Petition

Ein modernes Wohlfühl-Hobby, meint Tom Borg

Wirksamer politischer Protest braucht mehr als ein Kreuzchen auf einem Wahlzettel oder eine E-Mail auf einem Online-Formular. Die wirklich großen politischen Umwälzungen waren das Ergebnis von Massenbewegungen und Massenprotesten, die nicht selten auch mit massiver Gewalt einher gingen.

Es ist ein demokratisches Grundrecht und Hunderte von Webseiten helfen uns, davon Gebrauch zu machen: die Petition. In Deutschland regelt der Artikel 17 das Petitionsrecht im Grundgesetz wo es heißt: "Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden."

Der Deutsche Bundestag hat einen Petitionsausschuss bei dem man seit dem 1. September 2005 seine Petition auch online einreichen kann.

Wird eine Petition innerhalb von 4 Wochen nach Eingang von 50.000 oder mehr Personen unterstützt, erfolgt in der Regel eine öffentliche Beratung im Petitionsausschuss zu der auch der Petent eingeladen wird.

Der Effekt der Petition ist jedoch, abgesehen von einigem Wirbel in den sozialen Netzwerken, eher bescheiden. Eine Pflicht zur politischen Umsetzung besteht nicht. So gleicht denn auch die Petition in den meisten Fällen mehr einem Promotion-Gag als einer ernsthaften politischen Bewegung. Was aber nicht heißt, dass die meisten Petitionen komplett unerhört verhallen. Etwas Wirbel verursacht eine gut präsentierte Petition schon. Dabei helfen nicht zuletzt auch diverse Internetseiten, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Petitionen zu erstellen und möglichst viele zur digitalen Unterschrift zu bewegen. Wie in der Boutique kann man sich aus einem großen Angebot "die passende" Petition aussuchen und sich daran beteiligen. Ist die Petition somit nicht mehr als ein moderner sozialer Volkssport?

In gewisser Weise leider ja. Denn bei den meisten Menschen reicht es lediglich für das Unterzeichnen der Petition - und damit endet ihr Engagement für das Anliegen der Petition. Mit dem Nachlassen des politischen Drucks ist die Wirkung der Petition aber meistens auch dahin. Vor allem wenn sich unzählige ähnlich lautende Petitionen mit dem gleichen Thema befassen, so wie es bei Hype-Themen wie beispielsweise TTIP oder CETA der Fall ist. Dann verwässert die pure Masse der Petitionen das Anliegen. Die Petenten verzetteln sich, teilen sich in viele kleine Gruppen auf, die allesamt einzeln abgeschmettert oder schlicht ignoriert werden. Es fehlt die Schlagkraft der Petition als politische Speerspitze eines Anliegens.

Viel Wind, wenig Wirkung

Ist damit die Petition als politisches Instrument gescheitert? So pauschal sicherlich nicht. Es gibt durchaus auch Petitionen, die erfolgreich den Petitionsausschuss passieren und tatsächlich auch in eine Plenardiskussion münden. Deren Zahl ist jedoch überschaubar klein.

Die moderne Form der Online-Petition gleicht eher einem sozialen Ventil, einer Möglichkeit Dampf abzulassen bei einem Thema, das den Menschen am Herzen liegt. Insbesondere die offene Online-Petition, bei der die Unterschriften einsehbar sind, ist eine Möglichkeit, Zivilcourage zu zeigen, und die Unterzeichner tun dies oft auch stolz auf sozialen Medien wie Facebook kund.

In die gleiche Richtung zielen auch die nichtoffiziellen Online-Petitionen, die nicht an einen Petitionsausschuss gerichtet sind, sondern wie ein offener Brief oder Aufruf ein Instrument der Öffentlichkeitsarbeit sind, das heutzutage jeder einsetzen kann.

Dank der medialen Aufmerksamkeit ist die nichtoffizielle Online-Petition inzwischen ein regelrechter Mediensport geworden. Teilnehmen war noch nie so einfach. Das Unterschreiben geht schnell - und um mehr muss man sich nicht kümmern.

