Wahl zum Europäischen Parlament

Die Europawahl ist Quatsch mit Soße meint Tom Borg

Mit dem Wesen der Demokratie hat unser derzeitiges Europa und dessen Parlament herzlich wenig am Hut. Es werden vornehmlich politische Kompromisse ausgehandelt - hinter verschlossenen Türen und in aller Regel ohne jegliches Protokoll.

Ende Mai ist es mal wieder so weit: zwischen Donnerstag, dem 22., und Sonntag, dem 25. Mai 2014 findet die inzwischen achte Wahl eines Europäischen Parlaments statt. Es ist die erste Europawahl nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, der die Neuverteilung der Anzahl der Sitze pro Land regelte. Doch mehr Demokratie für Europa wird auch diese Legislaturperiode des Europäischen Parlaments wohl nicht bringen. Europa ist längst auf dem Weg zur Scheindemokratie.

Politiker aller etablierten Parteien werden nicht müde, die Bürger in die Wahllokale zu locken damit sie ein Europäisches Parlament wählen und ihrem politischen Willen ein Gesicht geben. Doch mit dem Wesen der Demokratie hat unser derzeitiges Europa und dessen Parlament herzlich wenig am Hut. In der EU hat längst ein geheimes Gremium die Regierungs-Geschäfte übernommen: Im sogenannten Trilog fallen die Entscheidungen über Gesetze, politische Deals und Kompensations-Vereinbarungen, fernab von Parlament und Transparenz.

Im Trilog, dem Vertreter der EU-Kommission, dem EU-Parlament und dem Rat der EU angehören, werden vornehmlich politische Kompromisse ausgehandelt - hinter verschlossenen Türen und in aller Regel ohne jegliches Protokoll. Die Zahl der Trilog-Sitzungen wächst dramatisch. In der letzten Legislaturperiode fanden laut Transparency International bereits 1.549 solcher Trilog-Treffen statt.

Ursprünglich sollte der Trilog, ein Gremium das formal überhaupt nicht im EU-Vertrag vorgesehen ist, den Gesetzgebungsprozess bei Pattsituationen zwischen Rat und Parlament weiterführen. Doch in diesem Schattengremium fallen immer öfter die Entscheidungen. Inzwischen werden rund 80 Prozent der EU-Gesetze in der ersten Lesung beschlossen. Möglich wird dies durch unzählige undurchsichtige Gegengeschäfte die in geheimen Verhandlungen vereinbart werden.

Die Wahlen zum einem EU-Parlament sind vor diesem Hintergrund ein teurer Witz. Die Bürger Europas haben relativ wenig zu sagen, wenn es um ihre Zukunft geht. Denn die Demokratie ist in Europa gleich doppelt beschnitten: Zum einen wird das EU-Parlament nicht nach dem Prinzip "ein Bürger = eine Stimme" gewählt. Stattdessen werden die Sitze des Parlaments nach nationalen Kontingenten verteilt. Doch auch das Parlament selbst ist ein zahnloser Tiger. Anders als der Name vorgibt, ist das Parlament nämliche keine Vertretung der europäischen Völker, das die Gesetze macht. Das alleinige Recht, Gesetze vorzuschlagen, obliegt der EU-Kommission, die von niemandem gewählt sondern von den Mitgliedsstaaten mit erfahrenen Politikern bestückt werden, wobei die Erfahrung zugleich aussagt, dass ein Posten in der EU-Kommission eher einem politischen Vorruhestand gleich kommt. In der Regel handelt es sich um Politiker, die auf nationaler Ebene keine Karriere mehr in Aussicht haben und den Kommissionsposten als eine Art Belohnung - um nicht zu sagen: politischer Versorgung - erhalten. Besonders bissig in Bezug auf die demokratische Weiterentwicklung der EU sind sie jedenfalls äußerst selten.

