Dreizehntes Kapitel

Marazzani wird bestraft. – Meine Abreise von Lugano. – Turin. – Herr Dubois. – Livorno. – Orloffs Abfahrt mit dem Geschwader. – Pisa. – Stratico. – Siena. – Die Marchesa Chigi. – Ich reise von Siena mit einer Engländerin ab.

Diese glücklichen unvorhergesehenen zufälligen Begegnungen sind die schönsten Augenblicke meines Lebens. Sie sind mir um so lieber, da ich sie nur dem Zufall verdanke. – Alle drei standen wir stumm vor Überraschung und Freude. Herr von R. brach zuerst das Schweigen und umarmte mich herzlich. Schnell entschuldigten wir uns gegenseitig: er, daß er angenommen hatte, es gäbe in Italien noch andere Personen meines Namens; ich, daß ich mich seines Namens nicht erinnert hatte. Ich mußte gleich zum Essen dableiben, und so war unsere Bekanntschaft wieder erneuert. Seine Republik hatte ihm dieses sehr einträgliche Amt gegeben, das zu seinem großen Bedauern nur zwei Jahre währte. Er sagte mir, er sei entzückt, daß er gerade während meines Aufenthaltes da sei, um mir nützlich sein zu können, und bat mich, in jeder Beziehung über ihn zu verfügen. Besseres konnte ich mir nicht wünschen. Er vernahm mit lebhafter Freude, daß ich in Lugano war, um ein Werk drucken zu lassen, und daher genötigt war, mich drei oder vier Monate lang aufzuhalten, aber er war betrübt, als ich ihm sagte, ich könne seinen Tisch höchstens einmal wöchentlich annehmen, da ich das Werk erst in Umrissen entworfen habe und daher sehr fleißig sein müsse.

Frau von R. konnte sich von ihrer Überraschung gar nicht erholen. Es war neun Jahre her, daß ich sie in Solothurn zurückgelassen hatte, und sie war damals so schön gewesen, daß ich nicht hatte annehmen können, einige Jahre mehr würden ihre Schönheit noch vergrößern. Und doch war dies der Fall: sie war viel schöner geworden, und ich machte ihr mein Komplimente darüber. Sie zeigte mir ihren einzigen Sprößling und gab ihn mir auf den Arm. Sie hatte ihn vier Jahre nach meiner Abreise zur Welt gebracht und liebte ihn mehr als das Licht ihrer Augen. Es sah auch ganz darnach aus, wie wenn der Knabe etwas verzogen wäre, ich habe jedoch vor kurzer Zeit gehört, daß dieses Kind jetzt ein ebenso liebenswürdiger wie wohlunterrichteter Mann ist.

Im Laufe einer Viertelstunde erzählte Frau von R. mir alles, was sie seit meiner Abreise von Solothurn erlebt hatte. Sie sagte nur, Lebel habe sich in Besançon niedergelassen und lebe dort mit seiner Frau in sehr angenehmen Vehältnissen.

Während unserer Unterhaltung sagte sie mir beiläufig, sie finde mich nicht mehr so jugendfrisch aussehend wie in Solothurn. Dies veranlaßte mich zu einem Verhalten, das ich sonst vielleicht nicht beobachtet haben würde. Statt mich von ihrer Schönheit fortreißen zu lassen, war ich auf meiner Hut, und anstatt eine Wiederanknüpfung unseres Liebesverhältnisses zu versuchen, sagte ich mir: um so besser; da ich auf den Namen eines Liebhabers keinen Anspruch mehr machen darf, so werde ich ihr Freund sein und werde mich würdig erweisen, auch der ihres ehrenwerten Gatten zu sein. Übrigens erlaubte auch das Werk, das ich drucken lassen wollte, mir keinerlei Zerstreuung, und eine Liebschaft würde den besten Teil meiner Zeit in Anspruch genommen haben.

Gleich am nächsten Tage begann ich zu arbeiten und schrieb mit Ausnahme einer Stunde, die ich einem Besuche widmen mußte, den Herr von R. mir machte, den ganzen Tag hindurch bis in die Nacht hinein. Am nächsten Tage erhielt ich den ersten Korrekturbogen, mit dem ich ziemlich zufrieden war.

Ich verbrachte den ganzen ersten Monat, emsig arbeitend, in meinem Zimmer. Nur an den Sonntagen ging ich aus, um die Messe zu hören, bei Herrn von R. zu speisen und dann mit Frau von R. und ihrem Kinde einen Spaziergang zu machen.

Am Ende dieses ersten Monats war mein erster Band fertig gedruckt und broschiert, und das ganze Manuskript für den zweiten lag bereit. In den letzten Tagen des Oktobers lieferte der Drucker mir das vollständige dreibändige Werk ab, und in weniger als einem Jahre verkaufte ich die ganze Auflage.

Indem ich dieses Werk schrieb, beabsichtigte ich weniger, mir Geld zu verschaffen, als die Gnade der Inquisitoren von Venedig zu erlangen; denn nachdem ich ganz Europa durchstreift hatte, wurde das Bedürfnis, meine Heimat wiederzusehen, so heftig, daß mir zumute war, wie wenn ich ohne dieses Glück überhaupt nicht mehr leben konnte.

Amelot de la Houssaie hatte die Geschichte der venetianischen Regierung als wahrer Feind der Venetianer geschrieben; seine Geschichte war eine Satire, die neben gelehrten Bemerkungen auch viele Verleumdungen enthielt. Amelots Werk befand sich seit siebzig Jahren in allen Händen, und kein Mensch hatte sich die Mühe gemacht, es zu widerlegen. Hätte ein Venetianer Amelots Lügen bloßstellen und ein Buch darüber drucken lassen wollen, so würde er in den venetianischen Staaten nicht die Erlaubnis dazu erhalten haben, denn die Regierung der Republik gestattet grundsätzlich nicht, daß man sich mit ihr beschäftigt, weder im Lob noch im Tadel. So hatte bis dahin kein einziger Schriftsteller die französische Satire zu widerlegen gewagt, da er anstatt einer verdienten Belohnung nur eine schimpfliche Bestrafung hätte erwarten können.

Ich glaubte nun, daß wegen meiner Ausnahmestellung diese Aufgabe mir vorbehalten sei. Da ich Grund genug hatte, mich über eine Regierung zu beklagen, deren Mitglieder mich durch ihre willkürliche und despotische Gewalt verfolgten, so war ich gegen den Verdacht der Parteilichkeit geschützt. Da ich andererseits sicher war, vor ganz Europa Amelots Lügen und Ungenauigkeiten zu enthüllen, so hoffte ich auf eine Belohnung, die nach meiner Meinung gar nicht ausbleiben konnte, da sie nur in einem Akte der Gerechtigkeit bestehen sollte.

Nach einer vierzehnjährigen Verbannung hatte ich Anspruch auf Rückkehr in meine Heimat, und ich glaubte, die Staatsinquisitoren würden sich freuen, diese Gelegenheit benützen zu können, um ihre Ungerechtigkeit wieder gut zu machen, indem sie mir zur Belohnung meiner Vaterlandsliebe meine Begnadigung bewilligten.

Meine Leser werden sehen, daß ich richtig geraten hatte; aber man ließ mich noch fünf Jahre auf etwas warten, was man mir sofort hätte bewilligen sollen.

Da Herr von Bragadino tot war, so hatte ich in Venedig nur noch meine beiden guten alten Freunde Dandolo und Barbaro; durch sie fand ich in Venedig, jedoch ganz im geheimen, etwa fünfzig Subskribenten.

Während meines ganzen Aufenthaltes in Lugano verkehrte ich im Hause des Herrn von R., wo ich mehrere Male den weisen und gelehrten Abbate Riva traf, an den ich von seinem Verwandten, Herrn Guerini empfohlen worden war. Dieser Abbate stand bei seinen Landsleuten wegen seiner Klugheit in so hohem Ruf, daß sie ihn fast bei allen Streitigkeiten, die sonst zu kostspieligen Prozessenssen geführt hätten, zum Schiedsrichter erwählten. Er wurde aber von allen Gerichtsvollziehern, Rechtsanwälten, Sachwaltern und anderen Dienern der Gerechtigkeit herzlich gehaßt. Sein Neffe, Giambattista Riva, war nicht nur ein Freund der Musen, sondern er liebte auch den Gott vom Ganges und die Göttin von Cythere; er war mein Freund, obwohl ich ihm mit dem Glase in der Hand weder standhalten konnte noch wollte. Er lieh mir die jungen Nymphen, die er in die großen Mysterien eingeweiht hatte, und sie hatten ihn darum nur um so lieber, denn ich machte ihnen kleine Geschenke. Ich machte mit ihm und seinen sehr hübschen Schwestern eine Reise nach den Borromeischen Inseln. Ich wußte, daß Graf Federigo Borromeo, der mich im Juni mit seiner Freundschaft beehrt hatte, anwesend war, und war sicher, daß er mich gut empfangen würde. Die eine von den beiden Schwestern sollte für die Frau meines Freundes Riva gelten, und die andere für seine Schwägerin.

