NO SPY Abkommen

Hoffnungsschimmer oder Lachnummer?, fragt Tom Borg

George Orwells Roman 1984 ist nicht länger eine Horrorvision der Zukunft, sondern Schnee von gestern. Und der eigentliche Skandal ist nicht der, dass es so ist, sondern der, dass wir das einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Dass wir uns weigern, das zu glauben und zu verinnerlichen.

Inzwischen ist "yes we scan" als sarkastische Abwandung von Obamas "yes we can" so abgedroschen, dass der Schmunzeleffekt längst durch Gähnen abgelöst wurde. Klar scannt die NSA alles was sie zu fassen bekommt. Und das Wörtchen "alles" darf man offenbar wörtlich nehmen. Die NSA hat Zugriff auf nahezu alles was im Internet und offenbar auch außerhalb passiert.

Ein NO SPY Abkommen soll es nun richten? Über Sinn und Unsinn eines solchen Abkommens ist viel geschrieben und noch mehr geredet worden. Einen der wichtigsten Aspekte dabei bringt Josef Joffe in seiner ZEIT ONLINE Kolumne "Vertrauen ist gut, Waffengleichheit ist besser" auf den Punkt: Wir können uns gegen das Ausspionieren nicht wehren, weil wir es schlichtweg nicht können. Uns fehlen die Technologie und Mittel zur Abwehr und erst recht zum Gegenangriff. Und kontrollieren könnte man das Einhalten eines Abkommens sowieso nicht.

Klar werden Deutschland, USA und Europa ein No-Spy-Abkommen unterzeichnen, irgendeines, irgendwann. Egal, was drin steht, es wird weder das Papier noch die Mühe wert sein, denn es wird sich nichts ändern - außer vielleicht der internen Anweisung an die NSA Mitarbeiter, doch bittschön in Zukunft intensiver darauf zu achten, weniger aufzufallen.

Doch auch der Ruf nach Waffengleichheit, so verständlich er sein mag, bringt uns kaum weiter, denn er löst das eigentliche Problem nicht: Das Spionieren an sich. Nun ist das Ausforschen anderer keine Erfindung unserer Zeit; Geheimnisse wurden zu allen Zeiten und in allen Kulturen ausgeforscht, Gegner bestochen, geschmiert und ausgetrickst. Aber mit der Technik unserer Zeit hat das Spionieren eine neue Dimension erreicht. Vermutlich ist es längst keine Übertreibung mehr, wenn man sagt: die Geheimdienste wissen alles über uns - zumindest alles, was gesprochen, geschrieben oder sonstwie kommuniziert wurde.

1984 relaunched

George Orwells Roman 1984 ist nicht länger eine Horrorvision der Zukunft, sondern Schnee von gestern. Und der eigentliche Skandal ist nicht der, dass es so ist, sondern der, dass wir das einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Dass wir uns weigern, das zu glauben und zu verinnerlichen. Insofern muss man Edward Snowden dafür danken, dass er uns aufklärte, wenngleich die meisten Menschen die wahre Tragweite immer noch nicht glauben wollen. Schließlich tun die Medien alles, um unsere Empörung in die gewünschten Richtungen zu kanalisieren: die NSA als Bösewicht des neuen Jahrhunderts denen man schnell auf die Finger klopfen muss. Und nein, James Bond können wir den angeblichen Freunden auf der anderen Seite des Atlantiks nicht auf den Hals hetzen, weil dessen Chefs selbst die aktivsten Partner der NSA sind.

Was also tun? Weiter so als wäre nichts gewesen, geht nicht! Doch selbst aufrüsten, um Waffengleichheit herzustellen, wäre genauso fatal. Es würde uns nicht nur wirtschaftlich ruinieren, sondern auch moralisch. Waffengleichheit gibt es im Sport, wo alle dem gleichen Ball hinterherlaufen. Und auch da gilt es inzwischen als unsportlich, wenn ein Verein wie der FC Bayern einfach alle Stars aufkauft und auf der Ersatzbank schmoren lässt, bloß damit sie nicht für die Gegner auflaufen können. Nein, Waffengleichheit ist das nicht. Und eigentlich wollen wir die ja auch gar nicht. Denn Waffengleichheit bedeutet letztlich: Wenn du meinen Bruder tot schlägst, schlage ich deinen Bruder tot. Mit der christlichen Lehre von der anderen Wange hinhalten hat das nichts gemein.

