Surfende Fußgänger

Das Handy als Sicherheitsrisiko. Von Tom Borg

Die USA sind uns mal wieder einen Schritt voraus: Die Behörden lassen sprechende Busse entwickeln um abgelenkte Fußgänger die mit ihren Smartphones durch digitale Welten abseits des dumpfen Straßenverkehrs surfen, vor Gefahren zu warnen. Viele Fußgänger mit Handy in der Hand heben nicht einmal mehr den Kopf, wenn sie eine viel befahrene Straße überqueren.

Die USA sind uns mal wieder einen Schritt voraus: Die Behörden lassen sprechende Busse entwickeln um abgelenkte Fußgänger die mit ihren Smartphones durch digitale Welten abseits des dumpfen Straßenverkehrs surfen, vor Gefahren zu warnen. Denn mit ihrem Handy beschäftigte Fußgänger werden immer mehr zum realen Sicherheitsrisiko im Straßenverkehr. Viele Fußgänger heben nicht einmal mehr den Kopf, wenn sie eine viel befahrene Straße überqueren. Frei nach dem Motto ich lebe wie ich will - und wenn ich euch störe, dann bremst doch.

Dummerweise erfolgt der Tritt auf die Bremse immer öfter zu spät. Und das nicht nur, weil die Autofahrer ebenfalls abgelenkt sind, sondern weil man schlichtweg nicht mit so viel Gedankenlosigkeit bei erwachsenen Menschen rechnet.

Müssen jetzt zukünftig alle Fahrzeuge, um für den Straßenverkehr zugelassen zu werden, eine laute akustische Warnung für unachtsame Fußgänger besitzen? Ich hoffe nicht. Denn obwohl ich als Software-Entwickler seit den 1980er Jahren immer auf der digitalen Welle vorneweg surfte, betrachte ich das als konservativ denkender Oldie einfach als Schwachsinn, als gesellschaftlich unerwünscht. Meine rein persönliche Meinung? Vielleicht…

Ich gebe zu, mich nervt es, wenn jemand an meiner Tür klingelt, kurz "Guten Tag" sagt und sich dann gleich wieder mit seinem Handy beschäftigt. Ich fühle mich veräppelt. Wenn jemand etwas von mir will, dann soll er mit mir reden - und nicht 2 Stunden lang auf sein Handy einhacken. Klar gibt es Menschen, die das vollkommen anders sehen. Aber wenn ich stundenlang mit dem Handy spielen möchte, gehe ich zu einer Handyparty. Sitze ich zuhause, dann möchte ich meine Ruhe genießen, ein Buch lesen, einen Film schauen, einfach nur abschalten - oder ein angeregtes Gespräch führen mit einem Freund. Aber 2 Stunden neben jemandem zu sitzen, der wie irre auf sein Handy eintippt, 2 lange Stunden tac tac tac, lediglich unterbrochen von noch nervigeren Benachrichtigungstönen - nein danke!

Weltenkarussell

Liegt meine Abscheu gegenüber permanent surfenden und SMS tippenden Handy-Usern an meinem Alter, ich bin ja schließlich schon 54 - und als ich 20 war, war ich auch vollkommen überzeugt davon, dass mit 40 das Leben zu Ende ist… Nein, kann nicht sein. Denn meine Altersgenossen treiben es genauso. Und das liegt nicht alleine daran, dass es für manche Menschen durchaus eine hilfreiche Sache ist. Neulich lernte ich eine schwerhörige Frau kennen, die mich kaum verstand - aber munter per SMS kommunizierte. Für sie war die Erfindung dieser Technik ein Segen, ein Weg, wieder am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Auch wenn es die virtuelle Gesellschaft ist. Aber, genau das macht mir dabei Angst. Leben wir eigentlich überhaupt noch in einer realen Gesellschaft? Wird unser Leben nicht vielmehr längt von Google, Facebook und Fantasiespielen bestimmt? Nichts gegen Fantasiespiele, jedem das seine. Aber mit jedem Fantasiespiel kommt ja auch eine neue Welt daher. Wie bei den TV Soaps wo man ganze Familiendramen und -geschichten über sich ergehen lässt. Und wehe, irgendwer aus dem Umkreis weiß plötzlich nicht mehr wer warum mit wem. Derjenige ist dann plötzlich sowas von out, outer geht es gar nicht mehr. Aber ist es das wirklich wert? Ist die Frage, wer wen in welcher Soap küsste, wirklich etwas das wir auch morgen noch wissen müssen?

Lassen uns all die Profile in Facebook, Google & Co. die ja schließlich gepflegt werden wollen, überhaupt noch Zeit für ein ganz normales Gespräch, für eine kurze Auszeit? Können wir überhaupt noch unsere elterliche Fürsorgepflicht erfüllen, wenn es uns nicht einmal mehr gelingt bei Tisch den Nachwuchs schnell mal eben nach dem Befinden zu befragen oder wie es in der Schule steht, weil die lieben Kinderchen mit einer Hand auf dem Handy herumtippen und mit der anderen die Kellogs reinschaufeln, während die Gedanken ohnehin im virtuellen Raum herumschwirren, beschäftigt mit der Frage: wo kann ich mir den Song herunterladen, den alle meine Freunde auf ihrem Handy haben?

Generation Wischiwaschi

In dieser hyperaktiven modernen Welt sollen sprechende Busse Aufmerksamkeit erregen? Das bezweifele ich sehr stark. Einzige Abhilfe wäre wohl die Zwangsinstallation einer System-App auf jedem Handy, das automatisch jede Ampel und Straße der Umgebung checkt und sofort mit einer Warnung im Display aufblinkt, wenn man eine Straße überqueren möchte ohne zumindest 2 Sekunden nicht getippt zu haben. Auf was sonst sollte der surfende Fußgänger achten? Sprechende Busse setzen schließlich voraus, dass man diese auch hört. Doch haben die Politiker dabei auch an die Kopfhörer gedacht über die sich die zu Fuß gehenden Sicherheitsrisiken die Ohren volldröhnen lassen?

