Zweiunddreißigstes Kapitel.

Kaiser Wilhelm I.

I.

Um die Mitte der siebziger Jahre begann die geistige Empfänglichkeit des Kaisers im Auffassen andrer und Entwickeln eigner Vorträge schwerfälliger zu functioniren; er verlor zuweilen den Faden im Zuhören und Sprechen. Merkwürdigerweise trat darin nach dem Nobiling'schen Attentate eine günstige Verändrung ein. Momente wie die beschriebenen kamen nicht mehr vor, der Kaiser war freier, lebendiger, auch weicher. Der Ausdruck meiner Freude über sein Wohlbefinden veranlaßte ihn zu dem Scherze: »Nobiling hat besser als die Aerzte gewußt, was mir fehlte: ein tüchtiger Aderlaß.« Die letzte Krankheit war kurz, sie begann am 4. März 1888. Am 8. Mittags hatte ich die letzte Unterredung mit dem Kaiser, in der er noch bei Bewußtsein war, und erlangte von ihm die Ermächtigung zur Veröffentlichung der schon am 17. November 1887 vollzognen Ordre, die den Prinzen Wilhelm mit der Stellvertretung beauftragte in Fällen, wo Se. Majestät einer solchen zu bedürfen glauben würde. Der Kaiser sagte, er erwarte von mir, daß ich in meiner Stellung verbleiben und seinen Nachfolgern zur Seite stehn würde, wobei ihm zunächst die Besorgniß vorzuschweben schien, daß ich mich mit dem Kaiser Friedrich nicht würde stellen können. Ich sprach mich beruhigend darüber aus, so weit es überhaupt angebracht schien, einem Sterbenden gegenüber von dem zu sprechen, was seine Nachfolger und ich selbst nach seinem Tode thun würden. Dann, an die Krankheit seines Sohnes denkend, verlangte er von mir das Versprechen, meine Erfahrung seinem Enkel zu Gute kommen zu lassen und ihm zur Seite zu bleiben, wenn er, wie es schiene, bald zur Regirung gelangen sollte. Ich gab meiner Bereitwilligkeit Ausdruck, seinen Nachfolgern mit demselben Eifer zu dienen wie ihm selbst. Seine einzige Antwort darauf war ein etwas fühlbarerer Druck seiner Hand; dann aber traten Fieberphantasien ein, in denen die Beschäftigung mit dem Enkel so im Vordergrunde stand, daß er glaubte, der Prinz, der im September 1886 dem Zaren in Brest-Litowsk einen Besuch gemacht hatte, säße an meiner Stelle neben dem Bette, und mich plötzlich mit Du anredend sagte: »Mit dem russischen Kaiser mußt du immer Fühlung halten, da ist kein Streit nothwendig.« Nach einer langen Pause des Schweigens war die Sinnestäuschung verschwunden; er entließ mich mit den Worten: »Ich sehe Sie noch.« Gesehn hat er mich noch, als ich mich am Nachmittage und dann wieder in der Nacht des 9. um 4 Uhr einfand, aber schwerlich unter den vielen Anwesenden erkannt; noch in später Abendstunde des 8. fand eine Rückkehr der vollen Klarheit des Bewußtseins und der Fähigkeit statt, sich den sein Sterbebett in dem engen Schlafzimmer Umstehenden gegenüber klar und zusammenhängend auszusprechen. Es war das letzte Aufleuchten dieses starken und tapfern Geistes. Um 8 Uhr 30 Minuten that er den letzten Athemzug.

II.

