Dreiundzwanzigstes Kapitel

Die Kurfürstin-Witwe von Sachsen und Farinello. – Die Slopitz. – Nina. – Die Hebamme. – Die Soavi. – Abbate Bolini. – Die Viscioletta. – Der Wagen. – Trauriges Vergnügen einer Rache. – Severini geht nach Neapel. – Meine Abreise. – Marchese Mosca in Pesaro.

Wer mit satirisch-komischen Schriften einen Stolzen angreift, ist fast immer des Triumphes sicher, denn er wird stets die Lacher auf seiner Seite haben.

Ich fragte in meinem Dialog, ob ein Maréchal de camp sich ganz einfach Maréchal nennen kann oder ein Oberstleutnant Oberst?

Ich fragte, ob man einen Mann für vernünftig halten könne, der seinem Geburtsadel Titel vorziehe, die er mit klingendem Gold gekauft habe?

Der Marchese glaubte, sich über meinen Dialog hinwegsetzen zu können, und damit hatte die Angelegenheit ein Ende. Aber seit dieser Zeit nannte ihn die ganze Stadt nur noch: Herr General. Er hatte über der Tür seines Palazzo das Wappen der königlichen Republik Polen anbringen lassen; zur großen Erheiterung des polnischen Gesandten in Berlin, Grafen Miszynski, der zu jener Zeit von den Bädern in Pisa zurückkehrte und über Bologna fuhr.

Ich erzählte dem edlen Polen meinen kleinen Streit mit dem verrückten Herrn und überredete ihn, in seinem Palazzo eine Visitenkarte mit Titel und Würden abzugeben. Der Gesandte hoffte einen Spaß zu erleben und folgte meinem Rate; Albergati erwiderte den Besuch, aber auf der Karte, die er zurückließ, war der Generalstitel verschwunden.

Die Kurfürstin-Witwe von Sachsen kam nach Bologna, und ich beeilte mich, ihr meine Aufwartung zu machen. Die Fürstin kam nur, um den berühmten Kastraten Farinello zu besuchen, der den Hof von Madrid verlassen hatte, um in Ruhe und Reichtum in Bologna zu leben. Er gab der Kurfürstin ein prachtvolles Frühstück und sang eine von ihm selbst komponierte Arie zu eigenhändiger Klavierbegleitung. Die Kurfürstin, eine begeisterte Musikfreundin, umarmte den Kastraten und rief: »Jetzt kann ich ruhig sterben!«

Farinello, genannt Ritter Don Carlo Broschi, hatte sozusagen in Spanien regiert. Die Königin Elisabeth von Parma, Philipps des Fünften Gemahlin, hatte Kabalen angezettelt, wodurch Broschi genötigt wurde, den Hof zu verlassen, nachdem Encenade in Ungnade gefallen war. Beim Anblick eines Bildes der Königin, die von Amigoni in ganzer Figur dargestellt war, sprach die Kurfürstin einige Worte zu ihrem Lobe und erwähnte dabei eines Vorfalles, der sich unter der Herrschaft Ferdinands des Sechsten zugetragen hatte.

Der herrliche Sänger brach in Tränen aus, die er vergeblich zurückzuhalten suchte, und sagte, die Königin Barbara sei ebenso gut, wie Elisabeth von Parma böse gewesen sei.

Broschi mochte etwa siebzig Jahre alt gewesen sein, als ich ihn in Bologna sah. Er war sehr reich, erfreute sich einer guten Gesundheit und war trotzdem unglücklich, da er nichts zu tun hatte und sich stets unter Tränen nach seinem geliebten Spanien sehnte.

Der Ehrgeiz ist eine viel größere Leidenschaft als der Geiz.

Farinello war übrigens auch aus einem anderen Grunde unglücklich, der, wie man mir gesagt hat, die Ursache seines Todes wurde:

Er hatte einen Neffen, der einmal alle seine Reichtümer erben sollte. Er verheiratete diesen mit einem adeligen Fräulein aus Toskana und fühlte sich glücklich, in der Hoffnung daß dank seinem großen Vermögen sein Geschlecht einer adeligen Familie entsprießen würde, wenn auch erst in der zweiten Generation. Aber anstatt ihn glücklich zu machen, wurde diese Heirat ihm lediglich zur Qual; denn trotz seinem Alter und seiner Impotenz verliebte er sich unglücklicherweise in seine Nichte und war eifersüchtig auf seinen Neffen. Um sein Mißgeschick voll zu machen, war er dem Gegenstand seiner Wünsche ekelhaft; denn seine Nichte konnte nicht begreifen, wie ein altes Tier seiner Art hoffen konnte, einem Gatten vorgezogen zu werden, den sie liebte, und der doch ein wirklicher Mann war.

In seinem Zorn gegen die junge Frau hatte Farinello seinen Neffen auf Reisen geschickt, und da er von ihr nicht die geringste Gefälligkeit erlangen konnte, so tyrannisierte er sie und ließ sie nicht eine Minute aus den Augen.

Wenn ein Combabus eine Frau liebt, die ihn verachtet, so wird er zum Tiger.

Lord Lincoln kam mit einer Empfehlung an den Kardinal-Legaten nach Bologna, und der Prälat gab ihm ein Diner, zu dem auch ich die Ehre hatte, eingeladen zu werden. Er hatte das Vergnügen, sich zu überzeugen, daß ich noch niemals mit dem Engländer zusammengewesen war, daß also der Großherzog eine himmelschreiende Ungerechtigkeit begangen hatte, indem er mich ausweisen ließ.

Bei dieser Angelegenheit erfuhr ich aus dem Munde des Lords, wie man ihn in die Falle gelockt hatte; aber er sagte durchaus nicht, daß man ihn betrogen hätte.

Ein Engländer ist zu stolz, um einzugestehen, daß man ihn hat betrügen können.

Er versicherte mir, daß er aus eigenem Antriebe zu spielen aufgehört habe.

Der junge Lord starb drei oder vier Jahre später in London an den Folgen seiner Ausschweifungen.

In Bologna sah ich damals auch den Engländer Acton mit der schönen Slopitz, der Schwester der reizenden Callimene. Sie hatte von Acton zwei Kinder, die so schön waren wie Raffaelsche Engel.

