Kultur der Gleichgültigkeit

Die Unverbindlichkeit greift um sich, meint Tom Borg

In einer Welt in der Märkte die Politik steuern und dem einzelnen Bürger das Gefühl entgleitet, als zumindest kleines Rädchen im großen System etwas bewegen zu können, macht sich zunehmend Hilflosigkeit breit - und Gleichgültigkeit.

In seiner Weihnachtspredigt während der Christmette in der Petersbasilika am 24. Dezember 2015 prangerte Papst Franziskus die zunehmende Gleichgültigkeit in unserer Gesellschaft an:

In einer Kultur der Gleichgültigkeit, die am Ende nicht selten erbarmungslos ist, soll dagegen unser Lebensstil erfüllt sein von Erbarmen, Einfühlungsvermögen, Mitleid und Barmherzigkeit – Haltungen, die jeden Tag aus dem Brunnen des Gebetes geschöpft werden müssen.

Damit spricht Franziskus, wie so oft, ein Problem an, bei dessen Lösungsvorschlag er sich auf Gebet und Bibel zurückzieht. Doch so einfach lassen sich gesellschaftliche Phänomene wie die zunehmende Gleichgültigkeit nicht in den Griff bekommen. Denn deren Ursache ist oft tief in unseren täglichen Gewohnheiten begraben wie ein simples Beispiel aus dem Alltag zeigt.

Es war ein Sturm der Entrüstung, der über WhatsApp tobte, als die Plattform das auf Facebook seit langem übliche Häkchen für "gelesen" einführen wollte. Es gab ein weltweites Gejammer über den indirekten Zwang, die Nachricht zu antworten, da man nicht mehr die beliebte Ausrede des Nichterhaltens der Nachricht vorschieben könne. Gar vom Bruch der Privatsphäre war die Rede.

Doch was bedeutet es letztlich konkret? In erster Linie geben wir zu erkennen, dass wir die Verbindlichkeit scheuen, auf die wir uns einlassen müssten, wenn wir antworten. Auch einem kurzen "Sorry, bin gerade in einem Meeting" müsste ja irgendwann eine Antwort folgen. Aber nicht jeder möchte antworten, weil er nicht weiß, was er antworten soll, sich nicht festlegen möchte oder fürchtet, dass ihm Nachteile entstehen, wenn er die falsche Antwort gibt, auch wenn diese vielleicht der Wahrheit entspricht.

In der Praxis bedeutet dies jedoch, dass man sich nicht darauf verlassen kann, dass man auf eine Message überhaupt eine Antwort bekommt. Nicht einmal von sogenannten Freunden. Wenn man aber eine Antwort braucht, beispielsweise weil man selbst eine Antwort geben muss, dann steht man ziemlich verlassen da. Geht man davon aus, dass man eh keine Antwort bekommt, kann man sich die ganze Message sparen - wozu fragen, wenn eh keine Antwort kommt...

Kommunikation als Einbahnstraße

Wenn wir aber gar nicht mehr kommunizieren, geht uns ein wichtiger Teil der Kultur verloren. Würde jeder für sich alleine leben, würden wir zu einer Gesellschaft der Eigenbrödler verkommen. Schreiben wir eine Message auf die wir keine Antwort erwarten, wird es zu einer Ein-Weg-Kommunikation. Ein jeder tönt hinaus, was ihn gerade bewegt, was er denkt oder wozu er gerne etwas hören bzw. lesen möchte, aber niemand erwartet ernsthaft eine Reaktion darauf. Dann finden wir uns wieder in der typischen Facebook "I, Me & Myself" Gesellschaft bei der jeder seinen Senf zu allem dazugibt, aber von anderen nur noch ein "Gefällt mir" erwartet.

Damit stecken wir dann mitten drin im Sumpf der Gleichgültigkeit. Wir interessieren uns nicht mehr für die Geschicke der anderen, sondern klicken nur noch auf "Gefällt mir oder kommentieren mit einem Emoticon - aber wirklich lesen…?

Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich einmal spaßeshalber auf Facebook einen Text gepostet, der mit "Mord" überschrieben war. Es folgte der Text:

Mein Freund wurde heute Nacht ermordet. Wir verbrachten die ganze Nacht gemeinsam. Er erzählte mir eine tolle Geschichte… Ich habe es genossen, ich habe mitgefiebert, ich war ein Teil der Geschichte.

Plötzlich, um 5 Uhr morgens, drehte ein Nachbar seine Stereoanlage auf - und mein Freund starb. Ich werde nie wissen, wie unsere Geschichte weitergegangen wäre.

Mein Freund, ein Traum, ist tot. Ich vermisse meinen schönen Traum. Möge er in Frieden ruhen.

Nur einer meiner Facebook Freunde, die darauf reagierten, hat den Gag sofort erkannt, während alle andere ihr Beileid aussprachen und einer sogar besorgt nachfragte, wer denn der verblichene Freund sei. Was letztlich bedeutet, dass nahezu alle geklickt oder einen kurzen Kommentar geschrieben haben, ohne überhaupt bis zum Ende gelesen zu haben. Sie kommentierten, ohne zu wissen was sie kommentieren. Ein Trend den andere auch schon beobachteten. Es ist die Folge der "ich will auch was sagen" Kultur, eine Folge der Einstellung, dass zwar jeder gerne etwas sagen möchte, aber sich weder für die Kommentare der anderen interessiert noch selbst relevante Kommentare auf seine Posts erwartet. Mit einem Satz: allgemeine Gleichgültigkeit.

