Dienstag, den 21. Oktober 1823

Ich war diesen Abend bei Goethe. Wir sprachen über die ›Pandora‹. Ich fragte ihn, ob man diese Dichtung wohl als ein Ganzes ansehen könne, oder ob noch etwas weiteres davon existiere. Er sagte, es sei weiter nichts vorhanden, er habe es nicht weiter gemacht, und zwar deswegen nicht, weil der Zuschnitt des ersten Teiles so groß geworden, daß er später einen zweiten nicht habe durchführen können. Auch wäre das Geschriebene recht gut als ein Ganzes zu betrachten, weshalb er sich auch dabei beruhiget habe.

Ich sagte ihm, daß ich bei dieser schweren Dichtung erst nach und nach zum Verständnis durchgedrungen, nachdem ich sie so oft gelesen, daß ich sie nun fast auswendig wisse. Darüber lächelte Goethe. »Das glaube ich wohl,« sagte er, »es ist alles als wie ineinander gekeilt

Ich sagte ihm, daß ich wegen dieses Gedichts nicht ganz mit Schubarth zufrieden, der darin alles das vereinigt finden wolle, was im ›Werther‹, ›Wilhelm Meister‹, ›Faust‹ und ›Wahlverwandtschaften‹ einzeln ausgesprochen sei, wodurch doch die Sache sehr unfaßlich und schwer werde.

»Schubarth«, sagte Goethe, »geht oft ein wenig tief; doch ist er sehr tüchtig, es ist bei ihm alles prägnant.«

Wir sprachen über Uhland. »Wo ich große Wirkungen sehe,« sagte Goethe, »pflege ich auch große Ursachen vorauszusetzen, und bei der so sehr verbreiteten Popularität, die Uhland genießt, muß also wohl etwas Vorzügliches an ihm sein. Übrigens habe ich über seine ›Gedichte‹ kaum ein Urteil. Ich nahm den Band mit der besten Absicht zu Händen, allein ich stieß von vorne herein gleich auf so viele schwache und trübselige Gedichte, daß mir das Weiterlesen verleidet wurde. Ich griff dann nach seinen Balladen, wo ich denn freilich ein vorzügliches Talent gewahr wurde und recht gut sah, daß sein Ruhm einigen Grund hat.«

Ich fragte darauf Goethe um seine Meinung hinsichtlich der Verse zur deutschen Tragödie. »Man wird sich in Deutschland«, antwortete er, »schwerlich darüber vereinigen. Jeder macht's wie er eben will und wie es dem Gegenstande einigermaßen gemäß ist. Der sechsfüßige Jambus wäre freilich am würdigsten, allein er ist für uns Deutsche zu lang; wir sind wegen der mangelnden Beiwörter gewöhnlich schon mit fünf Füßen fertig. Die Engländer reichen wegen ihrer vielen einsilbigen Wörter noch weniger.«

Goethe zeigte mir darauf einige Kupferwerke und sprach dann über die altdeutsche Baukunst, und daß er mir manches der Art nach und nach vorlegen wolle.

»Man sieht in den Werken der altdeutschen Baukunst«, sagte er, »die Blüte eines außerordentlichen Zustandes. Wem eine solche Blüte unmittelbar entgegentritt, der kann nichts als anstaunen; wer aber in das geheime innere Leben der Pflanze hineinsieht, in das Regen der Kräfte und wie sich die Blüte nach und nach entwickelt, der sieht die Sache mit ganz anderen Augen, der weiß, was er sieht.

Ich will dafür sorgen, daß Sie im Lauf dieses Winters in diesem wichtigen Gegenstande einige Einsicht erlangen, damit, wenn Sie nächsten Sommer an den Rhein gehen, es Ihnen beim Straßburger Münster und Kölner Dom zugute komme.«

Ich freute mich dazu und fühlte mich ihm dankbar.