Ich sprach mit ihr von ihrer Schwester, und an der Begeisterung, womit ich sie pries, merkte sie, daß ich sie geliebt hatte. Sie sagte mir, sie werde während des Karnevals 1775 in Florenz sein; ich habe sie erst im Jahre 1776 in Venedig gesehen und werde noch Gelegenheit haben, von ihr zu sprechen.

Die Nina, die verhängnisvolle Nina Bergonci, die dem Grafen Ricla den Kopf verdreht hatte und an allem Unglück schuld war, das mir in Bologna widerfahren war – Nina befand sich seit Beginn der Fastenzeit in Bologna und bewohnte ein schönes Haus, das sie gemietet hatte. Sie hatte einen unbegrenzten Kreditbrief bei einem Bankier, besaß Equipagen und zahlreiche Dienerschaft und behauptete, vom Generalkapitän Kataloniens schwanger zu sein. Daraufhin verlangte sie von den guten Bolognesen dieselben Ehren, die man etwa einer regierenden Fürstin erwiesen hätte, welche ihre Niederkunft dort abzuwarten gedächte. Sie war ganz besonders an den Kardinal-Legaten empfohlen, und dieser besuchte sie oft in tiefstem Inkognito.

Als die Zeit ihrer Niederkunft sich näherte, kam ein Vertrauensmann des Grafen Ricla, ein gewisser Don Martino mit einer Vollmacht des verrückten Spaniers, den die Spitzbübin seit so langer Zeit betrog, nach Bologna. Er hatte Auftrag, das Kind taufen zu lassen, und es als natürliches Kind des Grafen Ricla anzuerkennen.

Nina renommierte mit ihrer Schwangerschaft, zeigte sich im Theater und auf der Promenade mit einem ungeheuer dicken Leib und ließ sich rechts und links von den vornehmsten Bolognesern den Arm reichen. Diese machten ihr heldenmütig den Hof, und sie sagte ihnen oft, sie würde sie jederzeit empfangen, aber sie müßten auf ihrer Hut sein, denn sie könnte nicht dafür bürgen, daß Graf Ricla in seiner unduldsamen Eifersucht sie nicht durch einen Dolchstoß aus der Welt schaffen ließe. Sie erzählte ihnen in schamloser Weise, wie es mir in Barcelona ergangen wäre.

Sie wußte nicht, daß ich damals in Bologna war und war sehr überrascht, als Graf Zini, der mich kannte, ihr sagte, daß ich mich in derselben Stadt aufhielte.

Graf Zini begegnete mir eines Nachts auf der Promenade der Montagnola, redete mich an und fragte mich, ob die Geschichte von Barcelona, wie Nina sie erzählte, wahr wäre.

Da ich keine Lust hatte, den Grafen Zini ins Vertrauen zu ziehen, so sagte ich ihm, die Erzählung der Nina, die ich gar nicht kenne, sei ein Märchen, das sie ohne Zweifel nur vorgebracht habe, um zu sehen, ob er den Mut haben würde, ihr einen großen Beweis seiner Liebe zu geben und sein Leben einer großen Gefahr auszusetzen. Dem Kardinal gegenüber verhielt ich mich anders: als er mir diese Geschichte erzählte, die er von der hinterlistigen Nina selbst gehört hatte, gestand ich ihm alles, was in Barcelona vorgefallen war. Seine Eminenz war sehr erstaunt, als ich ihm alle Ausschweifungen des schamlosen Weibes schilderte und ihm sagte, daß sie die Tochter ihrer Schwester und ihres Großvaters sei.

»Ich wette,« sagte ich zu ihm, »diese schamlose Nina ist so wenig schwanger wie Eure Eminenz.«

»O! Das wäre aber doch ein bißchen zu stark!« versetzte der Legat, laut auflachend, »warum wollen Sie sie denn nicht für schwanger halten? Es wäre doch nichts natürlicher; denn sie ist ein famoses Weib. Es ist wohl möglich, daß sie nicht von Ricla schwanger ist; aber schwanger ist sie, und zwar steht sie vor ihrer Niederkunft. Es kann gar nicht anders sein; denn, zum Donnerwetter, sie muß ja doch ein Kind kriegen!«

»Ja, wenn sie schwanger ist.«

»Aber ich sehe nicht, welche Notwendigkeit für sie vorliegt, sich schwanger zu stellen.«

»Keine andere, gnädiger Herr, als der Wunsch, sich berühmt zu machen, indem sie den Grafen Ricla bloßstellt, der ein Muster von Gerechtigkeit und Tugend war, bevor er diese Messalina kennen lernte. Wenn Eure Eminenz den abscheulichen Charakter der Nina kennten, würden Sie alles ganz einfach finden.«

»Nun, wir werden ja sehen.«

»Allerdings.«

Acht Tage nach diesem Gespräch, hörte ich eines Morgens gegen elf Uhr einen lauten Lärm auf der Straße. Ich sah zum Fenster hinaus und erblickte eine bis zum Gürtel herunter nackte Frau, die auf einem Esel festgebunden war und vom Henker mit Ruten gepeitscht wurde. Sie war von vielen Sbirren umringt, und es folgten ihr alle Birichini von Bologna und freuten sich mit unendlichem Gebrüll des schönen Festes. Severini, der im selben Augenblick bei mir eintrat, sagte mir, die so schlecht behandelte unglückliche Frau sei die berühmteste Hebamme von Bologna; die Exekution finde auf Befehl des Kardinals statt; den Grund wisse man noch nicht, werde ihn aber bald erfahren.

»Eine solche Strafe«, sagte ich zu ihm, »kann nur wegen irgendeines großen Verbrechens stattfinden.«

»Ganz gewiß. Es ist dieselbe Hebamme, die vorgestern die Nina entbunden hat.«

»Wie? Nina ist wirklich entbunden?«

»Ja, aber von einem toten Kinde.«

»Aha! Ich verstehe.«

Am nächsten Morgen erfuhr die ganze Stadt folgendes:

Eine arme Frau war zum Erzbischof gekommen und hatte sich bitterlich beklagt, daß die Hebamme Teresa sie verführt habe. Sie habe ihr zwanzig Zechinen versprochen, wenn sie ihr einen schönen Knaben überlassen wolle, den sie vor vierzehn Tagen zur Welt gebracht habe. Sie hatte die versprochene Summe nicht erhalten, und voller Verzweiflung, an dem Tode ihres Kindes schuld zu sein, verlangte sie Gerechtigkeit und erbot sich zu beweisen, daß das tote Kind, das die Nina geboren haben sollte, dasselbe wäre, das sie der niederträchtigen Teresa anvertraut hätte.