Graf Borromeo war zwar ruiniert, lebte aber auf seinen Inseln wie ein Fürst.

Es ist unmöglich, diese glückseligen Inseln zu schildern; man muß sie sehen. Es ist das herrlichste Klima, ein ewiger Frühling; man kennt dort buchstäblich weder Hitze noch Frost.

Der Graf bewirtete uns mit einem leckeren Essen und ließ die beiden Schönen nach Fischen angeln; dies machte ihnen viel Vergnügen. Obwohl er häßlich, alt, gichtbrüchig und verarmt war, besaß er doch noch die große Kunst zu gefallen.

Als wir vier Tage nach unserer Abreise nach Lugano zurückkehrten, wollte ich auf einem ziemlich engen Wege einem Wagen ausweichen; mein Pferd glitt über den Wegrand und stürzte zehn Fuß tief hinab. Ich stieß mit dem Kopf gegen einen großen Stein und glaubte, es sei um mich geschehen, denn das Blut strömte aus einer großen Wunde hervor. Ich kam mit der Furcht davon, denn in einigen Tagen war ich wieder hergestellt. Dies war das letzte Mal, daß ich ein Pferd bestieg.

Während meines Aufenthaltes in Lugano kamen die Abgeordneten der Dreizehn Kantone auf ihrer Rundreise durch die Untertanenländer dorthin. Die Luganesen gaben ihnen den prachtvollen Titel Ambassadoren, Herr von R. aber nannte sie einfach die Schultheißen.

Die Herren wohnten im selben Gasthof wie ich, und ich speiste mit ihnen während der ganzen Zeit ihres Aufenthaltes. Der Schultheiß von Bern gab mir Nachricht über meinen armen Freund F. und dessen Familie. Seine reizende Tochter Sarah hatte Herrn von W. geheiratet und war glücklich.

Bald nach der Abreise der Schultheißen, die lauter kenntnisreiche und sehr liebenswürdige Männer waren, sah ich eines schönen Morgens den unglückseligen Marazzani in mein Zimmer treten. Sobald ich ihn erkannte, sprang ich ihm an den Kragen, schleppte ihn trotz seinem Geschrei und Sträuben hinaus und gab ihm, ohne daß er Zeit gehabt halte, sich seines Stockes oder Degens zu bedienen, so viele Ohrfeigen, Faustschläge, Fußtritte (die er nach besten Kräften erwiderte), daß der Wirt und die Kellner, die auf den Lärm herbeieilten, die größte Mühe hatten, uns zu trennen.

»Lassen Sie den Spitzbuben nicht entwischen,« sagte ich zum Wirt, »und holen Sie den Bargello, damit er ihn ins Gefängnis bringt.«

Ich ging wieder in mein Zimmer, und während ich mich in aller Eile ankleidete, um Herrn von R. aufzusuchen, trat der Bargello ein und fragte mich, warum er den Menschen ins Gefängnis bringen sollte.

»Das werden Sie bei Herrn von R. erfahren, wo ich Sie erwarten werde.«

Warum war ich so zornig? Mein lieber Leser erinnert sich vielleicht, daß ich den Elenden im Schloß Buen Retiro zurückgelassen hatte, als der Alcalde Messa mich aus jener Hölle befreite, um mich nach meiner Wohnung zurückzubringen. Ich hatte später erfahren, daß er nach den afrikanischen Presidios gesandt worden war, um dort dem König aller Spanier als Galerenknecht mit dem Solde eines gemeinen Soldaten zu dienen.

Da ich nichts gegen ihn hatte, so bedauerte ich ihn; da ich ihn jedoch auch nicht näher kannte und nichts tun konnte, um sein Schicksal zu mildern, so hatte ich nicht mehr an ihn gedacht.

Als ich acht Monate später nach Barcelona kam, fand ich unter den Opernsängerinnen die Bellucci, eine junge Venetianerin, die ich im Vorübergehen einmal geliebt hatte, und deren Freund ich geblieben war. Sie stieß einen Freudenschrei aus, als sie mich wiedersah, und sagte mir, sie sei glücklich, mich von dem Unglück erlöst zu sehen, das die Tyrannei über mich gebracht habe.

»Was für ein Unglück meinen Sie, meine Liebe? Ich habe Unglück von mehr als einer Art gehabt, seitdem wir uns zuletzt gesehen haben.«

»Ich spreche vom Presidio, lieber Freund!«

»Dies ist, Gott sei Dank, ein Unglück, das ich nicht zu beklagen habe. Wer hat Ihnen nur so etwas Schreckliches erzählt?«

»Ein gewisser Graf Marazzani, der hier drei Wochen zubrachte; er war, wie er mir sagte, glücklicher gewesen als Sie und hatte entfliehen können.«

»Der Mensch ist ein niederträchtiger Schuft, der Sie frech belogen hat, meine Liebe; aber wenn ich ihn jemals treffe, soll er mir seine Verleumdung teuer bezahlen.«

Seit jenem Augenblick konnte ich an diesen Kerl nicht ohne ein lebhaftes Verlangen, ihn durchzuprügeln, denken; ich dachte jedoch nicht, daß der Zufall ihn so bald mir in den Weg führen würde.

Da ich mich in dieser Stimmung befand, so wird man es wohl ganz natürlich finden, daß ich der ersten Aufwallung folgte und über ihn herfiel, sobald ich ihn sah. Ich hatte ihn geprügelt, aber damit war ich nicht zufrieden; denn ich hatte tatsächlich vielleicht ebenso viele Schläge bekommen, wie ich ausgeteilt hatte. Jedenfalls war er im Gefängnis, und ich wollte doch sehen, was Herr von R. tun könnte, um mir durch Bestrafung des Elenden volle Genugtuung zu verschaffen.

Als Herr von R. den Sachverhalt erfuhr, sagte er mir, er könne Marazzani weder im Gefängnis halten noch aus der Stadt ausweisen, wenn ich nicht eine Eingabe machte, worin ich Schutz meines Lebens gegen diesen Mann verlangte,von dem ich mit gutem Grund annehmen müßte, daß er ein Mörder und eigens nach Lugano gekommen wäre, um einen Anschlag auf mein Leben zu machen.

»Zur Begründung Ihrer Anklage können Sie die wirklichen Beschwerden anfühlen, die Sie gegen ihn haben, und können seinem plötzlichen unangemeldeten Erscheinen in Ihrem Zimmer die übelste Deutung geben. Reichen Sie Ihre Schrift ein; wir werden dann sehen, was er darauf antwortet. Ich werde ihm seinen Paß abverlangen, werde die Geschichte in die Länge ziehen und werde Befehl geben, daß man ihn hart behandle; aber schließlich werde ich doch nichts weiter machen können, als daß ich ihn aus der Stadt ausweise, und wenn er gute Bürgschaft stellt, kann ich selbst das nicht tun.«

Weiter konnte ich natürlich von dem braven Mann nichts verlangen. Ich reichte meine Schrift ein und ging am nächsten Morgen zu Herrn von R., um mir das Vergnügen zu bereiten, den Burschen gefesselt vorgeführt zu sehen.

Auf Herrn von R.'s Frage schwor Marazzani, er habe durchaus keine böse Absicht gehabt, indem er bei mir eingetreten sei. Was er in Barcelona gesagt habe, sei nur eine Wiederholung dessen, was man ihm selber erzählt habe, und es freue ihn sehr, daß man ihm falsch berichtet habe.

Diese Genugtuung hatte mir gewiß genügen sollen, das fühle ich; trotzdem sagte ich kein Wort, um die Strafe zu mildern, die der Richter vielleicht über ihn verhängen würde.