 


 

Sonnabend, den 25. Oktober 1823

In der Dämmerung war ich ein halbes Stündchen bei Goethe. Er saß auf einem hölzernen Lehnstuhl vor seinem Arbeitstische; ich fand ihn in einer wunderbar sanften Stimmung, wie einer, der von himmlischem Frieden ganz erfüllt ist, oder wie einer, der an ein süßes Glück denkt, das er genossen hat und das ihm wieder in aller Fülle vor der Seele schwebt. Stadelmann mußte mir einen Stuhl in seine Nähe setzen.

Wir sprachen sodann vom Theater, welches zu meinen Hauptinteressen dieses Winters gehört. Raupachs ›Erdennacht‹ war das letzte gewesen, was ich gesehen. Ich gab mein Urteil darüber: daß das Stück nicht zur Erscheinung gekommen, wie es im Geiste des Dichters gelegen, daß mehr die Idee vorherrschte als das Leben, daß es mehr lyrisch als dramatisch sei, daß dasjenige, was durch fünf Akte hindurchgesponnen und hindurchgezogen wird, weit besser in zweien oder dreien wäre zu geben gewesen. Goethe fügte hinzu, daß die Idee des Ganzen sich um Aristokratie und Demokratie drehe, und daß dieses kein allgemein menschliches Interesse habe.

Ich lobte dagegen, was ich von Kotzebue gesehen, nämlich seine ›Verwandtschaften‹ und die ›Versöhnung‹. Ich lobte daran den frischen Blick ins wirkliche Leben, den glücklichen Griff für die interessanten Seiten desselben, und die mitunter sehr kernige wahre Darstellung. Goethe stimmte mir bei. »Was zwanzig Jahre sich erhält«, sagte er, »und die Neigung des Volkes hat, das muß schon etwas sein. Wenn er in seinem Kreise blieb und nicht über sein Vermögen hinausging, so machte Kotzebue in der Regel etwas Gutes. Es ging ihm wie Chodowiecki; die bürgerlichen Szenen gelangen auch diesem vollkommen, wollte er aber römische oder griechische Helden zeichnen, so ward es nichts.«

Goethe nannte mir noch einige gute Stücke von Kotzebue, besonders ›Die beiden Klingsberge‹. »Es ist nicht zu leugnen,« fügte er hinzu, »er hat sich im Leben umgetan und die Augen offen gehabt.

Geist und irgend Poesie«, fuhr Goethe fort, »kann man den neueren tragischen Dichtern nicht absprechen; allein den meisten fehlt das Vermögen der leichten lebendigen Darstellung; sie streben nach etwas, das über ihre Kräfte hinausgeht, und ich möchte sie in dieser Hinsicht forderte Talente nennen.«

»Ich zweifle,« sagte ich, »daß solche Dichter ein Stück in Prosa schreiben können, und bin der Meinung, daß dies der wahre Probierstein ihres Talentes sein würde.« Goethe stimmte mir bei und fügte hinzu, daß die Verse den poetischen Sinn steigerten oder wohl gar hervorlockten.

Wir sprachen darauf dies und jenes über vorhabende Arbeiten. Es war die Rede von seiner ›Reise über Frankfurt und Stuttgart nach der Schweiz‹, die er in drei Heften liegen hat und die er mir zusenden will, damit ich die Einzelnheiten lese und Vorschläge tue, wie daraus ein Ganzes zu machen. »Sie werden sehen,« sagte er, »es ist alles nur so hingeschrieben, wie es der Augenblick gab; an einen Plan und eine künstlerische Rundung ist dabei gar nicht gedacht, es ist, als wenn man einen Eimer Wasser ausgießt.«

Ich freute mich dieses Gleichnisses, welches mir sehr geeignet erschien, um etwas durchaus Planloses zu bezeichnen.

 


 

Montag, den 27. Oktober 1823

Heute früh wurde ich bei Goethe auf diesen Abend zum Tee und Konzert eingeladen. Der Bediente zeigte mir die Liste der zu invitierenden Personen, woraus ich sah, daß die Gesellschaft sehr zahlreich und glänzend sein würde. Er sagte, es sei eine junge Polin angekommen, die etwas auf dem Flügel spielen werde. Ich nahm die Einladung mit Freuden an.