Der Erzbischof befahl seinem Kanzler, im größten Geheimnis den Tatbestand festzustellen, und ließ die Verbrecherin nach summarischem Urteil sofort bestrafen gemäß der lex Valeria, quae punire permittit deinde scribere.

Acht Tage nach diesem Skandal reiste Don Martino nach Barcelona zurück; die schamlose Nina ließ sich die ganze Sache nicht anfechten: sie ließ ihre Bedienten doppelt so große Kokarden tragen und machte bekannt, daß Spanien sie für die verleumderische Beleidigung rächen werde, die der Kardinal-Erzbischof ihr angetan habe. Sie blieb noch sechs Wochen in Bologna, angeblich krank, um ihre Rolle als Kindsbetterin durchzuführen. Der Kardinal-Legat schämte sich, daß er eine solche schamlose Vettel hatte begünstigen können, und ergriff im geheimen alle erforderlichen Maßnahmen, um sie zur Abreise zu zwingen.

Graf Ricla wurde bis zum letzten Augenblick von seiner Leidenschaft beherrscht; er setzte der Nina ein beträchtliches Jahrgeld aus, unter der Bedingung, daß sie sich niemals wieder in Barcelona sehen ließe.

Einige Monate später wurde er zum Kriegsminister ernannt; er starb aber schon nach einem Jahre.

Nina überlebte ihn nur um ein Jahr; sie starb an den Folgen ihrer Ausschweifungen im tiefsten Elend.

Ihre Mutter und Schwester, die ich später in Venedig traf, erzählte mir die Geschichte der beiden letzten Lebensjahre ihrer Tochter; diese Geschichte ist jedoch so traurig und ekelhaft, daß ich mich für verpflichtet halte, meine künftigen Leser damit zu verschonen.

Der schrecklichen Hebamme fehlte es übrigens nicht an Beschützern.

Es erschien eine Flugschrift, deren Verfasser ebensowenig wie ihr Drucker entdeckt werden konnte; in dieser wurde behauptet, der Kardinal-Erzbischof verdiene Strafe, weil er eine Bürgerin unter Verletzung aller Formen des Kriminalprozesses zur schimpflichsten Strafe verurteilt habe. Infolgedessen sei die Frau, selbst wenn man ihre Schuld zugeben wolle, ungerecht verurteilt worden; sie könne in Rom Berufung einlegen und vom Erzbischof eine sehr bedeutende Entschädigung verlangen.

Der Prälat fühlte die volle Berechtigung der in dieser Schrift gegen ihn erhobenen Beschwerden; aber er ließ eine Erklärung in Umlauf setzen, worin er sagte: die Hebamme, die er nur mit Rutenstreichen hätte bestrafen lassen, würde vom Gericht dreimal zum Galgen verurteilt worden sein; ihn hätte jedoch die Rücksicht auf die Ehre dreier erlauchter Bologneser Familien davon abgehalten, ihre Verbrechen bekannt werden zu lassen, die durch ein vollständiges Gerichtsverfahren mit aller Bestimmtheit festgestellt worden wären; die Akten darüber befänden sich in seiner Kanzlei.

Es handelte sich um gewaltsame Abtreibungen, an denen die schuldigen Mütter gestorben waren. Lebende Kinder waren totgeborenen untergeschoben; ein Knabe war für ein Mädchen untergeschoben und befand sich jetzt sehr ungerechterweise im Besitz des gesamten Familienvermögens.

Diese Erklärung brachte alle Beschützer der niederträchtigen Hebamme zum Schweigen; denn mehrere junge Herren, deren Mütter von ihr entbunden worden waren, fürchteten Geheimnisse zu entdecken, die sie in eine peinliche Lage gebracht haben würden.

Ich sah in Bologna die Tänzerin Marcucci, die kurze Zeit nach meiner Abreise aus Spanien ebenfalls ausgewiesen worden war, und zwar aus demselben Grunde wie die Pelliccia. Diese hatte sich in Rom niedergelassen. Die Marcucci begab sich nach ihrer Vaterstadt Lucca, um dort fortan in Reichtum zu leben.

Ich hatte die Tänzerin Soavi von Bologna in Parma gekannt, als ich dort mit meiner Henriette glücklich lebte: später in Paris, wo sie Tänzerin bei der Oper war, und von einem vornehmen Russen unterhalten wurde; und schließlich in Venedig, wo sie die Geliebte des Herrn von Marcello war. Während ich mich in Bologna aufhielt, ließ sie sich dort mit ihrer elfjährigen Tochter nieder, die sie von Herrn von Marygny hatte. Diese Tochter, Adelaida genannt, war von seltener Schönheit und besaß alle Reize und Talente, die bei einer glücklichen Anlage die sorgfältigste Erziehung zu entfalten vermag.

In Bologna fand die Soavi ihren Mann vor, den sie seit fünfzehn Jahren nicht gesehen hatte.

»Sieh!« sagte sie zu ihm, indem sie ihm ihre Tochter zuführte; »ich schenke dir diesen Schatz.«

»Sie ist ein hübsches Mädchen, liebe Frau; aber was soll ich mit ihr anfangen? Sie gehört mir ja nicht.«

»Sie gehört dir; denn ich schenke sie dir. Sie hat sechstausend Franken Rente, und ich bin ihre Kassiererin bis zu dem Tage, wo ich sie mit einem guten Tänzer verheiraten werde; denn ich wünsche, daß sie den Charaktertanz lernt und daß die Welt sie auf der Bühne sieht. An Sonn- und Feiertagen wirst du mit ihr spazieren gehen.«

»Und wenn man mich fragt, wer sie ist?«

»Dann sagst du, sie sei deine Tochter, und du seiest dessen gewiß, denn deine Frau habe sie dir geschenkt.«

»Das alles verstehe ich nicht.«

»Das kommt davon, mein lieber Freund, daß du ein großer Ignorant bist, weil du niemals auf Reisen warst.«

Ich war bei diesem eigentümlichen Zwiegespräch zugegen und mußte herzlich darüber lachen, wie ich noch jetzt beim Niederschreiben darüber gelacht habe.

