Hurra, wir leben noch!

Das ist ein Grund zur Freude, meint Tom Borg

Es ist eine geradezu gespenstische Szene: inmitten des Horrorszenarios den der Tsunami im japanischen Fukushima hinterließ, stehen zwei alte Männer, die all die Trümmer ignorieren und sich einfach lächelnd die Hand reichen. Hurra, wir leben noch…

Japan,06. März 2011. Wir schreiben den Tag 2 nach dem schwersten Erdbeben das in Japan je gemessen wurde und einen verheerenden Tsunami auslöste. Eine ganze Provinz wurde zerstört. Der Fernsehsender NHK zeigt Trümmer soweit das Auge schauen kann. Zerstörte Häuser und Autos, ganze Container und Schiffe liegen verstreut inmitten von Schlamm, Wasser und Geröll. Und mittendrin: zwei alte Männer die sich mit japanischer Zurückhaltung freundlich lächelnd die Hand reichen so als hätten sie sich zufällig auf der Straße getroffen und sich gegenseitig beglückwünschen, dass sie überlebt haben.

Es ist eine geradezu gespenstische Szene: inmitten dieses Horrorszenarios zwei alte Männer, die all die Trümmer ignorieren und sich einfach lächelnd die Hand reichen. Hurra, wir leben noch…

Ist es angesichts der vielen Opfer pietätlos einen solchen Jubelschrei auszustoßen? „Hurra, wir leben noch“ so hieß der Titelsong gesungen von Milva zum gleichnamigen Film nach der Romanvorlage von Johannes Mario Simmel in der Kleinbürger Formann nach dem zweiten Weltkrieg zum erfolgreichen Konzernchef aufsteigt und alles wieder verliert. Doch anstatt sich über das Unglück zu beklagen fühlt er vielmehr eine Last von sich abfallen und findet sein Glück mit Freundin Julia. Hurra, wir leben noch…

„Wir leben noch, gibt uns denn dies Gefühl nicht neuen Mut und Zuversicht, so selbstverständlich ist das nicht“ dichtet Thomas Woitkewitsch und bringt damit auf den Punkt was jene beiden alten Herren sich gegenseitig zum Ausdruck bringen: Es ist wahrlich nicht selbstverständlich, dieses Beben samt Tsunami überlebt zu haben. Aber anders als wir das vielleicht erwarten würden hadern diese beiden Männer nicht mit dem Schicksal das ihnen alles Materielle nahm. Sie sehen es als ein Geschenk, dass sie noch leben. Eine in Technologie verliebte moderne Industrienation bekommt einmal mehr von Mutter Natur gezeigt, dass auf diesem Planeten nichts selbstverständlich ist – schon gar nicht das Überleben.

Ereignisse wie die in Japan ändern zwangsläufig die Sicht auf die alltäglichen Kleinigkeiten denen wir so großen Wert beimessen und die letztlich so wertlos werden, wenn wir einer gewaltigen Macht wie der Natur gegenüberstehen. Sie lässt uns unsere Ohnmacht spüren und zeigt uns unsere Grenzen auf. Aber liegt darin nicht auch eine Chance? Schärft es nicht auch unseren Blick auf das wesentliche?

Zwei alte Männer inmitten einer Trümmerwüste lehren uns was es heißt Demut zu zeigen und Respekt vor dem Leben zu haben. Hurra, wir leben noch…! Und ja, es ist ein Grund zum Jubeln, auch wenn wir es als selbstverständlich betrachten, dass normalerweise keine Katastrophen unser Leben bestimmen. Katastrophen sind die Ausnahmen, wir tun sie als Unfälle ab. Und wenn sie uns treffen, dann hadern wir mit dem Schicksal. Dabei wäre es eigentlich doch so leicht, sich nicht über die schlechten Tage zu ärgern sondern über die schönen zu freuen. Denn, ja, trotz aller Sorgen und Nöte, trotz Wirtschafts-, Finanz- und Lebenskrise: Hurra, wir leben noch…

— 15. März 2011
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