Weihnachten ohne Kirche

Was bleibt, wenn der Glaube fehlt?, fragt sich Tom Borg

Welche Bedeutung bleibt, wenn man Weihnachten seiner Weihnachtsgeschichte beraubt? Reduziert sich Advent zu einer reinen Kauf- und Partyorgie? Weihnachtsmärkte besuchen, Karussell fahren, Lebkuchen essen, Glühwein trinken, dann am Heiligen Abend Geschenke austauschen…

Glaubt man einer aktuellen Umfrage, werden 61 Prozent der Menschen in unserem Land nicht zu Weihnachten in die Kirche gehen. Lediglich etwa jeder Vierte plant einen Kirchenbesuch in diesem Jahr.

Eigentlich ist diese Zahl kein Grund zur Besorgnis, denn weder zum Glauben noch zum Gebet muss man eine Kirche aufsuchen. Doch was bleibt von Weihnachten übrig, wenn auch der Glaube verloren geht? Wenn der Gedanke an die Ankunft Christi aus unserem Bewusstsein verloren geht, welche Bedeutung hat dann noch Weihnachten für uns?

Seit Jahren verlieren die beiden großen Kirchen Deutschlands massiv Mitglieder. Mancherorts versammeln sich ein Dutzend Gläubige zum sonntäglichen Gottesdienst, ein kleines Grüppchen in den üblicherweise großen Kirchengebäuden. Dennoch war zumindest zu Weihnachten der Zustrom immer groß. Es galt bei vielen Familien als traditioneller Brauch, am Heiligen Abend in die Kirche zu gehen.

Bleiben viele Familien den Kirchen dieses Jahr fern, so bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass sie nicht mehr den Sinn des Weihnachtsfests kennen und pflegen. Doch die Zahl derjenigen, die mit Weihnachten unzertrennlich auch die religiösen, christlichen Ursprünge verbindet, schrumpft. Weihnachten funktioniert auch ohne Kirche.

Doch welche Bedeutung bleibt, wenn man Weihnachten seiner Weihnachtsgeschichte beraubt, wenn man sie einfach vergisst oder ausblendet? Reduziert sich die Adventszeit mit dem Höhepunkt Weihnachten dann zu einer reinen Kauf- und Partyorgie? Vier Wochen lang Weihnachtsmärkte besuchen, Karussell fahren, Lebkuchen essen, Glühwein trinken, dann am Heiligen Abend Geschenke austauschen - und das war's…?

Dann wäre Weihnachten nicht mehr Weihnachten sondern ein x-beliebiger Rummel!

Doch die Tendenz geht eindeutig in diese Richtung. Immer weniger Menschen brauchen zu Weihnachten Kirche oder das Christuskind. Lediglich das Christkind als Symbolfigur für das Schenken ist unersetzlich, oder war es zumindest bisher. Denn der aus der amerikanischen Kultur entliehene Weihnachtsmann macht auch unser traditionelles, liebgewonnenes Christkind überflüssig - und Weihnachten zum rein kommerziellen Partyevent.

Es geht auch ohne Gott?

Doch seien wir einmal ehrlich zu uns selbst: so richtig religiös ergreifend sind heutzutage für uns weder Weinachten noch Ostern. Das ist in anderen Ländern vollkommen anders. Beispielsweise auf den Philippinen, dem größten christlichen Land Asiens. Dort rühmt man sich der längsten Weihnachtssaison, die tatsächlich schon Ende September anfängt. Doch ein besinnliches Weihnachtsfest, wie wir es kennen, das kennt man dort wiederum nicht. Stattdessen wird laut gefeiert, denn die Ankunft Christi gilt als fröhliches Ereignis. Weihnachtsmusik schallt mit der Lautstärke eines Rockkonzerts durch die Straßen und über menschenvolle Plätze. Denn die Philippiner gehen tatsächlich noch regelmäßig in die Kirche. Und das in der Weihnachtszeit nicht nur täglich sondern auch schon frühmorgens zwischen 3 und 5 Uhr.

