Öffentliches Interesse

Was ist nicht von öffentlichem Interesse?, hinterfrag Tom Borg

Der Begriff "Öffentliches Interesse" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff der in Gesetzen häufig verwendet wird. Doch was damit gemeint ist, wird nicht im Gesetz konkretisiert. entsprechend bunt sind die Auslegungen.

Datenschutz ist in. Alles und jedes Detail, und sei es noch so unbedeutend, unterliegt dem Datenschutz und dem Persönlichkeitsrechten - es sei denn, das öffentliche Interesse steht dem entgegen? Doch was ist eigentlich "öffentliches Interesse"?

Der Staat macht es sich recht einfach. Der Begriff "Öffentliches Interesse" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff der in Gesetzen häufig verwendet wird. Er soll sicherstellen, dass die Belange des Gemeinwohls über die Individualinteressen gestellt sind. Doch was damit gemeint ist, wird nicht im Gesetz konkretisiert. Der Gesetzgeber überlässt es der Literatur und der Rechtsprechung, den Begriff im konkreten Einzelfall zu definieren.

Dabei müsste man sich nur einmal die aktuellen Nachrichten in TV und Internet ansehen um zu erkennen, dass alles von öffentlichem Interesse ist - solange es andere anbetrifft. Der dicke Einbrecher, der im Fenster steckenblieb und von der Polizei befreit werden musste, ist von so großem öffentlichen Interesse, dass er prompt auf der Titelseite einer landesweit erscheinenden Zeitung kommt, die ihn mit fetter Überschrift und einem Bild-chen der öffentlichen Lächerlichkeit preisgibt. Denn dafür interessiert sich das Volk.

Irgendwo in einem 500-Seelen Dorf hat Bauer Müller Streit mit Oma Meier, weil seine Kuh ständig in deren Garten eindringt und Salat und Blumen abfrisst. Beim Versuch, die Kuh zu vertreiben, ist Oma Meier nun gestolpert und hat sich dabei den Arm gebrochen. Öffentliches Interesse? Aber hallo! Da schicken wir ein ganzes Kamerateam hin, das detailliert den abgefressenen Garten dokumentiert, Oma Meier zu Wort kommen lässt und gleich die ganze Nachbarschaft mit befragt. Das ist doch selbstverständlich im öffentlichen Interesse - glaubt man den News-Shows die das Fernsehen uns täglich auf die Augen drückt. Und die müssen das wissen, schließlich verdienen die ihr Geld damit, dass ausreichend viele Menschen sich das ansehen.

Und gar erst Frau Neureich, die sich allen Ernstes in eine Therapie begeben muss, weil sie sich ständig darüber aufregt, dass Nachbar Allesegal seinen angerosteten pinkfarbenen Käfer neben ihrem aufpolierten silbergrauen Mercedes parkt. Der unästhetische Anblick ist einfach eine Zumutung für Frau Neureich. Die Kapriolen solcher Streitigkeiten sind natürlich im öffentlichen Interesse, denn darüber amüsiert sich das ganze Land.

Mein Leben gehört mir!

Doch die Reporter von TV und schreibender Zunft spielen nach anderen Regeln als wir Normalbürger. Bereits die Angabe, dass Frau Neureich einen silbergrauen Mercedes besitzt, ist eine personenbezogene Angabe, die zwar ein Reporter in seinem Artikel erwähnen darf, aber nicht jeder auf seinem Facebook-Account. Denn das Verarbeiten personenbezogener Daten fällt unter das Datenschutzgesetz.

Dieser Umstand, macht das eigentlich lobenswerte Basisziel, nämlich den Schutz der Privatsphäre, zu einer Eugenspiegelei. Würde jemand auf Facebook ausplaudern, dass ich in der Schule einen Eintrag ins Klassenbuch bekam, weil ich eine Stinkbombe in die Mädchentoilette geworden hatte, dann wäre derjenige sowas von reif für mein Anwaltsteam, dass derjenige seines Lebens nicht mehr froh würde. Dabei waren vielleicht mindestens 25 Mitschüler dabei, als der Lehrer mit Zornesfalte auf der Stirn den Eintrag in das Klassenbuch vornahm. Aber das sind eben personenbezogene Daten, die nicht ohne mein Einverständnis als Daten verarbeitet oder gar gespeichert werden dürfen. Stellen Sie sich vor, ich wäre ein international renommierter Chirurg und sollte an Ihrem Kind eine lebensgefährliche Operation vornehmen. Würden Sie Ihr Kind von jemandem operieren lassen, der in der Schule eine Stinkbombe in die Mädchentoilette warf? Und überhaupt: Mädchentoilette? Also auch noch frauenfeindlich! Ein absolutes No Go in unserer heutigen Gender-Mainstreaming-Gesellschaft.

