Freiheit im Rahmen der Gesetze

Die digitalen Grenzen der Freiheit fürchtet Tom Borg

Wir bewegen uns heute in einer Scheinfreiheit deren Grenzen immer nebulöser verschwimmen und deren Auswirkungen immer weitreichender werden. Technik schreibt uns vor, wie und wozu und was wir mit ihr nutzen dürfen, wo wir Apps kaufen und welche wir installieren dürfen. Mit Freiheit hat das alles nicht mehr viel zu tun.

Neulich las ich auf einer Webseite einen Artikel mit der Überschrift "Freiheit im Rahmen der Gesetze". Auf den ersten Blick eine Forderung, die ich gerne unterstütze. Dass der Artikel auf einer Webseite mit dem Domainnamen aus-der-ddr.de stand, ließ dann aber erste Skepsis aufkommen. Klar, wenn ein Land die "richtigen" Gesetze hat, ist alles erlaubt – im Rahmen der Gesetze. Und auch im (wieder)vereinigten Deutschland wird so manche Forderung nach Besserungen beantwortet mit dem Hinweis man müsse nur die bestehenden Gesetze besser anwenden. Aber warum beschert mir diese Antwort ein ungutes Gefühl?

Ich erinnere mich noch, wie ich vor 35 Jahren als junger Computerfreak die damals aufkommenden Kleincomputer als Werkzeuge für fast grenzenlose Freiheit betrachtete. Damals waren Assembler und Basic angesagt und ich kannte "meine Kiste" bis zum letzten Chip. Als Mitte der 80-ziger ein Windows 1.0 auf den Markt kam und wenig später Windows 2.0 sich anschickte zum Bedienstandard für PCs zu werden, da fühlte ich mich in meiner Freiheit eingeschränkt. Eine Software wollte mir vorschreiben, wie ich was mit meinem PC tun darf? Undenkbar!

Inzwischen wünscht man sich diese Zeiten zurück. Denn mit jeder Version bot Windows neue Möglichkeiten, aber auch neue Einschränkungen im Umgang mit Daten und Dateien, auch wenn diese grundsätzlich noch vorhanden sind. Aber leise und schleichend entwickelten wir Computerfreaks uns zu Computernutzer und werden bald nur noch Computerbediener sein. Was in jedem Büro bereits selbstverständlich ist, hält nun auch privat Einzug: Der PC schreibt uns vor, was wir wie zu tun haben. Mit jeder neuen Stufe der Entwicklung nähern wir uns weiter der digitalen Dreifaltigkeit: DRM (Digital Rights Management). Videos kommen via Internet über den PC oder direkt auf den TV-Bildschirm – aber leider nicht dauerhaft auf die Festplatte, denn moderne Betriebssysteme in PC und Unterhaltungselektronik ermöglichen schon heute die Kontrolle, wer was mit welchen Medienelementen machen darf. Eine Fernsehsendung speichern und morgen anschauen? Nur wenn es der Fernsehsender erlaubt. Und spätestens beim Überspringen der Werbeblöcke hört für Anbieter der (Nutzer)Spaß auf.

Freiheit versus Rechte

Chip-Hersteller wie Intel bereiten inzwischen neue Geschäftsmodelle vor: Die Freischaltung von CPU-Eigenschaften per Software ist keine Utopie mehr. Eine CPU im Abo mit eingebautem Verfallsdatum - Abo-Falle oder Lizenz zum Gelddrucken? Im Rahmen der (Urheber)Gesetze ist es sicherlich komplett abgesichert. Aber ist es auch wünschenswert?

Man kauft nicht mehr einen PC mit CPU sondern einen Nutzungsvertrag mit der Freiheit, den PC im Rahmen der AGB des Anbieters nutzen zu dürfen. Doch was ist, wenn das Betriebssystem auf meiner Festplatte eine MP3-Datei unbekannter Herkunft entdeckt und die CPU daraufhin wegen nicht AGB-konformer Nutzung des PCs den Dienst verweigert? Wie komme ich dann an einem Sonntagmorgen in meine Buchhaltung, an meine Daten…?

