Opposition - Luxus-ABM für Politiker?

Opponieren ohne Alternativen ist für die Katz, meint Tom Borg

Muss eine Opposition wirklich erst die Macht verlangen, um ihre Ideen umzusetzen? Ist es nicht vielmehr im Sinne der Gesellschaft, wenn die Opposition einfach ihre besseren Konzepte vorlegt und die Regierung auffordert, diese umzusetzen?

Opposition steht in der Politik für eine Auffassung, die im Gegensatz zu programmatischen Zielvorstellungen einer politischen Bewegung, zu Denk- und Handlungsweisen von Autoritäten, zu einer herrschenden Meinung oder zu einer Politik der Regierung steht. So formumiert es die Wikipedia unter Bezug auf "Herders Lexikon Politik" und Dieter Nohlens "Lexikon der Politikwissenschaft".

Im rauen Alltag der Politik sieht es aber meist anders aus. Dort bedeutet Opposition, dass die Regierung angegriffen wird, wo immer sie sich verwundbar zeigt, egal ob mal anderer Meinung ist oder gar heimlich der Regierung zustimmt. So schreibt auch Ludwig Greven in der Zeit: "[…] eine Opposition, die sich die Gelegenheit entgehen ließe, eine Regierung in Verlegenheit zu bringen, erst recht im Wahlkampf, hätte ihre Aufgabe verfehlt." Da kann man eigentlich nur mit dem Kopf schütteln, denn diese Sichtweise ist die reine Gier nach Macht. Macht um jeden Preis, egal, ob man mit der Macht im Rücken etwas besser machen könnte oder nicht. Auf der Strecke bleibt dabei der Nutzen für das Volk.

Demokratie lebt von der Diskussion, wird angetrieben von Meinungsvielfalt. Einen Nutzen aber bringt sie den Menschen freilich nur dann, wenn aus diesem Gedankenaustausch die guten Ideen gesammelt, extrahiert und umgesetzt werden. Das reine Attackieren einer Regierung um der Attacke willen, um die Regierung zu erschüttern und ggfs. selbst an die Macht zu gelangen, unterscheidet sich kaum vom "Ich auch" Egoismus kleiner Kinder.

Nach allgemeiner Auffassung gehört zu den grundlegenden Aufgaben der Opposition die Kritik, die Kontrolle und das Aufzeigen von Alternativen zu Gesetzesvorschlägen der Regierung. Dabei steht des Pudels Kern im Kleingedruckten. Denn das Vorstellen von Alternativen ist für die Opposition strenggenommen keine wirkliche Aufgabe, sondern vielmehr ein essentieller Bestandteil ihrer selbst. So sollte die Opposition jederzeit dazu bereit sein, die Regierung abzulösen. Dazu gehört jedoch, dass man nicht nur permanent darauf hinarbeitet, sondern auch funktionstüchtige Konzepte und Ideen parat hat, die man, einmal an der Macht angelangt, umsetzen kann.

Doch genau hier schaltet sich die Moral-Philosophie ein: Muss eine Opposition wirklich erst die Macht verlangen, um ihre - vermeintlich oder anerkannt - besseren Ideen umzusetzen? Ist es nicht vielmehr im Sinne der Gesellschaft, der Gemeinschaft aller in unserem Land lebenden Bürger, wenn die Opposition einfach ihre besseren Konzepte vorlegt und die Regierung auffordert, diese umzusetzen? Statt dessen hecheln alle der Macht hinterher, frei nach dem Motto: Gebt mir erst mal die Macht - und dann lasst euch überraschen, was ich damit mache…? Da frage ich mich doch ganz naiv: warum eigentlich? Warum soll ich aus Protest gegen eine Regierung die Opposition wählen ohne zu wissen, ob die es besser macht? Etwa weil es keine Alternativen gibt? Das wäre etwas zu kurz gedacht. In einer parlamentarischen Demokratie erteilt der Bürger einem (Volks-)Vertreter ein Mandat, in seinem Auftrag zu handeln. Wie, das bleibt dem Mandatsträger überlassen, der laut Grundgesetz nur seinem Gewissen verantwortlich ist, auch wenn es in der Realität offenbar ganz anders aussieht … Stichwort "Fraktionszwang". Aber, wie auch immer der Mandatsträger handelt, der Mandatsgeber muss sich das Ergebnis gegenüber Dritten gefallen lassen, wie bei einem Anwalt. Wenn ein Anwalt vor Gericht einen Prozess verliert, kann man ja auch nicht hergehen und sagen: "Mein Anwalt taugt nichts. Ich kenne einen, der kann das besser, den schicke ich jetzt vorbei." Das schützt den Verurteilten nicht vor der Strafe. Er kann zwar unter Umständen in Revision gehen, aber bis dieser stattgegeben wird und die nächsthöhere Instanz ein anderes Urteil fällt, ist das ergangene Urteil gültig und vollstreckbar. Genauso muss der Bürger mit den Gesetzen einer rechtmäßig gewählten Regierung leben, ob er mag oder nicht.

In diesem Sinne werde ich ganz sicher nicht einfach die Opposition wählen, bloß weil die Regierung Fehler macht. Zwar spricht der Volksmund sarkastisch vom "kleineren Übel wählen", doch ist eine politische Wahl kein Wühlen in den Sonderangeboten eines Supermarkts. Es geht um unsere Zukunft, um unser Leben, das Leben und die Zukunft unserer Kinder! Und, Hand aufs Herz, würden Sie einen Anwalt beauftragen, Sie in einem Prozess zu vertreten, bei dem eine langjährige Haftstrafe droht, ohne dass der Anwalt zumindest den Hauch einer Idee hätte, wie er Sie davor bewahren möchte? Eben! Warum soll ich die Zukunft meiner Familie einer Opposition anvertrauen, die mir nicht aufzeigen kann, WIE sie es besser machen möchte? Anders heißt ja nicht besser - es könnte auch noch schlechter kommen.

Eine Opposition sollte jederzeit dazu bereit sein, die Regierung abzulösen. Dazu gehört, dass sie eigene Konzepte und Gesetze fertig formuliert in der Schublade hat. Denn wie wollte die Opposition ab morgen regieren, wenn sie keine fertige Gesetze hätte, die sie einbringen oder umsetzen könnte? Wollen die erst monatelang an Ideen basteln - während wir Bürger weiterhin darben? Dann könnte man ja gleich alles beim Alten lassen…!

In diesem Sinne ist Opposition mehr als nur Kritik an der Regierung. Opposition ist per Definition die Darstellung einer von der Regierungspraxis abweichenden Auffassung. Und das ist eben mehr als: "Ich bin dafür, dass ich dagegen bin."!

Insofern muss ich ZEIT-Autor Ludwig Greven vehement widersprechen. Aufgabe der Opposition ist es nicht, die Regierung in Verlegenheit zu bringen, sondern Alternativen aufzuzeigen. Denn nur zum Meckern brauchen wir keine teure Opposition, dafür genügen Stammtische und das Blättchen mit den Bilderchen unter den großen Überschriften…

— 05. August 2013
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