Herr von R. sagte ihm: »Mit einem leeren Gerede, das nicht zu greifen ist, kann man nicht die Verleumdung eines Mitmenschen entschuldigen; ich kann daher Herrn Casanova Gerechtigkeit und die geforderte Genugtuung nicht verweigern. Übrigens ist Herrn Casanovas Verdacht, daß Sie ihn haben ermorden wollen, hinreichend dadurch gerechtfertigt, daß Sie sich im Gasthof unter einem falschen Namen vorgestellt haben; denn der Klüger behauptet, Sie seien kein Graf Marazzani. Er erbietet sich, zur Untersuchung des Tatbestandes Kaution zu stellen, und wenn Herr Casanova Ihnen unrecht tut, wird diese Kaution zu Ihrer Entschädigung verwandt werden. Einstweilen bleiben Sie im Gefängnis, bis ich von Piacenza die Bestätigung von Herrn Casanovas Anschuldigung oder Ihre Rechtfertigung empfangen habe.«

Der Angeklagte wurde ins Gefängnis zurückgeführt, und da der arme Teufel keinen Heller hatte, so brauchte dem Bargello durchaus keine Strenge besonders befohlen zu werden.

Herr von R. schrieb nach Parma an den Geschäftsträger der Dreizehn Kantone, um die erforderliche Aufklärung zu erhalten. Der freche Gauner wußte, daß die Antwort nicht zu seinen Gunsten ausfallen würde, und schrieb mir daher einen ganz demütigen Brief, worin er gestand, daß er in der Tat nur ein armer Bürgersmann von Bobio sei, und daß er, obwohl er wirklich Marazzani heiße, doch mit den Marazzanis von Piacenza nichts zu tun habe. Zum Schluß flehte er mich an, ich mochte ihn wieder in Freiheit setzen lassen.

Ich zeigte Herrn von R. diesen Brief; er ließ den Menschen sofort in Freiheit setzen, indem er ihm Befehl gab, Lugano binnen vierundzwanzig Stunden zu verlassen.

Ich fand diese Genugtuung hinreichend, und um das Unrecht wieder gutzumachen, das ich meinerseits ihm vielleicht angetan hatte, gab ich dem armen Teufel etwas Geld, um nach Augsburg zu gehen, und einen Brief an Herrn von Sellentin, der sich als Werber für den König von Preußen dort aufhielt. Ich werde auf diesen Menschen zu seiner Zeit noch zurückkommen.

Der Chevalier de Breche kam nach Lugano, um Pferde zu kaufen, und verbrachte vierzehn Tage dort. Er verkehrte mit mir häufig im Hause des Herrn von R., denn die Reize der gnädigen Frau hatten tiefen Eindruck auf ihn gemacht. Wir verkehrten miteinander in guter Freundschaft, und ich sah ihn mit Bedauern scheiden.

Ich verließ Lugano wenige Tage nach ihm, um den Winter in Turin zu verbringen, wo ich im Umgang mit dem englischen Gesandten und meinen anderen Freunden ein angenehmes Leben erwarten durfte.

Vor meiner Abreise erhielt ich vom Fürsten Lubomirski einen sehr freundschaftlichen Brief mit einem Wechsel über hundert Dukaten, die er mir als Preis für fünfzig an ihn gesandte Exemplare meines Werkes schickte. Der gute Fürst war nach dem Tode des Großmalschalls der Krone, Grafen Bilinski, zu dieser hohen Würde erhoben worden.

In Turin fand ich einen Brief des edlen Venetianers Girolamo Zulian, desselben, der mich mit Erlaubnis der Staatsinquisitoren an den Botschafter Mocenigo in Madrid empfohlen hatte. Dieses Schreiben enthielt einen Brief an den Geschäftsträger der Republik in Turin, Herrn Berlendis. Er freute sich sehr über den Empfang und dankte mir, daß ich durch diesen Brief ihn der unangenehmen Notwendigkeit enthoben hätte, mir sein Haus zu verschließen.

Der Geschäftsträger war ein reicher Mann, großer Freund des schönen Geschlechtes und machte ein großes Haus; dies genügte, um die Herren in Venedig von ihm sagen zu lassen, er mache der Republik Ehre; denn um Venedig als Gesandter an fremden Höfen zu vertreten, braucht man keinen Geist zu haben. Es wäre genauer, wenn ich sagte: man darf keinen Geist haben, oder man muß diesen zu verbergen wissen; denn wer Geist hätte und solchen zur Schau trüge, würde gar bald beim Senat in Ungnade fallen, der stets nur das tut, was das Kollegium will. Unter Kollegium versteht man in Venedig den Rat der Staatsinquisitoren. Berlendis lief keine Gefahr, zu mißfallen, denn von Geist war bei ihm keine Rede.

Überzeugt, daß der Erfolg mir nur günstig sein könnte, veranlaßte ich den Geschäftsträger, mein Werk amtlich den Staatsinquisitoren zu übersenden. Die Antwort, die er erhielt, wird erstaunlich erscheinen; mich überraschte sie jedoch keineswegs. Der Sekretär dieses gestrengen und höchst abscheulichen Tribunals schrieb ihm: er habe sehr wohl daran getan, dieses Werk den Inquisitoren zu senden, denn der Titel allein zeige zur Genüge die Vermessenheit des Verfassers. Man werde das Werk prüfen; unterdessen solle er mich genau beobachten und vor allen Dingen mir keinen Gunstbeweis geben, der bei dem Hofe die Meinung erregen könnte, ich würde von ihm in meiner Eigenschaft als Venetianer beschützt.

Die Mitglieder dieses Tribunals waren jedoch dieselben, die mir den Zutritt zu Mocenigo verschafft hatten.

Ich sagte Herrn Berlendis, ich würde ihn nur von Zeit zu Zeit vorsichtig besuchen.

Der Hofmeister seines Sohnes, ein gewisser Abbé Andreis, interessierte mich sehr; er war gelehrt, ein guter Schriftsteller und guter Dichter. Als Freund der Freiheit hat er sich später nach England zurückgezogen, wo er sich der köstlichsten aller Güter, einer vollen Freiheit, erfreute.

Ich lebte in Turin auf die angenehmste Weise und sehr friedlich, in einer liebenswürdigen Gesellschaft von Epikuräern: diese waren der alte Chevalier Raiberti, der Graf de la Pérouse, ein reizender Abbé de Roubien, ein genußfreudiger Graf Riva und der englische Gesandte. Dazu beschäftigte ich mich ein bißchen mit guter Literatur, aber ich hatte keine Liebschaft. Häufige Soupers mit sehr hübschen Modistinnen löschten unsere Begierden, bevor sie noch eigentlich entstanden oder jedenfalls bevor wir Zeit gehabt hatten, zu schmachten.

Während meines Aufenthaltes wurde die Geliebte des Grafen de la Pérouse, eine hübsche Modistin, ernstlich krank. Sie verschluckte bei der letzten Kommunion das Bildnis ihres Geliebten anstatt der Hostie. Ich machte auf diesen Vorfall zwei Sonette, mit denen ich zufrieden war und noch jetzt zufrieden bin. Man wird vielleicht sagen, es sei die Eigenschaft aller Dichter, mit ihren Werken zufrieden zu sein, wie die Äffin mit ihren Äffchen zufrieden ist; aber es ist Tatsache, daß ein vernünftiger Dichter sein erster Kritiker sein muß.

Zu jener Zeit befand sich das russische Geschwader unter dem Oberbefehl des Grafen Alexis Orloff in Livorno; es bedrohte Konstantinopel und wäre vielleicht dorthin gelangt, wenn ein Engländer es befehligt hätte.

Da ich den Grafen Orloff von Petersburg her kannte, so fiel mir ein, daß ich ihm vielleicht nützlich sein und zugleich mein Glück machen könnte.

Nachdem ich vom englischen Gesandten einen Brief erhalten hatte, durch den er mich eindringlich dem Konsul seiner Nation empfahl, verließ ich Turin mlt sehr wenig Geld in der Tasche und ohne einen Kreditbrief für einen Bankier.

Der Engländer Acton empfahl mich einem Landsmann, der in Livorno ein Geschäft hatte, aber seine Empfehlung ging nicht so weit, Geld für mich zu verlangen.

