Sonntag, den 6. Dezember 1829

Heute nach Tisch las Goethe mir die erste Szene vom zweiten Akt des ›Faust‹. Der Eindruck war groß und verbreitete in meinem Innern ein hohes Glück. Wir sind wieder in Fausts Studierzimmer versetzt, und Mephistopheles findet noch alles am alten Platze, wie er es verlassen hat. Fausts alten Studierpelz nimmt er vom Haken; tausend Motten und Insekten flattern heraus, und indem Mephistopheles ausspricht, wo diese sich wieder untertun, tritt uns die umgebende Lokalität sehr deutlich vor die Augen. Er zieht den Pelz an, um, während Faust hinter einem Vorhange im paralysierten Zustande liegt, wieder einmal den Herrn zu spielen. Er zieht die Klingel; die Glocke gibt in den einsamen alten Klosterhallen einen so fürchterlichen Ton, daß die Türen aufspringen und die Mauern erbeben. Der Famulus stürzt herbei und findet in Fausts Stuhle den Mephistopheles sitzen, den er nicht kennt, aber vor dem er Respekt hat. Auf Befragen gibt er Nachricht von Wagner, der unterdes ein berühmter Mann geworden und auf die Rückkehr seines Herrn hofft. Er ist, wie wir hören, in diesem Augenblick in seinem Laboratorium tief beschäftigt einen Homunkulus hervorzubringen. Der Famulus wird entlassen, es erscheint der Bakkalaureus, derselbige, den wir vor einigen Jahren als schüchternen jungen Studenten gesehen, wo Mephistopheles, in Fausts Rocke, ihn zum besten hatte. Er ist unterdes ein Mann geworden und so voller Dünkel, daß selbst Mephistopheles nicht mit ihm auskommen kann, der mit seinem Stuhle immer weiter rückt und sich zuletzt ans Parterre wendet.

Goethe las die Szene bis zu Ende. Ich freute mich an der jugendlich produktiven Kraft, und wie alles so knapp beisammen war.

»Da die Konzeption so alt ist«, sagte Goethe, »und ich seit funfzig Jahren darüber nachdenke, so hat sich das innere Material so sehr gehäuft, daß jetzt das Ausscheiden und Ablehnen die schwere Operation ist. Die Erfindung des ganzen zweiten Teiles ist wirklich so alt, wie ich sage. Aber daß ich ihn erst jetzt schreibe, nachdem ich über die weltlichen Dinge so viel klarer geworden, mag der Sache zugute kommen. Es geht mir damit wie einem, der in seiner Jugend sehr viel kleines Silber- und Kupfergeld hat, das er während dem Lauf seines Lebens immer bedeutender einwechselt, so daß er zuletzt seinen Jugendbesitz in reinen Goldstücken vor sich sieht.«

Wir sprachen über die Figur des Bakkalaureus. »Ist in ihm«, sagte ich, »nicht eine gewisse Klasse ideeller Philosophen gemeint?«

»Nein,« sagte Goethe, »es ist die Anmaßlichkeit in ihm personifiziert, die besonders der Jugend eigen ist, wovon wir in den ersten Jahren nach unserm Befreiungskriege so auffallende Beweise hatten. Auch glaubt jeder in seiner Jugend, daß die Welt eigentlich erst mit ihm angefangen und daß alles eigentlich um seinetwillen da sei. Sodann hat es im Orient wirklich einen Mann gegeben, der jeden Morgen seine Leute um sich versammelte und sie nicht eher an die Arbeit gehen ließ, als bis er der Sonne geheißen aufzugehen. Aber hiebei war er so klug, diesen Befehl nicht eher auszusprechen, als bis die Sonne wirklich auf dem Punkt stand, von selber zu erscheinen.«

Wir sprachen noch vieles über den ›Faust‹ und dessen Komposition sowie über verwandte Dinge.

Goethe war eine Weile in stilles Nachdenken versunken; dann begann er folgendermaßen.