Ich war von diesem wirklich köstlichen Juwel ganz entzückt und bot der Mutter an, die Talente des schönen Kindes zu vermehren; aber die Soavi antwortete mir lächelnd: »Fuchs, du hast in deinem Leben zu viel Hühnchen verspeist, als daß ich dir dieses anvertrauen möchte; ich müßte befürchten, daß du die Talente meines Kindes zu früh entwickeltest.«

»Das war nicht meine Absicht; aber du hast recht.«

Adelaida wurde von ganz Bologna wie ein Wunder angestaunt.

Ein Jahr nach meiner Abreise kam der Graf Dubarry, der Schwager der berüchtigten Geliebten Ludwig des Fünfzehnten, auf der Durchreise nach Bologna. Er verliebte sich so leidenschaftlich in Adelaida, daß ihre Mutter sie aus der Stadt entfernte, weil sie befürchtete, daß er sie entführen würde.

Dubarry bot ihr hunderttausend Franken; sie schlug sie aus.

Fünf Jahre später sah ich Adelaida in Venedig auf der Bühne wieder. Als ich sie aufsuchte, um ihr mein Kompliment zu machen, benutzte das reizende Mädchen einen unbewachten Augenblick, um mir zu sagen: »Meine Mutter, die mich zur Welt gebracht hat, will mich auch aus der Welt schaffen; denn ich fühle, daß das Tanzen mich tötet.«

Diese schöne Blume welkte wirklich dahin. Adelaida übte nur sieben Jahre lang den anstrengenden Beruf aus, den sie auf Verlangen ihrer Mutter hatte ergreifen müssen.

Die Soavi war nicht so vorsichtig gewesen, die Jahresrente von sechstausend Franken, die der Vater ausgesetzt hatte, nicht nur auf Adelaida, sondern auch auf sich selber übertragen zu lassen. Mit dem Tode ihrer Tochter verlor sie alles; sie starb in bitterer Armut, nachdem sie sich im Golde gewälzt hatte. Leider bin ich nicht berechtigt, ihr Vorwürfe zu machen.

Ich sah in Bologna den berüchtigten Afflisio, der aus dem kaiserlichen Dienst ausgestoßen worden war. Er war Theaterdirektor geworden. Von Stufe zu Stufe sinkend beging er, fünf oder sechs Jahre später, Fälschungen, die ihn auf die Galeren brachten. Dort ist er gestorben. «

Meine besondere Teilnahme erregte in Bologna ein Mann, der einer hohen Familie entstammte und als Erbe großen Reichtums geboren war. Es war der Graf Filomarino. Er befand sich im tiefsten Elend und war infolge von Geschlechtskrankheiten an allen Gliedern gelähmt. Ich besuchte ihn ziemlich oft, um ihm ein paar Geldstücke zuzustecken und das menschliche Herz zu studieren, indem ich seine boshafte Zunge, das einzige Glied, das die Pest verschont hatte, ihre Bemerkungen machen ließ.

Der Mann war ein Schurke und ein Verleumder. Er war wütend, daß er nicht imstande war, nach Neapel zu gehen und seine Verwandten umzubringen. Diese waren sehr ehrenwerte Leute, aber in seinen Augen Ungeheuer.

Die Tänzerin Sabbattini kehrte nach Bologna zurück; sie war reich genug, um auf ihren Lorbeeren ausruhen zu können, und gab all ihr Hab und Gut einem Professor der Anatomie, der sie heiratete. Ich fand bei ihr ihre Schwester, die weder talentvoll noch reich, aber sehr angenehm war.

Bei ihr lernte ich einen Abbate kennen, dessen schönes Gesicht die Aufmerksamkeit dieser Schwester gefesselt hatte; er war ein Muster von Bescheidenheit und schien ihre Liebe nur aus Dankbarkeit zu erwidern.

Als ich irgendeine Bemerkung an diesen bescheidenen Adonis richtete, antwortete er mir sehr verständig, aber in jenem Tone des Zweifels, der immer einen guten Eindruck macht.

Da wir uns zusammen entfernten, gingen wir ein Stück Weges miteinander. Im Laufe des Gespräches erzählten wir uns gegenseitig, woher wir stammten und was uns in Bologna interessierte. Beim Abschied versprachen wir uns, uns wiederzusehen.

Dieser Abbate, der vierundzwanzig oder fünfundzwanzig Jahre alt war, hatte noch nicht die Priesterweihe empfangen; er war der einzige Sohn einer adligen Familie in Novara, die unglücklicherweise nicht reich war.

Da er nur ein schmales Einkommen hatte, so lebte er bequemer in Bologna als in Novara, wo die Lebensmittel teurer sind. Außerdem langweilte ihn dort alles, seine Verwandten waren ihm lästig, und es herrschte dort eine allgemeine Unwissenheit.

Der Abbate von Bollini, so hieß er, war von ruhigem Geist, er liebte den Frieden und die Freiheit; alles andere interessierte ihn nur in sehr bescheidenem Maße. Er liebte die wissenschaftlich Gebildeten mehr als die Wissenschaften selber und machte keinen Anspruch darauf, für einen Mann von Geist zu gelten. Es genügte ihm, daß er nicht dumm war und daß die Gelehrten, mit denen er zuweilen zusammenkam, ihn nicht für unwissend hielten; denn er besaß die Gabe des Zuhörens.

Bollini war nicht nur der Verhältnisse wegen, sondern auch seiner Naturanlage nach ein Mann von mäßigen Gewohnheiten. Er suchte keinen Ruhm darin, Freigeist zu sein; denn er sprach niemals über Religion; er war infolge seiner Erziehung ein guter Christ, aber er nahm keinen Anstoß an einem freien Wort. Da er gutmütig war, so war er nicht eben zur Kritik geneigt, die ja fast immer boshaft ist; er lobte selten und tadelte niemals.

