eMail vom Kühlschrank

Schöne Neue Welt? hinterfragt Tom Borg

Technik fasziniert. Technik eröffnet neue Möglichkeiten für alte Probleme. Manchmal kommen durch Technik aber auch neue Probleme hinzu. Beispielsweise wenn der Kühlschrank eMails verschickt, die keiner haben wollte. So Ende 2013 wo erstmals gekaperte Haushaltstechnik zum Botnetz umfunktioniert fast eine Million Spam- und Phishingmails verschickte.

Technik fasziniert. Technik eröffnet neue Möglichkeiten für alte Probleme. Manchmal kommen durch Technik aber auch neue Probleme hinzu. Beispielsweise wenn der Kühlschrank eMails verschickt, die keiner haben wollte. So Ende 2013 wo erstmals gekaperte Haushaltstechnik zum Botnetz umfunktioniert fast eine Million Spam- und Phishingmails verschickt wurden.

Die schöne neue Welt stelle ich mir eigentlich anders vor. Überhaupt tue ich mich schwer mit der Vernetzung von Haushaltsgeräten. Und das, obwohl ich eigentlich von Berufswegen an Technik interessiert bin - oder vielleicht gerade deswegen? Mir ist diese ganze Vernetzerei im Haushalt, in meiner ureigensten Privatsphäre, einfach nicht geheuer.

Über Heimnetzwerke vernetzte Multi-Media-Center und Fernseher bis hin zu stinknormalen Geräten wie eben jener Kühlschrank, der als Spammer entlarvt wurde, ermöglichen so manchen Service und werden damit zur Gefahr. Wie groß die Gefahr wirklich sein kann, zeigen die aktuellen Veröffentlichungen der NSA-Spähprogramme. Wenn die NSA sogar Computerbauteile für einzelne Rechner austauscht und Computer ausspähen kann, ohne dass diese online sind, was können sie dann alles in meinem Haushalt anzapfen?

Sofern man sich nicht professionell mit enormen technischen und finanziellem Aufwand rundum absichert, ist man der Abstrahlung von Radiowellen immer ausgeliefert. Inwiefern diese außerhalb des eigenen Heimes abgefangen werden können, hängt zum einem von der Stärke der Signale und zum anderen der Leistungsfähigkeit der Empfänger ab. Zumindest ersteres bildet jedoch ein Dilemma, denn je schwächer das Signal durchs Haus geistert, desto anfälliger ist es für Störungen. Verstärkt man jedoch das Signal, ist es auch außerhalb des Hauses besser zu empfangen. Ein Teufelskreis: entweder man schränkt sich bewusst ein oder man liefert sich bewusst aus. Dazwischen gibt es kaum echte Alternativen - aber dafür umso mehr technische Fallstricke. Meist müssen Angreifer gar keine ausgefeilten Methoden nutzen, um Haushaltstechnik zu kompromittieren. Falsch eingestellte Konfigurationen, alte Firmware und nicht geänderte Default-Passworte reichen schon aus, um die Geräte für diverse Angriffe zu kompromittieren.

Ich habe nichts zu verbergen

Die Frage, ob ich etwas zu verbergen habe, ist ebenso zynisch wie irrelevant. Sie diente schon in Orwells Zukunftsvision 1984 als Rechtfertigung. Und wie bei Orwell ermöglicht auch unsere zunehmende Heimvernetzung die totale Kontrolle unseres gesamten Privatlebens. Die Spielkonsole hängt schon heute am Internet, in der Regel angeschlossen am TV-Gerät. Damit einher geht das Mikrofon zur Sprachsteuerung und die Kamera für Bewegung und direkte Kommunikation. Werden sie ohne unser Wissen von außerhalb aktiviert, dann übertragen sie plötzlich alles was im Raum gesprochen wird bzw. zu hören ist und liefern die passenden Bilder gleich dazu. Wirklich sicher sein kann man nie, da manipulierte Hard- und Software uns wohl kaum den Gefallen tun wird, durch Aufleuchten von Leds oder Sensoren anzuzeigen, dass sie aktiviert sind. Ich kenne Leute, die klappen ein Stück Pappe über ihre Monitor-Kamera um zu verhindern, dass sie unwissentlich gefilmt werden.