»Wenn man alt ist,« sagte er, »denkt man über die weltlichen Dinge anders, als da man jung war. So kann ich mich des Gedankens nicht erwehren, daß die Dämonen, um die Menschheit zu necken und zum besten zu haben, mitunter einzelne Figuren hinstellen, die so anlockend sind, daß jeder nach ihnen strebt, und so groß, daß niemand sie erreicht. So stellten sie den Raffael hin, bei dem Denken und Tun gleich vollkommen war; einzelne treffliche Nachkommen haben sich ihm genähert, aber erreicht hat ihn niemand. So stellten sie den Mozart hin als etwas Unerreichbares in der Musik. Und so in der Poesie Shakespeare. Ich weiß, was Sie mir gegen diesen sagen können, aber ich meine nur das Naturell, das große Angeborene der Natur. So steht Napoleon unerreichbar da. Daß die Russen sich gemäßigt haben und nicht nach Konstantinopel hineingegangen sind, ist zwar sehr groß, aber auch ein solcher Zug findet sich in Napoleon, denn auch er hat sich gemäßigt und ist nicht nach Rom gegangen.«

An dieses reiche Thema knüpfte sich viel Verwandtes; bei mir selbst aber dachte ich im stillen, daß auch mit Goethe die Dämonen so etwas möchten im Sinne haben, indem auch er eine Figur sei, zu anlockend, um ihm nicht nachzustreben, und zu groß, um ihn zu erreichen.

 


 

Mittwoch, den 16. Dezember 1829

Heute nach Tisch las Goethe mir die zweite Szene des zweiten Akts von ›Faust‹, wo Mephistopheles zu Wagner geht, der durch chemische Künste einen Menschen zu machen im Begriff ist. Das Werk gelingt, der Homunkulus erscheint in der Flasche als leuchtendes Wesen und ist sogleich tätig. Wagners Fragen über unbegreifliche Dinge lehnt er ab, das Räsonieren ist nicht seine Sache; er will handeln, und da ist ihm das Nächste unser Held Faust, der in seinem paralysierten Zustande einer höheren Hülfe bedarf. Als ein Wesen, dem die Gegenwart durchaus klar und durchsichtig ist, sieht der Homunkulus das Innere des schlafenden Faust, den ein schöner Traum von der Leda beglückt, wie sie, in anmutiger Gegend badend, von Schwänen besucht wird. Indem der Homunkulus diesen Traum ausspricht, erscheint vor unserer Seele das reizendste Bild. Mephistopheles sieht davon nichts, und der Homunkulus verspottet ihn wegen seiner nordischen Natur.

»Überhaupt«, sagte Goethe, »werden Sie bemerken, daß der Mephistopheles gegen den Homunkulus in Nachteil zu stehen kommt, der ihm an geistiger Klarheit gleicht und durch seine Tendenz zum Schönen und förderlich Tätigen so viel vor ihm voraus hat. Übrigens nennt er ihn Herr Vetter; denn solche geistige Wesen wie der Homunkulus, die durch eine vollkommene Menschwerdung noch nicht verdüstert und beschränkt worden, zählt man zu den Dämonen, wodurch denn unter beiden eine Art von Verwandtschaft existiert.«

»Gewiß«, sagte ich, »erscheint der Mephistopheles hier in einer untergeordneten Stellung; allein ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, daß er zur Entstehung des Homunkulus heimlich gewirkt hat, so wie wir ihn bisher kennen und wie er auch in der Helena immer als heimlich wirkendes Wesen erscheint. Und so hebt er sich denn im ganzen wieder und kann sich in seiner superioren Ruhe im einzelnen wohl etwas gefallen lassen.«

»Sie empfinden das Verhältnis sehr richtig,« sagte Goethe; »es ist so, und ich habe schon gedacht, ob ich nicht dem Mephistopheles, wie er zu Wagner geht und der Homunkulus im Werden ist, einige Verse in den Mund legen soll, wodurch seine Mitwirkung ausgesprochen und dem Leser deutlich würde.«

»Das könnte nichts schaden«, sagte ich. »Angedeutet jedoch ist es schon, indem Mephistopheles die Szene mit den Worten schließt:

Am Ende hängen wir doch ab
Von Kreaturen, die wir machten.«

»Sie haben recht,« sagte Goethe, »dies könnte dem Aufmerkenden fast genug sein; indes will ich doch noch auf einige Verse sinnen.«

»Aber«, sagte ich, »jenes Schlußwort ist ein großes, das man nicht so leicht ausdenken wird.«

»Ich dächte,« sagte Goethe, »man hätte eine Weile daran zu zehren. Ein Vater, der sechs Söhne hat, ist verloren, er mag sich stellen, wie er will. Auch Könige und Minister, die viele Personen zu großen Stellen gebracht haben, mögen aus ihrer Erfahrung sich etwas dabei denken können.«

Fausts Traum von der Leda trat mir wieder vor die Seele, und ich übersah dieses im Geist als einen höchst bedeutenden Zug in der Komposition.

