Reich mit 333 Euro in der Tasche?

Finanzpolitische Gedankenspiele hinterfragt Tom Borg

Not macht erfinderisch - und ganz besonders kreativ werden Politiker wenn es darum geht, dass Bürger die Fehler ihrer Regierungen bezahlen sollen. Da erwachsen Begehrlichkeiten, "Vermögende" zur Kasse zu bitten. Doch wer ist eigentlich vermögend?

Angefangen hatte alles mit einem harmlosen Vorschlag des IWF, gut versteckt auf knappe 29 Zeilen im IWF-Bericht "Fiscal-Monitor" von Oktober 2013, aber immerhin klar betitelt mit:"Eine einmalige Vermögensabgabe?" (Box 6: A One-Off Capital Levy?)

Zwar beeilten sich alle Politiker, ihre Bürger zu beruhigen dass dies alles rein hypothetische Gedankenspiele seinen, die konkret ja gar nicht zur Debatte stünden. Insgeheim konnten sich aber schon damals viele Politiker mit dem Gedanken anfreunden, würde er doch so manches Problem finanzieller und politischer Art recht elegant lösen. Inzwischen hat sich auch die Bundesbank mit dem Vorschlag angefreundet und findet ihn gut, wenn auch nur "im absoluten Ausnahmefall" und schon gar nicht in Deutschland – sagt man jedenfalls.

So total abwegig kann der Gedanke also nicht sein. Und alles was politische Probleme löst, ohne dass Politiker dazu etwas die Karriere destabilisierendes leisten müssten, ist im modernen Politbetrieb immer willkommen.

Neu ist die Idee ja auch nicht, denn bereits nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg gab es in Europa solche Zwangsabgaben.

Doch wen trifft es im Fall des Falles? Laut Politikermund nur die Vermögenden. Doch wer ist vermögend? Wer ist so reich in diesem unserem Land dass man ihn mit 10% Vermögensabgabe zur Kasse bitten sollte?

Oder provokanter gefragt: Ist man mit einem 200.000 Euro-Haus vermögend? Auf den ersten Blick mag das so scheinen. Aber rechnen wir doch einmal rückwärts und nehmen wir an, das Häuschen gehört einem Rentnerpaar, eine gewöhnliche Arbeiterfamilie ohne Akademiker-Traumkarriere. Dann hat er vermutlich eine Lehre gemacht und ist mit ca. 20 Jahren voll ins Berufsleben eingestiegen. Damit kommt der gute Mann auf über 40 Jahre Berufsleben bevor er Rentner werden konnte. Hatte die Frau, als Hausfrau "nur" 10 Jahre beruflich gearbeitet, so bringt es das Paar zusammen auf mindestens 50 Jahre Berufsleben. Das sind 600 Arbeitsmonate. Teilt man die 200.000 Euro durch 600 so verbleiben 333 Euro als monatliche Summe. Ist jemand, der am Ende des Monats 333 Euro in der Tasche hat, vermögend? So mancher Häuslebauer bezahlt die letzte Hypothek mit seiner erlebten Lebensversicherung und hatte deswegen gar noch weniger am Monatsende zur Verfügung.

Die Grenzen zwischen arm und reich verschwimmen recht schnell, wenn unterschiedliche Lebensentwürfe ins Spiel kommen. Manche Menschen genießen das Leben aus vollen Zügen und stören sich nicht daran, wenn sie zum Monatsende blank sind. Andere sparen für ihr Alter - und nicht selten für Kinder und Enkel gleich mit. Sind sie deswegen vermögend, weil sie nicht alles Geld verballert haben? Weil sie für die Ausbildung ihrer Kinder und Enkel gespart haben?

Wer ein Leben lang gearbeitet und sparsam gelebt hat, der bekommt recht schnell Vermögenswerte jenseits der 100.000 Euro Marke zusammen. Sollte er deshalb ins Visier der raffgierigen Vermögensjäger geraten?

Machen wir uns nichts vor, in irgendeiner Form wird die 10% Abgabe kommen - früher oder später. Doch wer wird betroffen sein? Wird derjenige, der jahrelang gespart hat, am Ende der Dumme sein?

Zugegeben, in meinem ersten Studentenjahr hatte ich 333 Euro nicht einmal am Monatsanfang. Aber heutzutage kann man sich nicht mehr ein neues Auto leisten, wenn man nicht monatlich Beträge in dieser Größenordnung zurücklegt. Und eine neue Familienkutsche gilt gemeinhin allenfalls als spießig, aber ganz sicher nicht als Vermögen...

333 Euro sind mehr als so mancher Mensch in den Entwicklungsländern pro Monat zur Verfügung hat. Aber in Deutschland, in Europa, ist es ganz sicher kein Vermögen - noch nicht. Aber ein Häuschen, das 200.000 Euro wert ist, haben die IWF-ler ganz sicher im Visier, wenn sie mit solchen Vorschlägen kommen. Dabei ist es letztlich nichts anderes als die Summe der Lebensleistung zweier Durchschnittsmenschen, die nicht alles gleich wieder ausgegeben haben.

— 07. August 2015
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