Dieser Acton hatte damals eine eigentümliche Geschichte auf dem Halse: in Venedig hatte er sich in eine sehr schöne Frau verliebt, eins Griechin oder Neapolitanerin. Der Gatte, ein Turiner von Geburt und Taugenichts von Beruf, legte der Liebe Actons, der sehr viel Geld ausgab, kein Hindernis in den Weg, aber er verstand es, gerade in solchen Augenblicken unbequem zu werden, wo er sich als anständiger Mensch hätte fern halten sollen.

Ein solches Verhalten konnte dem offenen und freigebigen, zugleich aber stolzen und ungeduldigen Charakter des verliebten Insulaners nicht lange passen. Im Einverständnis mit seiner Schönen, entschloß Acton sich, die Zähne zu zeigen. Als eines Tages der Ehemann wieder zur Unzeit seinen Besuch machte, sagte der Engländer, ihm mit dürren Worten: »Brauchen Sie tausend Guineen? Diese stehen Ihnen zu Diensten, aber unter der Bedingung, daß Sie mir erlauben, drei Jahre mit Ihrer Frau zu reisen, ohne daß Sie uns begleiten.«

Der Mann fand das Geschäft gut, nahm den Vorschlag an und unterschrieb den Vertrag.

Nach Ablauf der drei Jahre schrieb der Ehemann von Turin aus an seine Frau nach Venedig, sie solle zu ihm kommen, und an Acton, er solle sie nicht daran verhindern.

Die Dame antwortete, sie wolle nicht mehr mit ihm leben; Acton gab ihm zu verstehen, er könne nicht gezwungen werden, die Frau aus seinem Hause zu jagen. Da er jedoch voraussah, daß der Gatte sich an den englischen Gesandten wenden würde, so schrieb Acton an diesen, um ihn zu seinen Gunsten zu stimmen.

Der Gatte verfehlte nicht, den von Acton vorausgesehenen Schritt zu tun: er verlangte, der Gesandte solle ihm befehlen, seine Frau herauszugeben. Er bat sogar den Chevalier Raiberti, dem Komtur Camarana, sardinischen Gesandten in Venedig, zu schreiben, er möchte bei der venetianischen Regierung die Heimsendung der Frau beantragen. Die Angelegenheit würde nach seinem Wunsche erledigt worden sein, wenn Raiberti diesen Schritt getan hätte. Dieser stellte jedoch die Ehre höher als das Sakrament der Ehe und unterließ es nicht nur, an Camarana zu schreiben, sondern bereitete auch auf Veranlassung seines Freundes, des englischen Gesandten, dem Ritter Acton die allerbeste Aufnahme, als er zur Ordnung dieser Angelegenheit nach Turin kam. Seine Geliebte hatte Acton unter dem Schutze des englischen Konsuls in Venedig gelassen.

Der dumme Ehemann schämte sich, öffentlich zu klagen, denn sein Vertrag bedeckte ihn mit Schimpf und Schande; aber Berlendis vertrat seine Rechte und gab uns durch die Art seiner Verteidigung viel zu lachen. Einerseits stellte er die eheliche Vereinigung als heilig und unverletzlich hin, andererseits konnte nach seiner Behauptung die Frau nach Gutdünken verhandelt werden, da sie sich dem Willen und der Verfügung des Gatten in jeder Weise zu unterwerfen hätte. Ich hatte mit ihm einen Disput und wies ihm nach, wie lächerlich er sich machte, indem er die Niedertracht eines Menschen unterstützte, der ohne Erröten eine Frau, die zu beschützen und zu verteidigen er geschworen hätte, als Ware behandelte. Ich überzeugte ihn jedoch erst, als ich ihm nachwies, daß der unwürdige Ehemann dem Liebhaber das Anerbieten gemacht hatte, den Vertrag auf weitere drei Jahre für denselben Preis von tausend Guineen zu erneuern.

Zwei Jahre später fand ich Acton in Bologna wieder und bewunderte die Schönheit der Frau, die er in jeder Beziehung als seine Gattin ansah und behandelte. Sie hielt einen hübschen kleinen Acton auf dem Schoß. Ich brachte ihr Nachrichten von ihrer Schwester, von der ich noch sprechen werde.

Ich reiste von Turin nach Parma mit einem Venetianer, der wie ich aus Gründen, die nur den Staatsinquisitoren bekannt waren, fern von der Heimat durch die Welt irrte. Er war Schauspieler geworden, um sein Brot zu verdienen, und ging nach Parma mit zwei Schauspielerinnen, von denen die eine einige Aufmerksamkeit verdiente. Sobald er hörte, wer ich sei, wurden wir Freunde, und er hätte mich gerne zu allen Vergnügungen zugezogen, die die Gesellschaft unterwegs bieten konnte, wenn ich in der Laune gewesen wäre, mich zu amüsieren.

Ich ging mit phantastischen Ideen nach Livorno und ich glaubte, mich dem Grafen Orloff bei der Eroberung Konstantinopels, zu der er, wie man sagte, auszog, nützlich machen zu können. Ich bildete mir ein, das Schicksal hätte bestimmt, daß er ohne mich niemals die Dardanellen passieren würde.

Obwohl diese Gedanken mich beschäftigten, faßte ich doch eine große Zuneigung zu meinem jungen Landsmann Angelo Bentivoglio. Die Inquisitoren verziehen ihm niemals ein Verbrechen, das die Philosophie nur als eine Läpperei ansehen kann. Ich komme in vier Jahren auf diesen Venetianer zu sprechen, wenn ich wieder in Venedig bin.

Ich kam in Parma gegen Mittag an und verabschiedete mich von Bentivoglio und seinen Begleiterinnen. Der Hof war in Colorno; da ich aber mit diesem Diminutivhof nichts zu tun hatte und schon am nächsten Tage nach Bologna weiterreisen wollte, so erbat ich mir einen Löffel Suppe von dem buckligen Herrn Dubois-Châteleroux, dem Münzdirektor des Infanten. Er war ein geistreicher und sehr talentvoller Mann, obgleich eitel. Der Leser erinnert sich vielleicht, daß ich ihn vor zweiundzwanzig Jahren gekannt hatte, zu jener glücklichen Zeit, als ich in Henriette verliebt war. Er empfing mich mit lauten Ausrufen der Freude und dankte mir herzlich für die Höflichkeit, die ich ihm erwiesen, indem ich die wenigen Stunden meines Aufenthaltes in Parma mit ihm verbringen wollte. Ich sagte ihm, ich ginge nach Livorno zum Grafen Alexis Orloff, der mich erwartete; ich würde Tag und Nacht reisen, denn er müßte in dem Augenblick, wo wir sprächen, bereits segelfertig liegen.

»Er muß in der Tat im Begriff stehen, abzufahren,« antwortete der Bucklige mir; »hier habe ich Briefe von Livorno, in denen er mir gemeldet wird.«

Ich antwortete ihm in geheimnisvollem Ton, er würde nicht ohne mich abreisen, und der feine Bucklige machte mir eine Verbeugung voll politischer Bewunderung. Er wollte über diese Expedition sprechen, worüber ganz Europa orakelte; mein zurückhaltender Ton veranlaßte ihn jedoch, das Gespräch auf etwas anderes zu bringen.

Beim Mittagessen, woran seine Haushälterin teilnahm, sprachen wir viel von meiner Henriette, deren Namen erfahren zu haben er behauptete. Obgleich er mit großer Ehrerbietung von ihr sprach, nahm ich mich doch in acht, damit er aus meinen Worten keine Schlüsse ziehen konnte. Den ganzen Nachmittag unterhielt er sich mit mir und beklagte sich über alle Herrscher Europas mit Ausnahme des Königs von Preußen, der ihn zum Baron gemacht hatte, obwohl er ihn nicht kannte und niemals auch nur das Geringste mit ihm zu tun gehabt hatte.

Am meisten schimpfte er auf den Infanten von Parma, der ihn durchaus nicht aus seinem Dienst entlassen wollte, obgleich er nicht die Mittel besaß, eine Münze einzurichten und daher seine Talente brach liegen ließ.

Ich hörte alle seine Litaneien sehr gefällig an und gab ihm zu, daß er vollkommen recht hätte, wenn er sich über Frankreich beklagte, weil Ludwig der Fünfzehnte ihm nicht das Band des Michaelordens gegeben hätte; über Venedig, weil es sehr wenig für die großen Dienste bezahlte, die er dem Staat geleistet hätte, indem er das Druckwerk einrichtete, mittels dessen alle Münzen mit Rand geschlagen werden könnten, Ähnliche Beschwerden hatte er über Spanien, Neapel usw.