»Es ist wunderbar,« sagte ich, »wie in einem solchen Werke die einzelnen Teile aufeinander sich beziehen, aufeinander wirken und einander ergänzen und heben. Durch diesen Traum von der Leda hier im zweiten Akt gewinnt später die Helena erst das eigentliche Fundament. Dort ist immer von Schwänen und einer Schwanerzeugten die Rede, aber hier erscheint diese Handlung selbst; und wenn man nun mit dem sinnlichen Eindruck solcher Situation später zur Helena kommt, wie wird dann alles deutlicher und vollständiger erscheinen!«

Goethe gab mir recht, und es schien ihm lieb, daß ich dieses bemerkte. »So auch«, sagte er, »werden Sie finden, daß schon immer in diesen früheren Akten das Klassische und Romantische anklingt und zur Sprache gebracht wird, damit es, wie auf einem steigenden Terrain, zur Helena hinaufgehe, wo beide Dichtungsformen entschieden hervortreten und eine Art von Ausgleichung finden.«

»Die Franzosen«, fuhr Goethe fort, »fangen nun auch an, über diese Verhältnisse richtig zu denken. ›Es ist alles gut und gleich,‹ sagen sie, ›Klassisches wie Romantisches, es kommt nur darauf an, daß man sich dieser Formen mit Verstand zu bedienen und darin vortrefflich zu sein vermöge. So kann man auch in beiden absurd sein, und dann taugt das eine so wenig wie das andere.‹ Ich dächte, das wäre vernünftig und ein gutes Wort, womit man sich eine Weile beruhigen könnte.«

 


 

Sonntag, den 20. Dezember 1829

Bei Goethe zu Tisch. Wir sprachen vom Kanzler, und ich fragte Goethe, ob er ihm bei seiner Zurückkunft aus Italien keine Nachricht von Manzoni mitgebracht. »Er hat mir über ihn geschrieben«, sagte Goethe. »Der Kanzler hat Manzoni besucht, er lebt auf seinem Landgute in der Nähe von Mailand und ist zu meinem Bedauern fortwährend kränklich.«

»Es ist eigen,« sagte ich, »daß man so häufig bei ausgezeichneten Talenten, besonders bei Poeten findet, daß sie eine schwächliche Konstitution haben.«

»Das Außerordentliche, was solche Menschen leisten,« sagte Goethe, »setzt eine sehr zarte Organisation voraus, damit sie seltener Empfindungen fähig sein und die Stimme der Himmlischen vernehmen mögen. Nun ist eine solche Organisation im Konflikt mit der Welt und den Elementen leicht gestört und verletzt, und wer nicht, wie Voltaire, mit großer Sensibilität eine außerordentliche Zäheit verbindet, ist leicht einer fortgesetzten Kränklichkeit unterworfen. Schiller war auch beständig krank. Als ich ihn zuerst kennen lernte, glaubte ich, er lebte keine vier Wochen. Aber auch er hatte eine gewisse Zäheit; er hielt sich noch die vielen Jahre und hätte sich bei gesünderer Lebensweise noch länger halten können.«

Wir sprachen vom Theater und inwiefern eine gewisse Vorstellung gelungen sei.

»Ich habe Unzelmann in dieser Rolle gesehen,« sagte Goethe, »bei dem es einem immer wohl wurde, und zwar durch die große Freiheit seines Geistes, die er uns mitteilte. Denn es ist mit der Schauspielkunst wie mit allen übrigen Künsten. Was der Künstler tut oder getan hat, setzt uns in die Stimmung, in der er selber war, da er es machte. Eine freie Stimmung des Künstlers macht uns frei, dagegen eine beklommene macht uns bänglich. Diese Freiheit im Künstler ist gewöhnlich dort, wo er ganz seiner Sache gewachsen ist, weshalb es uns denn bei niederländischen Gemälden so wohl wird, indem jene Künstler das nächste Leben darstellten, wovon sie vollkommen Herr waren. Sollen wir nun im Schauspieler diese Freiheit des Geistes empfinden, so muß er durch Studium, Phantasie und Naturell vollkommen Herr seiner Rolle sein, alle körperlichen Mittel müssen ihm zu Gebote stehen, und eine gewisse jugendliche Energie muß ihn unterstützen. Das Studium ist indessen nicht genügend ohne Einbildungskraft, und Studium und Einbildungskraft nicht hinreichend ohne Naturell. Die Frauen tun das meiste durch Einbildungskraft und Temperament, wodurch denn die Wolff so vortrefflich war.«

Wir unterhielten uns ferner über diesen Gegenstand, wobei die vorzüglichsten Schauspieler der weimarischen Bühne zur Sprache kamen und mancher einzelnen Rolle mit Anerkennung gedacht wurde.