Das kann einem Otto-Normal-Verbraucher nicht passieren, weil sich für den niemand interessiert? Spätestens seitdem sich Personalchefs auf Facebook & Co über Bewerber und Mitarbeiter informieren, sollte man da etwas vorsichtiger sein. Zumal man selbst nicht mehr steuern kann, was da so alles an die Öffentlichkeit gelangt - oder auch nicht. Denn es muss ja nicht alles sofort online gehen. Computer haben ein fürchterlich gutes Gedächtnis. Und wer weiß, welche Positionen ein junger Mensch, der jetzt bei einer privaten Party gut angeheitert oben oder unten ohne herumhüpft, in 20 Jahren einmal anstreben wird?

Was eine fatale Aufnahme bewirken kann, darüber könnte nicht nur Olvido Hormigos Auskunft geben. Die spanische Kommunalpolitikerin hatte ein erotisches Video von sich selbst aufgenommen, das von ihrem Handy entwendet und über das Internet in Umlauf gebracht wurde. Man könnte ihr vorhalten, sie wäre selbst schuld ob ihres Übermuts. Den hatte Chu Mai-Feng nicht. Die Politikerin aus Taiwan wurde durch ein heimlich gedrehtes Sex-Video kompromittiert und musste ihre Politkarriere aufgeben. Sie war als exponierte Politikerin einfach nicht mehr tragbar - und sie war völlig unschuldig an ihrem Unglück.

Aufgrund vernetzter Heimtechnik könnte das inzwischen jedem passieren, ohne dass Angreifer in ein Haus eindringen müssten. Es genügt, wenn eine Spielekonsole oder ein Laptop herumsteht bzw. eine Raumüberwachung aktiv ist und aufzeichnet. Solche Aufnahmen im Archiv eines Geheimdienstes wie NSA sind eine schlafende Bombe, die jederzeit hervorgeholt werden könnte, um gezielt Hoffnungsträger politischer Gegner auszuschalten. Und technisch dürfte die NSA bereits heute dazu in der Lage sein. Aber sind wir soweit, dass wir uns eine nackte Ministerin oder einen Minister beim Sex vorstellen können? Würde ein solches Video auftauchen, könnte es selbst eine Machtpolitikerin wie Angela Merkel Kopf und Kragen kosten - wobei sie selbst völlig unschuldig an ihrer Situation wäre, soweit es ihr Verhalten in ihrer Privatsphäre anbetrifft. Dass eine Bundeskanzlerin nicht einfach Technik ins Haus holen kann ohne diese durchchecken zu lassen, steht natürlich auf einem Blatt inklusive der Anmerkung, dass die Überprüfer der Technik vermutlich die größte Gefahr dabei darstellen und möglicherweise beim Überprüfen die Geräte erst wirklich kompromittieren.

Der tägliche Lauschangriff

Dabei wir müssen gar nicht so weit denken. Der tägliche Lausch- und Spionageangriff lauert gleich um die Ecke. Schon beim Einkaufsbummel kann es uns erwischen, denn das Auge des Gesetzes kommt nicht mehr auf hohem Ross daher, sondern ist überall in Form von Überwachungskameras installiert. Wer weiß schon, was da alles aufgezeichnet und nicht gelöscht wird? Und vor allem, wer sich zwischen Aufzeichnen und Löschen alles einklinkt und mitspeichert?