Für die Thronfolge war unter Friedrich Wilhelm III. nur der Kronprinz mit Bewußtsein vorgebildet worden, der zweite Sohn dagegen ausschließlich militärisch. Es war natürlich, daß durch sein ganzes Leben militärische Einflüsse an und für sich stärker auf ihn wirkten als civilistische, und ich selbst habe in dem äußern Eindruck der Militäruniform, die ich trug, um ein mehrmaliges Umkleiden am Tage zu vermeiden, ein Moment der Verstärkung meines Einflusses zu finden geglaubt. Unter den Personen, die, so lange er noch Prinz Wilhelm war, Einfluß auf seine Entwicklung haben konnten, standen in erster Linie Militärs ohne politischen Beruf, nachdem der General von Gerlach, der Jahre hindurch sein Adjutant gewesen war, dem politischen Leben vorübergehend fremd geworden war. Er war der begabteste unter den Adjutanten, die der Prinz gehabt hatte, und nicht theoretischer Fanatiker in Politik und Religion wie sein Bruder, der Präsident, aber doch genug doctrinär, um bei dem praktischen Verstande des Prinzen nicht den Anklang zu finden, wie bei dem geistreichen Könige Friedrich Wilhelm. Pietismus war ein Wort und ein Begriff, die mit dem Namen Gerlach leicht in Verbindung traten wegen der Rolle, die die beiden Brüder des Generals, der Präsident und der Prediger, Verfasser eines ausgedehnten Bibelwerks, in der politischen Welt spielten.

Ein Gespräch, das ich 1853 in Ostende, wo ich dem Prinzen näher getreten war, mit ihm hatte und das sich an den Namen Gerlach knüpfte, ist mir in Erinnrung geblieben, weil es mich betroffen machte über des Prinzen Unbekanntschaft mit unsern staatlichen Einrichtungen und der politischen Situation.

Eines Tags sprach er mit einer gewissen Animosität über den General von Gerlach, der aus Mangel an Uebereinstimmung und, wie es schien, verstimmt aus der Adjutanten-Stellung geschieden war. Der Prinz bezeichnete ihn als einen Pietisten.

Ich: »Was denken Ew. K. H. Sich unter einem Pietisten?«

Er: »Einen Menschen, der in der Religion heuchelt, um Carrière zu machen.«

Ich: »Das liegt Gerlach fern, was kann der werden? Im heutigen Sprachgebrauch versteht man unter einem Pietisten etwas andres, nämlich einen Menschen, der orthodox an die christliche Offenbarung glaubt und aus seinem Glauben kein Geheimniß macht; und deren giebt es viele, die mit dem Staate garnichts zu thun haben und an Carrière nicht denken.«

Er: »Was verstehn Sie unter orthodox?«

Ich: »Beispielsweise Jemanden, der ernstlich daran glaubt, daß Jesus Gottes Sohn und für uns gestorben ist als ein Opfer, zur Vergebung unsrer Sünden. Ich kann es im Augenblick nicht präciser fassen, aber es ist das Wesentliche der Glaubensverschiedenheit.«

Er, hoch erröthend: »Wer ist denn so von Gott verlassen, daß er das nicht glaubte!«

Ich: »Wenn diese Aeußrung öffentlich bekannt würde, so würden Ew. K. H. selbst zu den Pietisten gezählt werden.«

Im weitern Verlauf der Unterhaltung kamen wir auf die damals schwebende Frage der Kreis- und Gemeinde-Ordnung. Bei der Gelegenheit sagte der Prinz ungefähr:

Er sei kein Feind des Adels, könne aber nicht zugeben, daß »der Bauer von dem Edelmann mißhandelt werde«.

Ich erwiderte: »Wie sollte der Edelmann das anfangen? Wenn ich die Schönhauser Bauern mißhandeln wollte, so fehlte mir jedes Mittel dazu, und der Versuch würde mit meiner Mißhandlung entweder durch die Bauern oder durch das Gesetz endigen.«

Darauf Er: »Das mag bei Ihnen in Schönhausen so sein; aber das ist eine Ausnahme, und ich kann nicht zugeben, daß der kleine Mann auf dem Lande geschunden wird.«

Ich bat um die Erlaubniß, ihm eine kurze Darstellung der Genesis unsrer ländlichen Zustände, des Verhältnisses zwischen Gutsherrn und Bauern vorzulegen. Er nahm das Erbieten freudig dankend an; und ich habe nachher in Norderney meine freien Stunden dazu verwendet, dem damals 56 Jahre alten Thronerben an der Hand von Gesetzesstellen die rechtliche Situation auseinander zu setzen, in der sich Rittergüter und Bauern 1853 befanden. Ich schickte ihm die Arbeit nicht ohne die Befürchtung, der Prinz würde kurz und ironisch antworten, er habe durch mich nichts erfahren, was er nicht schon seit 30 Jahren wisse. Umgekehrt aber dankte er mir lebhaft für die interessante Zusammenstellung der ihm neuen Daten.

