Gier der Gläubiger

Staatsschulden sind ein gutes Geschäft meint Tom Borg

"Mein Sohn ist Gläubiger. Er möchte das auch gerne bleiben." forderte jemand. Doch gibt es einen Anspruch auf ein Geschäftsmodell - insbesondere, wenn es Staatsschulden sind, die die Allgemeinheit bezahlen soll?

Schulden hat fast jeder, mancher gar so viel davon, dass er sich in der Insolvenz wiederfindet. Staaten kann so etwas nicht passieren - dachte man zumindest bis vor einige Jahre. Doch die Finanzkrise hat uns eines besseren belehrt. Auch Staaten können mit dem Pleitegeier Bekanntschaft machen. Vorwiegend dann, wenn sie sich mit Ausgaben an Prozessen beteiligen, die mit den normalen Staatsgeschäften nichts zu tun haben.

Es gehört zum Wesen der modernen Politik, dass sie versucht, durch geeignete Gesetze Wirtschaft und Sozialwesen in die gewünschten Bahnen zu lenken. Das ist insofern nicht falsch; jedoch ein Fremdkörper in der Welt der Märkte, die sich eigentlich selbst regulieren sollten durch den Mechanismus von Angebot und Nachfrage. Im Laufe der Zeit sahen sich Staaten jedoch genötigt, in diesen Mechanismus einzugreifen, um diverse Ziele zu erreichen, die sich durch reines Angebot-Nachfrage-Verhalten nicht einstellen wollten. Viele dieser Maßnahmen wurden jedoch nicht aus vorhandenen Steuereinnahmen finanziert, sondern mittels Kapitalaufnahme durch den Staat. Der Staat macht Schulden in der Hoffnung, dass die Wirkung der Maßnahmen so positiv ausfällt, dass damit die Schulden getilgt werden können.

Dummerweise zeigt sich weltweit, dass entweder die Hoffnung zu groß oder die Maßnahmen falsch waren. Staaten rund um den Globus sind nicht in der Lage, ihre Schulden zurückzuzahlen. Inzwischen trifft dies vermehrt auch wirtschaftlich gesunde Staaten und man fragt sich unwillkürlich: warum ist das so?

Eine einfache aber äußerst irritierende Erklärung dazu gab der geschäftsführende Finanzminister Wolfgang Schäuble im Focus (4. November 2013): "Wenn mich junge Menschen fragen, wann wir endlich ganz ohne Schulden sind, dann sage ich: Hoffentlich nie. Denn Schulden verschwinden nur nach einer Währungsreform."

Diesen haarsträubenden Satz würde ich mir gerne einrahmen oder in Hochglanz gedruckt meiner Bank präsentieren, die über die Führung meines Kontos gänzlich andere Ansichten vertritt. Obwohl, gegen ein bisschen Minus hat meine Bank nichts einzuwenden, denn dran verdient sie gerne und gut.

Ja, und das tun auch alle an den Staatsschulden. Die Zinsen für die Staatsschulden gehören seit Jahren zu den größten Positionen im Staatshaushalt. Und bis zur Finanzkrise galten Staatspapiere als sichere Geldanlage. Das hat sich inzwischen grundlegend geändert. Aber lukrativ ist das Geschäft mit den Staatsschulden allemal. Auf einen Artikel von Frank Thewes auf Focus Online kam denn auch prompt ein dreister Kommentar: "würden Schulden abgebaut, würde Geldvermögen, also das der Gläubiger, vernichtet. Mein Sohn ist Gläubiger. Er möchte das auch gerne bleiben." Da bleibt einem doch glatt die Spucke weg. Erstens vernichtet Schuldenabbau kein Vermögen, sondern es wird lediglich die Verfügungsgewalt darüber seinem Besitzer zurückgegeben, der selbst entscheiden kann, was er damit machen möchte. Und zweitens ist der Wunsch eines Vermögenden, in Zukunft weiterhin durch Verleihen seines Vermögens seinen Broterwerb zu tätigen, ganz sicherlich kein Staatsziel. Im Gegenteil!

Eine Frage der Solidarität

Laut Grundgesetz soll ein jeder seinem Vermögen gemäß zur Finanzierung sozialer Aufgaben herangezogen werden. Dies ist Aufgabe der Steuergesetze. Wer viel hat, der soll auch etwas mehr für die Allgemeinheit hergeben. Wer aber so viel hat, dass er es gar nicht braucht, sondern verleihen kann, der bekommt noch etwas obendrauf: die Zinsen. Natürlich muss man auf Zinseinkünfte auch Steuern zahlen, wenn man sie denn korrekt deklariert. Aber nach Abzug der Steuern bleibt immer noch etwas übrig, das man zusätzlich erwirbt, eben weil der Staat kein Geld für seine Aufgaben hat. Somit verdienen Bessergestellte an der Armut anderer - und vor allem an den leeren Kassen des Staates.

