Mittwoch, den 30. [Dienstag, den 29.] März 1825

Abends großer Tee bei Goethe, wo ich außer den hiesigen jungen Engländern auch einen jungen Amerikaner fand. Auch hatte ich die Freude, Gräfin Julie von Egloffstein zu sehen und mit ihr allerlei gute Unterhaltung zu führen.

 


 

Mittwoch, den 6. April 1825

Man hatte Goethes Rat befolgt und spielte heute abend zuerst im großen Saale des Stadthauses, und zwar gab man kleine Sachen und Bruchstücke, wie das beschränkte Lokal und der Mangel an Dekorationen es bedingte. Die kleine Oper ›Das Hausgesinde‹ gelang vollkommen so gut wie im Theater. Sodann ein beliebtes Quartett aus der Oper ›Graf von Gleichen‹ von Eberwein ward mit entschiedenem Beifall aufgenommen. Unser erster Tenor, Herr Moltke, sang darauf ein oft vernommenes Lied aus der ›Zauberflöte‹, worauf, nach einer Pause, das große Finale des ersten Aktes von ›Don Juan‹ mächtig eintrat und so dieses heutige erste Surrogat eines Abends im Theater grandios und würdig beschloß.

 


 

Sonntag, den 10. April 1825

Bei Goethe zu Tisch. »Ich habe Euch die gute Nachricht zu vermelden,« sagte er, »daß der Großherzog unsern Riß des neuen Theaters genehmigt hat und daß mit Legung des Grundes ungesäumt begonnen wird.«

Ich war über diese Eröffnung sehr froh.

»Wir hatten mit allerlei Gegenwirkungen zu kämpfen,« fuhr Goethe fort, »allein wir sind zuletzt glücklich durchgedrungen. Wir haben dabei sehr viel dem Geheimenrat Schweitzer zu verdanken, der, wie sich von ihm erwarten ließ, mit tüchtiger Gesinnung treu auf unserer Seite stand. Der Riß ist vom Großherzog eigenhändig unterschrieben und erleidet nunmehr keine weitere Änderung. Freuet Euch also, denn Ihr bekommt ein sehr gutes Theater.«

 


 

Donnerstag, den 14. April 1825

Abends bei Goethe. Da unsere Gespräche über Theater und Theaterleitung einmal an der Zeit waren, so fragte ich ihn, nach welchen Maximen er bei der Wahl eines neuen Mitgliedes verfahren.

»Ich könnte es kaum sagen«, erwiderte Goethe. »Ich verfuhr sehr verschieden. Ging dem neuen Schauspieler ein bedeutender Ruf voran, so ließ ich ihn spielen und sah, wie er sich zu den andern passe, ob seine Art und Weise unser Ensemble nicht störe, und ob durch ihn überhaupt bei uns eine Lücke ausgefüllt werde. War es aber ein junger Mensch, der zuvor noch keine Bühne betreten, so sah ich zunächst auf seine Persönlichkeit, ob ihm etwas für sich Einnehmendes, Anziehendes inwohne, und vor allen Dingen, ob er sich in der Gewalt habe. Denn ein Schauspieler, der keine Selbstbeherrschung besitzt und sich einem Fremden gegenüber nicht so zeigen kann, wie er es für sich am günstigsten hält, hat überhaupt wenig Talent. Sein ganzes Metier verlangt ja ein fortwährendes Verleugnen seiner selbst und ein fortwährendes Eingehen und Leben in einer fremden Maske! –

Wenn mir nun sein Äußeres und sein Benehmen gefiel, so ließ ich ihn lesen, um sowohl die Kraft und den Umfang seines Organs als auch die Fähigkeiten seiner Seele zu erfahren. Ich gab ihm etwas Erhabenes eines großen Dichters, um zu sehen, ob er das wirklich Große zu empfinden und auszudrücken fähig; dann etwas Leidenschaftliches, Wildes, um seine Kraft zu prüfen. Dann ging ich wohl zu etwas klar Verständigem, Geistreichen, Ironischen, Witzigen über, um zu sehen, wie er sich bei solchen Dingen benehme, und ob er hinlängliche Freiheit des Geistes besitze. Dann gab ich ihm etwas, worin der Schmerz eines verwundeten Herzens, das Leiden einer großen Seele dargestellt war, damit ich erführe, ob er auch den Ausdruck des Rührenden in seiner Gewalt habe.