III.

Von dem Augenblicke des Antritts der Regentschaft an hatte Prinz Wilhelm den Mangel an geschäftlicher Vorbildung so lebhaft empfunden, daß er keine Arbeit Tag und Nacht scheute, um demselben abzuhelfen. Wenn er »Staatsgeschäfte erledigte«, so arbeitete er wirklich, mit vollem Ernst und voller Gewissenhaftigkeit. Er las alle Eingänge, nicht blos die, welche ihn anzogen, studirte die Verträge und Gesetze, um sich ein selbständiges Urtheil zu bilden. Er kannte keine Vergnügung, die den Staatsgeschäften Zeit entzogen hätte. Er las niemals Romane oder sonst Bücher, die nicht Bezug auf seinen Herrscherberuf hatten. Er rauchte nicht, spielte nicht Karten. Wenn nach einem Jagddiner in Wusterhausen die Gesellschaft sich in das Zimmer begab, in dem Friedrich Wilhelm I. das Tabakscollegium zu versammeln pflegte, so ließ er sich, damit die Anwesenden in seiner Gegenwart rauchen durften, eine der langen holländischen Thonpfeifen reichen, that einige Züge und legte sie mit einem krausen Gesichte aus der Hand. Als er in Frankfurt, damals noch Prinz von Preußen, auf einem Balle in ein Zimmer gerieth, in dem Hazard gespielt wurde, sagte er zu mir: »Ich will doch auch einmal mein Glück versuchen, habe aber kein Geld bei mir, geben Sie mir etwas.« Da auch ich kein Geld bei mir zu tragen pflegte, so half der Graf Theodor Stolberg aus. Der Prinz setzte einige Male einen Thaler, verlor jedes Mal und verließ das Zimmer. Seine einzige Erholung war, nach einem arbeitsvollen Tage in seiner Theaterloge zu sitzen; aber auch dort durfte ich als Minister ihn in dringenden Fällen aufsuchen, um ihm in dem kleinen Zimmer vor der Loge Vorträge zu halten, und Unterschriften entgegennehmen. Obschon er der Nachtruhe dermaßen bedürftig war, daß er schon über eine schlechte Nacht klagte, wenn er zweimal, und über Schlaflosigkeit, wenn er dreimal erwacht war, so habe ich niemals den leisesten Zug von Verdrießlichkeit wahrgenommen, wenn man ihn unter schwierigen Verhältnissen um 2 oder 3 Uhr weckte, um eine eilige Entscheidung zu erbitten.

Neben dem Fleiße, zu dem ihn sein hohes Pflichtgefühl trieb, kam ihm in Erfüllung seiner Regentenpflicht ein ungewöhnliches Maß von klarem, durch Erlerntes weder unterstützten noch beeinträchtigten gesunden Menschenverstande, common sense, zu Statten. Hinderlich für das Verständniß der Geschäfte war die Zähigkeit, mit der er an fürstlichen, militärischen und localen Traditionen hing; jeder Verzicht auf solche, jede Wendung zu neuen Bahnen, wie sie der Lauf der Ereignisse nothwendig machte, wurde ihm schwer und erschien ihm leicht im Lichte von etwas Unerlaubtem oder Unwürdigem. Wie an Personen seiner Umgebung und an Sachen seines Gebrauchs, so hielt er auch an Eindrücken und Ueberzeugungen fest, unter der Mitwirkung der Erinnrung an das, was sein Vater in ähnlichen Lagen gethan hatte oder gethan haben würde; insbesondre im französischen Kriege hatte er die Erinnrung an den parallelen Verlauf der Freiheitskriege immer vor Augen.