Jetzt werden Sie einwenden, es sei doch schon so lange her und inzwischen unwichtig. Deshalb wandeln wir das Beispiel einfach ab und setzen unseren Chirurgen mit 2 Kollegen in ein Restaurant - und Sie sitzen zufällig am Nebentisch und hören, wie die 3 Ärzte bei einem Gläschen Wein Zoten über ihre Schulzeit zum Besten geben. Jetzt erzählt der Chirurg also seine stinkende Heldentat selbst. Doch ändert das etwas? Nein, denn das gesprochene Wort steht ebenfalls unter gesetzlichem Schutz. Strenggenommen dürften Sie das Gespräch vom Nebentisch nicht einmal zuhause Ihrem Lebensgefährten wiedergeben. Zeichnen Sie das Gespräch vom Nebentisch mit Ihrem Handy auf ohne die Herren zu fragen, ob Sie das dürfen, bekommen Sie richtig Ärger mit der Justiz, wenn Sie erwischt werden. Geben Sie den Inhalt des Gesprächs auf Facebook wieder, bekommen Sie Post von einem Anwalt.

Privat in der Öffentlichkeit?

Eine feucht-fröhliche Runde in einem öffentlichen Lokal ist alles andere als eine Seltenheit. Und öffentlich ist sie auch, spätestens dann, wenn die Beteiligten so laut sprechen, dass ihre Umgebung zwangsläufig alles mit anhören muss - ob sie will oder nicht. Es sind in der Öffentlichkeit gemachte Aussagen, die aber dennoch nur für einen geschlossenen Kreis bestimmt waren. Juristisch eigentlich ein klarer Fall von Privatsphäre und zugehörigem Personenrechtsschutz. Aber, privat in der Öffentlichkeit - geht das überhaupt?

Für Juristen ist die private Öffentlichkeit kein Problem. Kritisch wird jedoch die Frage nach dem Öffentlichen Interesse wenn man aus dem Schulstreich auf den Charakter des jugendlichen Helden schließen möchte. Einem Schüler mag man eine solche Aktion sicherlich verzeihen - zumindest zu meiner Schulzeit kam solcher Blödsinn gelegentlich vor. Ob man daraus Schlüsse ziehen kann, zu was ein Politiker oder eine sogenannte Person des Öffentlichen Interesses heutzutage fähig ist oder wäre, das steht natürlich auf einem anderen Blatt.

Nicht verjährt ist hingegen die Prahlerei im Restaurant, denn damit dokumentiert derjenige, dass er seine Jugendsünde lustig fand und es ihm auch heute offenbar nicht peinlich ist, davon zu erzählen. Das ist dann schon ein anderes Kaliber, denn es lässt Schlüsse zu über seine innere Einstellung, die im Widerspruch zu seinem amtlichen oder beruflichen Pflichten stehen kann. Doch ab wann dürfen solche Aussagen, die als im privaten Kreis gesprochenes Wort zunächst einmal geschützt sind, öffentlich gemacht werden? Darüber lässt sich trefflich streiten.

Zugleich zeigt das Beispiel aber auch die Krux der Sache: es soll ggfs. etwas geschützt werden, was der Betroffene fahrlässig selbst in die Welt gesetzt hat. Und dabei spielt es keine Rolle, ob es im angeheiterten Grölen oder durch Posts in sozialen Netzwerken geschah. Derjenige ist für seine Handlungen selbst verantwortlich und sollte es hinnehmen müssen, dass andere diese verbreiten, egal ob dem Betroffenen dadurch ein Schaden entsteht oder nicht. Das hätte er sich vorher überlegen müssen.

Öffentliche Privatsphäre

Während Prominente und all die sogenannten "Personen des Öffentlichen Interesses" - und nicht zu vergessen das historische Interesse! - manches zähneknirschend hinnehmen müssen und gelegentlich darüber stolpern, gelten für Lieschen Müller andere Regeln im gleichen Spiel. Denn natürlich ist es im quasi öffentlichen Interesse ob Frau Lustlos ihren Haushalt verlottern lässt und Geschirr eine Woche lang schmutzig in ihrer Küche herum steht - wenn sie Kinder hat die von anderen Kindern besucht werden. Da möchte man doch schon wissen, ob man seine Kinder gefahrlos bei einer anderen Familie essen lassen kann, was man ganz sicher nicht erlauben würde, wenn auf Facebook jemand erzählen würde, wie es bei Familie Lustlos aussieht und dass die Kinder Lustlos letzte Woche 2 Tage wegen verdorbenen Magens nicht zur Schule gehen konnten. Sowas will ich wissen, wenn mein Kind sich dort aufhält. Aber öffentlich erzählen dürfte ich es nicht, auch nicht meine Nachbarin warnen, deren Kind dort ebenfalls des Öfteren zu Gast ist.