Geld und Macht

Für die politischen Parteien ist die Wahl zum Europäischen Parlament in erster Linie ein Verteilungskampf, ein Kampf um weitere Posten. Denn jedes einzelne Mandat bringt der entsprechenden Partei hunderttausende Euro - die Gehälter und Privilegien kommen noch obendrauf. Das ist ein knallhart kalkuliertes Geschäft bei dem nur die Parteien etwas gewinnen. Europas Bürger und deren Zukunft bleiben dabei auf der Strecke.

Jean-Claude Juncker, einer der beiden potentiellen Kandidaten für den Posten des EU-Kommissionspräsident sagte bei einer Veranstaltung in Brüssel vor einigen Jahren: "Ich bin für geheime Verhandlungen in dunklen Räumen." Er ist ein ausgewiesener Banken-Lobbyist und gilt als sehr diskret, was eine höfliche Umschreibung für Hinterzimmer-Demokratie ist.

Junckers aussichtsreicher Gegner Martin Schulz hingegen demonstrierte sein Verständnis von Demokratie indem er eigenmächtig einen Absatz aus dem Bericht des Haushaltsausschusses streichen ließ, in dem über eine Vorladung von Schulz vor einem belgischen Gericht berichtet worden war. Der gelöschte Absatz warf Schulz die Verzögerung der Arbeit des Haushalts-Kontrollausschusses der EU vor. Schulz wiederum begründete den Eingriff mit Vertraulichkeit und bezeichnete den Vorgang als "Standardverfahren". Was allerdings unter "rechtlichen Verpflichtungen" und "Vertraulichkeit" genau zu verstehen sein, wollte er bis heute nicht näher erläutern - und wir nicht weiter seine Wohltaten in seinen Dunstkreis.

Somit sind beide Spitzenkandidaten "verdiente Eurokraten". Aber sind sie auch würdig und vor allem fährig, Europas Zukunft zu gestalten, die Zukunft unserer Kinder? Der Bürger wird dazu nicht befragt. Zwar muss nach neuem EU-Recht der Rat das Ergebnis der Parlamentswahlen berücksichtigen. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich die Regierungschefs zwingend an das Ergebnis halten müssen. Angela Merkel hat auch bereits angekündigt, dass der neue EU-Kommissionspräsident von den Regierungschefs gewählt wird – ohne Transparenz und Mitwirkung der Bürger.

Was also bringt der pseudo-demokratische Wahlzirkus? Außer einem politischen Heiligenschein für die letztlich Gewählten vermutlich nichts. Wenn immer häufiger Entscheidungen nicht nach Notwendigkeit und (europäischem) Mehrheitswillen gefällt, sondern in Hinterzimmern in Form von Kompromisspaketen ausgekungelt werden, braucht es kein Europäisches Parlament, das letztlich kaum Einfluss nehmen kann. Die Gesetzgebung verliert täglich an Transparenz und demokratischer Legitimierung. Wundert sich da noch jemand über unser aller Europa-Müdigkeit?

Natürlich war die europaweite Freizügigkeit ein Fortschritt. Und es lassen sich auch andere positive Details auflisten. Doch der EU haftet wie auch ihren Vorgängerinnen EWG und EG der Stallgeruch der Korruption und Steuerverschwendung an. Und je mehr sich der Bürger bewusst wird, dass er am Ende als Steuerzahler all den Irrsinn bezahlen soll, über den an Stammtischen gelästert und gespottet wird, desto weniger ist er geneigt, diese Kungelei durch sein Kreuzchen zu legitimieren. Bezeichnend, dass die EU-Kommission als primäres Gestaltungsorgan auch ohne EU-Parlament funktionieren würde. Wer braucht also das Europäische Parlament und die Europawahl? Traurige Wahrheit: Eigentlich nur die, die daran direkt etwas verdienen, und die, deren Ego durch den pseudo-demokratischen Heiligenschein aufpoliert wird. Der Bürger mit dem Stift in der Hand bekommt letztlich im wesentlichen nur eines: einen zusätzlichen Stapel Rechnungen, die er mit seinen Steuern bezahlen soll.

— 27. April 2014
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