König Wilhelm, der mich während der schleswig-holsteinischen Episode einmal vorwurfsvoll fragte: »Sind Sie denn nicht auch ein Deutscher?« weil ich mich seiner durch häusliche Einflüsse bedingten Neigung, ein neues gegen Preußen stimmendes Großherzogthum in Kiel zu schaffen, widersetzte, derselbe Herr war, wenn er, ohne durch politische Gedanken angekränkelt zu sein, in naturwüchsiger Freiheit seinen Empfindungen folgte, einer der entschlossensten Particularisten unter den deutschen Fürsten, in der Richtung eines patriotischen und conservativ gesinnten preußischen Offiziers aus der Zeit seines Vaters. Der Einfluß seiner Gemalin brachte ihn in reifern Jahren in Opposition gegen das traditionelle Prinzip, und die Unfähigkeit seiner Minister der neuen Aera und das überstürzende Ungeschick der liberalen Parlamentarier in der Conflictszeit weckte in ihm wiederum den alten Pulsschlag des preußischen Prinzen und Offiziers, zumal er mit der Frage, ob die Bahn, die er einschlug, gefährlich sei, niemals rechnete. Wenn er überzeugt war, daß Pflicht und Ehre, oder eins von beiden, ihm geboten, einen Weg zu betreten, so ging er ihn ohne Rücksicht auf die Gefahren, denen er ausgesetzt sein konnte, in der Politik ebenso wie auf dem Schlachtfelde. Einzuschüchtern war er nicht. Die Königin war es, und das Bedürfniß des häuslichen Friedens mit ihr war ein unberechenbares Gewicht, aber parlamentarische Grobheiten oder Drohungen hatten nur die Wirkung, seine Entschlossenheit im Widerstande zu stärken. Mit dieser Eigenschaft hatten die Minister der neuen Aera und ihre parlamentarischen Stützen und Gefolgschaften niemals gerechnet. Graf Schwerin war in seinem Mißverstehn dieses furchtlosen Offiziers auf dem Throne so weit gegangen, zu glauben, ihn durch Ueberhebung und Mangel an Höflichkeit einschüchtern zu können[1]. In diesen Vorgängen lag der Wendepunkt des Einflusses der Minister der neuen Aera, der Altliberalen und der Bethmann-Hollweg'schen Partei, von dem ab die Bewegung rückläufig wurde, die Leitung in Roon's Hände fiel und der Ministerpräsident Fürst Hohenzollern mit seinem Adjuncten Auerswald meinen Eintritt in das Ministerium wünschten. Die Königin und Schleinitz verhinderten ihn einstweilen noch, als ich im Frühjahr 1860 in Berlin war, aber die Aeußerlichkeiten, die zwischen dem Herrn und seinen Ministern vorgekommen waren, hatten in die gegenseitigen Beziehungen doch einen Riß gebracht, der nicht mehr vernarbte.

IV.