Genügte er mir nun in allen diesen mannigfaltigen Richtungen, so hatte ich gegründete Hoffnung, aus ihm einen sehr bedeutenden Schauspieler zu machen. War er in einigen Richtungen entschieden besser als in andern, so merkte ich mir das Fach, für welches er sich vorzugsweise eigne. Auch kannte ich jetzt seine schwachen Seiten und suchte bei ihm vor allen dahin zu wirken, daß er diese stärke und ausbilde. Bemerkte ich Fehler des Dialekts und sogenannte Provinzialismen, so drang ich darauf, daß er sie ablege, und empfahl ihm zu geselligem Umgange und freundlicher Übung ein Mitglied der Bühne, das davon durchaus frei war. Dann fragte ich ihn, ob er tanzen und fechten könne, und wenn dieses nicht der Fall, so übergab ich ihn auf einige Zeit dem Tanz- und Fechtmeister.

War er nun so weit, um auftreten zu können, so gab ich ihm zunächst solche Rollen, die seiner Individualität gemäß waren, und ich verlangte vorläufig nichts weiter, als daß er sich selber spiele. Erschien er mir nun etwas zu feuriger Natur, so gab ich ihm phlegmatische, erschien er mir aber zu ruhig und langsam, so gab ich ihm feurige, rasche Charaktere, damit er lernte, sich selber abzulegen und in eine fremde Persönlichkeit einzugehen.«

Die Unterhaltung wendete sich auf die Besetzung von Stücken, wobei Goethe unter andern folgendes aussprach, welches mir merkwürdig erschien.

»Es ist ein großer Irrtum,« sagte er, »wenn man denkt, ein mittelmäßiges Stück auch mit mittelmäßigen Schauspielern besetzen zu können. Ein Stück zweiten, dritten Ranges kann durch Besetzung mit Kräften ersten Ranges unglaublich gehoben und wirklich zu etwas Gutem werden. Wenn ich aber ein Stück zweiten, dritten Ranges auch mit Schauspielern zweiten, dritten Ranges besetze, so wundere man sich nicht, wenn die Wirkung vollkommen null ist.

Schauspieler sekondärer Art sind ganz vortrefflich in großen Stücken. Sie wirken dann wie in einem Gemälde, wo die Figuren im Halbschatten ganz herrliche Dienste tun, um diejenigen, welche das volle Licht haben, noch mächtiger erscheinen zu lassen.«

 


 

Sonnabend, den 16. [Dienstag, den 12.] April 1825

Bei Goethe zu Tisch mit D'Alton, dessen Bekanntschaft ich vorigen Sommer in Bonn gemacht und welchen wiederzusehen ich große Freude hatte. D'Alton ist ganz ein Mann nach Goethes Sinne; auch findet zwischen beiden ein sehr schönes Verhältnis statt. In seiner Wissenschaft erscheint er von großer Bedeutung, so daß Goethe seine Äußerungen wert hält und jedes seiner Worte beachtet. Dabei ist D'Alton als Mensch liebenswürdig, geistreich und von einer Redegabe und einer Fülle hervorquellender Gedanken, daß er wohl wenige seinesgleichen hat und man nicht satt wird ihm zuzuhören.

Goethe, der in seinen Bestrebungen, die Natur zu ergründen, gern das All umfassen möchte, steht gleichwohl gegen jeden einzelnen Naturforscher von Bedeutung, der ein ganzes Leben einer speziellen Richtung widmet, im Nachteil. Bei diesem findet sich die Beherrschung eines Reiches unendlichen Details, während Goethe mehr in der Anschauung allgemeiner großer Gesetze lebt. Daher kommt nun, daß Goethe, der immer irgendeiner großen Synthese auf der Spur ist, dem aber, aus Mangel an Kenntnis der einzelnen Fakta, die Bestätigung seiner Ahndungen fehlt, mit so entschiedener Liebe jedes Verhältnis zu bedeutenden Naturforschern ergreift und festhält. Denn bei ihnen findet er, was ihm mangelt; bei ihnen findet er die Ergänzung dessen, was bei ihm selber lückenhaft geblieben. Er wird nun in wenigen Jahren achtzig Jahre alt, aber des Forschens und Erfahrens wird er nicht satt. In keiner seiner Richtungen ist er fertig und abgetan; er will immer weiter, immer weiter! immer lernen, immer lernen! und zeigt sich eben dadurch als ein Mensch von einer ewigen, ganz unverwüstlichen Jugend.