Schon heute ist selbst mir als Software-Entwickler mein PC fremd und unheimlich geworden. War früher die plötzliche Festplattenaktivität ein Alarmsignal und das unaufgeforderte Verbinden des PC mit dem Internet digitaler Terroralarm, so ist es heute normal, dass der PC respektive das Betriebssystem und Dutzende von Anwendungen laufend mit dem Internet Verbindung aufnehmen. Eine komplette Kontrolle über die Aktivitäten des PCs ist einem Normalsterblichen nahezu unmöglich. Da fragt man sich unwillkürlich: Was macht mein PC eigentlich alles im Hintergrund? Und dann bekommt der Begriff Freiheit eine völlig neue Dimension.

Freiheit im Rahmen der Gesetze bedeutet für einen Computernutzer: Erlaubt ist was Betriebssystem und Hardware erlauben – und auf beides nehmen internationale Rechteinhaber immer größeren Einfluss. Eine typische und zugleich zukunftsweisende Entwicklung ist die (Schlamm)Schlacht um Werbeblocker auf Webseiten, die man sehr differenziert betrachten muss. Mit einfachem Schwarz-Weiß-Denken kommt man da nicht mehr weiter. Einem geschenkten Gaul schaut man bekanntlich nicht ins Maul. Aber die Verfügbarkeit von kostenlosen Webseiten ist auch ein Teil der Freiheit, die es zu schützen gilt. So wie auch die Verleger die Freiheit haben, ihre Seiten nur mit Werbung auszuliefern, während der Surfer die Freiheit hat, einfach eine andere Webseite ohne Werbung zu besuchen.

Individuelle Freiheit

Solange man eine echte Möglichkeit der Wahl hat, ist das ok. Doch wenn plötzlich dank passender Gesetze alles gleichgeschaltet ist, dann können Computer und Internet vielleicht eines Tages nur noch zur Nutzung per Abo bezogener Inhalte und Anwendungen zu gebrauchen sein weil alles andere außerhalb der (Urheber)Gesetze liegt? PC, Tablet und Smartphone als 08/15-Elektrogerät mit ein paar Icons zum Auswählen des gewünschten Features? Ich hoffe nicht, denn es wäre lediglich der Vorreiter einer neuen Freiheit zur Beschränkung der Freiheit.

Was wäre beispielsweise, wenn jemand eine Technik entwickelt mit der es einem elektrischen Küchenmesser möglich wäre, zu erkennen, was ich gerade schneiden möchte und mein Messer schadenfroh feststellt, dass ich lediglich eine Nutzungslizenz zum Schneiden von Wurst besitze und deshalb völlig gesetzeskonform den Dienst beim Schneiden von Brot verweigert? Völlig an den Haaren herbei gezogen…? Goethe hätte sich beim Schreiben seines Faust sicherlich auch nicht träumen lassen, wie sehr er doch irrte als er formulierte: "Was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen." Mitnichten, wie vor geraumer Zeit ein großer Distributor von elektronischen Büchern bewies, als er kurzerhand rechtmäßig erworbene E-Books von den Endgeräten der verdutzten Kundschaft löschen ließ.

Wir bewegen uns heute in einer Scheinfreiheit deren Grenzen immer nebulöser verschwimmen und deren Auswirkungen immer weitreichender werden. Da ist die irritierte elektronische Wegfahrsperre, die den rechtmäßigen Besitzer am Fahren hindert weil er schusseligerweise seine Nutzungsberechtigung vergessen hat noch eines der harmlosen Beispiele. Ich bin Software-Entwickler, mit Computer und Elektronik groß geworden. Aber bei all den begrüßenswerten Fortschritten fürchte ich mich davor, dass eines Tages ein Krümelchen Sand in Form eines Chips über meine Freiheit und was ich tun und lassen darf entscheidet. Habe ich jetzt Paranoia? Bin ich ein Fortschritts- und Technik-feindlicher Zeitgenosse? Oder lehrt mich einfach unser aller Vergangenheit, dass Technik, die irgendwann entwickelt wurde, auch irgendwann eingesetzt wurde…

— 24. Februar 2011
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