Liebe ist geduldig

Aber warum ist das so verdammt schwer? fragt Tom Borg

Es macht Spaß, ein kleines Kind in den Armen zu halten, mit ihm herumzualbern, es Lachen zu sehen. Immer wenn ich nach Hause komme, dann lacht meine Kleine und fuchtelt wild mit den Armen, so als wüsste sie, wer ihre Milch bezahlt. Doch jetzt gerade schreit sie. Aber sie soll schlaffen, denn ich muss arbeiten. Und meine Geduld neigt sich ihrm Ende zu.

Ich rede mit mir selbst, mit Händen, Füßen und mit Engelszungen, sage mir immer und immer wieder den gleichen abgedroschenen Satz: Liebe ist geduldig. Doch jenes Etwas vor mir - könnte es schon sprechen, würde es sich als meine Tochter bezeichnen - schreit einfach nur. Laut schrill und ohne jeden sichtbaren Grund. Und ich sage mir mit dem Mut zur Verzweiflung: Geduld, andere Eltern haben das auch hinbekommen. Aber mein Fräulein schreit weiter. Die Windeln sind gewechselt, das Fläschchen, sonst ein zielsicherer Transit ins Reich der Träume, hat sie einfach weggeputzt - und anstatt davon müde zu werden, ist Fräulein Schreihals munterer als zuvor.

Grrr, ich könnte sie... Und im gleichen Augenblick sage ich zu mir selbst: Wie kannst du nur - und schäme mich vor mir selbst, dass ich nahe daran war einen Tobsuchtsanfall zu bekommen. Ich hab sie ja lieb, die Kleine. Und ich frage mich, was würde RTL's Super Nanny jetzt machen. Aber bei der klappt ja eh immer alles, die lächelt Rabauken zu Engel ohne jemals die Geduld zu verlieren. Und Geduld braucht man offenbar bei meinem kleinen Schreihals. Klar, für einen Moment frage ich mich, ob ihr etwas wehtun könnte, ob ihr vielleicht etwas fehlt oder irgendwo was drückt. Aber nein, ich weiß, es ist alles in Ordnung; sie ist einfach nur müde. Sie kratzt sich am Kopf, dreht sich hin und her - und erwartet von mir ein Patentrezept zum Einschlafen. Das kleine Wesen verlässt sich voll und ganz auf mich, sie kann ja noch nichts alleine machen - außer die Windel voll und Schreien. Und das tut sie gerade mit vollem Lungeneinsatz.

Ich ertappe mich dabei, dass ich völlig unpassend grinse, als mein Blick auf ihr Lätzchen fällt. Meine Nichte fand es in irgendeinem Kinder-Krimskrams-Laden. Es trägt die Aufschrift: Was ich heute tun muss: 1) Essen . 2) Schlafen. 3) Pupsen. Und als wäre das nicht genug, fand meine Frau im gleichen Laden noch eines mit dem mir unheilvoll vertrauten Windows-Fortschrittsbalken und die Beschriftung: Lade Windel. Bitte warten...

Ja, es macht Spaß, so ein kleines Kind in den Armen zu halten, mit ihm herumzualbern, es Lachen zu sehen. Immer wenn ich nach Hause komme, dann lacht sie, strampelt und fuchtelt wild mit den Armen, so als wüsste sie, wer ihre Milch bezahlt. Aber jetzt gerade schreit sie. Und das ganz furchtbar laut, so als würde man sie halb tot schlagen. Und ich denke mit Schaudern an Zeitungsmeldungen, wo Eltern der Geduldsfaden riss und sie wild auf ihre Kinder einprügelten oder sie totschüttelten, weil sie einfach nicht aufhören wollten zu schreien. Nein, so ein Vater möchte ich nicht sein. Ich ermahne mich selbst zur Geduld. Es muss doch irgendwie gelingen, diesen kleinen Schreihals zum Schlafen zu bewegen. Die Kleine ist doch todmüde obwohl sie schreit als wäre sie in einem Fußballstadion.

Ihre Lieblingsposition in meinem Arm habe ich schon mehrfach ausprobiert. Ihre sonstigen liebgewonnenen Einschlafzeremonien ebenso. Aber es funktioniert einfach nicht. Ich bin mit meiner Geduld am Ende, mit meinem Latein sowieso. In meiner Hilflosigkeit dem kleinen Lebewesen gegenüber weiß ich mir keinen anderen Rat, als sie erstmal auf unser Ehebett zu legen und mir selbst etwas Ruhe zu gönnen, um wieder mit voller Kraft für Fräulein Schreihals dasein zu können. Und, ja, manchmal funktioniert es sogar - wenn meine Frau und ich alles ausprobiert haben und nichts fruchtete und wir die Kleine einfach hinlegen und einen kurzen Moment schreien lassen, dann schläft sie plötzlich ein, so als wolle sie uns symbolisch den Stinkefinger zeigen und sagen: gut, dann eben nicht.

Langsam trage ich mein kleines Mädchen Richtung Ehebett damit sie bloß nicht zu früh den Braten riecht. Und ganz plötzlich, ich glaube es kaum, ist sie von einer Sekunde auf die andere eingeschlafen. Nur um sicher zu gehen, dass sie mich nicht wieder austrickst, bleibe ich kurz stehen und höre auf, sie zu wiegen. Und tatsächlich, sie schläft. Hurra, danke, lieber Gott...!

Und, um ganz sicher zu sein, dass sie mir bloß nicht wieder aufwacht, wenn sie vielleicht doch noch nicht ganz im Reich der Träume angekommen ist, lege ich mich daneben und halte sanft ihre Händchen fest, damit sie sich nicht wieder wach zappelt. Und plötzlich fallen auch mir die Augen zu.

Wie durch einen dichten Nebel höre ich irgendwann die Stimme meiner Frau: "Ich dachte, Du arbeitest?!"

Ich drehe mich um - und schaue in zwei große braune Augen, sehe ein lachendes Kindergesicht - und mein Töchterchen das freudig mit den Patschhändchen auf die Bettdecke schlägt und mich fröhlich anlacht, so als wüsste der kleine Wonneproppen, was mir gerade auf der Zunge liegt: Papa hat Dich lieb...

— 04. März 2012
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