Spaß als Pflichtaufgabe

So wollen es zumindest die FC Bayern Manager. Von Tom Borg

Fußball, generell Sport, wird wie eine Show organisiert. Da bleibt nichts dem Zufall überlassen. Das Geschäft ist die Unterhaltung - und die funktioniert nur dann perfekt, wenn alle mitmachen. Stimmungskiller sind nicht erwünscht!

Ja, mei, was ist denn da los? fragt man sich kopfschüttelnd angesichts der Ankündigung des FC Bayern Managements, die Besitzer von Dauerkarten zum Erscheinen im Stadion zwingen zu wollen. 8 Mal mindestens sollen sie im Jahr zu Heimspielen des Clubs im Station erscheinen - oder die Dauerkarte zurückgeben.

Interessenten für Dauerkarten gibt es offenbar genug. Ob die aber auch alle zu jedem Heimspiel kommen werden, ist eine andere Frage. Denn die Ursache des Problems hat man sehr wohl erkannt: Bei Partien gegen scheinbar unattraktive Gegner gilt die Arena zwar als ausverkauft, aber es bleiben trotzdem viele Plätze leer, vor allem in der Südkurve, wo die Dauergäste fernbleiben. Diese erwarten einfach kein interessantes Spiel und betrachten es als Zeitverschwendung, ins Stadion zu gehen.

Dieses hausgemachte Problem des Erfolgs-Image zeigt seine hässliche Fratze wenn es mal nicht so hoch hergeht in der legendären Arena. Es zeigt auch ein grundlegendes Problem des Sports, der auf Begeisterung der Zuschauer setzt: Ein Spiel bei dem es hoch her geht, ein Torschuss nach dem anderen die Zuschauer von den Sitzen reißt, putscht auf, begeistert. Eine 4:5 Niederlage kann interessanter sein als ein 5:0 Sieg. Das scheinen die Bayern-Manager zu vergessen. Sie setzen nur auf Sieg, auf Erfolg, auf Zahlen.

Begeisterung kann man jedoch schlecht mit Zahlen erfassen. Fußball, bei dem die Spieler sich den Ball so lange zuschieben, bis einer so frei vor dem Tor des Gegners steht, dass er einfach nicht mehr danebenschießen kann, ist langweilig. Als Zuschauer will man Action sehen, beherzte Torschüsse - auch wenn viele danebengehen. Aber man kann mit zittern. Zwei Lattentreffer sind allemal interessanter als 20 Minuten Ballgeschiebe bis sich endlich die unfehlbare Chance zum Torschuss ergibt.

Die perfekte Show

Schon zu den Glanzzeiten der Nationalmannschaft, als Beckenbauer, Breiter, Netzer und Gerd Müller noch den Ton angaben, galt die deutsche Spielweise als zielorientiert. Deutschland arbeitet Fußball hieß es - vor allem in Südamerika, wo man den fußballerischen Kunststückchen fast mehr zujubelte als hier in Deutschland den Toren. Woran liegt's? Man ist versucht zu sagen: an der deutschen Mentalität, an der "schaffe, schaffe Häusle baue" Einstellung, die hierzulande glorifiziert wird. Dabei kommt nur allzu oft der Spaß abhanden. Und genau den wollen die FC Bayern Manager jetzt einklagen, weil sie erkannt haben, dass die Stimmung in der Arena immer wieder kippt und die Fans der Gegner auch bei sportlicher Unterlegenheit immer wieder die akustische Überhand gewinnen. Bayern-Fans sollen auch da triumphieren, die Gegner in Grund und Boden schreien. Und vor allem wollen sie eines: Die perfekte Show!

Fußball, generell Sport, wird wie eine Show organisiert. Da bleibt nichts dem Zufall überlassen. Das Geschäft ist die Unterhaltung - und die funktioniert nur dann perfekt, wenn alle mitmachen. Stimmungskiller sind nicht erwünscht! Leere Plätze erst recht nicht. Alle sollen mitmachen und sich als Teil des Events empfinden. Fans des amerikansichen Wrestlings werden auch hierzulande schon seit Jahren von den Moderatoren als "liebes WWE Universum" angesprochen. Da gibt es keine Fans mehr, keine Anhänger, nein, da ist nur noch ein Universum dem alle angehören.