Die Prinzessin Augusta vertrat unter Friedrich Wilhelm IV. in der Regel den Gegensatz zur Regirungspolitik; die neue Ära der Regentschaft sah sie als ihr Ministerium an, wenigstens bis zum Rücktritt des Herrn von Schleinitz. Es lebte in ihr vorher und später ein Bedürfniß des Widerspruchs gegen die jedesmalige Haltung der Regirung ihres Schwagers und später ihres Gemals. Ihr Einfluß wechselte und zwar so, daß derselbe bis auf die letzten Lebensjahre stets gegen die Minister in's Gewicht fiel. War die Regirungspolitik conservativ, so wurden die liberalen Personen und Bestrebungen in den häuslichen Kreisen der hohen Frau ausgezeichnet und gefördert; befand sich die Regirung des Kaisers in ihrer Arbeit zur Befestigung des neuen Reichs auf liberalen Wegen, so neigte die Gunst mehr nach der Seite der conservativen und namentlich der katholischen Elemente, deren Unterstützung, da sie unter einer evangelischen Dynastie sich häufig und bis zu gewissen Grenzen regelmäßig in der Opposition befanden, überhaupt der Kaiserin nahe lag. In den Perioden, wo unsre auswärtige Politik mit Oestreich Hand in Hand gehn konnte, war die Stimmung gegen Oestreich unfreundlich und fremd; bedingte unsre Politik den Widerstreit gegen Oestreich, so fanden dessen Interessen Vertretung durch die Königin und zwar bis in die Anfänge des Krieges 1866 hinein. Während an der böhmischen Grenze schon gefochten wurde, fanden in Berlin unter dem Patronate Ihrer Majestät durch das Organ von Schleinitz noch Beziehungen und Unterhandlungen bedenklicher Natur statt. Herr von Schleinitz hatte, seit ich Minister des Aeußern und er selbst Minister des königlichen Hauses geworden, das Amt einer Art Gegenministers der Königin, um Ihrer Majestät Material zur Kritik und zur Beeinflussung des Königs zu liefern. Er hatte zu diesem Behufe die Verbindungen benutzt, die er in der Zeit, wo er mein Vorgänger war, im Wege der Privatcorrespondenz angeknüpft hatte, um eine förmliche diplomatische Berichterstattung in seiner Hand zu concentriren. Ich erhielt die Beweise dafür durch den Zufall, daß einige dieser Berichte, aus deren Fassung die Thatsache der Continuität der Berichterstattung ersichtlich war, durch Mißverständniß der Feldjäger oder der Post an mich gelangten und amtlichen Berichten so genau ähnlich sahn, daß ich erst durch einzelne Bezugnahmen im Texte stutzig wurde, mir das dazu gehörige Couvert aus dem Papierkorb suchte und darauf die Adresse des Herrn von Schleinitz vorfand. Zu den Beamten, mit denen er solche Verbindungen unterhielt, gehörte unter Andern ein Consul, über den mir Roon unter dem 25. Januar 1864 schrieb, derselbe stehe im Solde von Drouyn de L'Huys und schreibe unter dem Namen Siegfeld Artikel für das »Mémorial Diplomatique«, die u. A. der Occupation der Rheinlande durch Napoleon das Wort redeten und sie in Parallele stellten mit unsrer Occupation Schleswigs. Zur Zeit der »Reichsglocke« und der gehässigen Angriffe der conservativen Partei und der »Kreuzzeitung« auf mich konnte ich ermitteln, daß die Colportage der »Reichsglocke« und ähnlicher verleumderischer Preßerzeugnisse im Bureau des Hausministeriums besorgt wurde. Der Vermittler war ein höherer Subalternbeamter Namens Bernhard[2] der der Frau von Schleinitz die Federn schnitt und den Schreibtisch in Ordnung hielt. Durch ihn wurden allein an unsre höchsten Herrschaften dreizehn Exemplare der »Reichsglocke«, davon zwei in das Kaiserliche Palais, berichtmäßig eingesandt und andre an mehre verwandte Höfe.

Als ich einmal den geärgerten und darüber erkrankten Kaiser des Morgens aufsuchen mußte, um über eine höfische Demonstration zu Gunsten des Centrums eine unter den obwaltenden Umständen dringliche Beschwerde zu führen, fand ich ihn im Bette und neben ihm die Kaiserin in einer Toilette, die darauf schließen ließ, daß sie erst auf meine Anmeldung herunter gekommen war. Auf meine Bitte, mit dem Kaiser allein sprechen zu dürfen, entfernte sie sich, aber nur bis zu einem dicht außerhalb der von ihr nicht ganz geschlossenen Thüre stehenden Stuhle und trug Sorge, durch Bewegungen mich erkennen zu lassen, daß sie Alles hörte. Ich ließ mich durch diesen, nicht den ersten, Einschüchterungsversuch nicht abhalten, meinen Vortrag zu erstatten. An dem Abende desselben Tags war ich in einer Gesellschaft im Palais. Ihre Majestät redete mich in einer Weise an, die mich vermuthen ließ, daß der Kaiser meine Beschwerde ihr gegenüber vertreten hatte. Die Unterhaltung nahm die Wendung, daß ich die Kaiserin bat, die schon bedenkliche Gesundheit ihres Gemals zu schonen und ihn nicht zwiespältigen politischen Einwirkungen auszusetzen. Diese nach höfischen Traditionen unerwartete Andeutung hatte einen merkwürdigen Effect. Ich habe die Kaiserin Augusta in dem letzten Jahrzehnt ihres Lebens nie so schön gesehn wie in diesem Augenblicke; ihre Haltung richtete sich auf, ihr Auge belebte sich zu einem Feuer, wie ich es weder vorher noch nachher erlebt habe. Sie brach ab, ließ mich stehn und hat, wie ich von einem befreundeten Hofmanne erfuhr, gesagt: »Unser allergnädigster Reichskanzler ist heut sehr ungnädig.«