Die nächste Maßnahme wäre demzufolge, dass man, wie es manche Städte auch schon versucht haben, das Surfen mit dem Handy im Straßenverkehr auch für Fußgänger verbietet. Den MP3-Player samt Kopfhörer gleich mit, denn wer laut Musik hört, der bekommt auch keinerlei Warnung mit.

Doch das wäre eine politisch nicht durchsetzbare Spaßbremse die zudem auch noch wirtschaftlichen Schaden für die Unterhaltungsindustrie mit ihren immer neuen Produkten nach sich zöge. Und wenn eine Regelung der Wirtschaft schadet, dann ist sowieso Schluss mit lustig. Also gar nichts tun? Alles so hinnehmen wie es ist?

Mir graut vor dieser Wischiwaschi-Gesellschaft, die acht Stunden erfolgsoptimiert durch den Job rennt und sich dann mit ebenso viel Erfolgsdruck in die digitalen Welten stürzt. Von einem Stressfaktor zum anderen, planlos ausgebucht vom Kindergarten bis zur Rente, immer unter Volldampf, immer knapp vorbei am Abenteuer Leben und dennoch voll überzeugt mittendrin zu stecken.

Liegt es vielleicht doch an meinem Alter? Gehöre ich inzwischen zur antiquierten Generation? Ja und nein! Ja, weil sich ganz offensichtlich etwas in den letzten Jahrzehnten geändert hat. Und gleichzeitig nein, es liegt nicht am Alter, nicht an der Generation, sondern daran wie wir alle - unabhängig vom Alter - in eine Konsumwelt abgedriftet sind. Ein typisches Beispiel dafür ist unsere Einstellung zu den Nachrichten. War früher die solide Tagesschau das Maß aller Dinge, so sind es heute News-Shows bei denen der Unterhaltungswert höher ist als der Informationsgehalt. Auch im Internet lesen wir immer weniger Text, sondern lassen uns immer mehr von Bildern beeinflussen. Wir interessieren uns mehr für die coolen Sprüche einer Showgröße als für das was um die Ecke passiert. Auch dies war schon immer latent so gewesen. Nur macht es die digitale Technik noch leichter, sich darin zu verfangen.

Vorsicht statt Rücksicht?

Man könnte sein ganzes Leben relaxed am Handy verbringen ohne irgendwas zu vermissen. Selbst die Pizza und einen Drink kann man per Handy ordern, das Geld dafür verdient man mit Finanzgeschäften … per Handy natürlich wie Uli Hoeneß. - Wie, was, Sie gehen noch richtig arbeiten? Tja, dann müssen Sie surfende Fußgänger durch Hupen warnen, damit die beim Surfen nicht verletzt oder gar gestört werden, brav arbeiten, damit Ihre Steuern die schöne heile neue Welt finanzieren falls sich mal wieder irgendwelche Banker verzocken. Als Luft verpestender Autofahrer sind Sie halt ein gefährliches Ärgernis für jeden Fußgänger. Wo immer Sie hinwollen - können Sie das nicht per Smartphone erledigen anstatt andere Handybesitzer um ihr Surferlebnis zu bringen…?! Und überhaupt, was erdreisten Sie sich eigentlich mit Ihrer Hupe so viel Lärm zu verursachen? Bleiben Sie gefälligst mit Ihrer Feinstaubschleuder stehen, wenn Sie sehen dass ein Fußgänger ohne auf den Verkehr zu achten die Straße überqueren möchte…!

Was, Sie empfinden meine Schimpfkanonade gegen Handy als unangebracht? Nein, ich schimpfe nicht auf Handies! Die Dinger sind eine gute Erfindung. Was mich stört, ist die Art und Weise wie wir damit umgehen, wie wir uns durch die Technik diktieren lassen, wie wir unser Leben zu gestalten haben. Technik soll uns helfen, unser tägliches Leben zu meistern. Die Menschheit besaß noch nie zuvor solch hochentwickelte Technik; aber auch noch nie waren die Möglichkeiten zum Missbrauch so groß wie heute und noch nie wurden mit solch unverfrorener Frechheit die Kosten des Missbrauchs auf gerade die Menschen abgewälzt, die sie nicht verursacht haben.

Wer meint, ohne sein Handy nicht mehr leben zu können, der mag es gerne 24 Stunden am Tag benutzen. Damit habe ich kein Problem. Aber ich weigere mich, deswegen mein Leben einschränken zu müssen. Rücksicht aufeinander ist immer eine zweiseitige Angelegenheit. Als Autofahrer muss man bei Hindernissen jederzeit bremsen können. Doch seien wir ehrlich: das geht nicht. Im fließenden Verkehr ist es fast unmöglich zu bremsen, wenn ganz plötzlich jemand unvermittelt auf die Straße läuft. Deshalb gilt in Wohnbereichen ja auch das Tempolimit 30 km/h. Schneller dürfte man dann auch nicht auf den 3- und 4-spurigen Hauptverkehrsstraßen der Städte fahren, wenn man eine realistische Chance haben möchte, vor gedankenverloren surfenden Fußgängern die unvermittelt bei roter Ampel auf die Straße gehen zu bremsen. Das hätte auf jeden Fall einen Vorteil: Bei Tempolimit 30 km/h zur Rushhour in Hamburg, Berlin, Frankfurt oder München könnten die Autofahrer dann auch alle nebenher am Handy daddeln…

— 08. Mai 2014
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