In bezug auf die Weiber war er fast völlig gleichgültig; er vermied die Häßlichen und Langweiligen, ließ aber solche, die er hübsch fand, nicht lange schmachten, wenn sie sich in ihn verliebten. Er war aber mehr aus Dankbarkeit gefällig, niemals aus Liebe; denn er war so veranlagt, daß nach seiner Meinung die Frauen das Glück des Lebens eher verminderten als vermehrten.

Diese Charakteranlage interessierte mich ganz besonders an dem jungen Manne.

Wir verkehrten ungefähr seit drei Wochen miteinander, als wir eines Tages uns über seine Ansichten über das schönere Geschlecht unterhielten. Ich nahm mir die Freiheit, ihn zu fragen, wie er diese mit seinem Verhältnis zu Fräulein Brigida Sabbattini vereinbaren könne.

Er speiste jeden Abend bei mir, und sie kam jeden Morgen zu ihm, um mit ihm zu frühstücken. Wenn ich ihn besuchte, fand ich entweder das Fräulein schon bei ihm, oder sie kam jedenfalls sehr bald. Sie war stets zufrieden und anständig, aber man merkte ihr ihre Liebe an jedem Blick, an jeder Bewegung an; dagegen entdeckte ich bei dem Abbate nur Gefälligkeit und eine gewisse Verlegenheit, die sich trotz aller seiner Höflichkeit nicht verbergen ließ. Brigida war zwar noch recht hübsch, aber mindestens zehn Jahre älter als der Abbate. Sie behandelte mich mit großer Zuvorkommenheit; sie wollte mich nicht in sie verliebt machen, wohl aber mich überzeugen, daß der Abbate glücklich war, wenn er ihr Herz besaß, und daß sie der Erwiderung würdig war.

Als ich eines Tages mit dem Freimut, den eine Flasche guten Weines einem teilnehmenden Freunde gegenüber einflößt, beim Nachtisch Bollini nach der Art seines Verhältnisses zu Brigida fragte, da lächelte, seufzte, errötete er, schlug die Augen nieder und sagte mir, dieses Verhältnis sei das Unglück seines Lebens.

»Das Unglück Ihres Lebens? Läßt sie Sie etwa vergebens schmachten? Dann müssen Sie sie verlassen, damit Sie Ihr Glück wiederfinden.«

»Ich kann nicht vergeblich schmachten, denn ich bin nicht in sie verliebt. Sie aber ist in mich verliebt, gibt mir alle Beweise davon und bedroht meine Freiheit.«

»Wieso?«

»Sie verlangt, daß ich sie heirate. Aus Schwäche und aus Mitleid habe ich es ihr versprochen, und nun drängt sie mich.«

»Das glaube ich; so machen es alle alten Mädchen.«

»Jeden Abend gibt es Bitten, Tränen, Verzweiflungsszenen. Sie fordert mich auf, ihr mein Versprechen zu halten, und beschuldigt mich, sie zu betrügen. Sie werden begreifen, wie bitter meine Laqe ist.«

»Sind Sie ihr gegenüber Verpflichtungen eingegangen?«

»Keine. Sie hat mich sozusagen genotzüchtigt; denn sie kam mir aufs äußerste entgegen. Sie besitzt kein Vermögen, denn sie hat nur, was ihre Schwester ihr von heute auf morgen gibt; und sobald sie verheiratet wäre, würde sie ihr nichts mehr geben.«

»Haben Sie ihr ein Kind gemacht?«

»Davor habe ich mich wohl gehütet, und eben darüber ist sie empört; sie nennt meine Vorsichtsmaßregeln einen Verrat, den sie verabscheut.«

»Sie gedenken sie aber doch wohl früher oder später zu heiraten?«

»Ich fühle, daß ich mich dazu werde niemals entschließen können. Ebensogut könnte ich mich aufhängen. Durch diese Heirat würde ich mindestens viermal so arm werden, als ich jetzt bin, und ich würde mich höchst lächerlich machen, wenn ich eine Gattin von ihrem Alter nach Novara brächte – eine Gattin, die zwar anständig, aber weder adlig noch reich ist; in Novara aber verlangt man wenigstens Reichtum, wenn schon keine vornehme Abkunft vorhanden ist.«

»Als vernünftiger Mann und noch mehr als ehrlicher Mann müssen Sie mit ihr brechen, und zwar lieber heute als morgen.«

»Ich fühle es, aber was soll ich tun? Mir fehlt die moralische Kraft dazu. Wenn ich heute Abend nicht zu ihr zum Essen ginge, würde sie unfehlbar zu mir kommen, um zu sehen, was ich mache. Sie werden begreifen, daß ich nicht meine Tür vor ihr verschließen und daß ich sie nicht hinauswerfen kann.«

»Das sehe ich ein; aber Sie werden ebenfalls begreifen, daß Sie nicht in einem solchen Zustande von Aufregung leben können. Sie müssen einen Entschluß fassen und dieses Liebesverhältnis lösen, wie Alexander den gordischen Knoten zerhieb.«

»Ich habe nicht sein Schwert.«

»Ich werde es Ihnen leihen.«

»Wieso?«

»Hören Sie zu: Sie müssen, ohne ihr etwas davon zu sagen, sich nach einer anderen Stadt begeben. Sie wird doch nicht so verrückt sein, Sie von dort zurückholen zu wollen!«

»Dies wäre das beste Mittel; aber die Flucht ist außerordentlich schwierig.«

»Schwierig? Sie scherzen. Sie brauchen mir nur zu versprechen, alles zu tun, was ich Ihnen sagen werde, und ich werde dafür sorgen, daß Sie in aller Bequemlichkeit abreisen können. Sie wird Ihre Abreise erst erfahren, wenn Sie nicht zum Abendessen kommen und sie sich infolgedessen erkundigt, was Sie zurückgehalten hat.«

»Ich werde alles tun, was Sie mir sagen, Sie leisten mir einen Dienst, den ich niemals vergessen werde. Aber der Schmerz wird sie wahnsinnig machen.«