Und das ist der eigentlich Skandal an der Aufarbeitung der NSA-Affäre: Wir machen uns Gedanken, wie wir dagegenhalten können, wie wir Spionage abwehren oder selbst besser durchführen können. Wir rechtfertigen das ganze mit der Tatsache, dass Spionage so alt ist wie die Menschheit. Das gilt aber für das Totschlagen anderer genauso. Wollen wir das auch kultivieren und intensivieren? Nein, sicherlich nicht. Aber das ist ja auch etwas ganz anderes… Aber ist es das wirklich? Wohl nur wenn man zwischen dem Töten von Körper und Seele unterscheidet. Denn mental wirkt das Spionagetheater wie Gift auf uns. Begriffe wie Waffengleichheit stellen nicht den Frevel der Tat an den Pranger, sondern Bejammern, dass man es selbst nicht kann.

Die tägliche Dosis Doppelmoral

Der Ruf nach Waffengleichheit in Sachen Spionage fördert letztlich den falschen Aspekt, nämlich: spionier mich nicht aus, wenn ich dich nicht auch ausspionieren kann. Die eigentliche Frage ist doch aber: Wollen wir überhaupt Spionage? Und da spielt es keine Rolle, ob es Spione zu allen Zeiten gab. Jahrtausende gab es Kriege doch Europa ist stolz auf einer der längsten Friedensperioden. Wenn wir Krieg überwinden konnten, warum sollten wir dann nicht auch Spionage überwinden können?

Ein No-Spy-Abkommen von dem alle wissen, dass es sowieso nicht eingehalten wird, ist nicht nur Augenwischerei, sondern auch zynische Doppelmoral. Es ist der Ausverkauf der christlichen Werte, das Ende von Vertrauen und Freundschaft. Welche Frau würde es akzeptieren, wenn ihr Partner ständig in ihrer Handtasche herumschnüffelt? Und welcher Mann findest es lustig, wenn seine Partnerin ständig seine Hosentaschen umkrempelt und seine Kleidung täglich nach blonden Haaren absucht?

Was wir im Kleinen als selbstverständliche Basis einer Freundschaft oder Partnerschaft betrachten, soll im Großen zwischen zwei Staaten nicht gelten? Das wäre doch eine verlogene Heuchelei - und vor allem eines: Selbstbetrug! Einem Partner, dem man nicht trauen kann, sollte man sich nicht zum Partner nehmen. So einfach ist das - und auch wieder nicht. Denn abgesehen davon, dass Deutschland immer noch keinen Friedensvertrag besitzt und somit eigentlich immer noch Besatzungsrecht gilt und wir gar nicht tun und lassen können was wir wollen, was alle Politiker gerne verschweigen, kommen hier auch handfeste wirtschaftliche Interessen zum Tragen. Um es auf den Punkt zu bringen: Wir wollen auch spionieren, dürfen es aber nicht und können es nicht, schon gar nicht so gut wie die NSA. Es ist eine Tatsache: wir spionieren auch. Der Bundesnachrichtendienst ist ganz sicher kein Kirchenchor. Und ein No-Spy-Abkommen ist letzten Endes allenfalls eine Zusammenfassung der Spielregeln bzw. der Ausnahmen von eben jenen.

Sprechen wir es doch offen aus: Wirtschaftsspionage wurde zu einer Standardkompetenz wie Buchführung und Briefe schreiben. Jede Firma, egal ob in den USA oder Deutschland oder anderswo, beherrscht dieses Metier. Die einen vielleicht etwas besser als die anderen, aber versuchen tun es alle. Und das ist letztlich der wahre Skandal: unsere eigene Verlogenheit. Unser mangelnder Wille, christliche Werte wirklich praktisch zu leben, wenn sie uns nicht auch automatisch Vorteile verschaffen. Lügen und betrügen sind sozial verpönt, doch nur so lange bis sich damit ein gutes Geschäft machen lässt. Spätestens wenn Arbeitsplätze gestrichen werden sollen, ist es den Betroffenen weitestgehend egal, ob der Arbeitsplatz mit geklauten Ideen oder geschmierten Aufträgen erhalten bleibt, solange man den Job nicht verliert.

