Europäische Diktatur

Modernes Mittelalter in Brüssel, meint Tom Borg

Im Mittelalter war es vollkommen selbstverständlich, dass die Landesfürsten über die Köpfe ihrer Untertanen hinweg Entscheidungen treffen. Aber im 21. Jahrhundert fühlt es sich an wie eine globale politische Entmündigung, wenn Europas Staatsoberhäupter bei einem Gipfel Europa und vorwiegend sich selbst zelebrieren.

Die Staaten Europas haben im Laufe der Jahrhunderte viele Krisen und Katastrophen durchlebt. Aber seit es die Europäische Union gibt, kann auch Europa als solches in eine Krise geraten. Und sie schlingert seit Monaten, man könnte inzwischen fast sagen: seit Jahren. Aus der wirtschaftlichen Krise ist längst eine politische geworden – und der mündige Europäer fragt sich kopfschüttelnd: wieso eigentlich?

Würden wir im Mittelalter leben, so wäre es vollkommen selbstverständlich, dass die Landesfürsten über die Köpfe ihrer Untertanen hinweg Entscheidungen treffen. Aber wir leben im 21. Jahrhundert – und es fühlt sich an wie eine globale politische Entmündigung, wenn Europas Staatsoberhäupter bei einem Gipfel Europa und vorwiegend sich selbst zelebrieren. Da werden Entscheidungen getroffen, ohne dass der Bürger sich letztlich daran beteiligen kann. Weder in Form einer Volksbefragung noch im Form einer Abwahl der Politiker, die des Volkes Willen nicht gründlich genug erforschten. Es gibt schlichtweg nichts abzuwählen, weil alles was als Ersatz käme, genau die gleichen Meinungen vertritt. Die politische Elite ist sich seltsam einig, wenn es um die Frage der Rettung Europas geht: Alle schützen zuerst sich selbst und dann ihre Banken. Ja, richtig, die Banken brauchen unseren Schutz; sind sie doch die Hüter unserer Ersparnisse. Und, ja, offenbar geht gegen die Banken gar nichts, weil alles zusammenbrechen würde, wenn man Banken in die Pleite rutschen ließe. Und dass es so ist, dafür haben wir alle selbst gesorgt, indem wir viel zu lange nichts getan haben.

Wir haben uns selbst den finanziellen Strick gedreht, an dem die Krise uns nun aufhängen möchte. Ja, es stimmt, den Banken geht es teilweise schlecht. Aber es muss doch die Frage erlaubt sein, wo die Gelder aus den guten Zeiten geblieben sind. Doch die Antwort darauf ist recht einfach: Sie wurden in Form von Boni und Dividenden ausgeschüttet. Und da liegt die Wurzel allen Übels. Die Schuldigen kann man nicht belangen – und erst recht nicht zur Kasse bitten. Die Manager und Großaktionäre haben längst Kasse gemacht, haben mit funkensprühenden Strohfeuern Erfolge zelebriert, die nach dem Abgang der ökonomischen Brandstifter plötzlich in sich zusammenfielen.

Jetzt soll der Bürger die Zeche bezahlen? Warum eigentlich? Warum sollen Staaten, die halbwegs ordentlich gewirtschaftet haben, bürgen für diejenigen, die geschludert haben? Wohlwissend, dass alle braven Staaten und Konzerne fleißig den heutigen Pleitegeiern beim Verschleiern geholfen haben. Immer nach dem Motto: Die Wirtschaft muss boomen, der Export muss gestärkt werden und dafür brauchen wir die Pleitestaaten, damit die bei uns einkaufen, mit dem Geld, das wir ihnen schenken, pardon: verbürgen. Ist das nicht irgendwie pervers? Wir Bürger arbeiten uns den Buckel krumm um die Steuern zu erwirtschaften, mit denen andere spekulieren. Und wenn die sich verzocken, dann sollen wir erneut schuften, damit wir morgen weiterschuften dürfen…? Irgendwie ist da doch der Wurm drin!

Aber ganz Europa ist sich plötzlich einig, das es so sein muss, weil es anders nicht sein kann. Ganz Europa? Nein, primär die politische und wirtschaftliche Elite, die über unsere Köpfe hinweg zu dem Ergebnis kommen, dass alles so laufen muss wie es läuft. Haben wir Bürger da überhaupt noch eine Möglichkeit zum Eingreifen? Ist unser ganzes Leben nicht schon so sehr in einen Automatismus gezwängt worden, dass es kaum noch einen politischen Spielraum gibt, was sich darin zeigt, dass die großen politischen Parteien sich in allen wichtigen Fragen seltsamerweise überraschend einig sind. Selbst die Sozialisten wollen die Banken stärken, obwohl ihre ideologischen Idole für so ziemlich da Gegenteil gekämpft haben. Haben wir wirklich keine andere Wahl mehr, als immer wieder und wieder die Zeche zu bezahlen, während die "Großkopferten" lachend ihre Schäfchen ins Trockene bringen? Warum legt man die Finanzmärkte nicht einfach trocken, anstatt sie anzuflehen, sich doch vernünftig zu verhalten? Eine Handvoll Finanzjongleure kann mit Wetten auf Erfolge oder dem Ausbleiben eben jener ganze Staaten ins Wanken bringen und drei Rating-Agenturen lehren ganz Europa das Fürchten…

Ja, im Europa der modernen Politfürsten ist das wohl so. Daran ändern weder G8, G9 oder G20 Treffen etwas; wenn Feuer mit Feuer bekämpft werden soll, lässt sich der ein oder andere Flächenbrand nicht vermeiden. Aber es fragt uns Bürger ja eh keiner, ob wir damit einverstanden sind…

— 20. März 2012
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