»Vor allen Dingen verbiete ich Ihnen, an ihren Schmerz zu denken. Sie haben weiter nichts zu tun als an nichts zu denken und mir die Sorge für alles zu überlassen. Wollen Sie morgen abreisen?«

»Morgen?«

»Ja! Haben Sie Schulden?«

»Nein.«

»Wollen Sie Geld?«

»Auch nicht; ich habe zur Genüge. Aber der Gedanke, daß ich morgen abreisen soll, kommt mir komisch vor. Ich brauche mindestens drei Tage.«

»Wozu?«

»Ich erwarte übermorgen Briefe, und ich muß meinen Verwandten schreiben, wo ich mich befinde.«

»Ich werde Ihre Briefe in Empfang nehmen und sie Ihnen an den Ort nachsenden, wohin Sie gehen.«

»Und wohin wird das sein?«

»Das werde ich Ihnen im Augenblick Ihrer Abreise sagen. Vertrauen Sie sich nur an. Ich werde Sie nach einer Stadt schicken, wo Sie sich wohlbefinden werden. Sie brauchen weiter nichts zu tun, als daß Sie Ihren Koffer Ihrem Wirt hinterlassen und ihm befehlen, daß er ihn nur an mich ausliefern soll.«

»Es soll so geschehen. Sie wollen also, daß ich ohne meinen Koffer abreise?«

»Ja. Meinetwegen bleiben Sie noch drei Tage hier, aber kommen Sie jeden Tag zu mir zum Mittagessen. Vor allen Dingen hüten Sie sich, irgendeinem Menschen zu sagen, daß Sie abreisen.«

»Ich werde mich selbstverständlich sehr in acht nehmen.«

Der junge Mann strahlte vor Freude. Ich umarmte ihn und dankte ihm dafür, daß er mir sein Geheimnis mitgeteilt hatte und daß er mir solches Vertrauen bezeigte.

Ich war ganz stolz darauf, solch ein gutes Werk tun zu können, und lachte bereits vorher über den Zorn, womit die arme Brigida nach der Flucht ihres Liebhabers gegen mich losziehen würde. Ich schrieb dem guten Herrn Dandolo, daß in fünf oder sechs Tagen ein junger Abbate aus Novara mit einem Brief von mir sich bei ihm vorstellen würde, und bat ihn, ihm so billig wie möglich ein Zimmer und eine anständige Pension zu besorgen, weil der junge Edelmann, der einen tadellosen Lebenswandel führe, leider nicht reich sei. Hierauf schrieb ich den Brief, den der Abbate überbringen sollte.

Am nächsten Tage sagte Bollini mir, Brigida habe gar keine Ahnung von seiner Absicht; denn in seiner Freude über die bevorstehende Befreiung sei er sehr gut aufgelegt gewesen und habe sie in der mit ihr verbrachten Nacht nach ihrer Herzenslust befriedigt; sie glaube daher, er sei jetzt in sie ebenso verliebt wie sie in ihn. Zwar habe sie seine ganze Wäsche in Verwahrung, er hoffe jedoch unter irgendeinem Vorwande einen guten Teil derselben herausbekommen zu können, und den Rest wolle er gerne opfern.

Am festgesetzten Tage kam er zur festgesetzten Stunde zu mir; eine große Reisetasche enthielt die Sachen, deren er während der fünf oder sechs Tage bis zum Eintreffen seines Koffers bedurfte. Ich fuhr mit ihm in der Post nach Modena, wo wir in bester Freundschaft miteinander zu Mittag aßen; hierauf gab ich ihm meinen Brief für Herrn Dandolo und sagte ihm, ich würde seinen Koffer gleich am nächsten Tage an dessen Adresse nachschicken.

Er war sehr angenehm überrascht, als er erfuhr, daß er in Venedig wohnen sollte, das er schon seit langer Zeit kennen zu lernen wünschte, und als ich ihm versicherte, der Edelmann, an den ich ihn empfehle, würde dafür sorgen, daß er in Venedig ebenso billig lebte wie in Bologna.

Nachdem ich ihn nach Finale hatte abreisen sehen, fuhr ich nach Bologna zurück; ich ließ seinen Koffer abholen und sandte ihm diesen gleich am nächsten Tage.

Wie ich erwartet hatte, erschien am nächsten Tage die arme Verlassene ganz in Tränen aufgelöst in meiner Wohnung. Ich hielt mich für verpflichtet, ihr mein Mitleid zu bezeigen, und es wäre grausam gewesen, wenn ich mich hätte stellen wollen, als ob die Ursache ihrer Verzweiflung mir unbekannt wäre. Ich hielt ihr in aller Güte eine ernstliche Strafpredigt und suchte ihr begreiflich zu machen, daß ich allerdings sie selber nur beklagen könne, daß ich aber meinen Freund nicht im Stich lassen und daß ich nicht zusehen dürfe, wie er sich zugrunde richte, indem er sie heirate; denn wenn er diesen tollen Streich beginge, so würde er sich in das entsetzlichste Elend stürzen, und sie selber nach sich ziehen.

Das arme Mädchen warf sich unter strömenden Tränen mir zu Füßen und flehte mich an, ich möchte doch ihren lieben Abbate zurückkommen lassen; sie versprach mir bei allen Heiligen, sie würde niemals wieder ein Wort vom Heiraten zu ihm sagen. Um sie zu beruhigen, sagte ich ihr, ich würde mein möglichstes tun, um ihn dazu zu veranlassen.

Sie wollte wissen, wohin er gegangen sei, und ich sagte ihr, er sei in Venedig, was sie natürlich nicht glaubte. Es gibt Fälle, wo ein geschickter Mensch die Wahrheit sagen muß, um irre zu führen; gegen eine solche Lüge kann die strengste Moral nichts einzuwenden haben.

Siebenundzwanzig Monate später sah ich Bollini in meiner Heimat. Ich werde von ihm sprechen, wenn wir so weit sind.

