Sind Sie eine Person oder nur ein Mensch?

Bio-ethische Vermutungen und Befürchtungen von Tom Borg

Die Bio-Ethik bewertet den Menschen nach seiner Leistungsfähigkeit und unterscheidet zwischen Mensch und Person.Somit hat nicht jeder Mensch ein Lebensrecht, sondern nur der, der auch Person ist. Auch das Menschsein knüpfen Bio-Ethiker an Bedingungen wie Bewusstsein und Überlebensinteresse, Gesundheitszustand und Alter.Mit weitreichenden Folgen.

Während wir im normalen Sprachgebrauch Mensch und Person gleichsetzen sind für Bio-Ethiker bei weitem nicht alle Menschen auch Personen. Die Bio-Ethik bewertet den Menschen nach seiner derzeitigen und künftigen Leistungsfähigkeit und unterscheidet zwischen Mensch und Person. Das bedeutet, dass dieser Denkrichtung zufolge nicht jeder Mensch ein Lebensrecht hat, sondern nur der, der auch Person ist. Um zu der Gruppe der Personen zu gehören, muss man über Rationalität und Selbstbewusstsein verfügen. Man nennt dies den bewusstseins-theoretischen Ansatz. Das "Personsein" macht die Bio-Ethik von verschiedenen Eigenschaften und Qualitätsmerkmalen abhängig. Und auch das Menschsein knüpfen Bio-Ethiker an Bedingungen wie Bewusstsein und Überlebensinteresse, Gesundheitszustand und Alter.

Rationalität und Selbstbewusstsein besitzen dieser Denkweise zufolge weder alle menschlichen Individuen, noch sind sie auf menschliche Individuen beschränkt. Nach Auffassung Singers, einem weltweit bekannten Vertreter der Bio-Ethik, wären demnach zum Beispiel auch Menschenaffen Personen. Umgekehrt gäbe es dieser Denkweise zufolge einige menschliche Individuen, die keine Personen sind, wie etwa Föten, Neugeborene oder komatöse Menschen. So kommt Peter Singer zu der Aussage:

"Die Tötung eines Schimpansen ist schlimmer als die Tötung eines schwer geistesgestörten Menschen, der keine Person ist." (Praktische Ethik, Peter Singer, Stuttgart 1984)

Weitaus radikaler - oder sollte man zukunftsweisender sagen? – sind die Überlegungen von Sandoe und Kappel, die 1994 als Dozenten an der Kopenhagener Universität einen Meinung vertraten, die zynisch und entsetzlich klingt, aber auch irgendwie erschreckend logisch:

"Nach unserer Auffassung scheint es ganz natürlich, zu sagen, dass die Organe lebendiger Personen lebenswichtige Gesundheits-Ressourcen sind, die wie alle anderen lebenswichtigen Ressourcen gerecht verteilt werden müssen. Wir könnten uns daher gezwungen sehen, darauf zu bestehen, dass alte Menschen getötet werden, damit ihre Organe an jüngere, kritisch kranke Personen, umverteilt werden können, die ohne diese Organe bald sterben müssten. Schließlich benutzen die alten Menschen lebenswichtige Ressourcen auf Kosten von bedürftigen jüngeren Menschen."

Freilich hat solcher "Organ-Sozialismus" derzeit keinerlei Chance auf Umsetzung. Aber die Logik dahinter ist erschreckend nachvollziehbar. Doch halt, hatten wir nicht schon die Diskussion, ob gesetzliche Krankenkassen "sehr" alten Menschen noch Organspenden finanzieren sollten? Wird diese bio-ethische Prämisse nicht letztlich schon in gewisser Weise umgesetzt?

Die Zahl der Organspenden ist nach wie vor niedriger als die Anzahl der auf Organe wartenden Patienten. Dezent, wohlgemerkt, sehr vorsichtig, lenken Politiker in Richtung Zwangsspende. Natürlich spricht es keiner so wortwörtlich aus, aber die allseits vorgetragene Notwendigkeit zur Organspende wird immer lauter und intensiver. Organspende-Ausweise werden gefördert - und irgendwann wird es der Standard sein, dass Menschen ohne einen solchen Ausweis automatisch als Spender betrachtet werden - im Sinne gerechter Verteilung von lebenswichtigen Gesundheits-Ressourcen..? Schließlich beinhaltet die Verweigerung einer Organspende ja immer auch - unabhängig von allen ethischen Grundsätzen die der Entscheidung zugrunde liegen - eine gewisse Stinkefinger-Haltung des "wenn ich sterben muss, dann du auch".

Der Bio-Ethiker würde nicht nur die Organe des Verblichenen - oder schlimmer des Verbleichenden - einkassieren, sondern hätte auch gleich eine Prioritätenliste zur Hand, die beantwortet, wer einen Anspruch auf die Organe anmelden darf, die regelt, ob der begnadete Künstler dem arbeitslosen Maurer vorgezogen werden soll oder das Leben des Vorstandsvorsitzenden eines Großkonzerns, der 100.000 Menschen Arbeit gibt, für die Gesellschaft wertvoller ist. Schließlich bezahlt die Gesellschaft mit ihren Steuern und Beiträgen das Gesundheitswesen, genauer gesagt: die immer kleiner werdende Gruppe der jungen Beitragszahler finanziert die Senioren und Rentnerinnen. Soll sie nicht letztlich auch darüber entscheiden können, wer von diesen Zahlungen profitieren soll?

Lässt man sich auf diese Diskussion ein, so sind die Grenzen der Bio-Ethik sehr weit entrückt. Das technisch machbare ist schon heute viel präsenter als die ethische Verantwortung für diese Technik. Doch wo endet der wissenschaftliche Fortschritt und wo beginnt der gesellschaftliche Wahnsinn…?

— 02. April 2012
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