Staatsschulden sind somit kein Handikap, sondern ein hochprofitables Geschäftsmodell. Freilich nur für die Teile der Gesellschaft, die über so viel Kapital verfügen, dass sie es dem Staat ausleihen können. Doch welche Oma hat am Ende des Monats noch so viel von ihrer Rente übrig, dass sie dem Staat davon etwas leihen könnte? Wie viele Aktien oder Schatzbriefe kann ein Normalverdiener von seinem Monatsgehalt erwerben? Da klingt ein Satz der Art "Mein Sohn ist Gläubiger. Er möchte das auch gerne bleiben." fast schon wie verachtenswerter Frevel.

Klar, ich würde mein täglich Brot auch gerne damit verdienen, dass ich ein geerbtes Vermögen gut verzinst ausleihe und meine größten Sorgen darin bestünden, ob ich mir nun einen Ferrari oder zur Abwechslung mal wieder einen Porsche als Viert- oder Fünftwagen zulege. Und ich wette, diese Spezies Sorgen würde sich so mancher Mitbürger auch gerne aufladen. Doch tatsächlich drücken solche Sorgen nur sehr wenige Bürger unseres Landes.

Und das ist der eigentliche Skandal an den Staatsschulden: Ein Haufen gieriger Finanzjongleure und glücklicher Erben verdient sich dumm und dämlich an den Staatsschulden für die Otto Normalverbraucher schuften geht, damit der Staat von seinen Steuern die Zinsen bezahlen kann. Das hat weder etwas mit christlicher Nächstenliebe zu tun, noch mit dem Solidaritätsgedanken des Grundgesetzes. Das ist einfach nur Abzocke mit staatlicher Schutzgarantie, die sich zur Perversion wendet, wenn der Staat dann auch noch auf Pump die Banken der Zocker retten muss.

Spätestens dann muss man einem Wolfgang Schäuble energisch widersprechen: Ohne Schulden lebt es sich auch gut - und ich halte jede Wette: Wenn ich mein Bankkonto ausgleiche, dann wird das garantiert keine Währungsreform auslösen. Warum sollte es bei einem Staat anders sein? Warum können Staaten nicht so wirtschaften, dass sie vorwiegend das Geld einsetzen, welches die Bürger erwirtschaften und in Form von Steuern dem Staat anvertrauen? Sicher, Notfälle wird es immer geben, die ein Staat mit Schulden finanzieren muss; und ein Teil der mit Schulden finanzierten staatlichen Programme kommt natürlich notleidenden Bürgern zugute. Es sollte aber das Ziel des Staates sein, diese Schulden auch wieder abzutragen, damit unser aller Kinder sorgenfreier leben können - nicht nur die Kinder, die als Gläubiger geboren wurden. Das erwarte, nein, verlange ich von einer christlich-sozialen Regierung. Ansonsten sollte die Regierung so viel Anstand besitzen, sich ihr Gehalt gleich von der Wirtschaft zahlen zu lassen, wenn sie eh primär deren Interessen vertritt, denn 90% der Bürger leihen dem Staat kein Geld, sondern schuften für die Zinsen die der Staat für seine Schulden bezahlen muss. Solidarität sieht anders aus.

Staatschulden sind eher ein Geschäft mit der Armut, wobei sich der Staat - im Gegensatz zu den bedürftigen Bürgern - absichtlich arm macht. Sei es nun durch Misswirtschaft, falsche Zielsetzungen oder einfach nur staatlichem Desinteresse am Verbleib der Steuergelder. Die Hilfe, die zweifelsohne auch in Teilen bei den Bedürftigen ankommt, rechtfertigt nicht das Milliardengeschäft mit den Staatsschulden. Müsste der Staat weniger Zinsen zahlen, hätte er auch mehr für Förderprogramme übrig. Zweifelsohne würden dann einige Eliten weniger verdienen - und dann auch weniger Steuern zahlen, was dann wiederum eine schöne wenn-und-aber-Kette abstruser Argumente nach sich zieht, die alle irgendwie teilrichtig sind. Doch die Kernaussage bleibt: Staatsschulden führen durch die Zinseinnahmen zwangsläufig zu einer Umverteilung von "unten" nach "oben". Und das ist weder im Sinne des Grundgesetzes noch im Interesse der meisten Steuerzahler. Aber zumindest letztere werden ja nur alle 4 Jahre nach ihrer Meinung gefragt…

— 07. November 2013
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