Doch auch in den Läden geht das spionieren weiter. Jedes größere Geschäft arbeitet heutzutage mit Videoüberwachung - um Diebstähle zu verhindern, so der offizielle Tenor. Was dabei alles aufgezeichnet wird und vor allem wie lange gespeichert, lässt sich kaum überprüfen. Missbrauch kann es schon an der Quelle der Aufzeichnungen geben. Aber seit wir wissen, was die NSA so alles wissen will und kann, sollte wir uns damit abfinden, dass die Geheimdienste, NSA allen voran, zweifelsohne in der Lage wären, solche Überwachungsanlagen anzuzapfen. Die Gesichtserkennung wird ebenfalls täglich besser, Datenabgleich zur Personenerkennung sowieso. Doch was sollte die NSA damit? Gute Frage, denn außer um einen nicht erwischten Dieb zu erpressen sind die Daten für Geheimdienste wenig sinnvoll. Dafür für Werbetreibende umso mehr. Schließlich zeigen die Überwachungsvideos, wie ein jeder von uns durch die Regale streift, was er sich wann wie lange anschaut und dann kauft oder nicht. Gelänge es einem Werbenetz, die Personen zu identifizieren und die Daten entsprechend auszuwerten, wären sie Milliarden wert, denn sie würden es der Werbewirtschaft ermöglichen, einem jedem von uns noch gezielter Werbung zu präsentieren. Ein Kunde hat sich ein Produkt angesehen und mit seiner Begleitung besprochen; wieder zurückgestellt und später doch noch mal drauf geschaut - dann besteht offensichtlich Interesse an dem Produkt. Ergo: Datensatz an die Werbeindustrie verkaufen die dem ahnungslosen Kunden wie zufällig beim Surfen im Web oder gar per altmodischer Post die passenden Angebote vorsetzt. Technisch möglich wäre das schon heute. Und wie war das: alles was technisch möglich ist... wird irgendwann auch genutzt..?

My home is my castle

So mancher Lausch- und Spionageangriff ist natürlich illegal - so illegal wie die Aktivitäten von NSA & Co. gegen die selbst Angela Merkel und ganze Staaten machtlos sind. Wehren kann man sich kaum dagegen. Aber man kann sich die Frage stellen: Will ich das ganze Zeugs wirklich alles in meinen eigenen 4 Wänden haben? Akzeptiere ich die Gefahr, dass dies alles sich heimlich gegen mich verbündet und irgendwann als böser Bumerang auf mich eindrischt? Also mir wäre es schon zuviel, wenn mein Kühlschrank weiß, dass ich täglich einen Joghurt esse und er hilfsbereit im Internet 100 Becher meiner Lieblingssorte bestellt, weil die gerade im Angebot ist, da ihr Verfallsdatum schon überschritten ist, und der wohlmeinende Kühlschrank dann auch gleich noch bei Amazon ein Set neuer Löffel bestellt, weil mein Geschirrspüler sich beschwert, dass er immer halb leer laufen muss.

Eine Erinnerung daran, dass im untersten Fach ganz hinten noch ein Pudding steht, den ich seit Tagen vergessen habe, wäre zweifelsohne hilfreich, wenn mir mein Kühlschrank das freundlich mitteilt. Aber muss er das gleich übers Internet per eMail versenden? Überhaupt, warum benötigen all die Heimdienste immer wieder Internetzugriffe, wenn sich doch alles bei mir zuhause abspielt? Können die Geräte sich nicht intern unterhalten, wenn das eh per Funk passiert?

Was mich vollkommen abschreckt und meine geheimsten Ängsten auf die Spitze treibt, ist letztlich auch die Tatsache, dass ausgerechnet Google jüngst einen Hersteller für Heimtechnologie für sagenhafte 4,5 Milliarden übernommen hat. Haben die jemals auch nur einen einzigen Dollar nur mal eben so, just for fun, ausgegeben? Wer profitiert da von wem? Stellt die Überwachungskamera im Haus Suchanfragen an Google, um herauszufinden, was es bedrohliches im Haus gibt, oder fragt Google die Überwachungskamera was es in meinem Haus zu sehen gibt? Eine unheilige Allianz - in meinen Augen jedenfalls.

Nein, ich habe wirklich nichts gegen Technik, ich nutze gerne moderne Technik. Aber einen Kühlschrank, der eMails versenden kann, den brauche ich nicht - und den will ich auch nicht. Ich wünsche mir in meinen eigenen 4 Wänden einfach nur ich sein zu können, ohne Angst haben zu müssen, dass irgendein Gerät gerade irgendwas über mich im Internet verbreitet. Und davon ganz abgesehen - ich habe gehört, dass es zumindest nicht ungesund sein soll, wenn man gelegentlich einmal selbst vom Sofa aufsteht um sich ein Bier aus dem Kühlschrank zu holen anstatt den Roboter loszuschicken…

— 20. Januar 2014
 Top