Deutsches Recht auf deutschem Boden

Aber wer außer uns muss es befolgen?, fragt Tom Borg

Die Schnüffel-Skandale ver jüngeren Vergangenheit zeigt unsere Ohnmacht auf: Wir können tun was wir wollen - es wird sich nichts tun. Signifikante Änderungen sind nicht zu erwarten. Die Politkaste steht mit einem Bein in der Pflicht und mit dem anderen in der Abhängigkeit.

Angela Merkel übt den politischen Spagat: der Auftrag als deutsche Bundeskanzlerin zum Wohle des deutschen Volkes tätig zu sein und das Sichern der guten Beziehungen zum großen Bruder USA ist eine schmerzhafte Angelegenheit. Für den Bürger wie auch die Kanzlerin, der ein zunehmend schärferer Wind entgegen bläst, mit dem auch recht schnell die Siegchancen bei der nächsten Bundestagswahl davonfliegen können.

Für den Bürger ist es allemal schmerzhaft, denn er wird auf jeden Fall verlieren: Das Vertrauen in die Politik und die Politiker hat er schon verloren. Die Meinung über den vermeintlichen Freund USA pendelt sich auf einem historischen Tiefststand ein, während von allen Seiten Beschwichtigungen kommen. Aber der Datenskandal ist kein angebrannter Kuchen, für den man schnell einen Ersatz in den Ofen schieben kann. Hier geht es ums Eingemachte, um existenzielle Rechte und Grundsätze.

Die "Nachts ist kälter als draußen" Erklärungen mit denen NSA und USA Gegner wie Freunde und Partner gleichermaßen berieselt bringen nur in eine Sache Licht: Sie zeigen auf, dass unsere Politiker wie hypnotisierte Kaninchen dem informativen Zauberstab des großen Zampanos auf der anderen Seite des Teichs folgen. Entweder tun sie dies, weil sie nicht anders können, oder sie heucheln Empörung Richtung eigenes Volk, während sie gegenüber den USA versöhnlich mit den Achseln zuckend signalisieren: sorry, aber wir können nicht offen sagen, dass wir eigentlich involviert waren. Und das ist der eigentliche Schaden des Skandals.

Eine Glaubenskrise gab es in Sachen Politik und Politiker ja schon immer. Aber aktuell zeigen die Politiker eine ahnungslose Unwissenheit, die so einfach nicht korrekt sein kann - es sei denn, das gesamte etablierte Berlin möchte dieser Tage den beruflichen Offenbarungseid leisten. Nach der ersten Empörung sickerte schnell durch, dass deutsche Nachrichtendienste sehr wohl "eng mit den Partnern" zusammenarbeiten. Und damit wird das gesamte politische Berlin auf eine simple entweder-oder-Formel degradiert: Entweder wimmelt es in Regierung und Parlament von inkompetenten Dummköpfen oder von verlogenen Heuchlern. Dazwischen gibt es nichts mehr, denn die möglichen Zwischenpositionen wurden inzwischen allesamt weggeräumt, eliminiert durch Salami-taktisch portionierte Halbwahrheiten, Gerüchte und Beschwörungen, von nichts gewusst zu haben. Dummerweise sollte die Regierung aber wissen, was in unserem Land vor sich geht - soweit sie es wissen könnte ohne die Bürger illegal auszuspähen.

Inzwischen attackieren auch hochrangige Oppositionspolitiker die Politikkaste, wenngleich sie auf die aktuelle Regierung zielen, nachdem Berichte kursieren, wonach der Bundesnachrichtendienst (BND) schon lange von den Ausspähungen und Speicherungen der Daten deutscher Bürger durch die NSA gewusst haben soll. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck, bringt es auf den Punkt: "Wenn Merkel davon nichts wusste, hat sie das Kanzleramt nicht im Griff und wenn sie davon wusste, ist sie eine Lügnerin. In jedem Fall wird Angela Merkel täglich zu einer größeren Gefahr für die Sicherheit und Grundrechte ihrer Bürgerinnen und Bürger".