Wenige Tage nach der Abreise dieses Freundes machte ich die Bekanntschaft der schönen Viscioletta; ich wurde so verliebt in sie, daß ich mich entschließen mußte, den Genuß mit schönem klingendem Golde zu bezahlen, da ich nicht lange schmachten wollte. Die Zeit, wo ich Frauen in mich verliebt gemacht hatte, war vorüber; ich mußte entweder auf sie verzichten oder mir ihre Gefälligkeit erkaufen. Damals zwang die Natur mich, diesen letzteren Entschluß zu ergreifen, den ich aus Liebe zum Leben heute zurückweisen würde, selbst wenn ich dieses Mittel anwenden könnte.

Der traurige Sieg, den ich davontrug, nötigt mich am Schlusse meiner Lebenslaufbahn meinen Nachfolgern alles zu verzeihen und über diejenigen zu lachen, die mich um Rat fraqen, denn ich weiß im voraus, daß die meisten ihn nicht befolgen würden. Gerade weil ich dies weiß, gebe ich meinen Rat mit größerem Vergnügen, als wenn ich sicher wäre, daß man ihn befolgen würde; denn der Mensch ist ein Tier, das nur durch eigene Erfahrung klug werden kann, und Erfahrung gewinnt man für gewöhnlich nur dadurch, daß man im sogenannten Leben schmerzhafte Stöße und Püffe davonträgt. Weil dies nun einmal so sein muß, wird die Menschheit stets in Unordnung und Unwissenheit dahinleben; denn die Weisen bilden eine unendlich kleine Minderheit.

Die Viscioletta, die ich jeden Tag besuchte, machte mich mit dem Mitglied des Vierzigerrats Doria bekannt, der für ein wenig verrückt galt. Sie behandelte mich wie die Florentiner Witwe; aber diese verlangte von mir Gefühle der Ehrfurcht, die ich mir der Viscioletta gegenüber ersparte; denn schließlich war sie doch nur eine gewerbsmäßige Kurtisane, wenn sie sich auch Künstlerin nannte.

Seit drei Wochen schmeichelte ich um sie herum, ohne in meinen Belagerungsarbeiten große Fortschritte zu machen; denn ich wurde lachend zurückgewiesen, wenn ich kleinere Angriffe versuchte.

Der Vizelegat, Monsignore Buoncompagni, war ihr geheimer Liebhaber; zwar wußte es die ganze Stadt; aber in Italien schließt eine solche Öffentlichkeit nicht aus, daß nach außen hin das Geheimnis gewahrt bleibt. Er konnte ihr seines geistlichen Charakters wegen nicht öffentlich den Hof machen, aber die Spitzbübin machte mir kein Geheimnis daraus.

Da ich Geld brauchte und lieber meinen Wagen hergeben wollte als andere Gegenstände, an denen mein Herz hing, so bot ich ihn zum Preise von dreihundertundfünfzig römischen Talern zum Verkauf aus. Der Wagen war schön und bequem und war diesen Preis wert. Der Besitzer der Remise kam zu mir und sagte mir, der Vizelegat biete dreihundert Taler dafür. Es machte mir ein wahres Vergnügen, den Prälaten, der mein glücklicher Nebenbuhler war, ein wenig zu ärgern. Ich antwortete: es sei nicht meine Gewohnheit, zu feilschen, ich habe meinen Preis genannt und werde nichts davon ablassen.

Gegen Mittag ging ich nach der Remise, um einmal nachzusehen, ob der Wagen in gutem Zustande sei. Ich fand dort den Vizelegaten, der mich kannte, weil wir uns beim Kardinallegaten getroffen hatten; es konnte ihm nicht unbekannt sein, daß ich in seinem Gehege jagte. Er sagte mir in wenig höflichem Ton, mein Wagen sei nicht mehr als dreihundert Taler wert; er verstehe das besser als ich, ich müsse die Gelegenheit benützen, den Wagen herzugeben, denn er sei zu schön für mich.

Es gelang mir, mich zu beherrschen und mich über seinen Ton und seine Worte hinwegzusetzen; ich sagte ihm stolz und kurz, ich lasse nichts ab, drehte ihm den Rücken und ließ ihn stehen.

Am nächsten Tage schrieb die Viscioletta mir: wenn ich dem Vizelegaten meinen Wagen zu dem angebotenen Preise gäbe, würde ich ihr ein großes Vergnügen machen, denn sie sei überzeugt, daß er ihn ihr schenken werde. Ich antwortete ihr, ich würde sie im Laufe des Nachmittags besuchen, und es hinge von ihr ab, mich zu allem zu bestimmen, was sie wünschte. Nach einer kurzen, aber ziemlich lebhaften Unterhaltung überließ sie sich meinem Willen, und ich schrieb ihr ein Briefchen, worin ich erklärte, daß ich ihr den Wagen zu dem vom Vizelegaten gebotenen Preise ließe. Schon am nächsten Tage war sie im Besitz des erwarteten Geschenkes; ich hatte meine dreihundert römische Taler und die Genugtuung, daß der unhöfliche Prälat mit gutem Grunde annehmen konnte, ich hätte mich für seinen dummen Stolz zu rächen gewußt.

Um diese Zeit herum gelang es Severini, eine vorteilhafte Stellung in einer vornehmen neapolitanischen Familie als Hofmeister des jungen Sohnes zu erhalten; er verließ Bologna, sobald er das Reisegeld erhalten hatte, und ich dachte ebenfalls daran, die Stadt zu verlassen.

Herr Zaguri, der seit meinem Abenteuer mit dem Marchese Albergati einen sehr interessanten Briefwechsel mit mir unterhalten hatte, faßte den Plan, mir zur Rückkehr in die Heimat zu verhelfen; hierbei unterstützte ihn Herr Dandolo, dessen sehnlichster Wunsch dies war. Zaguri schrieb mir: um meine Begnadigung zu erlangen, müsse ich mich so nahe wie möglich an der venetianischen Grenze aufhalten, damit die Staatsinquisitoren imstande seien, sich von meiner guten Aufführung zu überzeugen. Der Bruder der Herzogin von Fiano, Herr Zuliani, der mich gern wieder in Venedig sehen wollte, unterstützte Zaguris Ratschläge und versprach mir, seinen ganzen Einfluß aufzubieten, um ein glückliches Gelingen herbeizuführen.