Das Beispiel zeigt, wie schnell man dabei auch in heftige Gewissensnöte kommen kann. Ist es nun eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte von Frau Lustlos wenn ich anderen von deren Lotterhaushalt berichte oder ist es ggfs. eine unterlassene Hilfeleistung wenn ich andere nicht warne und deren Kinder mit Lebensmittelvergiftung im Krankenhaus landen?

Fraglich kommt es dabei auch darauf an, wie ich die Information verbreite. Aber in der heutigen Zeit sind Handy und soziale Netzwerke elementare Kommunikationsmitteln und ersetzen den Tratsch, der früher Neuigkeiten in Windeseile verbreitete. Ich kann - um bei dem Beispiel zu bleiben - ja auch gar nicht alle Familien kennen, deren Kinder möglicherweise bei Frau Lustlos von schmutzigen Tellern essen. Aber die kennen vielleicht mich und sind in meinen sozialen Freundeskreisen. Ein Post auf Facebook würde damit alle meine Freunde erreichen - und auch alle, die es eigentlich nichts angeht. Wo endet da die Privatsphäre und beginnt das Öffentliche Interesse?

Soziale Verantwortung

Da der Gesetzgeber nirgendwo definiert hat, was Öffentliches Interesse letztlich exakt umfasst, wird dieser unbestimmte Rechtsbegriff immer dem Zeitgeist unterworfen sein. Was heute privat ist, war vor 50 Jahren vielleicht öffentlich - und in 50 Jahren interessiert es vielleicht niemanden mehr.

Facebooks Gründer Mark Zuckerberg ist ja der Meinung, dass Privatsphäre eh nicht mehr zeitgemäß ist, also die der anderen zumindest. Denn er selbst hat sich vorsorglich alle Grundstücke rund um sein Anwesen gekauft, damit ihm niemand auf die Pelle rücken kann oder seinem Privatleben zu nahe kommt.

Eine exakte Definition des Begriffs "Öffentliches Interesse" wird vermutlich auch gar nicht möglich sein. Umso wichtiger wäre es, dass wir lernen, mit Daten, auch den privaten, sozialverträglich umzugehen. So manches, was Menschen um jeden Prei geheim halten wollen, soll nur deshalb geheim bleiben, weil sie sich schämen oder Nachteile befürchten. Etwas mehr Toleranz den anderen gegenüber, würde so manchen Druck dieser privaten Geheimnisse von den Menschen nehmen. Denn natürlich belastet es viele Menschen, dass sie einen vermeintlichen Makel haben oder einen harmlosen Fehltritt begingen, der ihr ganzes Leben zerstören könnte. Wer weiß schon, wie viele Probleme keine wären, würden wir Toleranz und Vergebung aktiv leben.

Stattdessen bemühen wir uns, Gesetze zu schaffen, die es uns leichter ermöglichen, unsere kleinen Fehlerchen und Verfehlungen zu verstecken, und merken gar nicht, dass wir dadurch erst manches aufbauschen, was eigentlich nicht der Rede wert war. Oder wie La Rochefoucauld es schon vor rund 300 Jahren auf den Punkt brachte: "Alle Fehler, die man hat, sind verzeihlicher als die Mittel, welche man anwendet, um sie zu verbergen."

Fehler gehören zu unserem Leben. Wir sollten sie nicht mit größtem Aufwand verbergen, sondern verantwortungsvoll damit umgehen. Der italienische Historiker, Philosoph und Politiker Benedetto Croce empfahl einmal: "Das Volk sollte jenen wählen, der offen zugibt, Fehler gemacht zu haben, und nicht denjenigen, der alle List darauf verwendet, begangene Fehler zu vertuschen."

Denn niemand ist ohne Fehl und Tadel. Erst wenn wir dies bedingungslos akzeptieren und tolerieren und auch Fehler vergeben, werden wir wirklich frei leben können.

— 17. Mai 2014
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