Mir trat indes der ›Faust‹ wieder vor die Seele, und ich gedachte des Homunkulus, und wie man diese Figur auf der Bühne deutlich machen wolle. »Wenn man auch das Persönchen selber nicht sähe,« sagte ich, »doch das Leuchtende in der Flasche müßte man sehen, und das Bedeutende, was er zu sagen hat, müßte doch so vorgetragen werden, wie es von einem Kinde nicht geschehen kann.«

»Wagner«, sagte Goethe, »darf die Flasche nicht aus den Händen lassen, und die Stimme müßte so kommen, als wenn sie aus der Flasche käme. Es wäre eine Rolle für einen Bauchredner, wie ich deren gehört habe, und der sich gewiß gut aus der Affäre ziehen würde.«

So auch gedachten wir des großen Karnevals und inwiefern es möglich, es auf der Bühne zur Erscheinung zu bringen. »Es wäre doch noch ein wenig mehr«, sagte ich, »wie der Markt von Neapel.«

»Es würde ein sehr großes Theater erfordern,« sagte Goethe, »und es ist fast nicht denkbar.«

»Ich hoffe es noch zu erleben«, war meine Antwort. »Besonders freue ich mich auf den Elefanten, von der Klugheit gelenkt, die Viktoria oben, und Furcht und Hoffnung in Ketten an den Seiten. Es ist doch eine Allegorie, wie sie nicht leicht besser existieren möchte.«

»Es wäre auf der Bühne nicht der erste Elefant«, sagte Goethe. »In Paris spielt einer eine völlige Rolle; er ist von einer Volkspartei und nimmt dem einen König die Krone ab und setzt sie dem andern auf, welches freilich grandios sein muß. Sodann, wenn am Schlusse des Stücks der Elefant herausgerufen wird, erscheint er ganz alleine, macht seine Verbeugung und geht wieder zurück. Sie sehen also, daß bei unserm Karneval auf den Elefanten zu rechnen wäre. Aber das Ganze ist viel zu groß und erfordert einen Regisseur, wie es deren nicht leicht gibt.«

»Es ist aber so voller Glanz und Wirkung,« sagte ich, »daß eine Bühne es sich nicht leicht wird entgehen lassen. Und wie es sich aufbaut und immer bedeutender wird! Zuerst schöne Gärtnerinnen und Gärtner, die das Theater dekorieren und zugleich eine Masse bilden, so daß es den immer bedeutender werdenden Erscheinungen nicht an Umgebung und Zuschauern mangelt. Dann, nach dem Elefanten, das Drachengespann aus dem Hintergrunde durch die Lüfte kommend, über den Köpfen hervor. Ferner die Erscheinung des großen Pan, und wie zuletzt alles in scheinbarem Feuer steht und schließlich von herbeiziehenden feuchten Nebelwolken gedämpft und gelöscht wird! Wenn das alles so zur Erscheinung käme, wie Sie es gedacht haben, das Publikum müßte vor Erstaunen dasitzen und gestehen, daß es ihm an Geist und Sinnen fehle, den Reichtum solcher Erscheinungen würdig aufzunehmen.«

»Geht nur«, sagte Goethe, »und laßt mir das Publikum, von dem ich nichts hören mag. Die Hauptsache ist, daß es geschrieben steht; mag nun die Welt damit gebaren, so gut sie kann, und es benutzen, soweit sie es fähig ist.«

Wir sprachen darauf über den Knaben Lenker.

»Daß in der Maske des Plutus der Faust steckt, und in der Maske des Geizes der Mephistopheles, werden Sie gemerkt haben. Wer aber ist der Knabe Lenker?«

Ich zauderte und wußte nicht zu antworten. »Es ist der Euphorion!« sagte Goethe.

»Wie kann aber dieser«, fragte ich, »schon hier im Karneval erscheinen, da er doch erst im dritten Akt geboren wird?«

»Der Euphorion«, antwortete Goethe, »ist kein menschliches, sondern nur ein allegorisches Wesen. Es ist in ihm die Poesie personifiziert, die an keine Zeit, an keinen Ort und an keine Person gebunden ist. Derselbige Geist, dem es später beliebt, Euphorion zu sein, erscheint jetzt als Knabe Lenker, und er ist darin den Gespenstern ähnlich, die überall gegenwärtig sein und zu jeder Stunde hervortreten können.«

 


 

Sonntag, den 27. Dezember 1829

Heute nach Tisch las Goethe mir die Szene vom Papiergelde.

»Sie erinnern sich,« sagte er, »daß bei der Reichsversammlung das Ende vom Liede ist, daß es an Geld fehlt, welches Mephistopheles zu verschaffen verspricht. Dieser Gegenstand geht durch die Maskerade fort, wo Mephistopheles es anzustellen weiß, daß der Kaiser in der Maske des großen Pan ein Papier unterschreibt, welches, dadurch zu Geldeswert erhoben, tausendmal vervielfältigt und verbreitet wird.