Ich hatte durch langjährige Gewohnheit allmälig ziemliche Sicherheit in Beurtheilung der Frage gewonnen, ob der Kaiser Anträgen, die mir logisch geboten erschienen, aus eigner Ueberzeugung oder im Interesse des Hausfriedens widerstand. War erstres der Fall, so konnte ich in der Regel auf Verständigung rechnen, wenn ich die Zeit abwartete, wo der klare Verstand des Herrn sich die Sache assimilirt hatte. Oder er berief sich auf das Minister-Conseil. In solchen Fällen blieb die Discussion zwischen mir und Sr. Majestät immer sachlich. Anders war es, wenn die Ursache des königlichen Widerstrebens gegen ministerielle Meinungen in vorhergegangnen Erörtrungen der Frage lag, die Ihre Majestät beim Frühstück hervorgerufen und bis zu scharfer Aussprache der Zustimmung durchgeführt hatte. Wenn der König in solchen Momenten, beeinflußt durch ad hoc geschriebene Briefe und Zeitungsartikel, zu raschen Aeußrungen im Sinne antiministerieller Politik gebracht war, so pflegte Ihre Majestät den gewonnenen Erfolg zu befestigen durch Aeußrung von Zweifeln, ob der Kaiser im Stande sein werde, die geäußerte Absicht oder Meinung »Bismarck gegenüber« aufrecht zu erhalten. Wenn Se. Majestät nicht auf Grund eigner Ueberzeugung, sondern weiblicher Bearbeitung widerstand, so konnte ich dies daran erkennen, daß seine Argumente unsachlich und unlogisch waren. Dann endete eine solche Erörtrung, wenn ein Gegenargument nicht mehr zu finden war, wohl mit der Wendung: »Ei der Tausend, da muß ich doch sehr bitten.« Ich wußte dann, daß ich nicht den Kaiser, sondern die Gemalin mir gegenüber gehabt hatte.

Alle Gegner, die ich mir in den verschiedensten Regionen im Laufe meiner politischen Kämpfe nothwendiger Weise und im Interesse des Dienstes zugezogen hatte, fanden in ihrem gemeinsamen Hasse gegen mich ein Band, das einstweilen stärker war als ihre gegenseitigen Abneigungen gegen einander. Sie vertagten ihre Feindschaft, um einstweilen der stärkern gegen mich zu dienen. Den Krystallisationspunkt für diese Uebereinstimmung bildete die Kaiserin Augusta, deren Temperament, wenn es galt ihren Willen durchzusetzen, auch in der Rücksicht auf Alter und Gesundheit des Gemals nicht immer Grenze fand.

Der Kaiser hatte während der Belagrung von Paris, wie häufig vorher und nachher, unter dem Kampfe zwischen seinem Verstande und seinem königlichen Pflichtgefühl einerseits und dem Bedürfniß nach häuslichem Frieden und weiblicher Zustimmung zur Politik andrerseits zu leiden. Die ritterlichen Empfindungen, die ihn gegenüber seiner Gemalin, die mystischen, die ihn der gekrönten Königin gegenüber bewegten, seine Empfindlichkeit für Störungen seiner Hausordnung und seiner täglichen Gewohnheiten haben mir Hindernisse bereitet, die zuweilen schwerer zu überwinden waren als die von fremden Mächten oder feindlichen Parteien verursachten, und vermöge der herzlichen Anhänglichkeit, die ich für die Person des Kaisers hatte, die aufreibende Wirkung der Kämpfe erheblich gesteigert, die ich bei pflichtmäßigem Vertreten meiner Ueberzeugung in den Vorträgen durchzumachen hatte.