Da ich mir also ein anderes Asyl suchen mußte, das nahe an der Grenze der Republik liegen sollte, so entschied ich mich für Triest, denn ich hatte weder für Mantua noch für Ferrara eine große Vorliebe. Außerdem schrieb Herr Zaguri mir, er habe in Triest einen guten Freund, an welchen er mich empfehlen werde. Da ich nicht zu Lande reisen konnte, ohne das venetianische Gebiet zu berühren, so beschloß ich, mich nach Ancona zu begeben, von wo jeden Tag Schiffe nach Triest segeln. Da ich über Pesaro reisen mußte, bat ich meinen treuen Beschützer um einen Empfehlungsbrief an den ausgezeichneten Gelehrten Marchese Mosca, den ich gerne kennen lernen wollte. Er machte gerade damals viel von sich reden, da er eine Abhandlung über das Almosen veröffentlicht hatte, die vom römischen Hof auf den Index gesetzt worden war. Marchese Mosca war ein gelehrter und frommer Mann; er huldigte der Lehrmeinung des heiligen Augustinus, die, auf ihre äußersten Konsequenzen getrieben, die der sogenannten Jansenisten ist.

Ich verließ Bologna mit Bedauern, denn ich hatte dort acht köstliche Monate verbracht. Ich besaß eine ausgezeichnete Ausrüstung und kam am zweiten Tage meiner Reise bei bester Gesundheit in Pesaro an.

Ich ließ dem Marchese meinen Brief zustellen, über den er hocherfreut war; er suchte mich noch am selben Tage auf und sagte mir, sein Haus werde mir stets offen stehen, und er werde mich seiner Gemahlin übergeben, um mich mit dem ganzen Adel der Stadt bekannt zu machen und mir alle Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Er endigte seinen kurzen Besuch mit der Bitte, am nächsten Tage im Kreise seiner Familie zu speisen. Er fügte hinzu, ich würde der einzige Fremde sein; wenn ich ihm am Vormittage einen Besuch in seiner Bibliothek machen wollte, so würden wir beide dort eine ausgezeichnete Schokolade trinken.

Ich kam der Einladung nach und hatte das Vergnügen, eine ungeheure Sammlung von Scholiasten zu sehen, die bis ins zwölfte Jahrhundert Erläuterungen zu allen lateinischen Dichtern, selbst zu solchen vor der Zeit des Ennius geschrieben hatten. Er hatte alle Erzeugnisse in seinem Hause und auf seine Kosten in vier großen Foliobänden drucken lassen. Die Ausgabe war genau und richtig, aber sie war nicht schön. Ich wagte ihm dies zu sagen, und er gab es zu.

Er hatte durch den Verzicht auf Schönheit eine Ausgabe von hunderttausend Franken erspart, aber ihm war dadurch ein Gewinn von dreihunderttausend entgangen.

Er schenkte mir ein Exemplar und schickte mir dieses in meinen Gasthof zugleich mit einem anderen ungeheuren Foliobande, betitelt Marmora Pesaurentina; ich hatte keine Zeit, diesen genauer zu prüfen; aber ich hätte daraus alles lernen können, was sich auf die Stadt Pesaro bezieht.

Bei Tische hatte ich große Freude an der Marchesa, in der ich eine ausgezeichnete Dame erkannte; sie hatte drei Töchter und zwei Söhne; alle waren hübsch und gut erzogen.

Die Marchesa Mosca besaß in höchstem Grade, was man Weltgewandtheit nennt, während ihr Gatte nur für Literatur Sinn hatte. Aus dieser verschiedenen Geschmacksrichtung entstand zuweilen ein Mißklang, der dem Glücke ihrer Ehe schadete; ein Fremder bemerkte jedoch nichts davon, und wenn man es mir nicht gesagt hätte, wäre ich gar nicht auf den Gedanken gekommen.

Vor fünfzig Jahren sagte ein weiser Mann zu mir: alle Familien haben in ihrem Innern etwas, das ihren Frieden stört. Die Klugheit derer, die an der Spitze der Familie stehen, hat dafür zu sorgen, daß dieses Elend nicht öffentlich wird; denn man muß es vermeiden, Anlaß zu boshaften Kommentaren zu geben und sich vom Publikum auspfeifen zu lassen, das stets unwissend und übelwollend ist. Das Sprichwort drückt diese Weisheit in dem Rate aus: Man soll seine schmutzige Wäsche nicht vor anderen Leuten waschen.

Frau von Mosca-Barzi widmete sich während den fünf Tagen, die ich in Pesaro verbrachte, ausschließlich mir. Sie fuhr mit mir in ihrer Kutsche nach allen ihren Landhäusern und stellte mich abends in den Gesellschaften dem ganzen Adel der Stadt vor.

Marchese Mosca mochte damals etwa fünfzig Jahre alt sein. Kalt von Natur, hatte er keine andere Leidenschaft als für das Studium, und seine Sitten waren rein. Er hatte eine Akademie gegründet, deren Vorsitz er sich selber vorbehalten hatte. Sein Wahrzeichen war eine Fliege in Anspielung auf seinen Namen Mosca oder Musca, mit. den Worten: de me ce; dies sollte heißen: wenn man von Musca das c wegnehme, so bleibe Musa.

Der ausgezeichnete Mensch hatte nur einen einzigen Fehler, den die Mönche als seine schönste Eigenschaft betrachteten: er war religiös bis zum Übermaß, und diese übertriebene Religiosität mußte ihn so weit führen, daß er nicht mehr das Rechte zu erkennen wußte.

Aber ist es weniger schlimm, wenn man über das Ziel hinausschießt, als wenn man es nicht erreicht? Diese Frage werde ich mir niemals zu entscheiden erlauben. Horaz hat gesagt: Nulla est mihi religio, aber er beginnt eine Ode mit einer Verdammung der Philosophie, die ihn von der Anbetung der Götter zurückhalte.

Jedes Zuviel ist von Übel.

Ich verließ Pesaro, ganz entzückt von der schönen Gesellschaft, die ich dort kennen gelernt hatte, und mit großem Bedauern, daß ich den Bruder des Marchese, von dem man allgemein mit Bewunderung sprach, nicht getroffen hatte.

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