Nachher wurde der Theaterzettel gebracht: ›Die Schachmaschine‹ sollte gegeben werden. Das Stück war mir unbekannt, meine Wirtin aber ergoß sich darüber in ein solches Lob, daß ein großes Verlangen sich meiner bemächtigte, es zu sehen. Überdies befand ich mich den Tag über nicht zum besten, und es ward mir immer mehr, als passe ich besser in eine lustige Komödie als in eine so gute Gesellschaft.

Gegen Abend, eine Stunde vor dem Theater, ging ich zu Goethe. Es war im Hause schon alles lebendig; ich hörte im Vorbeigehen in dem größeren Zimmer den Flügel stimmen, als Vorbereitung zu der musikalischen Unterhaltung.

Ich traf Goethe in seinem Zimmer allein; er war bereits festlich angezogen, ich schien ihm gelegen. »Nun bleiben Sie gleich hier,« sagte er, »wir wollen uns so lange unterhalten, bis die übrigen auch kommen.« Ich dachte, da kommst du doch nicht los, da wirst du doch bleiben müssen; es ist dir zwar jetzt mit Goethen allein sehr angenehm, doch wenn erst die vielen fremden Herren und Damen erscheinen, da wirst du dich nicht in deinem Elemente fühlen.

Ich ging mit Goethe im Zimmer auf und ab. Es dauerte nicht lange, so war das Theater der Gegenstand unseres Gesprächs, und ich hatte Gelegenheit zu wiederholen, daß es mir die Quelle eines immer neuen Vergnügens sei, zumal da ich in früherer Zeit so gut wie gar nichts gesehen und jetzt fast alle Stücke auf mich eine ganz frische Wirkung ausübten. »Ja,« fügte ich hinzu, »es ist mit mir so arg, daß es mich heute sogar in Unruhe und Zwiespalt gebracht hat, obgleich mir bei Ihnen eine so bedeutende Abendunterhaltung bevorsteht.«

»Wissen Sie was?« sagte Goethe darauf, indem er stille stand und mich groß und freundlich ansah, »gehen Sie hin! Genieren Sie sich nicht! Ist Ihnen das heitere Stück diesen Abend vielleicht bequemer, Ihren Zuständen angemessener, so gehen Sie hin. Bei mir haben Sie Musik, das werden Sie noch öfter haben.« – »Ja,« sagte ich, »so will ich hingehen; es wird mir überdies vielleicht besser sein, daß ich lache.« – »Nun«, sagte Goethe, »so bleiben Sie bis gegen sechs Uhr bei mir, da können wir noch ein Wörtchen reden.«

Stadelmann brachte zwei Wachslichter, die er auf Goethes Arbeitstisch stellte. Goethe ersuchte mich, vor den Lichtern Platz zu nehmen, er wolle mir etwas zu lesen geben. Und was legte er mir vor? Sein neuestes, liebstes Gedicht, seine ›Elegie‹ von Marienbad.

Ich muß hier in bezug auf den Inhalt dieses Gedichts einiges nachholen. Gleich nach Goethes diesmaliger Zurückkunft aus genanntem Badeort verbreitete sich hier die Sage, er habe dort die Bekanntschaft einer an Körper und Geist gleich liebenswürdigen jungen Dame gemacht und zu ihr eine leidenschaftliche Neigung gefaßt. Wenn er in der Brunnenallee ihre Stimme gehört, habe er immer rasch seinen Hut genommen und sei zu ihr hinuntergeeilt. Er habe keine Stunde versäumt, bei ihr zu sein, er habe glückliche Tage gelebt; sodann, die Trennung sei ihm sehr schwer geworden und er habe in solchem leidenschaftlichen Zustande ein überaus schönes Gedicht gemacht, das er jedoch wie eine Art Heiligtum ansehe und geheimhalte.

Ich glaubte dieser Sage, weil sie nicht allein seiner körperlichen Rüstigkeit, sondern auch der produktiven Kraft seines Geistes und der gesunden Frische seines Herzens vollkommen entsprach. Nach dem Gedicht selbst hatte ich längst ein großes Verlangen getragen, doch mit Recht Anstand genommen, Goethe darum zu bitten. Ich hatte daher die Gunst des Augenblicks zu preisen, wodurch es mir nun vor Augen lag.