Der Kaiser hatte das Gefühl davon und machte in den letzten Jahren seines Lebens mir gegenüber kein Geheimniß aus seinen häuslichen Beziehungen, berieth mit mir, welche Wege und Formen zu wählen seien, um seinen häuslichen Frieden ohne Schädigung der Staatsinteressen zu schonen; »der Feuerkopf« pflegte der hohe Herr in vertraulichen, aus Verdruß, Respect und Wohlwollen gemischten Stimmungen die Gemalin zu bezeichnen und diesen Ausdruck mit einer Handbewegung zu begleiten, die etwa sagen wollte: »Ich kann nichts ändern«. Ich fand diese Bezeichnung außerordentlich treffend; die Königin war, so lange nicht physische Gefahren drohten, eine muthige Frau, getragen von einem hohen Pflichtgefühl, aber auf Grund ihres königlichen Empfindens abgeneigt, andre Autoritäten als die ihrige gewähren zu lassen.

V.

Das Schwergewicht, das nach dem Antritt der Regentschaft der Wille und die Ueberzeugung des Prinzen von Preußen und spätern Kaisers auf dem außermilitärischen, dem politischen Gebiete darstellte, war das eigenste Product der mächtigen und vornehmen Natur, die diesem Fürsten, unabhängig von der ihm zu Theil gewordnen Erziehung, angeboren war. Der Ausdruck »königlich vornehm« ist prägnant für seine Erscheinung. Die Eitelkeit kann bei Monarchen ein Sporn zu Thaten und zur Arbeit für das Glück ihrer Unterthanen sein. Friedrich der Große war nicht frei davon; sein erster Thatendrang entsprang dem Verlangen nach historischem Ruhm; ob diese Triebfeder gegen das Ende seiner Regirung, wie man sagt, degenerirte, ob er dem Wunsche innerlich Gehör gab, daß die Nachwelt den Unterschied zwischen seiner und der folgenden Regirung merken möge, lasse ich unerörtert. Eine dichterische Ergießung datirte er von dem Tage vor einer Schlacht und theilte sie brieflich mit der Unterschrift mit: Pas trop mal à la veille d'une bataille.

Eine Eitelkeit der Art war dem Kaiser Wilhelm I. durchaus fremd; dagegen war ihm die Furcht vor berechtigter Kritik der Mit- und Nachwelt in hohem Maße eigen. Er war darin ganz preußischer Offizier, der, sobald er durch höhern Befehl gedeckt ist, ohne Schwanken dem sichern Tode entgegen geht, aber durch die Furcht vor dem Tadel des Vorgesetzten und der öffentlichen Meinung in zweifelnde Unsicherheit geräth, die ihn das Falsche wählen läßt. Niemand hätte gewagt, ihm eine platte Schmeichelei zu sagen. In dem Gefühle königlicher Würde würde er gedacht haben: wenn Einer das Recht hätte, mich in's Gesicht zu loben, so hätte er auch das Recht, mich in's Gesicht zu tadeln. Beides gab er nicht zu.

