Digitales Wissen

Werden wir das schwarze Loch der Menschheit? fragt Tom Borg

Informationen gibt es immer und überall. Aber keine Dokumentationen für die Ewigkeit. Wir erschaffen nichts für die Zukunft. Wenn unsere Brücken und Hochhäuser schon längst eingefallen sind, werden die Pyramiden der alten Ägypter noch immer in imposanter Grösse stehen und der Nachwelt weiterhin Rätsel aufgeben. Doch was hinterlassen wir der Nachwelt abgesehen vom dann immer noch strahlenden Atommüll?

Man muss nicht immer alles wissen. Manchmal genügt es auch zu wissen, wo etwas geschrieben steht. Dieser schlaue Satz ist oftmals leichter gesagt als getan. Im Laufe der Jahre sammeln sich viele Texte mit noch mehr Wissenswertem an, die man alle fein ordentlich gespeichert und abgelegt hat. Aber die Frage ist: wo?

Meistens liegen die gesuchten Texte auf irgendeiner CD oder DVD im Archiv. Schließlich braucht man das nicht immer und überall. Und überhaupt: was gestern der letzte Schrei war, ist heute Schnee von gestern. Aber nicht alles was alt ist, ist deswegen auch gleich total überflüssig. Sicher, manches wird im Laufe der Zeit unwichtig und ist schlichtweg überholt. Aber es sammelt sich über die Jahre auch so manche Perle an deren Informationsgehalt einfach zeitlos ist. Und manchmal möchte man auch nur etwas nachlesen. So habe ich beispielsweise Anfang der 90-ziger, wo gerade Windows Version 3.0 eingeführt wurde, als Herausgeber eines Ergänzungswerks zum Thema "Mehr Erfolg mit Windows" Informationen über die allerersten Versionen von Windows gesucht. Aber bereits damals war Microsoft nicht mehr in der Lage, Bildschirmfotos von Windows Version 1 bereitzustellen. Selbst ein so grosser Konzern wie Microsoft mit einer eigenen Presseabteilung war schon wenige Jahre nach der Einführung von Windows nicht mehr in der Lage, die eigenen Anfänge in Sachen Windows zu dokumentieren. In unserer schnelllebigen Zeit zählt eben nur das heute, die jeweils neueste Information. Der Text im Internet dessen Link gestern als Favorit gespeichert wurde, ist morgen vielleicht schon nicht mehr online oder wurde geändert. Somit sollte man sich wichtige Passagen vorsichtshalber kopieren und selbst speichern - womit wir wieder beim Suchen wären.

Aber selbst wenn man seine Texte zielsicher findet, heisst dies noch lange nicht, dass man sie auch lesen kann. Es heisst zwar: "Was du schwarz auf weiß in Händen hältst, kannst du getrost nach Hause tragen". Und dieser Satz gilt auch im elektronischen Zeitalter - oder gerade deswegen. Denn schließlich kann man die Geschichtstafeln des Hammurabi aus dem 17. Jahrhundert vor Christus noch heute lesen, während die Texte, die ich Anfang der 80-ziger Jahre auf dem PC geschrieben habe, heute ohne spezielle Kenntnisse der damals gebräuchlichen Dateiformate, nicht mehr lesbar sind. Meine Diplomarbeit, 1987 mit dem damals supermodernen Microsoft Word (DOS) geschrieben, konnte bereits Microsoft Word Version 6 (Windows) nicht mehr korrekt importieren. Word für DOS Texte sind schlichtweg nicht mehr vernüftig lesbar, denn die Umlaute lassen sich heute nicht mehr sauber konvertieren - weder mit Microsoft Word noch mit irgendeiner anderen Textverarbeitungs-Software. Und wir leben im Informationszeitalter?

Ja, richtig. Informationen gibt es immer und überall. Aber keine Dokumentationen für die Zukunft. Wir erschaffen nichts für die Zukunft. Wenn unsere Brücken und Hochhäuser schon längst eingefallen sind, werden die Pyramiden der alten Ägypter die immerhin schon zwei Weltkriege überlebten noch immer in imposanter Grösse stehen und der Nachwelt weiterhin Rätsel aufgeben. Dann aber wohl nicht mehr zur Frage wie sie gebaut wurden, sondern wohin die Kulturen verschwanden die nach ihren Erbauern kamen. Denn was hinterlassen wir der Nachwelt abgesehen vom dann immer noch strahlenden Atommüll? Millionen von Silberscheiben, die in 500 Jahren keiner mehr lesen kann! Wir leben zwar im Informationszeitalter, aber wenn einer unseren Rechnern den Strom abstellt, mutieren wir zum schwarzen Loch der Menschheit, denn wir schreiben unser Wissen auf ... mit Computern ... auf Festplatten ... CD/DVD. Hoffentlich kommt da keiner gegen die Reset-Taste und löscht versehentlich unseres gesammeltes Wissen...

— 17. August 2010
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