Diese Betrachtungen wurden bei mir diesen Mittag bei seiner lebhaften Unterhaltung mit D'Alton angeregt. D'Alton sprach über die Nagetiere und die Bildungen und Modifikationen ihrer Skelette, und Goethe konnte nicht satt werden, immer noch mehr einzelne Fakta zu vernehmen.

 


 

Mittwoch, den 27. April 1825

Gegen Abend zu Goethe, der mich zu einer Spazierfahrt in den untern Garten hatte einladen lassen. »Ehe wir fahren,« sagte er, »will ich Ihnen doch einen Brief von Zelter geben, den ich gestern erhalten und worin er auch unsere Theaterangelegenheit berührt.«

»Daß Du der Mann nicht bist,« schreibt Zelter unter andern, »dem Volk in Weimar ein Theater zu bauen, hätte ich Dir schon eher angesehen. Wer sich grün macht, den fressen die Ziegen. Das möchten nur auch andere Hoheiten bedenken, die den Wein in der Gohre pfropfen wollen. ›Freunde, wir habens erlebt‹, ja erleben es.«

Goethe sah mich an, und wir lachten. »Zelter ist brav und tüchtig,« sagte er, »aber er kommt mitunter in den Fall, mich nicht ganz zu verstehen und meinen Worten eine falsche Auslegung zu geben.

Ich habe dem Volk und dessen Bildung mein ganzes Leben gewidmet, warum sollte ich ihm nicht auch ein Theater bauen! Allein hier in Weimar, in dieser kleinen Residenz, die, wie man scherzhafterweise sagt, zehntausend Poeten und einige Einwohner hat, wie kann da viel von Volk die Rede sein – und nun gar von einem Volkstheater! Weimar wird ohne Zweifel einmal eine recht große Stadt werden, allein wir können immer noch einige Jahrhunderte warten, bis das weimarische Volk eine hinlängliche Masse bildet, um ein Theater füllen und ein Theater bauen und erhalten zu können.«

Es war indessen angespannt, und wir fuhren in den untern Garten. Der Abend war still und milde, fast etwas schwül, und es zeigten sich große Wolken, die sich gewitterhaft zu Massen zusammenzogen. Wir gingen in dem trockenen Sandwege auf und ab, Goethe still neben mir, scheinbar von allerlei Gedanken bewegt. Ich horchte indes auf die Töne der Amsel und Drossel, die auf den Spitzen der noch unbelaubten Eschen jenseit der Ilm dem sich bildenden Gewitter entgegensangen.

Goethe ließ seine Blicke umherschweifen, bald an den Wolken, bald über das Grün hin, das überall an den Seiten des Wegs und auf der Wiese wie an Büschen und Hecken mächtig hervorquoll. »Ein warmer Gewitterregen, wie der Abend es verspricht,« sagte er, »und der Frühling wird in der ganzen Pracht und Fülle abermals wieder da sein.«

Indessen ward das Gewölk drohender, man hörte ein dumpfes Donnern, auch einige Tropfen fielen, und Goethe fand es geraten, wieder in die Stadt zurückzufahren. »Wenn Sie nichts vorhaben,« sagte er, als wir an seiner Wohnung abstiegen, »so gehen Sie wohl mit hinauf und bleiben noch ein Stündchen bei mir.« Welches denn mit großer Freude von mir geschah.

Zelters Brief lag noch auf dem Tische. »Es ist wunderlich, gar wunderlich,« sagte Goethe, »wie leicht man zu der öffentlichen Meinung in eine falsche Stellung gerät! Ich wüßte nicht, daß ich je etwas gegen das Volk gesündigt, aber ich soll nun ein für allemal kein Freund des Volkes sein. Freilich bin ich kein Freund des revolutionären Pöbels, der auf Raub, Mord und Brand ausgeht und hinter dem falschen Schilde des öffentlichen Wohles nur die gemeinsten egoistischen Zwecke im Auge hat. Ich bin kein Freund solcher Leute, ebensowenig als ich ein Freund eines Ludwigs des Funfzehnten bin. Ich hasse jeden gewaltsamen Umsturz, weil dabei ebensoviel Gutes vernichtet als gewonnen wird. Ich hasse die, welche ihn ausführen, wie die, welche dazu Ursache geben. Aber bin ich darum kein Freund des Volkes? Denkt denn jeder rechtlich gesinnte Mann etwa anders?

