sie könne ruhig bleiben und brauche nicht früher abzureisen als bis es ihr passe. Triumphierend fuhr ich mit ihr nach der Messe; da aber das Wetter schlecht war, so fuhren wir gleich nachher nach Hause und brachten den ganzen Tag damit zu, vor einem guten Feuer bei gutem Essen und Trinken es uns wohl sein zu lassen.

Um acht Uhr abends kam der Wirt und sagte sehr höflich zu ihr, er habe Befehl erhalten, ihr ein Zimmer anzuweisen, das nicht an das meinige anstoße, und er sei gezwungen, zu gehorchen.

»Ich bin bereit, das Zimmer zu wechseln!« rief Madame Blasin lachend.

»Muß Madame auch allein speisen?« fragte ich den Wirt.

»Einen diesbezüglichen Befehl habe ich nicht erhalten.«

»In diesem Falle gedenke ich mit Madame zu soupieren, und ich werde Ihnen sehr verbunden sein, wenn Sie für ein recht gutes Essen sorgen.«

»Sie werden zufriedengestellt werden, mein Herr.«

Trotz der schikanösesten Polizei, die die bigotteste Tyrannei hat ersinnen können, verbrachten wir in innigster Vertraulichkeit die vier Tage und Nächte, die die reizende Frau sich noch in Wien aufhielt. Als sie abreiste, wollte ich sie zur Annahme von fünfzig Louis bewegen; sie nahm aber nur dreißig, da sie sich ausgerechnet hatte, daß sie bei der Ankunft in Montpellier noch Gold in ihrer Börse haben würde. Wir schieden tiefgerührt voneinander, und sie schrieb mir von Straßburg aus. Bei meiner Durchreise durch Montpellier werden wir sie wiederfinden.

Am Neujahrstage 1767 nahm ich eine Wohnung bei einem gewissen Herrn Schröder und übergab meinen Empfehlungsbrief an Frau von Salmor, Oberhofmeisterin der Erzherzogin Marianne, und an Frau von Starhemberg. Hierauf machte ich Besuch bei dem älteren Casalbigi, der unter dem Fürsten Kaunitz für das Ministerium arbeitete.

Dieser Casalbigi, dessen ganzer Körper von Beulen bedeckt war, arbeitete stets in seinem Bett, das er fast niemals verließ, und der Minister ging beinahe jeden Tag zu ihm.

Ich war oft bei Metastasio und ging jeden Tag ins Theater, wo Vestris tanzte, den der junge Kaiser von Paris hatte kommen lassen. Am 7. oder 8. Januar sah ich die Kaiserin-Mutter ganz in Schwarz gekleidet ins Theater kommen. Sie wurde mit allgemeinem Händeklatschen empfangen, denn es war das erstemal, daß sie sich seit dem Tode ihres kaiserlichen Gemahls in der Öffentlichkeit zeigte. Ich fand in Wien den Grafen de la Perouse, der bei der Kaiserin die Rückerstattung einer halben Million Gulden betrieb, welche Kaiser Karl der Sechste seinem Vater geschuldet hatte. Durch seine Vermittlung machte ich die Bekanntschaft eines gewissen Las Casas, eines geistvollen und, was selten vorkommt, vorurteilsfreien Spaniers. Bei dem Grafen fand ich ferner den Venetianer Uccelli, mit dem ich im Kollegium San Cipriano auf Murano zusammen gewesen war; er war in Wien als Gesandtschaftssekretär bei dem Botschafter Polo Renieri, der in jenen Tagen starb. Der Botschafter, ein geistreicher und gebildeter Mann, schätzte mich, konnte mich jedoch wegen meines Handels mit den Staatsinquisitoren nicht empfangen. In jenen Tagen kam mein Freund Campioni in Wien an; er war von Warschau über Krakau gereist. Ich nahm ihn mit großem Vergnügen in meine Wohnung auf. Er hatte ein Engagement in London, konnte jedoch ein paar Monate mit mir verbringen, worüber ich hocherfreut war.