Nachdem er seinem Herzen Luft gemacht hatte, bat ich ihn, mir durch irgendeinen Bankier fünfzig Zechinen geben zu lassen, die ich in Livorno an irgendein von ihm mir zu bezeichnendes Haus bezahlen würde.

Er antwortete mir in freundschaftlichstem Tone, es sei unnötig, wegen eines solchen Bettels zu einem Bankier zu gehen; er werde mir die fünfzig Zechinen selber geben.

Ich nahm sie an und versprach ihm, das Geld schnellstens zurückzuzahlen. Unglücklicherweise bin ich niemals in der Lage gewesen, dies zu tun, und ich werde mit dem zwecklosen Wunsche sterben, ihn noch bezahlen zu können, übrigens weiß ich nicht, ob er noch lebt; aber selbst wenn er so alt werden sollte wie Methusalem, mache ich mir durchaus keine Hoffnungen; denn ich werde jeden Tag ärmer und sehe, daß ich ganz dicht am Ende meiner Laufbahn stehe.

Am nächsten Tage kam ich in Bologna an und den Tag darauf in Florenz, wo ich den neunzehnjährigen Chevalier Morosini, den Neffen des Prokurators, traf. Er reiste mit dem Grafen Stratico, Professor der Mathematik an der Universität Padua, der den jungen Morosini als Erzieher begleitete. Er gab mir einen Brief an seinen Bruder, den Jakobinermönch und Professor der schönen Wissenschaften an der Universität Pisa. Ich hielt mich in dieser Stadt nur ein paar Stunden auf, um die Bekanntschaft dieses Mönches zu machen, der durch seinen Geist ebenso berühmt war wie durch sein Wissen. Ich fand ihn weit über seinem Beruf stehend, und da er mich sehr gut aufnahm, so versprach ich ihm, ein anderes Mal eigens zu dem Zweck, seine interessante Gesellschaft zu genießen, wieder nach Pisa zu kommen.

Ich verweilte eine Stunde im Seebade, wo ich die Bekanntschaft des Prätendenten auf den großbritannischen Thron machte, und begab mich dann nach Livorno, wo ich den Grafen Orloff nur darum noch vorfand, weil widrige Winde ihn verhindert hatten, in See zu stechen.

Der englische Konsul, bei dem er wohnte, stellte mich sofort dem russischen Admiral vor, der mich mit großer Freude empfing. Er sagte mir, er sei entzückt, mich wiederzusehen, und es werde ihm eine große Freude sein, mich an Bord zu haben. Er forderte mich auf, sofort mein Gepäck an Bord bringen zu lassen, weil er beim ersten günstigen Winde in See gehen würde. Er verließ mich, um einige Geschäfte zu erledigen, und ich blieb mit dem englischen Konsul allein, der mich fragte, in welcher Eigenschaft ich mich einschiffen würde.

»Das möchte ich allerdings auch wissen, bevor ich meine Sachen auf sein Schiff bringen lasse.«

»Sie können erst morgen früh mit ihm sprechen.«

Am nächsten Morgen begab ich mich zum Grafen Orloff und ließ ihm zwei Zeilen überbringen, wodurch ich ihn bat, mir einige Augenblicke für eine Unterhaltung zu gewähren, bevor ich meinen Koffer auf sein Schiff bringen ließe.

Ein Adjutant meldete mir, der Admiral sei im Bett mit Schreiben beschäftigt und lasse mich bitten, etwas zu warten.

»Sehr gern.«

Als ich einige Minuten gewartet hatte, erschien da Loglio, Geschäftsträger des Königs von Polen in Venedig, der mich von Berlin her und sogar durch alte Beziehungen schon von meiner Geburt an kannte.

»Was machen Sie hier, mein lieber Casanova?«

»Ich warte auf eine Besprechung mit dem Admiral.«

»Er ist sehr beschäftigt.«

Nachdem da Loglio mir diese Worte gesagt hatte, trat er ein. Das war eine Unverschämtheit; konnte er mir deutlicher sagen, daß für ihn Orloff nicht beschäftigt sei?

Einen Augenblick darauf kam der Marchese Marucci mit seinem Sankt-Annenorden – und seinem aufgeblasenen Wesen. Er machte mir ein Kompliment über mein Erscheinen in Livorno und sagte mir darauf, er lese mein Werk über Amelot de la Houssaie, worin er sich nicht erwähnt zu finden erwarte.

Er hatte recht; denn der Gegenstand des Werkes und er hatten nichts miteinander gemein; aber er war nicht der Mann, um auf der Welt nur das zu sehen, was er erwartete. Er ließ mir keine Zeit, ihm dies zu sagen, denn er trat beim Admiral ein, wie da Loglio eingetreten war.

Ich ärgerte mich, daß die Herren sofort vorgelassen wurden, während man mich im Vorzimmer warten ließ, und mein Plan begann mir zu mißfallen.

Fünf Stunden darauf kam Orloff mit einem großen Gefolge zum Vorschein. Er sagte mir mit liebenswürdiger Miene, wir wollten bei Tisch oder nach dem Essen miteinander sprechen.

»Nach dem Essen«, antwortete ich ihm.

Um zwei Uhr kam er wieder und setzte sich zu Tisch. Wer sich zuerst hinsetzte, konnte mitessen. Zu diesen gehörte ich; die anderen mußten zusehen.

Orloff sagte fortwährend: »Essen Sie doch, meine Herren!«

Er selber aber aß nichts, sondern las fortwährend seine Briefe, die er einem Sekretär übergab, nachdem er mit Bleistift Notizen darauf gemacht hatte.

Ich sagte während der ganzen Mahlzeit kein Wort. Als nach dem Essen der Kaffee herumgereicht wurde, sah der Graf mich plötzlich an, ergriff meine Hand und führte mich in eine Fensternische. Dort sagte er mir, ich möchte mich beeilen, mein Gepäck an Bord zu schicken, denn wenn der Wind sich hielte, würde er noch vor dem nächsten Morgen an Bord gehen.

»Ja, aber erlauben Sie mir, Herr Graf, Sie zu fragen, in welcher Eigenschaft Sie mich mitnehmen und welcher Art mein Amt sein wird.«

»Ein Amt kann ich Ihnen nicht geben. Aber vielleicht kommt das noch. Fahren Sie nur immer als mein Freund mit mir.«

»Ihr Freund zu sein, ist sehr ehrenwert, und als solcher würde ich sicherlich ohne Zögern mein Leben für Sie aufs Spiel setzen, aber man würde mir das nach der Expedition nicht anrechnen, ja nicht einmal während der Expedition selbst. Denn nur Sie allein würden in Ihrer Güte mir Zeichen von Vertrauen und Achtung geben; sonst würde kein Mensch sich um mich kümmern. Man würde mich als eine Art Lustigmacher ansehen, und ich würde vielleicht den ersten töten, der mir Zeichen von Mißachtung zu geben wagte. Ich brauche ein Amt, das mir die Pflicht auferlegt, Ihnen zu dienen und Ihre Uniform zu tragen. Ich kann Ihnen zu allem möglichen nützlich sein. Ich kenne das Land, wohin Sie gehen, spreche die Umgangssprache, bin gesund, und es fehlt mir nicht an Mut. Ich will Ihre kostbare Freundschaft nicht umsonst haben, sondern ziehe die Ehre vor, sie mir zu verdienen.«

»Mein lieber Freund, ein bestimmtes Amt habe ich Ihnen nicht zu geben.«

»Dann, Herr Graf, wünsche ich Ihnen gute Reise. Ich gehe nach Rom. Ich wünsche, daß es Ihnen niemals leid tun möge, mich nicht mitgenommen zu haben; denn ohne mich werden Sie niemals die Dardanellen passieren.«

»Ist das eine Weissagung?«

»Mehr als das: ein Orakel.«

»Wir werden sehen, mein lieber Kalchas.«

Hiermit endete das Gespräch, das ich mit diesem tapferen Manne hatte, der wirklich nicht die Dardanellen passierte. Würde er sie passiert haben, wenn er mich an Bord gehabt hatte? Das kann kein Mensch sagen.

Am nächsten Tage gab ich meine Briefe bei Herrn Rivarola und bei dem englischen Kaufmann ab. Das russische Geschwader war gegen Morgen abgefahren.