Sie wissen, wie sehr ich mich über jede Verbesserung freue, welche die Zukunft uns etwa in Aussicht stellt. Aber, wie gesagt, jedes Gewaltsame, Sprunghafte ist mir in der Seele zuwider, denn es ist nicht naturgemäß.

Ich bin ein Freund der Pflanze, ich liebe die Rose als das Vollkommenste, was unsere deutsche Natur als Blume gewähren kann; aber ich bin nicht Tor genug, um zu verlangen, daß mein Garten sie mir schon jetzt, Ende April, gewähren soll. Ich bin zufrieden, wenn ich jetzt die ersten grünen Blätter finde, zufrieden, wenn ich sehe, wie ein Blatt nach dem andern den Stengel von Woche zu Woche weiter bildet; ich freue mich, wenn ich im Mai die Knospe sehe, und bin glücklich, wenn endlich der Juni mir die Rose selbst in aller Pracht und in allem Duft entgegenreicht. Kann aber jemand die Zeit nicht erwarten, der wende sich an die Treibhäuser.

Nun heißt es wieder, ich sei ein Fürstendiener, ich sei ein Fürstenknecht. Als ob damit etwas gesagt wäre! – Diene ich denn etwa einem Tyrannen? einem Despoten? – Diene ich denn etwa einem solchen, der auf Kosten des Volkes nur seinen eigenen Lüsten lebt? – Solche Fürsten und solche Zeiten liegen gottlob längst hinter uns. Ich bin dem Großherzog seit einem halben Jahrhundert auf das innigste verbunden und habe ein halbes Jahrhundert mit ihm gestrebt und gearbeitet; aber lügen müßte ich, wenn ich sagen wollte, ich wüßte einen einzigen Tag, wo der Großherzog nicht daran gedacht hätte, etwas zu tun und auszuführen, das dem Lande zum Wohl gereichte und das geeignet wäre, den Zustand des einzelnen zu verbessern. – Für sich persönlich, was hatte er denn von seinem Fürstenstande als Last und Mühe! – Ist seine Wohnung, seine Kleidung und seine Tafel etwa besser bestellt als die eines wohlhabenden Privatmannes? – Man gehe nur in unsere Seestädte und man wird Küche und Keller eines angesehenen Kaufmannes besser bestellt finden als die seinigen.

Wir werden«, fuhr Goethe fort, »diesen Herbst den Tag feiern, an welchem der Großherzog seit funfzig Jahren regiert und geherrscht hat. Allein, wenn ich es recht bedenke, dieses sein Herrschen, was war es weiter als ein beständiges Dienen? Was war es als ein Dienen in Erreichung großer Zwecke, ein Dienen zum Wohl seines Volkes! – Soll ich denn also mit Gewalt ein Fürstenknecht sein, so ist es wenigstens mein Trost, daß ich doch nur der Knecht eines solchen bin, der selber ein Knecht des allgemeinen Besten ist.«

 


 

Freitag, den 29. April 1825

Der Bau des neuen Theaters war diese Zeit her rasch vorgeschritten, die Grundmauern stiegen schon überall empor und ließen ein baldiges, sehr schönes Gebäude hoffen.

Heute aber, als ich den Bauplatz besuchte, sah ich zu meinem Schrecken daß die Arbeit eingestellt war; auch hörte ich gerüchtweise, daß eine andere Partei gegen Goethes und Coudrays Plan noch endlich obgesiegt habe, daß Coudray von der Leitung des Baues zurücktrete und daß ein anderer Architekt nach einem neuen Riß den Bau ausführen und den bereits gelegten Grund danach ändern würde.

Dieses zu sehen und zu hören, betrübte mich tief denn ich hatte mich mit vielen darauf gefreut, in Weimar ein Theater entstehen zu sehen, das nach Goethes praktischer Ansicht von einer zweckmäßigen innern Einrichtung ausgeführt und hinsichtlich der Schönheit seinem hochgebildeten Geschmack gemäß sein würde.

Aber auch wegen Goethe und Coudray betrübte es mich, die durch dieses weimarische Ereignis sich beide mehr oder weniger verletzt fühlen mußten.

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