Prinz Karl von Kurland war im Sommer einen Monat in Venedig gewesen, wo Herr von Bragadino und meine anderen Freunde, an die ich ihn empfohlen hatte, ihn mit der größten Auszeichnung empfangen hatten. Hierauf hatte er zwei Monate in Wien zugebracht, war aber vierzehn Tage vor meiner Ankunft nach Venedig zurückgereist, wo damals der vor zwei Jahren verstorbene Herzog von Württemberg großes Aufsehen machte. Er hielt sich unter seinem fürstlichen Namen dort auf und gab ungeheuere Summen aus. Prinz Karl schrieb mir sehr dankbare Briefe; er erklärte, er habe niemals liebenswürdigere und zuvorkommendere Menschen getroffen als meine drei Freunde, und ich könne meinerseits bis zum Tode auf ihn rechnen.

Ich lebte in Wien sehr ruhig und in guter Gesundheit. Unaufhörlich dachte ich an meine Reise nach Portugal, die ich im nächsten Frühjahr antreten wollte. Ich sah weder gute noch schlechte Gesellschaft, ging regelmäßig ins Theater und speiste oft bei Casalbigi, der sich mit seinem Atheismus brüstete und in unverschämter Weise auf Metastasio lästerte, der ihn verachtete. Casalbigi wußte dies, aber er lachte darüber; er war ein großer politischer Rechenkünstler und die rechte Hand des Fürsten Kaunitz.

Als ich eines Tages nach Tisch mit meinem lieben Campioni plauderte, sah ich ein sehr hübsches kleines Mädchen von zwölf bis dreizehn Jahren bei mir eintreten. Ihr Benehmen war ein Gemisch von Keckheit und Schüchternheit; sie blieb in einiger Entfernung vor uns stehen und machte mir eine tiefe Verbeugung. Ich fragte sie nach ihrem Begehr, und sie antwortete mir in lateinischen Versen, ihre Mutter sei im Vorzimmer und werde hereinkommen, wenn ich es wünsche. Ich antwortete ihr in lateinischer Prosa, es liege mir nichts daran, ihre Mutter zu sehen, und sagte ihr ganz offen den Grund dafür. Sie antwortete mir mit vier anderen lateinischen Versen; da diese jedoch nicht paßten, so sah ich, daß sie die Verse auswendig hersagte, ohne zu wissen, was sie bedeuteten. Sie sagte mir, immer in Versen, ihre Mutter müsse hereinkommen, denn man werde sie ins Gefängnis stecken, wenn die Keuschheitskommissäre Verdacht schöpfen könnten, daß sie mit mir allein wäre, und daß ich mich mit ihr belustigte. Dieser letztere Ausdruck war ohne jede Umschreibung mit dem ganzen Kynismus der lateinischen Sprache und im Stile Pirons angewandt. Ich mußte laut lachen und bekam Lust, ihr in ihrer Muttersprache zu erklären, was sie mir gesagt hatte. Die kleine Spitzbübin erzählte mir, sie sei Venetianerin. Das versetzte mich in eine behagliche Laune, und ich ließ mich dazu fortreißen, ihr zu sagen, die Polizeispione könnten sie nicht im Verdacht haben, daß sie das von ihr Erwähnte täte, denn sie wäre noch zu jung. Die Kleine dachte einen Augenblick über diesen Einwand nach und rezitierte dann einige Verse aus den Priapeen, worin es heißt, daß herbe Früchte den Gaumen mehr reizen als reife. Mehr war nicht nötig, um mich ganz und gar in Feuer zu setzen. Campioni merkte, daß er überflüssig war, und ging in sein Zimmer.

Ich zog sie sanft an mich und fragte sie, ob ihr Vater in Wien sei. Sie bejahte diese Frage, ohne sich gegen meine Liebkosungen zu sträuben, und begann erotische Verse zu zitieren. Ich fand das köstlich und gab ihr zwei Dukaten. Hierauf entließ ich sie; bevor sie jedoch ging, sprach sie mir, wiederum in Versen, ihren Dank aus und gab mir einen Zettel, worauf, außer einer Adresse in deutscher Sprache, vier lateinische Verse standen, deren Sinn etwa der war, daß ich in ihr nach meinem Belieben Hebe oder Ganymed finden würde.