Den Tag darauf begab ich mich nach Pisa, wo ich acht Tage sehr angenehm mit dem Frater Stratico verbrachte. Er wurde zwei oder drei Jahre später Bischof durch einen kühnen Streich, der ihn hätte verderben können. Er wagte es, eine Leichenrede auf den Pater Ricci, den letzten Jesuitengeneral, zu verfassen. Diese Predigt, eine Lobrede auf den Verstorbenen, versetzte den Papst Ganganelli in die Notwendigkeit, entweder den Redner zu bestrafen und sich dadurch vielen Menschen verhaßt zu machen oder ihn für seinen Mut auf eine heroische Weise zu belohnen. Dieses letztere schien der Pontifex vorzuziehen. Als ich Stratico einige Jahre später als Bischof wiedersah, wiederholte er mir mehrere Male im Vertrauen, als ziemlich guter Kenner des menschlichen Herzens habe er die Leichenrede auf den Pater Ricci nur in der Überzeugung verfaßt, daß Seine Heiligkeit ihn durch eine glänzende Belohnung dafür bestrafen werde, und so sei er über den Empfang derselben nicht erstaunt gewesen.

Dieser Mönch ließ mich in Pisa die Reize seiner entzückenden Gesellschaft mitgenießen. Er hatte einige junge Damen von Stande ausgewählt, die Geist mit Schönheit vereinten, und lehrte sie improvisierte Lieder zur Gitarre singen. Er hatte sie durch die berühmte Corilla unterrichten lassen, die sechs Jahre später bei Nachtzeit auf dem Kapitol als Dichterin gekrönt wurde. Man hatte denselben Ort gewählt, wo unsere größten italienischen Dichter den Lorbeerkranz empfingen, und dies war ein großer Skandal; denn das Verdienst der Corilla war allerdings einzig in seiner Art, da jedoch ihre Kunst nur in einem schönen Klingklang bestand, so war sie nicht würdig, dieselben Ehren zu empfangen, die mit Recht einem Petrarca und einem Tasso zuerkannt wurden.

Man machte auf die gekrönte Corilla blutige Satiren, und die Verfasser derselben hatten noch mehr unrecht als jene, die durch ihre Krönung das Kapitol entweihten; denn die Schmähgedichte bezogen sich alle darauf, daß das Kleid der Keuschheit nicht zu den Ehren gehöre, die man ihr habe zuerkennen können. Alle Dichterinnen, von den Zeiten Homers bis auf die unsrigen, zum mindesten alle diejenigen, deren Namen auf die Nachwelt gekommen, haben auf dem Altar der Venus geopfert. Kein Mensch würde Corilla kennen, wenn sie es nicht verstanden hätte, unter geistreichen Leuten Liebhaber zu finden, und niemals wäre sie in Rom gekrönt worden, wenn sie nicht jenen Fürsten Gonzaga Solferino begeistert hätte, der später die hübsche Nangoni heiratete, die Tochter des römischen Konsuls, die ich in Marseille kennen lernte und von der ich bereits gesprochen habe.

Corilla hätte bei hellem Tage gekrönt werden müssen oder überhaupt nicht; man tat sehr übel daran, die Nacht zu wählen, denn diese verstohlene Krönung machte der Frau wenig Ehre und war für ihre Anbeter eine Unehre.

Die Regierung des gegenwärtigen Papstes hat hierdurch einen unauslöschlichen Makel erhalten; denn es ist sicher, daß von nun an kein Dichter mehr nach einer Ehre streben wird, die Rom bis dahin keineswegs verschwendet, sondern im Gegenteil mit sehr kluger Zurückhaltung nur solchen Geistern bewilligt hatte, die über das gewöhnliche Größenmaß der menschlichen Natur hinausgingen.

Zwei Tage nach der Krönung verließen Corilla und ihre Anbeter Rom voller Scham, daß es ihnen gelungen war, einer derartigen Nichtigkeit einen so feierlichen Anstrich zu geben.

Abbate Pizzi, der Vorsitzende der arkadischen Akademie, der die hauptsächlichste Anregung zur Apotheose der Dichterin gegeben hatte, wurde dermaßen mit Spottweisen und Satiren überschüttet, daß er mehrere Monate lang sich nicht öffentlich zu zeigen wagte.

Nach dieser langen Abschweifung, die man zu ganzen Bänden erweitern könnte, muß ich noch einmal zum Pater Stratico zurückkehren, der mir so angenehme Tage verschaffte.

Der Mönch, der nicht schön war, aber in höchstem Maße die Kunst besaß, Liebe zu erwerben, wußte mich zu überreden, acht Tage in Siena zu verbringen. Er versprach, mir alle Genüsse des Herzens wie des Geistes zu verschaffen, indem er mir zwei Empfehlungsbriefe mitgebe, einen für die Marchesa Chigi, den anderen für den Abbate Chiaccheri. Da ich nichts Besseres zu tun hatte, so nahm ich an und begab mich auf geradem Wege nach Siena, ohne Florenz zu berühren.

Abbate Chiaccheri empfing mich auf das allerbeste; er versprach mir alle Genüsse, die von ihm abhingen, und hielt mir Wort. Er führte mich selber zur Marchesa Chigi, die sofort den angenehmsten Eindruck auf mich machte. Sie überflog den Brief des Abbate Stratico, ihres teueren Lieblings, wie sie ihn nannte, sobald sie seine Handschrift erkannte.

Die Marchesa war noch schön, obgleich sie bereits über die Jugend hinaus war. Trotzdem war sie offenbar ihrer Macht sich bewußt. Wenn ihr die Jugend fehlte, so ersetzte sie diese durch das zuvorkommendste Benehmen, die natürlichste Anmut, ein liebenswürdiges, ungezwungenes Wesen, einen aufgeklärten, angenehmen Geist, womit sie den gleichgültigsten Bemerkungen eine besondere Wendung zu geben wußte, durch die Reinheit ihrer Sprache, und besonders durch die gänzliche Abwesenheit jeder Geziertheit und Anmaßung.

»Setzen wir uns«, sagte sie zu mir. »Sie werden hier acht Tage verbringen, wie mein lieber Stratico mir schreibt. Das ist wenig für uns, aber vielleicht zu viel für Sie. Ich hoffe, unser Freund hat nicht zu übertrieben günstig von uns gesprochen.«

»Er hat mir nichts weiter gesagt, Signora, als daß ich hier acht Tage verbringen müßte und daß alle Reize des Geistes und des Herzens mich umgeben würden. Ich habe es nicht geglaubt und bin hierher gekommen, um zu sehen, ob er die Wahrheit gesprochen hat. Ich habe also, wie Sie sehen, mich nicht vorher beeinflussen lassen.«

»Daran haben Sie recht getan, aber Stratico hätte Sie ohne Mitleid mindestens zu einem Monat verurteilen müssen.«

»Warum ohne Mitleid? Welche Gefahr hätte mir drohen können?«

»Das Sie sich zu Tode langweilen oder in Siena ein Stück Ihres Herzens ließen.«

»Dies kann auch in acht Tagen geschehen; aber ich trotze diesen beiden Gefahren, denn Stratico hat mich gegen die erste geschützt, indem er auf Sie, und gegen die zweite, indem er auf mich rechnete. Sie werden meine Huldigung empfangen, und damit sie ganz rein sei, wird sie durchaus geistiger Art sein. Mein Herz wird Siena frei verlassen, wie es jetzt ist, denn da ich nicht auf eine Rückkehr hoffen kann, so würde eine Niederlage mich unglücklich machen.«

»Ist es möglich, daß Sie zu den Verzweifelten gehören?«

»Ja, und zu meinem großen Glück, denn diesem Umstand verdanke ich meine Ruhe.«

»Welches Unglück, wenn Sie sich täuschten!«

»Das Unglück wäre nicht groß, gnädige Frau, zum mindesten nicht so groß, wie Sie es sich vorstellen. Apollo sorgt mir stets für einen trefflichen Ausweg. Er läßt mir nur die Freiheit, den Augenblick zu genießen, aber da dies eine Gunst des Gottes ist, so genieße ich sie, so sehr ich nur kann. Carpe diem ist mein Wahlspruch.«

»Es war der Wahlspruch des lebensfreudigen Horaz; aber ich billige ihn nur, weil er bequem ist. Der Genuß, der der Begierde folgt, ist vorzuziehen, denn er ist lebhafter.«

»Das ist wahr, aber man kann nicht darauf zählen, und das betrübt den Philosophen, der zugleich ein guter Rechner ist. Möge Gott Sie davor behüten, Signora, diese grausame Wahrheit durch eigene Erfahrung kennen zu lernen. Das Glück, das man genießt, ist stets vorzuziehen. Das Glück, das man begehrt, beschränkt sich oft auf die Freude des Begehrens. Es ist eine Einbildung, deren Nichtigkeit ich in meinem Leben nur zu gut kennen gelernt habe; aber wenn Sie noch nicht erfahren haben, daß Horaz recht hat, so wünsche ich Ihnen Glück dazu.«

Die liebenswürdige Marchesa lächelte freundlich und ersparte sich dadurch, ja oder nein zu sagen.