Und natürlich ist das Ganze auch ein großes Geschäft für die Beteiligten drum herum. Man schaue nur mal, wie viele Stunden ein Formel 1 Rennen auf RTL übertragen wird. Das Rennen selbst darf laut Reglement maximal 2 Stunden dauern. Aber es kommt die Aufwärmphase davor, die Nachbetrachtung hinterher, wo der Zuschauer nochmal alle Highlights gezeigt und erklärt bekommt. Mit so einem Rennen füllt RTL locker 4-5 Stunden Programm alleine am Sonntag. Dafür muss dem Publikum etwas geboten werden. Leere Ränge begeistern niemanden. Die Stimmung vor Ort soll sich auf den Zuschauer übertragen, damit er vor dem Fernsehgerät sitzen bleibt und in ihm der Wunsch erwächst: da muss ich auch mal hin - egal was auch immer das kostet…!

Gruppenzwang

Der Ansatz des FC Bayern und anderer Event-Manager ist natürlich nachvollziehbar, wenn auch trotzdem sehr fragwürdig, denn er dreht das Recht auf Besuch des Spiels um in die Pflicht es anzusehen. Da käme mir - wenn ich Dauerkartenbesitzer wäre - gleich die Lösung: Wenn das Spiel so langweilig ist, dass es mich nicht interessiert, dann kann ich mir doch meinen Laptop oder mein Tablet mitnehmen, mir Ear Phones in die Ohren stecken - und im Stadion meine Zeit absitzen indem ich meine Mails bearbeite oder digitale Arbeiten erledige, was heutzutage ja so herrlich leicht auf mobilen Geräten geht. Dann wäre ich im Station … Pflicht erfüllt … Recht auf Dauerkarte für die interessanten Spiele bliebe erhalten…

Doch das wäre den Club-Verantwortlichen wohl auch nicht recht. Sie wollen, dass ich mir das Spiel ansehe, mich in der "Gesamtmasse Fanblock" einbringe. Können sie das durchsetzen, mir mein Handy, mein Tablet in der Arena verbieten? Mehr noch: Habe ich als Zuschauer eines Fußballspiels die Pflicht zu grölen und zu jubeln - also die Pflicht auf Spaß?

Und es stellt sich gleich die Frage nach anderen Events. Muss der stolze Besitzer einer Konzertkarte auch zu einem Konzert gehen? Auch da lebt die Atmosphäre davon, dass die Location vollbesetzt und aufgeheizt ist. Für letzteres sorgen üblicherweise explizit angeheuerte Vor-und Neben-Events. Ist der Saal ausverkauft, aber halb leer, kocht auch da die Stimmung auf Sparflamme. Kann der Veranstalter die nicht erschienenen Kartenbesitzer auf Schadensersatz verklagen weil sie die Stimmung des Events beeinträchtigt haben? Oder gar die erschienenen Besucher, die sich ärgern, dass im halb leeren Raum keine rechte Stimmung aufkommt, sich um ihren Spaß betrogen fühlen?

Spaß als Geschäftsmodell ist beileibe kein Spaß für diejenigen, die dieses Geschäft betreiben. Und wir alle tragen letztlich Schuld daran, denn wir erwarten die perfekte Show - und zwar genau dann, wenn es uns danach gelüstet. Genau da liegt aber auch der Haken: Wenn Spaß nur dann funktioniert, wenn alle mitmachen, wird aus Spaß schnell Pflicht, der Zwang, mitmachen zu müssen, damit den anderen nicht der Spaß vergeht. Spaß als Gruppenerlebnis, das nur mit perfekt aufeinander abgestimmten Gruppen funktionieren kann. Was das in der Praxis bedeutet, weiß jeder, dem schon einmal von einem Türsteher der Zutritt verweigert wurde. Was bei speziellen Etablisements vielleicht noch akzeptierbar sein mag, zumindest für diejenigen die drinnen sind, wird bei einem Allgemeingut wie Fußball schnell zum Politikum. Schließlich wurde ja per höchstrichterlicher Entscheidung befunden, dass eben dieses Allgemeingut jedem zugänglich sein müsse - zumindest im Fernsehen.

Zum Spaßhaben verdonnert

Doch denken wir nun weiter an Events wie Love-Parade, Public View und andere Veranstaltungen die in der Öffentlichkeit stattfinden? Wie sieht es da mit Recht und Pflicht aus? Darf zum Public View während der nächsten WM nur noch derjenige erscheinen, der ein Nationaltrikot mit schwarz-rot-goldenen Schal trägt und mit einem Six-Pack unterm Arm schon 100 Meter weit entfernt die Nationalhymne grölt?