Freilich macht sich Beck die Sache angesichts der bevorstehenden Wahlen etwas arg leicht. Denn PRISM gibt es offenbar seit 2007. Bis 2009 saß die SPD mit in der Regierung. Und im Parlamentarischen Kontrollgremium, das u.a. die Nachrichtendienste kontrolliert, sitzt mit Hans-Christian Ströbele auch ein Mitglied der Bündnis90/Grüne-Fraktion. Hat der auch nichts gewusst? Ach so, ja, der darf ja nichts weitergeben ohne sich selbst strafbar zu machen. Das gleiche sagt auch Microsoft, die betonen, es gäbe "Aspekte der Debatte, die wir gerne freier diskutieren würden". Aber die US-Gesetze verpflichten die Firmen zur Zusammenarbeit – und zur Verschwiegenheit. In Deutschland sieht es nicht viel anders aus. Die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums sind per Gesetz zur Geheimhaltung verpflichtet, so wie auch Tausende anderer Mitarbeiter der Nachrichtendienste. Auch das ist deutsches Recht!

So bleibt von dem markigen Spruch "Auf deutschem Boden gilt deutsches Recht" eigentlich nur die Erkenntnis: Der Bürger auf der Straße muss sich daran halten - der Rest der Welt nicht…

Der Schnüffel-Skandal zeigt unsere Ohnmacht auf: Wir können tun was wir wollen - es wird sich nichts tun. Im September sollen wir eine Regierung wählen. Doch was könnte sich ändern? Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, lautet die schlichte Antwort: nichts! Alle Parteien sind an die Gesetze gebunden und zumindest die etablierten denken nicht im Traum daran, gesetzliche Grundlagen der Geheimdienste zu verändern. Gegenüber ausländischen Geheimdiensten wären auch Protest-Parteien, wenn wie sie denn wählen würden, machtlos. Was sollte schon passieren, wenn eine deutsche Regierung in Washington auf den Putz haut? Mr. Präsident wird freundlich lächelnd zusagen: Wir werden baldmöglichst prüfen, ob und welche Informationen wir über die Aktivitäten unserer Nachrichtendienste bereitstellen können. Soviel hat Bundesinnenminister Friedrich auch erreicht. Aber eben keinen Millimeter mehr. Wie auch? Er hat ja keine Druckmittel. Sollte Deutschland aus der NATO austreten? US-Militärs und Konzerne aus dem Land jagen? Künftig keine Windows-Rechner mehr verwenden und sich statt dessen mit Linux abplagen? Auf Facebook, Google und iPhone verzichten? Selbst wenn wir uns das wirklich alles antun würden, was dann? Dann machen die USA auch ihre Grenzen dicht und in der Exportnation Deutschland gehen die Lichter aus, zumindest würden sie heftigst flackern… Ohne den großen Bruder auf der anderen Seite des Atlantik würde Deutschland sich schwer tun. Mit allerdings auch, wenn der auf deutsches Recht pfeift. ".

Obwohl, einmal hat Europa schon den Mini-Aufstand geprobt. 2004 wurde eine bedeutende Anlage der amerikanischen NSA im bayerischen Bad Aibling geschlossen, weil das von Nachrichtendiensten der USA, Großbritanniens, Australiens, Neuseelands und Kanadas betriebene weltweite Spionagenetz Echelon auch zur Wirtschaftsspionage gegen europäische Unternehmen eingesetzt wurde. Bereits das Echelon-System diente damals dem Abhören und Überwachung von über Satellit geleiteten privaten und geschäftlichen Telefongesprächen, Faxverbindungen und Internet-Daten, die vollautomatisch ausgewertet wurden. Überlebt haben wir es - aber auch Echelon, das als PRISM eine neue Evolutionsstufe erklomm.

Was lernen wir daraus? Genau das, was Angela Merkel sagte: "Auf deutschem Boden gilt deutsches Recht." Das Pochen auf Einhaltung dieses Rechts durch ausländische Freunde und Partner gleicht jedoch einem Kampf gegen politische Windmühlen - egal, wer sich da als verantwortlicher politischer Don Quijote versucht…".

— 20. Juli 2013
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