Chiaccheri, der bis dahin noch nicht den Mund aufgetan hatte, sagte uns, kein größeres Glück könnte uns widerfahren, als daß wir niemals einer Meinung wären. Die Marchesa gab das zu, indem sie Chiaccheri für seinen feinen Gedanken mit einem Lächeln belohnte. Ich aber bestritt die Richtigkeit desselben und sagte:

»Wenn ich dies zugebe, verzichte ich auf das Glück, das nach Ihrer Meinung davon abhängt, niemals mit Ihnen einer Meinung zu sein. Lieber will ich Ihnen widersprechen, Signora, als auf die Ehre verzichten, Ihnen zu gefallen. Der Abbate ist ein böser Geist, der den Apfel der Zwietracht zwischen uns beide geworfen hat; aber wenn wir fortfahren, wie wir begonnen haben, so lasse ich mich dauernd in Siena nieder.«

Glücklich, mir eine Probe ihres Geistes gegeben zu haben, sprach die Marchesa nunmehr von Regen und Sonnenschein. Sie fragte mich, ob ich einigen hübschen Damen in den großen Gesellschaften vorgeführt zu werden wünsche, und erbot sich, mich überall einzuführen. Ich bat sie allen Ernstes, sich doch nicht die Mühe zu machen, und sagte:

»Ich will sagen können, Signora, daß wahrend der acht Tage meines Aufenthaltes in Siena Sie die einzige gewesen sind, der ich den Hof gemacht habe, und daß nur der Abbate Chiaccheri mir die Denkmäler der Stadt gezeigt und mich mit den hiesigen Gelehrten bekannt gemacht habe.«

Geschmeichelt von dieser Erklärung, lud die Marchesa mich mit dem Abbate ein, am nächsten Tage in ihrem reizenden Landhause zu speisen, das dicht vor der Stadt lag und Vico genannt wurde.

Je älter ich wurde, desto mehr zog mich der Geist bei Frauen an, ganz unabhängig von anderen Vorzügen; Geist war das beste Reizmittel für meine abgestumpften Sinne. Bei Männern von entgegengesetztem Temperament wie dem meinigen tritt das Gegenteil ein. Wenn ein grobsinnlicher Mann altert, will er nur noch materielle Genüsse, Weiber, die im Dienste der Venus erfahren sind, und keine philosophischen Gespräche.

Nachdem wir die Narchesa verlassen hatten, sagte ich zu Chiaccheri: wenn ich in Siena bliebe, wäre sie die einzige Frau, die ich besuchen würde; möchte es dann kommen, wie es Gott gefiele. Der Abbate mußte mir zugeben, daß ich recht hätte.

Während meines Aufenthaltes in Siena zeigte Abbate Chiaccheri mir alle die interessanten Kunstschätze der Stadt und führte mich zu allen Gelehrten von einiger Bedeutung, dis mir dann meinen Besuch erwiderten.

Gleich am selben Abend brachte Chiaccheri mich in ein Haus, wo die gelehrte Gesellschaft in zwangloser Weise zusammenkam. Es war die Wohnung zweier Schwestern, von denen die ältere reichlich häßlich, die jüngere sehr hübsch war; aber die ältere galt für die Corinna des Ortes, und mit Recht. Sie bat mich, ihr ein paar von meinen eigenen Versen herzusagen, und versprach mir dafür eine von ihren Dichtungen. Ich deklamierte das erste beste, was mir ins Gedächtnis kam, und sie antwortete mir mit vieler Bescheidenheit, indem sie ein Gedicht von vollendeter Schönheit vortrug. Ich machte ihr mein Kompliment darüber, obgleich ich glaubte, daß sie nicht die Verfasserin wäre. Chiaccheri, der ihr Lehrer gewesen war, erriet meine Gedanken und schlug vor, Gedichte zu gegebenen Endreimen zu machen. Die hübsche Schwester erhielt den Auftrag, die Reime auszugeben, und alle machten sich an die Arbeit. Die Häßliche war vor den anderen fertig und legte die Feder hin. Als die Gedichte verglichen wurden, waren ihre Verse weitaus die besten. Ich war erstaunt darüber, schrieb aus dem Stegreif ein Gedicht zu ihrem Lobe nieder und überreichte es ihr. In weniger ais fünf Minuten erwiderte sie in einem höchst vollendeten Gedicht mit denselben Reimen. Sehr überrascht, nahm ich mir die Freiheit, sie nach ihrem Namen zu fragen, und es war mir wirklich eine Freude zu hören, daß sie die berühmte Maria Fortuna sei, Schäferin, das heißt Mitglied, der arkadischen Akademie.

»Wie, mein Fräulein, das sind Sie?«

Ich hatte die schönen Stanzen gelesen, die sie zu Metastasios Ruhm veröffentlicht hatte. Als ich ihr dies sagte, holte sie die Antwort, die der unsterbliche Dichter mit eigener Hand für sie niedergeschrieben hatte.

Von Bewunderung hingerissen, hatte ich nur noch für sie Worte, und alle ihre Häßlichkeit verschwand.

Hatte ich am Morgen eine köstliche Unterhaltung mit der Marchesa gehabt, so war ich am Abend buchstäblich außer mir vor Entzücken.

Bei Tische sprach ich mit dem Abbate unaufhörlich über Fortuna. Als ich den Abbate fragte, ob sie auch nach Corillas Art improvisiere, sagte er mir, sie habe dies gewünscht, er habe es jedoch nicht gestatten wollen. Es kostete ihm keine große Mühe, mich zu überzeugen, daß dies ihr schönes Talent verderben würde. Ich stimmte ihm ebenfalls bei, als er mir sagte, er habe sie dringend aufgefordert, sich nicht dem Vergnügen des Improvisierens hinzugeben; denn wenn der Geist des Dichters über den ersten besten Gegenstand sprechen soll, ohne Zeit zur Überlegung zu haben, so kann er nur zufällig Gutes geben; denn da er schnell dichten muß, so muß er oft die Vernunft dem Reim aufopfern und das beste Wort dem von ihm gewählten Versmaß, So kommt es, daß gewöhnlich der von dem Improvisator ausgedrückte Gedanke ein Kleid von schlechtem Zuschnitt oder von einer unpassenden Farbe trägt.

Die Improvisation stand bei den Griechen wie bei den Römern nur darum in einigem Ansehen, weil ihre Sprachen nicht die Fesseln des Reimes trugen. Trotzdem waren die großen Dichter, besonders die lateinischen, nur selten bereit, in Reimen zu sprechen; sie wußten, daß trotz all ihrem Genie ihre Verse matt sein würden und daß sie unmittelbar darauf über sie würden erröten müssen.

Horaz verbrachte oft eine schlaflose Nacht, um in einem kräftigen Verse gerade das zu sagen, was er wollte; hatte er diesen Vers gefunden, so schrieb er ihn an die Wand und schlief ruhig ein. Die Verse, die ihm keine Mühe kosteten, sind rhythmische Prosa, deren er sich in mehreren seiner Episteln meisterhaft bediente.

Abbate Chiaccheri, selber ein Gelehrter und liebenswürdiger Dichter, gestand mir, er sei in seine beredte Schülerin trotz ihrer Häßlichkeit verliebt, und er habe, als er sie zuerst im Versemachen unterrichtet habe, niemals gedacht, daß ihm dergleichen widerfahren könnte.