In dieser Szene nun wird die Angelegenheit vor dem Kaiser zur Sprache gebracht, der noch nicht weiß, was er getan hat. Der Schatzmeister übergibt die Banknoten und macht das Verhältnis deutlich. Der Kaiser, anfänglich erzürnt, dann bei näherer Einsicht in den Gewinn hoch erfreut, macht mit der neuen Papiergabe seiner Umgebung reichliche Geschenke und läßt im Abgehen noch einige tausend Kronen fallen, die der dicke Narr zusammenrafft und sogleich geht, um das Papier in Grundbesitz zu verwandeln.«

Indem Goethe die herrliche Szene las, freute ich mich über den glücklichen Griff, daß er das Papiergeld von Mephistopheles herleitet und dadurch ein Hauptinteresse des Tages so bedeutend verknüpft und verewigt.

Kaum war die Szene gelesen und manches darüber hin und her gesprochen, als Goethes Sohn herunterkam und sich zu uns an den Tisch setzte. Er erzählte uns von Coopers letztem Roman, den er gelesen und den er in seiner anschaulichen Art auf das beste referierte. Von unserer gelesenen Szene verrieten wir nichts, aber er selbst fing sehr bald an, viel über preußische Tresorscheine zu reden, und daß man sie über den Wert bezahle. Während der junge Goethe so sprach, blickte ich den Vater an mit einigem Lächeln, welches er erwiderte und wodurch wir uns zu verstehen gaben, wie sehr das Dargestellte an der Zeit sei.

 


 

Mittwoch, den 30. Dezember 1829

Heute nach Tisch las Goethe mir die fernere Szene. »Nachdem sie nun am Kaiserlichen Hofe Geld haben,« sagte er, »wollen sie amüsiert sein. Der Kaiser wünscht Paris und Helena zu sehen, und zwar sollen sie durch Zauberkünste in Person erscheinen. Da aber Mephistopheles mit dem griechischen Altertum nichts zu tun und über solche Figuren keine Gewalt hat, so bleibt dieses Werk Fausten zugeschoben, dem es auch vollkommen gelingt. Was aber Faust unternehmen muß, um die Erscheinung möglich zu machen, ist noch nicht ganz vollendet, und ich lese es Ihnen das nächste Mal. Die Erscheinung von Paris und Helena selbst aber sollen Sie heute hören.«

Ich war glücklich im Vorgefühl des Kommenden, und Goethe fing an zu lesen. In dem alten Rittersaale sah ich Kaiser und Hof einziehen, um das Schauspiel zu sehen. Der Vorhang hebt sich, und das Theater, ein griechischer Tempel, ist mir vor Augen. Mephistopheles im Souffleurkasten, der Astrolog auf der einen Seite des Proszeniums, Faust auf der andern mit dem Dreifuß heraufsteigend. Er spricht die nötige Formel aus, und es erscheint, aus dem Weihrauchdampf der Schale sich entwickelnd, Paris. Indem der schöne Jüngling bei ätherischer Musik sich bewegt, wird er beschrieben. Er setzt sich, er lehnt sich, den Arm über den Kopf gebogen, wie wir ihn auf alten Bildwerken dargestellt finden. Er ist das Entzücken der Frauen, die die Reize seiner Jugendfülle aussprechen; er ist der Haß der Männer, in denen sich Neid und Eifersucht regt und die ihn herunterziehen, wie sie nur können. Paris entschläft, und es erscheint Helena. Sie naht sich dem Schlafenden, sie drückt einen Kuß auf seine Lippen; sie entfernt sich von ihm und wendet sich, nach ihm zurückzublicken. In dieser Wendung erscheint sie besonders reizend. Sie macht den Eindruck auf die Männer, wie Paris auf die Frauen. Die Männer zu Liebe und Lob entzündet, die Frauen zu Neid, Haß und Tadel. Faust selber ist ganz Entzücken und vergißt im Anblick der Schönheit, die er hervorgerufen, Zeit, Ort und Verhältnis, so daß Mephistopheles jeden Augenblick nötig findet, ihn zu erinnern daß er ja ganz aus der Rolle falle. Neigung und Einverständnis scheint zwischen Paris und Helena zuzunehmen, der Jüngling umfaßt sie, um sie zu entführen; Faust will sie ihm entreißen, aber indem er den Schlüssel gegen ihn wendet, erfolgt eine heftige Explosion, die Geister gehen in Dunst auf, und Faust liegt paralysiert am Boden.

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