Fehlerteufel

Den Juristen fällt aber auch immer was Neues ein, meint Tom Borg

Man kann sich im Leben nicht gegen alles und jeden versichern. Etwas Eigenintelligenz muss den Exemplaren unserer Spezies zuzumuten sein. Denn an das Geld anderer Leute wollen schließlich alle - weshalb es nicht so einfach ist. Da muss man dem Glück oft etwas auf die Sprüng ehlefen.

Gut gebrüllt, möchte man meinen. Da hat doch jemand frech wetteronlin.de als Domain registriert und darauf gehofft, dass viele Benutzer versehentlich auf seiner (Werbe-)Seite landen, statt beim Wetterdienst wetteronline.de. Den wurmte das Geschäftsmodell so sehr, dass er vor den Kadi zog. Das BGH konnte sich zwar nicht dazu entschließen, den Beklagten dazu zu verurteilen, die Domain zu löschen, wohl aber müsse dieser sich an "Regeln" halten. Doch da fängt das eigentliche Problem für Hobby-Webmaster erst richtig an.

Klar hofft eine Tippfehlerdomain auf viele Vertipper, die ungewollt, aber immerhin - Redtube lässt grüßen - aus eigener Handlung dort landen. Dafür gibt es Werbeeinnahmen, die wiederum der eigentlich gesuchten Webseite entgehen. Das nennt der Jurist "unlautere Behinderung nach dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb". Anders würde es sich verhalten, wenn der Betreiber einer Tippfehler-Domain auf diesen Umstand hinweist, denn dann erkennt der Nutzer, dass er auf der falschen Internetseite ist und kann zur eigentlich gewollten Webseite weitersurfen.

Doch wo fangen Tippfehler an? Das Internet besteht nun mal aus Adressen mit wenigen Buchstaben und jeder möchte eine möglichst kurze aber prägnante Domain haben. Da sind selbst bei gutgläubigen Webmastern Probleme vorprogrammiert, weil die Tippfehler-Domain die einzige noch freie sein kann.

Doch ich sehe da noch ein ganz anderes Problem, das die Richter so offenbar nicht sehen. Im Internet gibt es viele Top-Level-Endungen. Auch wenn ".de" der deutsche Standard ist, erfreuen sich ".info", ".com", ".eu" und ".org" auch großer Beliebtheit. Zu allen wichtigen Keywords sind sämtliche Top-Level-Domains vergeben. Nehmen wir als Beispiel "zitate", die es natürlich mit ".de" Endung gibt. Bei unseren Nachbarn in Österreich residiert jedoch "zitate.eu" und "zitate.at". Und da stellt sich die Frage: Ist die Eingabe von "zitate.eu" in Deutschland ein Tippfehler? Schließlich sollte in Deutschland die ".de" Vorrang haben. Dann müsste zukünftig "zitate.eu" auf seiner Webseite den Hinweis anbringen: "Lieber Besucher, wenn Sie unsere deutsche Konkurrenz besuchen wollen, müssen Sie 'zitate.de' eingeben." Und beide regen sich möglicherweise zu Recht auf, wenn es auch eine "zitate.info oder gar "zitate.org" gibt. Wem treten die beiden nun auf die Füße?

Zugegeben, das sind jetzt Fälle, über die man streiten könnte, und vermutlich irgendwann auch wird, wenn die Richter bei ihrer Meinung bleiben. Und, klar, die Tippfehlerdomain zielt auf die Besucher der richtig geschriebenen. Aber muss man deshalb gleich vor den Kadi ziehen? Das wäre ja so, als dürfte ich keine Kneipe neben einer stadtbekannten Kneipe eröffnen. Denn wenn alle zur Kneipe in der XY Straße wollen - dann darf ich keine neue Kneipe in XY Straße eröffnen, weil versehentlich Besucher der alteingesessenen Kneipe in meiner Schenke landen könnten und sich anschließend beschweren, dass in jener bekannten Kneipe nur abgestandenes Bier serviert wird…?

Mehr Selbstverantwortung tut Not

Das ist doch irgendwie alles Blödsinn. Klar, zielt eine Tippfehlerdomain auf Fehler der Internetsurfer. Aber Letztere sollten auch genug Verstand haben, zu erkennen, dass sie vielleicht mal einen Blick in die Adressleiste werfen, bevor sie auf Enter drücken - und wenn sie schon statt bei der Kirche im Pornoshop landen, dann sollte ein jeder merken, dass er im falschen Laden gelandet ist. Und im echten Leben poltert man nicht gleich los, dass die Kirche zum Sündenpfuhl mutiert ist, wenngleich sich das beim Stichwort Missbrauch durchaus anbieten könnte, sondern man schaut noch einmal ganz genau, ob man denn wirklich richtig ist. Eine URL ein zweites Mal langsam und sorgfältig einzutippen, das sollte man jedem Surfer zumuten können. Oder will uns der Kläger zu verstehen geben, dass seine Besucher vorwiegend dämliche Surfer sind, die das nicht kapieren? Das würde dann auch wiederum zu denken geben…

Man kann sich im Leben nicht gegen alles und jeden versichern. Etwas Eigenintelligenz muss den Exemplaren unserer Spezies zuzumuten sein. Denn an das Geld anderer Leute wollen schließlich alle - weshalb es nicht so einfach ist. Wenn ich da eine Stunde lang durchs Fernsehprogramm zappe, kann ich mindestens 10 Seiten Halb- und Scheinwahrheiten zusammentragen. Gegen eine ehrliche und offene Werbeaussage stehen die genauso verlogen da, wie eine Tippfehlerdomain. Wenn der Surfer und alle Webseiten als "Marktteilnehmer" dagegen geschützt werden müssen, dann ganz sicher auch gegen die halbseidenen Werbeaussagen die tagtäglich auf uns eintrommeln. Halbseidene Rechtsanwälte gibt es vermutlich noch mehr - und Ärzte, die auf Vorsorgeuntersuchungen hinweisen, die nicht unbedingt nötig wären, sollten sich dann auch beim Kadi einfinden. Vermutlich käme dann nicht einmal der Papst ungeschoren davon, denn der sucht auch täglich neue Schäfchen - und den nachhaltigen Erfolg seiner "Geschäftsidee" kann er weder beweisen noch belastbare Erfolgsstatistiken vorweisen, denn wenn die Existenz von Himmel und Hölle bewiesen wären, wäre es Wissen und nicht Glauben - und dem Urteilskommentar folgend müsste jeder Kirchenvertreter vor dem Gottesdienst darauf hinweisen, dass es in der Kirche keine Kirschen gibt, also Weihwasser statt Kirschwasser. Der Unterschied ist ein falscher Buchstabe, ein Tippfehler im Navi - und schon landet man statt in der Kneipe in der Kirche. Und die Klientel beider Betriebe sollten eigentlich erkennen können, dass sie in der falschen Veranstaltung gelandet, sind, egal was auch immer das Navi in Auto oder Handy behauptet. Das gleiche sollte man auch von einem Internetnutzer erwarten können. Wer einen Wetterbericht ansteuert und eine Krankenversicherung angepriesen bekommt, der ist im falschen Laden. Und das sollte jeder Surfer bemerken und einfach nochmal neu die URL langsam und sorgfältig eintippen. Das wäre für mich der erste Gedanke; - aber ich muss einräumen: ich bin kein Jurist… ;-)

— 23. Januar 2014
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