Liebe Deinen Nächsten

Solange wir unsere eigene Einstellung den Mitmenschen gegenüber nicht ändern, wird sich an der Gesamtsituation wenig ändern. Wenn Dalls-Fiesling JR eine Ölleitung der Konkurrenz in die Luft jagen lässt, ist es Bosheit; tut es unsere Konkurrenz, ist es kriminell, tun wir es selbst - ist es clever… Diese Mentalität ist uns so eigen, dass wir nicht einmal die Kraft haben, offen auszusprechen, dass die USA keine Freunde sein können, wenn sie uns ausspionieren. Denn Freunde tun sowas nun mal nicht. Unsere ureigenen Wirtschaftsinteressen hindern uns jedoch daran, die USA einfach vor die Tür zu setzen oder einen US-Botschafter einfach mal auszuweisen, wenn die Botschaft, wie vermutet, auf ihrem Botschaftsgebäude Horchposten installiert hat. Damit verstößt sie gegen internationales Recht genauso wie mit dem Anbringen von Wanzen in UN-Gebäuden. Konsequenzen? Keine! Denn dazu müsste man eigene Nachteile in Kauf nehmen, was wir nicht wollen. Und die USA wissen, dass wir es nicht wollen. Ergo haben wir die Situation, die wir aktuell haben: Viel Geschrei über etwas das uns nicht passt … ohne dass sich etwas ändern wird.

No-Spy hin, yes we scan her … wir leben in einer verlogenen, heuchlerischen Welt und lügen und betrügen mit den anderen um die Wette. Das ist so, auch wenn wir es nicht zugeben wollen und werden. Doch wer einmal etwas genauer hinschaut, dem wird klar, dass wir Orwells 1984 längst erreicht oder gar hinter uns gelassen haben. Wir machen es nur subtiler. Wir müssen nicht jeden Morgen eine Diktatorenrede bejubeln, denn wir haben BILD. Wir müssen auch nicht dazu gezwungen werden, dem Diktator genehme Medien zu konsumieren: wir rennen freiwillig jedem Hype hinterher.

Wir haben noch kein Zeughaus und sicherlich wird vieles nicht so intensiv wahrgenommen, doch wenn wir ehrlich zu uns sind, dann leben wir tiefer in der 1984er Welt als wir es je akzeptieren würden. Es ist einfach Realität geworden. Wir werden überwacht wie die Kaninchen im Labor - von unseren eigenen Artgenossen. Für Diktaturen wie Nordkorea, China und im Nahen Osten fordern wir immer wieder eifrig UN-Sanktionen für dieses und jenes. Das amerikanische Internierungslager Guantanamo war uns weder eine Anklage vor dem Internationalen Gerichtshof wert noch erfolgte eine Verurteilung durch die UN … wie auch wenn der Betroffene Veto-Recht besitzt.

Nein, die NSA-Affäre hat eine vollkommen andere Dimension: sie rüttelt an unserem Selbstverständnis, unserem Menschsein, unseren moralischen Werten, an dem was wir unseren Kindern predigen, aber selbst nicht leben wollen oder können. Das Können ließe sich ja vielleicht ändern, wenn es ein Wollen gäbe. Doch genau da liegt der Hase im Pfeffer. Wir wollen nicht bis zur letzten Konsequenz für unsere Werte kämpfen. Wir sind nicht bereit, so wie Edward Snowden das eigene Leben zu ruinieren, um unsere Selbstachtung zu erhalten, unsere Wertvorstellungen zu verwirklichen. Das macht uns anfällig für alle, die sich einen Dreck darum scheren.

"Freunde" wie die USA würden wir im Privatleben zum Teufel jagen. Auf staatlicher Ebene tun wir es nicht. Warum nicht? Weil wir die wirtschaftlichen Konsequenzen fürchten, unseren Wohlstand? Dann sollten wir wenigsten so viel Anstand haben, uns nicht weiter selbst zu belügen und unseren Kindern den Ratschlag geben: pfeif auf Gott und christliche Nächstenliebe, lern lügen und betrügen, denn darauf kommt es im Leben an. Denn wenn es anders wäre, bräuchten wir weder Waffengleichheit beim Spionieren noch ein No-Spy-Abkommen, sondern eine andere Lebenseinstellung.

— 17. Januar 2014
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