»Das kann ich ohne Mühe glauben,« sagte ich, »denn sublata lucerna...«

»Nichts von sublata lucerna!« versetzte der Abbata lachend; »in ihr Gesicht bin ich verliebt, denn dieses ist untrennbar von ihr selber.«

Ich glaube, ein Toskaner kann leichter als ein anderer Italiener in schöner poetischer Sprache schreiben; denn er saugt seine herrliche Sprache mit der Muttermilch ein. In Siena ist die Sprache noch sanfter, lieblicher, rhythmischer, anmutiger und zugleich kräftiger als die von Florenz, obgleich diese den ersten Rang einzunehmen behauptet, den sie auch durch ihre Reinheit verdient. Diesen unermeßlichen Vorzug und ihren Reichtum verdankt sie ihrer Akademie.

Dieser Reichtum, dieser Überfluß gewährt uns die Möglichkeit, einen Gegenstand mit viel größerer Beredsamkeit als die Franzosen zu behandeln; denn wir haben eine Menge von Synonymen zu unserer Wahl, während man deren in der Sprache Voltaires sehr wenige findet. Der alte Spötter lachte mit Recht über seine Landsleute, welche behaupteten, die französische Sprache sei durchaus nicht arm, denn sie besitze alle Wörter, die ihr notwendig seien.

Wer nur das Notwendige hat, ist nicht reich, und die Hartnäckigkeit, womit die Akademie Fremdwörter zurückweist, zeugt mehr von Stolz als von Weisheit. Das wird nicht ewig so bleiben.

Wir Italiener nehmen aus allen Sprachen die Wörter, die wir brauchen, wenn sie zu dem Geist unserer Sprache passen. Wir sehen mit Freude unseren Reichtum wachsen, wir bestehlen sogar die Armen: das ist die Art des Reichen.

Die liebenswürdige Marchesa Chigi gab uns ein ausgezeichnetes Mittagessen in ihrem hübschen, von Palladio erbauten Hause. Chiaccheri hatte mich gebeten, mit ihm nicht über das Vergnügen zu sprechen, das mir der bei der Dichterin Fortuna verlebte Abend bereitet hätte. Bei Tisch sagte sie mir jedoch, sie sei überzeugt, daß er mich zu ihr geführt habe. Er besaß nicht den Mut, dies zu leugnen, und auch ich verbarg ihr nicht, daß es für mich eine große Freude gewesen sei.

»Stratico«, sagte die Marchesa zu mir, »ist ein Bewunderer der Maria Fortuna. Ich habe einige von ihren Erzeugnissen gelesen und lasse ihrem Talent Gerechtigkeit widerfahren; aber es ist schade, daß man nur heimlich in dieses Haus gehen kann.«

»Warum denn, gnädige Frau?« sagte ich ein wenig erstaunt.

»Wie, Abbate? Sie haben dem Herrn nicht gesagt, was dies für ein Haus ist?«

»Ich habe das nicht für notwendig gehalten, denn ihr Vater und ihre Mutter lassen sich niemals sehen.«

»Ich glaube es wohl, aber einerlei.«

»Aber was ist denn das für ein Vater?« fragte ich sehr neugierig; »es ist doch ganz gewiß nicht der Henker?«

»Schlimmer als das: es ist der Bargello; Sie sehen wohl ein, daß ein Fremder unmöglich zu uns kommen und gleichzeitig in diesem Hause verkehren kann, wo er keine gute Gesellschaft finden kann.«

Ich sah den guten Chiaccheri ein wenig bestürzt und hielt es für angebracht, der Marchesa zu sagen, ich würde erst am Abend vor meiner Abreise noch einmal hingehen.

»Eines Tages«, sagte die Marchesa, »zeigte man mir auf der Promenade die Schwester der Dichterin; das ist wirklich ein schönes Mädchen, und es ist sehr schade, daß diese reizende Person trotz ihrer makellosen Sitten sich nur mit einem Manne vom Stande ihres Vaters verheiraten kann.«

»Ich kannte«, sagte ich nun meinerseits, »einen gewissen Colterini, den Sohn des Bargello von Florenz. Er muß noch jetzt als Hofdichter im Dienste der Kaiserin von Rußland stehen. Ich will an ihn schreiben und ihm diese Heirat vorschlagen. Er ist ein junger Mann von seltensten Gaben.«

Die Marchesa billigte meinen Plan; bald hernach erfuhr ich jedoch, daß der Dichter gestorben war.

In ganz Italien gibt es nichts Verhaßteres als einen Bargello; nur in Modena verkehrt sogar der Adel in seinem Hause und tut seiner ausgezeichneten Tafel alle Ehre an. Dies muß überraschen; ein Bargello muß von Berufs wegen Spion, Lügner, Betrüger, Gauner und Feind der Menschheit sein; denn wer verachtet wird, haßt den, der ihn verachtet.

Man zeigte mir in Siena einen Grafen Piccolomini, einen geistvollen, gelehrten und sehr liebenswürdigen Herrn. Er hatte die sonderbare Laune, wie ein Murmeltier sechs Monate zu Hause zu liegen, ohne jemals auszugehen, ohne einen Besuch zu empfangen, ohne mit irgendeinem Menschen zu sprechen, stets nur mit Lesen und Arbeiten beschäftigt. Während der anderen sechs Monate hielt er sich dafür nach besten Kräften schadlos.

Die Marchesa versprach mir, im Sommer nach Rom zu kommen. Sie hatte dort einen sehr guten Freund, Herrn Bianchoni, der den ärztlichen Beruf aufgegeben hatte, um Geschäftsträger des sächsischen Hofes zu werden. Sie kam auch nach Rom, aber ich sah sie dort nicht.

Am Tage vor meiner Abreise kam der Fuhrmann, der mich allein nach Rom bringen sollte und über den leeren Platz in seiner Kalesche ohne meine Einwilligung nicht verfügen konnte, und fragte mich, ob ich einen Reisegefährten zulassen und dadurch drei Zechinen sparen wollte.

»Ich will niemanden.«

»Sie haben unrecht, denn es ist eine hübsche, junge Dame, die eben angekommen ist.«

»Allein?«

»Nein, sie reist mit einem Herrn, der ein Pferd hat und den Weg nach Rom im Sattel zurücklegen will.«

»Und wie ist dieses Mädchen hier angekommen?«

»Zu Pferde; aber sie kann das Reiten nicht mehr vertragen. Sie ist vollständig erschöpft und hat sich sofort zu Bett gelegt. Der Herr hat mir vier Zechinen geboten, um die Signora nach Rom zu befördern. Da ich ein armer Teufel bin, so können Sie mich dieses Geld wohl verdienen lassen.«

»Der Kavalier wird ohne Zweifel im Schritt hinter dem Wagen herreiten?«

»Ach, das kann er machen, wie er will, das kann weder Ihnen noch mir was ausmachen.«

»Sie sagen, sie sei jung und hübsch?«

»Man hat es mir gesagt, aber ich habe sie nicht gesehen.«

»Was für eine Art Mensch ist ihr Begleiter?«

»Ein hübscher junger Mann, der fast kein Wort Italienisch spricht.«

»Hat er das Pferd verkauft, worauf die Dame ritt?«

»Nein, es war ein Mietpferd. Er hat nur einen Koffer, den er hinter den Wagen schnallen wird.«

»Das alles ist sehr eigentümlich. Ich will mich zu nichts entschließen, bevor ich den Herrn gesehen habe.«

»Ich werde ihm sagen, er solle mit Ihnen sprechen.«

Einen Augenblick darauf sah ich einen schönen jungen Mann in einer Phantasieuniform. Er trat recht gut auf und wiederholte mir alles, was der Fuhrmann mir gesagt hatte. Zum Schluß sagte er mir, er sei überzeugt, daß ich mich nicht weigern werde, mit seiner Frau zusammenzureisen.

Ich erkannte ihn als Franzosen und sagte daher in französischer Sprache zu ihm: »Mit Ihrer Frau, mein Herr?«

»Ach, Gott sei gelobt. Sie sprechen meine Sprache. Ja, mein Herr: mit meiner Frau, einer Engländerin, die Ihnen ganz gewiß nicht lästig fallen wird.«

»Schön. Ich möchte aber meine Abreise nicht verzögern. Wird sie um fünf Uhr bereit sein können?«

»Verlassen Sie sich darauf!«

Am anderen Morgen fand ich sie zur angegebenen Stunde im Wagen. Ich machte ihr eine Verbeugung, setzte mich neben sie, und wir fuhren ab.

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