Eine "unchristliche " Zeit würden wir Europäer dies schimpfen, denn um die Zeit schlafen wir noch, ruhen uns aus für den anstrengenden Tag, der uns erwartet. Anstrengend ist der Tag für die Menschen auf den Philippinen ebenfalls. Doch sie setzen ihre Prioritäten anders. Gott ist wichtig für die Menschen, neben Familie das wichtigste Gut das sie haben. Sie vertrauen darauf, dass Gott ihnen hilft. So sehr, dass sie erst gar nicht versuchen, Ursachen von Problemen zu beseitigen, sondern in die Kirche gehen und beten, weil Gott schließlich weiß, was er sich dabei dachte, den Menschen Lasten aufzuerlegen.

So war es auch einmal in unserem Land. Als die Menschen weniger aufgeklärt waren und wissenschaftliche Zusammenhänge nicht kannten. Inzwischen wuchs die Bildung und der Glaube nahm allmählich ab. Doch müssen Bildung und Glaube wirklich ein Widerspruch sein? Gerade die wachsende Erkenntnis über die Wunder der Natur, die Komplexität der genetischen Informationen und vieles andere mehr, nähren erneut den Glauben an eine übergeordnete intelligente Macht. Doch eben keine, die sich in Form von Kirche auf der Erde vertreten lässt.

Schleichender Glaubensverlust

Mit wachsender Bildung und Fortschritt schrumpfte die Angst vor den Naturgewalten, obwohl sie uns in Form von Stürmen, Erdbeben und Fluten immer wieder eines Besseren belehren. Mit der Angst wich aber auch der Bedarf an den Glauben, dass es eine religiöse Instanz gibt, die man nur mit einem Gebet um Besserung bitten muss. Wir haben gelernt, unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, obwohl wir dabei immer wieder kläglich scheitern.

In einer Welt, in der wir glauben, alles wissenschaftlich erklären zu können, schrumpft der Bedarf an Religiosität. Wir brauchen keine von Gott gesandten Wunder, sondern Geld zum Kaufen der benötigten Wunder. Und wo das gar zu oft passiert, vermisst man weder Gott noch seinen Sohn. Die Ankunft Christi ist kein Grund mehr zur Begeisterung oder um gar in einen Gottesdienst zu gehen.

Die Kirche selbst verscheucht schließlich diejenigen, die es aus tiefreligiösen Gründen in die Kirche zieht, mit ihren Skandalen, Versäumnissen und Verfehlungen, die sich wenn schon nicht vermeiden so doch zumindest aufklären und strafen ließen. Das heißt, nein, die Kirche straft nicht, sie vergibt. Aber unsere Zeit sucht weniger Vergebung als vielmehr Strafen und harte Konsequenzen - für die jeweils anderen.

Sorgen um Arbeitsplatz und Zukunft, Ängste vor Flüchtlinge, Gewalt und Krieg lassen und nicht nach göttlichem Rat suchen, sondern erzeugenden Gewalt und Forderungen an die Regierenden, die anstelle Gottes Lösungen präsentieren sollen. Den Satz "Hilf dir selbst, so hilft dir Gott" nehmen wir nur allzu wörtlich. Denn wenn wir uns selbst helfen sollen und müssen, brauchen wir keinen Gott mehr anzubeten.

Damit schwindet auch das Vertrauen in die göttliche Macht und die Hoffnung auf die Erlösung, die Gottes Sohn bringen soll. Um ihn, Gottes Sohn, Jesus Christus, geht es aber im Advent. Weihnachten als das Fest der Liebe würde ohne den christlichen Gedanken seinen Sinn verlieren.

Somit ist eigentlich kein Weihnachten ohne den christlichen Glauben möglich. Auf die Kirche können wir notfalls noch verzichten, nicht jedoch auf die Weihnachtsgeschichte als Anlass für dieses Fest. Würde die Weihnachtsgeschichte in Vergessenheit geraten oder der Glaube daran versiegen, wären Advent und Weihnachten nichts anderes mehr als 4 Wochen Party mit 2 gesetzlichen Feiertagen als abschließender Höhepunkt.

— 20. Dezember 2015
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