Von Hilflosigkeit zur Gleichgültigkeit

Wenn Papst Franziskus nun gegen eine Kultur der Gleichgültigkeit predigt, dann adressiert er viele Bereiche unseres Lebens. Wir werden viele Aspekte unserer Gesellschaft ändern müssen, wollen wir dagegen angehen. Auch die, wo uns die Gleichgültigkeit davor bewahrt, Stellung beziehen zu müssen. Wir machen nur allzu gerne Gebrauch von der allgemeinen Unverbindlichkeit - und das auf allen Ebenen unserer Gesellschaft. "Wir schaffen das" wiederholt Angela Merkel gebetsmühlenartig ohne zu erklären, wie es denn geschafft werden soll, und vor allem was es für jeden einzelnen im Land bedeutet.

In einer Welt in der Märkte die Politik steuern und dem einzelnen Bürger das Gefühl entgleitet, als zumindest kleines Rädchen im großen System etwas bewegen zu können, macht sich zunehmend Hilflosigkeit breit. Der Erkenntnis, dass man eh nichts bewirken kann, folgt entweder heftiger bis gewaltsamer Widerstand oder eben Gleichgültigkeit, das Zurückziehen auf den eigenen überschaubaren Lebensraum, der dann umso heftiger gegen alle Eingriffe und Einschränkungen verteidigt wird, während es nach außen einfach egal wird, was passiert, da man es eh nicht ändern könnte.

Papst Franziskus hat sich in der Vergangenheit auch schon deutlich gegen diese - eigentlich gottesfürchtige - Einstellung ausgesprochen. Die sorglos gleichgültige Haltung gegenüber dem eigenen Leben und Wohl der eigenen Familie nach dem Motto "wenn deine Zeit gekommen ist…" prangerte der Papst schon Anfang 2015 während seines Besuchs auf den Philippinen an.

Das südostasiatische Land, das sich selbst für besonders christlich und gottesfürchtig hält, lebt diese "es wird sich schon fügen" Haltung besonders intensiv. Bei einem Besuch in einem Krankenhaus traf Franziskus eine Frau, die bereits 7 Kinder geboren hatte und nun das achte erwartete. Alle sieben Kinder kamen durch Kaiserschnitt zur Welt und auch das achte sollte auf diese Weise geboren werden. Der Papst artikulierte sein Unverständnis dafür sehr deutlich mit den Worten: "Liebe Frau, das heißt Gott versuchen!"

Gleichgültigkeit als Schutz vor Enttäuschung

Freilich, dass die Frau ohne das kirchliche Verbot von Kondom und Verhütungsmittel vielleicht gar nicht erst schwanger geworden wäre, ließ der Papst unerwähnt. Das ist sein Teil der kirchlichen Gleichgültigkeit gegenüber der weltlichen Realität. Doch immerhin, er hat das Problem erkannt und angesprochen. Doch lösen wird er es nicht, denn mit einem Gebet ist es nicht getan.

Die Kultur der Gleichgültigkeit hat unser gesamtes Leben durchzogen wie ein schleichendes, tödliches Gift. Von den sozialen Netzwerken über die sogenannte Qualitäts-Presse bis hin zum Arbeitsplatz und der Familie sind eigentlich alle Lebensbereiche betroffen.

In einer Welt, in der jeder Angst um seinen Arbeitsplatz hat und persönliche Nachteile fürchten muss, da macht sich Gleichgültigkeit gegenüber dem Nächsten breit als eine Art Selbstschutz des Einzelnen. Gleichgültigkeit als Schutz vor Enttäuschung, die lieber eine halbherzige Beziehung in Kauf nimmt, als gar keine. Verlustängste lassen uns gleichgültig werden in dem Sinne, dass wir ein unverbindliches "warum nicht" eher akzeptieren als die Gefahr, ein "Nein" zu hören.

Und doch wissen wir, dass es eigentlich nicht richtig ist. Wir wünschen uns, dass es anders wäre. Doch die Angst vor der Konsequenz treibt uns in die Unverbindlichkeit, die dann jedoch in letzter Konsequenz zur Gleichgültigkeit wird.

Man lässt die Dinge einfach so laufen, solange sie in eine Richtung laufen, die uns nicht schadet. Dass möglicherweise andere dadurch Schaden nehmen, blenden wir dabei ebenso aus wie das Abstumpfen der Gefühle, das damit zwangsläufig einhergeht.

Es ist ein globales Problem: Gleichgültigkeit in Form der politisch korrekten Unverbindlichkeit ist ein Laster unserer Zeit. Ein Gebet alleine wird uns nicht davon befreien. Zu sehr ist die Gesellschaft von der "ist doch egal, ich mach mein Ding" Mentalität infiziert. Zu kostbar ist uns die Zeit, die wir aufwenden müssten, um auf andere zuzugehen. Zu gefährlich das Risiko, eine materielle oder emotionale Niederlage hinnehmen zu müssen. Die Kultur der Gleichgültigkeit ist ein Teil unseres Lebensstils geworden.

— 25. Dezember 2015
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