Pornofilter fürs Web

Kinderschutz oder Zwangserziehung?, fragt Tom Borg

Wer entscheidet, was gesellschaftlich erwünscht ist und was nicht? Die Politiker? Irgendwelche Marionetten-Kommissionen? Filter beseitigen keine unerwünschten Inhalte. Wer die Möglichkeit hat, den Filter zu umgehen, der hat weiterhin Zugang zu allen Inhalten - egal ob erwünschte oder nicht. Positive Entwicklungen bruchen mehr als Vebote.

Das Königreich England prescht vor und implementiert als erster westeuropäischer Staat einen Filter zum Blockieren von pornografischen Inhalten im Internet. Der Gesetzestext sieht den Filter als Standard vor; einzelne Nutzer können ihn aber abwählen.

"In den dunkelsten Ecken des Internets ereignen sich Dinge, die für unsere Kinder eine direkte Bedrohung darstellen, und das muss ausgemerzt werden", sage Englands Premierminister David Cameron. Daran gibt es zweifelsohne nichts zu beanstanden, auch wenn generell das Lernen mit dem Umgang und das wissentliche Nichtnutzen sinnvoller sind als Verbote, denn alles was verboten ist, übt bekanntlich einen magischen Reiz aus. Aber wenn das Problem anders erst mal nicht in den Griff zu bekommen ist, dann könnte man dem prinzipiell zustimmen. Prinzipiell, denn dieser Tage erinnert man sich zwangsläufig an die Worte von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich: "Die technischen Möglichkeiten zur Ausspähung existieren nun einmal, deshalb werden sie auch genutzt." Und wenn wir jetzt die technischen Möglichkeiten schaffen, unerwünschte Inhalte im Internet herauszufiltern und zu unterdrücken…? Eben!

Wer entscheidet am Ende, was gesellschaftlich erwünscht ist und was nicht? Die Politiker? Irgendwelche Marionetten-Kommissionen?

Wohl gemerkt: Ein Filter beseitigt nicht die unerwünschten Inhalte, sondern unterdrückt sie für diejenigen, die nicht wissen, wie sie den Filter umgehen sollen. Das heißt umgekehrt formuliert: Wer die Möglichkeit hat, den Filter zu umgehen, der hat weiterhin Zugang zu allen Inhalten - egal ob erwünschte oder nicht.

Daraus resultiert automatisch eine Zweiklassengesellschaft, denn irgendwer hat immer die Möglichkeit, Filter zu umgehen; sei es nun legal oder illegal. Damit schaffen wir uns wieder "Dörfer der Ahnungslosen", wie anno dazumal in der DDR. Und das auch noch ohne jeden wirklichen Nutzen, denn den Umgang mit dem unerwünschten Material lernt auch niemand, wenn er mit dem Material gar nicht in Berührung kommen kann. Bürger können somit nicht frei entscheiden, wie sie mit bestimmten Inhalten des Internets umgehen wollen; sie haben keine Chance, bewusst darauf zu verzichten. Irgendwann werden sie vielleicht einmal ganz unerwartet mit jener "bedrohlichen, fremden, abartigen" Welt konfrontiert. Ob die Folgen dieses unvorbereiteten Erlebens am Ende nicht vielleicht schlimmer sind und nachhaltigere Eindrücke hinterlassen als neugieriger Gelegenheitskonsum, das darf getrost mit einem fetten fragezeichen versehen werden.

Zweifelsohne gibt es auch Gewohnheitskonsum, auch, oder besonders, beim Umgang mit Pornografie. Und sicher ist, dass der übermäßige Konsum dieser "Schmuddelvideos", wie sie gerne bezeichnet werden, das sexuelle Verhalten der Menschen ändert, vermutlich nicht zu ihrem Besten. Doch an dem Punkt sind neben den Eltern letztlich auch die auf staatlicher Ebene tätigen Erzieher gefragt, Kindern einen natürlichen Zugang zur Sexualität zu ermöglichen. Damit ist natürlich nicht Kinderpornografie gemeint, und auch nicht Gruppensex im Kindergarten. Aber eben auch nicht das Unterdrücken allen Sexuellen, das nicht erst mit dem Geschlechtsakt beginnt. Auch Zärtlichkeit ist etwas wonach sich immer mehr Menschen sehnen - und das in Sexfilmchen gar nicht dargestellt wird. Aber das Vermitteln von Gefühlen, Zweisamkeit und Zärtlichkeit, ohne dass diese zu irgendwelchen Kindergartenorgien ausarten, ist natürlich schwierig. Es erfordert Fingerspitzengefühl, Einfühlungsvermögen - und Liebe zu den Kindern, die Geduld, ihnen den Freiraum zur Selbsterfahrung zu lassen und gleichzeitig partnerschaftlich zur Seite zu stehen, wenn sie Hilfe oder Stütze brauchen.

Doch gerade in Zeiten, wo die Politik stolz darauf ist, immer mehr Kindertagesstätten bereitzustellen, wo über Ganztagsunterricht nachgedacht wird und die Schule immer mehr dahin tendieren, Kinder frühzeitig für den Produktionsprozess zu formen, sie in das ökonomische System zu integrieren, muss die Frage erlaubt sein, wie viel Aufwand und Investition uns unsere Kinder wert sind. Gefestigte Jugendliche haben keinerlei Probleme mit Pornografie, ja, so mancher schaut sie sich nur einmal an, weil er neugierig ist, und sucht dann doch lieber seinen Weg zur Sexualität. Doch an der Stelle lauert vermutlich eine ganz andere Ursache für das Blocken von Pornografie im Internet. Bertrand Russel, der britische Mathematiker, Philosoph und Schriftsteller veröffentlichte bereits 1930 seine Meinung: "Das schlimmste an der christlichen Religion ist ihre krankhafte und unnatürliche Einstellung zur Sexualität." Der Islam steht dem zweifelsohne kaum nach. Aber in England regieren ja Politiker, die dem Christentum nahe stehen; und die anglo-amerikanische Gesellschaft ist bekannt für ihre teilweise puritanische Einstellung zur Sexualität. So fragt man sich am Ende: Geht es vielleicht gar nicht um den Schutz der Kinder, sondern um das Aufzwängen einer anderen Mentalität, einer anderen Lebenseinstellung - durch Unterdrücken der Alternativen…?

— 23. Juli 2013
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