Ja, man könnte sogar noch weiter denken: Wenn eine Fluggesellschaft damit wirbt, dass Kunden ihr Vertrauen schenken, kann sie nur schwer erklären, warum die Maschinen angeblich ausgebucht aber nicht voll besetzt sind. Werbebetrug? Imageschaden? Muss der Nicht-Reisende jetzt plötzlich Schadensersatz leisten, weil er sein gebuchtes Ticket nicht genutzt hat? Sicher, das ist jetzt etwas arg überzogen gedacht, zumal Flugtickets deutlich teurer sind als Eintrittskarten - meistens jedenfalls. Aber trifft es nicht den Kern der Sache: MUSS jemand, der ein Recht auf Teilnahme erworben hat, auch tatsächlich teilnehmen? Wird aus dem Recht plötzlich eine Pflicht? Das wäre ja so, als würde einem Sportwagenfahrer, der nicht ständig das Gaspedal voll durchtritt, zukünftig verwehrt, einen Sportwagen zu kaufen, weil er dem Image der Marke schadet. Oder um es im FC Bayern Jargon zu formulieren: Wer nicht mindestens 80% Vollgas fährt und auf einer halbwegs geraden Landstraße nicht mindestens drei andere Fahrzeuge überholt, der soll gefälligst seinen Sportwagen wegen Nichtnutzung zurückgeben…?

Das klingt jetzt für mich genauso unsinnig wie der Zwang zum Ansehen von langweiligen Fußballspielen. Wenn ein Fußball-Verein Dauerkarten verkauft, dann muss er davon ausgehen, dass nicht jeder zu jedem Spiel kommt. Das kann man mit Zwang kaum ändern. Viel sinnvoller wäre da eine Rückbesinnung auf die eigentliche Seele des Sports - dem Wettkampf. Das war Fußball früher einmal: ein Wettkampf, bei dem 22 Spieler einem Ball nachlaufen und versuchen, diesen möglichst oft ins Tor des Gegners zu befördern. 22 Spieler sind immer noch auf dem Platz - aber der Wettkampf steht im Abseits. Wenn die Reservespieler des FC Bayern ganz locker gegen andere Liga-Vereine 3:0 gewinnen, dann ist das kein Wettkampf mehr, sondern reine Pflichterfüllung und als solche für den Zuschauer in etwa so interessant wie einem Beamten beim Abheften von Akten zuzusehen.

Es fehlt am Sportgedanken, dem Wettkampf als solchen, dem Thrill. Sport, wie auch viele andere Events, ist zum durchorganisierten Medienspektakel verkommen, bei dem die kommerzielle Bilanz wichtiger ist als das sportliche Ergebnis - vom olympischen Gedanken wollen wir erst gar nicht mehr sprechen. Einzige Unbekannte im Geschäftsmodell Sport ist letztlich der Mensch - auf beiden Seiten, denn Sportler können sich verletzten und ausfallen, während Zuschauer begeistert ihre Idole feiern oder einfach wegbleiben. Zumindest ersteres haben finanzstarke Teams wie FC Bayern fest im Griff; der Kader würde vermutlich für 3 Liga-Mannschaften ausreichen. Aber der Zuschauer, der Mensch, jenes unbekannte Wesen, verhält sich nicht immer erwartungsgemäß. Und man ist versucht zu sagen: Gott sei Dank. Vor allem wenn man bedenkt, dass die Bundesliga-Vereine einstmals stolz auf ihre teils wohlhabenden Dauerkartenkunden waren, die wiederum die Dauerkarte als Prestige-Objekt betrachteten. Und damit schließt sich der Kreis: Die Vereine waren interessiert an Einnahmen, die zahlende Kundschaft am Prestige, bei hochkarätigen Events direkt dabei zu sein. Mit dem sportlichen Niveau der Duelle sank das Prestige und damit die Anzahl der interessierten Dauerkarten-Besitzer. Damit holt den Verein, dem schon immer das Image der überheblichen, hochnäsigen Finanz-Kampf-Truppe anhaftete, seine eigene Vorgabe ein: Die Fans wollen ihren Verein siegen sehen … und der Verein siegt … inzwischen so vorhersehbar beständig, dass es viele Fans langweilt. Denn das Publikum will seine Helden leiden sehen. Das wusste schon Shakespeare, aber wer liest den schon in der Bayern Arena wo die Tabelle Pflichtlektüre ist…

— 05. Februar 2014
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