Doch gerade darin liegt auch die Gefahr des massenhaften Petitionierens: Die Unterzeichner sehen einen Aufruf, beurteilen ihn nach der Überschrift, unterschreiben ihn - und fühlen sich wohl ob ihres sozialen und politischen Engagements.

Aber nur die wenigsten lesen den kompletten Petitionstext. Und noch seltener werden weitere Informationen zum Thema gesucht und gelesen. Mit dem Unterzeichnen der Petition erschöpft sich meist das Engagement der Bürger.

Dass man so letztlich gar nichts bewegen kann, sondern eher Gefahr läuft, von denjenigen, die man eigentlich kritisieren möchte, gezielt auf ein politisches Abstellgleis geschoben zu werden, kommt dabei nur wenigen in den Sinn. Und das ist durchaus im Sinne derjenigen, gegen die sich die Petitionen richten.

Widerstand zwecklos?

Wirksamer politischer Protest braucht mehr als ein Kreuzchen auf einem Wahlzettel oder eine E-Mail auf einem Online-Formular. Die wirklich großen politischen Umwälzungen waren das Ergebnis von Massenbewegungen und Massenprotesten, die nicht selten auch mit massiver Gewalt einher gingen.

Anders lässt sich auch in einer modernen Demokratie nur wenig bewegen. Zu eingefahren sind die Entscheidungsprozesse, zu unabhängig die Parlamentarier und Entscheidungsträger, die in absolutistischen Anwandlungen Verträge aushandeln, die von der großen Masse abgelehnt werden. Es ist das Dilemma der repräsentativen Demokratie: hat der Wähler seine Stimme erst einmal abgegeben, hat er so gut wie keinen Einfluss mehr auf das, was die Regierungen in seinem Namen entscheiden.

Zukunftsbestimmende Verträge wie das Freihandelsabkommen TTIP werden heutzutage nicht einmal mehr allen Volksvertretern in vollem Umfang einsehbar gemacht. Das Volk selbst darf schon gar nicht lesen, wofür es zukünftig geradestehen muss. Ein kleines Gremium wie beispielsweise der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) trifft notfalls auch gegen die Stimmen vieler Mitgliedsländer der Euro-Zone Entscheidungen, die unser aller Leben bis hinein in die nächste Generation grundlegend verändern können und werden. Mit welcher demokratischen Legitimierung? Keiner! Sie würde diese wohl auch nicht vom Wahlvolk bekommen, wenn der Wähler denn darüber entscheiden dürfte.

In dieser demokratischen Realität ist die Petition ein beliebtes Ventil zum Dampfablassen geworden. Zu mehr taugt es aber kaum. Denn die Entscheidungsträger wissen sehr genau, dass die Bürger kaum eine Möglichkeit des Eingreifens haben. Im Zweifel muss halt eine hausgemachte Krise zur Legitimation herhalten. Das ist dann höhere Gewalt - oder wird zumindest als solche verkauft.

Ernsthafter Widerstand ist auch da kaum zu befürchten. Selbst die Griechen haben sich mit relativ wenig Gegenwehr ihrem Schicksal gefügt.

Genau da liegt das Problem unserer modernen Demokratie: Die Entscheidungsträger wissen, dass die Bürger viel zu träge sind, um ernsthaft zu protestieren. Wann hatten wir in Deutschland den letzten Generalstreik?

Wie viel Leid ertragen Völker bevor sie zu den Waffen greifen um die eigene Regierung zum Teufel zu jagen? Und wenn sie es dann schweren Herzens doch tun, kommt eine internationale Allianz ins Land um die fehlgeleiteten Aufständischen wieder auf den rechten Weg des Gehorsams zu führen.

Protest und Kampf für die eigene Zukunft war gestern. Heute unterzeichnen wir eine Petition und sind stolz auf unser soziales und politisches Engagement - während die wahren Machthaber, die diesen Planeten steuern, sich ins Fäustchen lachen, weil sie schon vorher wussten, dass uns für mehr der Schneid fehlen würde. Die schiere Masse der Petitionen macht sie zu einem medialen Hobby und raubt uns das scharfe Schwert, das wir im Kampf für eine lebenswerte Zukunft brauchen.

— 08. Dezember 2015
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