Deutsche Tugenden

Antriebskraft oder Europas Spaßbremse? fragt Tom Borg

Traditionsgemäß halten wir Deutschen uns für fleißig und strebsam und die Mittelmeerländer für eher bequem und lebensfroh. Die werfen uns dann auch gerne vor, dass wir nicht verstehen zu leben, dass wir uns abrackern bis zum Herzinfarkt. Machen wir es uns damit nicht zu einfach?

Es lässt sich nicht leugnen, Deutschland wird derzeit in eine Art Führungsrolle gedrängt, die es so gar nicht haben möchte. Aber es bleibt wohl keine Wahl, denn selbst der französische Partner schwächelt. Deutschlands Wirtschaft hingegen strotzt vor Kraft, wächst solide und ist wieder so solide wie da einst die oft zitierte Härte der beliebten D-Mark.

Woran liegt das? Gesundheitsminister Daniel Bahr meint angesichts der Anfeindungen aus Zypern: "Deutschland ist deswegen so erfolgreich, weil wir wissen, dass man nur das Geld ausgeben kann, was vorher erwirtschaftet wurde." Zypern habe sich offenbar auf die Sicherheit des Euro verlassen wollen, "ohne selbst etwas dafür zu tun. Das kann nicht funktionieren." Da hat er zweifelsohne recht, das solide schwäbische Motto "schaffe, schaffe Häusle baue" galt hierzulande schon immer mehr als anderswo. Insbesondere die USA hielten das für total antiquiert und überflüssig und kurbelten die Wirtschaft mit extrem günstigen Krediten an. Nahezu jeder konnte Mitte der 1990er ein Eigenheim erwerben, auch wenn er es sich eigentlich gar nicht leisten konnte. Die billigen Hypotheken machten es möglich, auch ohne nennenswertes Eigenkapital eine Immobilie zu erwerben. Als die Kredite teurer wurden, platzte die sogenannte Immobilienblase und löste die erste Finanzkrise aus, die wie in einer Kettenreaktion andere Länder und Banken rund um den Globus mit in den Abgrund riss. Deutsche Banken kamen vergleichsweise gut davon, wenn auch nicht ohne Blessuren.

Inzwischen ist Deutschland wieder bestens aufgestellt und steht an der Spitze der Produktivität in Europa. Doch warum? Sind es wirklich die oft bemühten und ideologisch missbrauchten deutschen Tugenden? Immerhin, dass sollte in aller Sachlichkeit festgehalten werden, war Deutschlands Osten auch zu Zeiten des Kalten Krieges Antriebskraft und Motor der Wirtschaftkraft der Warschauer Pakt Staaten. Deutschland Ost wie West an der Spitze ihrer Verbündeten. Und brachte das Volk, das sich stolz das Volk der Dichter und Denker nennt, nicht mit Goethe, Schiller, Herder, Kant und Schopenhauer Geistesgrößen hervor, denen lediglich musikalische Größen wie Beethoven, Mozart und die Familien Bach und Wagner das Wasser reichen können? Eine ganze Generation von Wissenschaftler, darunter Einstein, von Braun und Heisenberg verließen Deutschland während des Nationalsozialismus und brachten ihr Wissen in den USA ein, die damit nicht nur ihre militärische Vormachtstellung ausbauten, sondern auch ihre wissenschaftliche, technische und wirtschaftliche Macht stärkten. Daran krankte es wiederum in Deutschland, wo sich Dichter und Politologen die Köpfe zerredeten und zwei Weltkriege anzettelten, während der große Bruder in Übersee systematisch Industrien auf- und ausbauten. Und das muss man ihnen lassen - die USA werden zwar oft belächelt und kritisiert, dass sie keine Kultur hätten. Aber Geschäftssinn haben sie - und einen Sinn dafür, Vorteile in wirtschaftliche und politische Macht umzumünzen und dabei auch noch als Vorbild ganzer Generationen dazustehen.

