Ignore no more

Oder jetzt erst recht? fragt sich Tom Borg

Früher knallte man die Tür zum Kinderzimmer zu, heute drückt man Mama und Papa auf dem Handy weg. Das nennt man technischer Fortschritt - doch die Ursachen sind die gleichen geblieben. Eltern, die dauernd anrufen, sind nicht nur nervig, sondern auch überaus peinlich. Kinder wollen auch ihre Freiheit haben und nicht auf Schritt und Tritt beobachtet werden.

Wenn technisch versierte Mütter Langeweile haben, entwickeln sie Apps, mit denen sie dem Nachwuchs die Ohren langziehen können, wenn dieser anders nicht hören will - oder besser gesagt: Telefonanrufe ignoriert und SMS nicht beantwortet.

"Ignore no more" sperrt kurzerhand das Handy, wenn ein Anruf nicht angenommen wird oder kein zeitnaher Rückruf erfolgt. Das zum Entsperren notwendige Passwort bekommt man dann von Mama - nachdem man zurückgerufen hat.

So kann man Kinder zwingen, Anrufe entgegenzunehmen. Aber ob das auch immer sinnvoll ist, steht auf einem anderen Blatt. Denn wenn ein Kind den Eltern nicht antworten will, dann kann das durchaus viele Gründe haben. Von ganz rationalen wie das Ablegen des Handys beim Schwimmen oder Fußballspielen bzw. Sport generell bis hin zu wortwörtlicher Funkstille zwischen Eltern und Kind. Früher knallte man die Tür zum Kinderzimmer zu, heute drückt man Mama und Papa auf dem Handy weg. Das nennt man technischer Fortschritt - doch die Ursachen sind die gleichen geblieben.

Eltern, die dauernd anrufen, sind nicht nur nervig, sondern auch überaus peinlich. Wie würde es denn die Mama sehen, wenn sie mit ihren Freundinnen in eine "Girls Night" zieht und der Ehemann alle 15 Minuten anruft? Oder umgekehrt: Papa klopft eine Runde Skat mit Kollegen und die Ehefrau ruft ständig an? Spätestens nach dem dritten Klingeln lachen die Kollegen und reissen Witze, sodass der gestresste Ehemann das Handy genervt abstellt und in die Tasche packt. Warum sollten Kinder das anders sehen? Man steht ziemlich dumm da bei seinen Freundinnen oder Freunden, wenn die Eltern dauernd anklingeln.

Doch das alleine ist es wohl nicht. Kinder wollen auch ihre Freiheit haben und nicht auf Schritt und Tritt beobachtet werden. Das Zauberwort heißt Vertrauen. Abseits der mobilen Realität will man ja auch nicht jederzeit mit jedem sprechen. Doch da hat man die Möglichkeit, sich in eine andere Ecke zu setzen oder in ein anderes Zimmer zu gehen. Beim Handy hat man das nicht. Ständige Erreichbarkeit ist nicht nur Segen, sondern auch Fluch zugleich. Man ist dem Klingeln ausgeliefert und hat nur die Wahl, einen ungewollten Anruf anzunehmen oder abzulehnen. Beides erzeugt Verstimmung, mal auf der einen und mal auf der anderen Seite.

Aber eine Handysperre als erzieherische Maßnahme zeigt in erster Linie die Hilflosigkeit der Eltern und das fehlende Vertrauen in die Kinder. Beides löst man nicht mit dem Holzhammer. Aber vielleicht mit etwas mehr Engagement von beiden Seiten und dem notwendigen Einfühlungsvermögen. Das setzt aber ein gutes Verhältnis von Eltern und Kind voraus, sprich eine Familie. Die ist heute auch nicht mehr das was sie früher einmal war. Der Begriff Familie definiert sich immer offener und weitläufiger. Freiheit wird groß geschrieben - und dennoch ist es auch Aufgabe der Eltern, Grenzen aufzuzeigen. Oder um es mit La Boum, der französischen Teenager-Kommödie der frühen 1980er zu sagen: Das Zuhause ist ein Gefängnis bei dem der Schlüssel in der Tür steckt. Bei "Ignore no more" muss man erst zurückrufen, um den Schlüssel zu bekommen. Ein kleiner, aber feiner Unterschied.

— 19. August 2014
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