Trotz aller Verruchtheit konnte ich nicht umhin, den erfinderischen Geist ihres Vaters zu bewundern, der auf diese Weise auf Kosten seiner Tochter zu leben wußte. Die Kleine war sehr hübsch, aber hübsche Mädchen sind in Wien so gewöhnlich, daß sie trotz aller Schönheit in Armut und Elend bleiben. Seine Tochter war durch diese Scharlatankünste eine überraschende Neuheit geworden; allerdings war vorauszusehen, daß er in Wien nicht weit damit kommen würde.

Am nächsten Abend gab mir mein böser Geist den Wunsch ein, zu Fuß in die Wohnung des Mädchens zu gehen. Trotz meinen zweiundvierzig Jahren, trotz meiner großen Lebenserfahrung beging ich die Unvorsichtigkeit, allein nach dem mir angegebenen Hause zu suchen. Die Kleine hatte mich vom Fenster aus bemerkt; sie erriet, daß ich ihre Wohnung suchte, und zeigte mir die Haustür. Ich trat ein, ging eine Treppe hinauf und fühlte beim Anblick des niederträchtigen Diebes Pocchini mein Blut eiskalt durch die Adern strömen. Eine falsche Scham hielt mich ab, sofort wieder umzukehren; dies hätte ausgesehen, wie wenn ich ihn fürchtete, und daran dachte ich nicht einmal. Ich sah in demselben Zimmer seine angebliche Frau Catina, zwei slawonische Räuber und den Lockvogel. Alle Lust zum Lachen war mir vergangen; aber ich verbarg meine Gefühle so gut ich konnte, fest entschlossen, nach fünf Minuten wieder zu gehen.

Pocchini fluchte und schwor. Er warf mir die Härte vor, womit ich ihn in England behandelt hätte, und erklärte schließlich, jetzt sei für ihn die Zeit gekommen, sich zu rächen, und mein Leben sei in seiner Hand. Einer von den beiden Slawoniern nahm das Wort und sagte, wir müßten Frieden schließen. Er ließ mich Platz nehmen, öffnete eine Flasche Wein und verlangte, daß wir miteinander anstießen. Ich mußte gute Miene zum bösen Spiel machen; da ich jedoch nicht trank, schrie Pocchini wütend, ich tränke nur deshalb nicht, weil ich die Flasche nicht bezahlen wollte.

»Sie irren sich,« sagte ich; »ich bin bereit, sie zu bezahlen.«

Ich steckte die Hand in die Tasche, um einen Dukaten herauszuholen, ohne die Börse zu ziehen; aber der Slawonier sagte, ich könnte sie unbesorgt hervorholen, denn ich wäre bei ehrlichen Leuten. Abermals veranlaßte falsche Scham mich, nachzugeben; da es mir einige Mühe machte, mit der rechten Hand die Börse zu öffnen, während ich die linke in der Binde trug, nahm der Slawonier mir die Börse aus der Hand. In demselben Augenblick entriß Pocchini sie ihm und rief, das Geld gehöre ihm als Ersatz für einen Teil des Schadens, den ich ihm verursacht hätte.

Da ich sah, daß dies eine abgekartete Sache war, so sagte ich lächelnd, dies stehe in seinem Belieben, und stand auf, um mich zu entfernen. Der Slawonier verlangte nun aber, wir sollten uns umarmen, und als ich ihm antwortete, das sei nicht notwendig, zogen er und sein Kamerad wütend ihre Säbel. Ich hielt mich für verloren. Ich beeilte mich, sie zu umarmen, und war sehr erstaunt, daß sie mich gehen ließen.

Den Tod im Herzen ging ich nach Hause und da ich nicht wußte, was ich tun sollte, so legte ich mich zu Bett.

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