Krieg der Vorurteile

Deutschland tat und tut sich schwer damit, ein Vorbild zu sein. Aktuell ist mal wieder ein Tiefpunkt erreicht. Und damit sind nicht nur die Hitler-bärtigen Merkel-Plakate gemeint, sondern auch aus anderen Regionen schallt Kritik herüber. Frankreichs Präsident François Hollande beispielsweise beschreibt das Verhältnis seines Landes zu Deutschland als "freundschaftlich gespannt" und macht kein Geheimnis daraus, dass er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel selten einer Meinung ist. Speziell die Sparpolitik ist ein beständiges Reizthema. Und da ist sie wieder diese schaffe, schaffe Häusle bauen Mentalität der Deutschen, die aus Sanierung der Haushalte setzen, während der Rest der Welt lieber Geld mit vollen Händen ausgibt und darauf hofft, dass sich dadurch schon alles zum Rechten wendet.

Dafür haben wir Deutschen wiederum wenig Verständnis und drängend auf drastische Sparmaßnahmen, wo immer der Finanzminister auf europäischer Ebene um Hilfe angerufen wird. Diese Vorgaben werden inzwischen europaweit, vor allem von den Krisenländern, als unbarmherziges Spardiktat aufgefasst. Dabei sind es letztlich nur solide Kaufmannstraditionen, die da hochgehalten werden. Andere Länder fühlen sich dadurch jedoch gegängelt und bevormundet und meinen, eine zunehmende Attitüde in Berlin, andere EU-Partner belehren zu wollen, zu erkennen.

Daran kann durchaus etwas Wahres sein, denn traditionsgemäß halten wir Deutschen uns für fleißig und strebsam und die Mittelmeerländer für eher bequem und lebensfroh. Die werfen uns dann auch gerne vor, dass wir nicht verstehen zu leben, dass wir uns abrackern bis zum Herzinfarkt. Länder wie Frankreich sind stolz auf ihre Lebenskultur und meinen, das Leben besser zu genießen als deutsche Produktivitätsfanatiker. Doch genau darin liegt letztendlich der Grund für die Misere Zyperns und der anderen Mittelmeerländer: Der SPD-Politiker Joachim Poß bescheinigt den Zyprer Uneinsichtigkeit: "Ich habe selten so ignorante Politikerkollegen kennengelernt wie auf Zypern, wobei es keine Rolle spielt, ob es sich um Kommunisten oder Konservative handelt." Seine Gesprächspartner hätten nicht verstanden, dass statt der Steuerzahler der anderen Euro-Staaten auch die reichen Zyprer selbst einen Beitrag zur Rettung des Landes leisten müssten.

Sie haben es sich leicht gemacht, die Zyprer und auch die anderen Südländer, die uns immer wieder belächeln ob unserer Geschäftigkeit. Doch inzwischen ist den Griechen, Italiener und Spanier das Lachen vergangen - und dafür machen sie nun erneut Deutschland verantwortlich, weil wir nicht schnell genug Hilfsgelder freigeben und zu viele Bedingungen daran geknüpft haben. Man könnte es auch etwas verwegener formulieren: Die Spaßbremse Deutschland soll als europäischer Wirtschaftsmotor das Gaspedal durchtreten, aber bittschön nicht den anderen den Spaß am Leben verderben. Doch dieser Balanceakt wird nicht funktionieren - auf beiden Seiten nicht…. Die Griechen haben lautstark gegen Deutschland protestiert und dabei auch erstmals die aktuelle Regierung mit faschistischen Parolen traktiert, ein Verhalten, das sich nun auch in Zypern zeigt. Die Krisenländer wollen Geld und Hilfe, aber keine Belehrungen darüber, was sie besser machen könnten oder gar sollten. Auf der anderen Seite hat der deutsche Steuerzahler es so langsam auch satt, für alle den Zahlmeister zu spielen und noch mehr Überstunden zu leisten, um die notwendigen Steuern zu erarbeiten, die dann in das europäische Fass ohne Boden gepumpt werden und allenfalls in Form von Beschimpfungen der Empfänger wieder auftauchen.

Irgendwas passt da einfach nicht zusammen. Sind es wirklich die vielzitierten deutschen Tugenden, die Deutschland immer wieder vorwärts bringen? Und bleibt dabei tatsächlich der Spaß am Leben auf der Strecke? Also, zumindest letzteres könnten die Krisenländer ja leicht vermeiden, indem sie auf Hilfe samt Sparmaßnahmen aus Deutschland verzichten, und mit eigenem Spaß den Karren aus dem Dreck ziehen. Das müssen die Leute hierzulande auch - und es klappt meistens erstaunlich gut - zumindest wenn man keine andere Wahl hat…

— 30. März 2013
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