Monarch und Parlament hatten einander in schweren innern Kämpfen gegenseitig kennen und achten gelernt; die Ehrlichkeit der königlichen Würde, die sichre Ruhe des Königs hatten schließlich die Achtung auch seiner Gegner erzwungen, und der König selbst war durch sein hohes persönliches Ehrgefühl zu einer gerechten Beurtheilung der beiderseitigen Situationen befähigt. Das Gefühl der Gerechtigkeit nicht blos seinen Freunden und seinen Dienern gegenüber, sondern auch im Kampfe mit seinen Gegnern beherrschte ihn. Er war ein gentleman ins Königliche übersetzt, ein Edelmann im besten Sinne des Wortes, der sich durch keine Versuchung der ihm zufallenden Machtvollkommenheiten von dem Satze noblesse oblige dispensirt fühlte: sein Verhalten in der innern wie in der äußern Politik war den Grundsätzen des Cavaliers alter Schule und des normalen preußischen Offiziersgefühls jederzeit untergeordnet. Er hielt auf Treue und Ehre nicht nur Fürsten, sondern auch seinen Dienern bis zum Kammerdiener gegenüber. Wenn er durch augenblickliche Erregung seinem feinen Gefühl für königliche Würde und Pflicht zu nah getreten war, so fand er sich schnell wieder und blieb dabei »jeder Zoll ein König«, und zwar ein gerechter und wohlwollender König und ehrliebender Offizier, den der Gedanke an sein preußisches porte-épée auf richtigem Wege erhielt[3].

Der Kaiser konnte heftig werden, ließ sich aber in der Discussion von der etwaigen Heftigkeit dessen, mit dem er discutirte, nicht anstecken, sondern brach dann die Unterredung vornehm freundlich ab. Ausbrüche wie in Versailles bei Abwehr des Kaisertitels[4] waren sehr selten. Wenn er heftig wurde gegen Leute, denen er wohlwollte, wie dem Grafen Roon oder mir, so war er entweder durch den Gegenstand selbst erregt oder durch fremde, außeramtliche Besprechungen vorher an Auffassungen gebunden, die sich sachlich nicht vertreten ließen. Graf Roon hörte dergleichen Explosionen an wie ein Militär in der Front den Verweis eines hohen Vorgesetzten, den er nicht verdient zu haben glaubt, aber er litt nervös darunter und secundär auch körperlich. Auf mich haben Ausbrüche von Heftigkeit des Kaisers, die ich seltner erlebte als Roon, niemals contagiös, eher abkühlend gewirkt. Ich hatte mir die Logik zurechtgelegt, daß ein Herrscher, der mir in dem Maße Vertraun und Wohlwollen schenkte, wie Wilhelm I., in seinen Unregelmäßigkeiten für mich die Natur einer vis major habe, gegen die zu reagiren mir nicht gegeben sei, etwa wie das Wetter oder die See, wie ein Naturereigniß, auf das ich mich einrichten müsse; und wenn mir das nicht gelang, so hatte ich eben meine Aufgabe nicht richtig angegriffen. Dieser mein Eindruck beruhte nicht auf meiner generellen Auffassung der Stellung eines Königs von Gottes Gnaden zu seinem Diener, sondern auf meiner persönlichen Liebe zu Kaiser Wilhelm I. Ihm gegenüber lag mir persönliche Empfindlichkeit sehr fern, er konnte mich ziemlich ungerecht behandeln, ohne in mir Gefühle der Entrüstung hervorzurufen. Das Gefühl, beleidigt zu sein, werde ich ihm gegenüber ebenso wenig gehabt haben, wie im elterlichen Hause. Es hinderte das nicht, daß mich sachliche, politische Interessen, für die ich bei dem Herrn entweder kein Verständniß oder eine vorgefaßte Meinung vorfand, die von Ihrer Majestät oder von confessionellen oder freimaurerischen Hofintriganten ausging, in der Stimmung einer durch ununterbrochnen Kampf erzeugten Nervosität zu einem passiven Widerstande gegen ihn geführt haben, den ich heut in ruhiger Stimmung mißbillige und bereue, wie man analoge Empfindungen nach dem Tode eines Vaters hat, in Erinnrung an Momente des Dissenses.

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Anmerkungen:
  1. S. Bd. I 237.
  2. Geh. Rechnungsrath, vgl. H. Blum, Persönliche Erinnerungen an den Fürsten Bismarck. München, Alb. Langen 1900. S. 138.
  3. S. Bd. I 314, 365 f.
  4. S. o. S. 145 ff.
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