Er hatte die Verse eigenhändig mit lateinischen Lettern auf starkes Velinpapier geschrieben und mit einer seidenen Schnur in einer Decke von rotem Maroquin befestigt, und es trug also schon im Äußern, daß er dieses Manuskript vor allen seinen übrigen besonders wert halte.

Ich las den Inhalt mit hoher Freude und fand in jeder Zeile die Bestätigung der allgemeinen Sage. Doch deuteten gleich die ersten Verse darauf, daß die Bekanntschaft nicht dieses Mal erst gemacht, sondern erneuert worden. Das Gedicht wälzte sich stets um seine eigene Achse und schien immer dahin zurückzukehren, woher es ausgegangen. Der Schluß, wunderbar abgerissen, wirkte durchaus ungewohnt und tief ergreifend.

Als ich ausgelesen, trat Goethe wieder zu mir heran. »Gelt,« sagte er, »da habe ich Euch etwas Gutes gezeigt. In einigen Tagen sollen Sie mir darüber weissagen.« Es war mir sehr lieb, daß Goethe durch diese Worte ein augenblickliches Urteil meinerseits ablehnte, denn ohnehin war der Eindruck zu neu und zu schnell vorübergehend, als daß ich etwas Gehöriges darüber hätte sagen können.

Goethe versprach, bei ruhiger Stunde es mir abermals vorzulegen. Es war indes die Zeit des Theaters herangekommen, und ich schied unter herzlichen Händedrücken.

Die › Schachmaschine‹ mochte ein sehr gutes Stück sein und auch ebenso gut gespielt werden; allein ich war nicht dabei, meine Gedanken waren bei Goethe.

Nach dem Theater ging ich an seinem Hause vorüber; es glänzte alles von Lichtern, ich hörte, daß gespielt wurde, und bereute, daß ich nicht dort geblieben.

 

Am andern Tag erzählte man mir, daß die junge polnische Dame, Madame Szymanowska, der zu Ehren der festliche Abend veranstaltet worden, den Flügel ganz meisterhaft gespielt habe, zum Entzücken der ganzen Gesellschaft. Ich erfuhr auch, daß Goethe sie diesen Sommer in Marienbad kennen gelernt, und daß sie nun gekommen, ihn zu besuchen.

Mittaus kommunizierte mir Goethe ein kleines Manuskript: ›Studien‹ von Zauper, worin ich sehr treffende Bemerkungen fand. Ich sendete ihm dagegen einige Gedichte, die ich diesen Sommer in Jena gemacht und wovon ich ihm gesagt hatte.

 


 

Mittwoch, den 29. Oktober 1823

Diesen Abend zur Zeit des Lichtanzündens ging ich zu Goethe. Ich fand ihn sehr frischen aufgeweckten Geistes, seine Augen funkelten im Widerschein des Lichtes, sein ganzer Ausdruck war Heiterkeit, Kraft und Jugend.

Er fing sogleich von den Gedichten, die ich ihm gestern zugeschickt, zu reden an, indem er mit mir in seinem Zimmer auf und ab ging.

»Ich begreife jetzt,« begann er, »wie Sie in Jena gegen mich äußern konnten, Sie wollten ein Gedicht über die Jahreszeiten machen. Ich rate jetzt dazu; fangen Sie gleich mit dem Winter an. Sie scheinen für natürliche Gegenstände besondern Sinn und Blick zu haben.

Nur zwei Worte will ich Ihnen über die Gedichte sagen. Sie stehen jetzt auf dem Punkt, wo Sie notwendig zum eigentlich Hohen und Schweren der Kunst durchbrechen müssen, zur Auffassung des Individuellen. Sie müssen mit Gewalt, damit Sie aus der Idee herauskommen; Sie haben das Talent und sind so weit vorgeschritten, jetzt müssen Sie. Sie sind dieser Tage in Tiefurt gewesen, das möchte ich Ihnen zunächst zu einer solchen Aufgabe machen. Sie können vielleicht noch drei- bis viermal hingehen und Tiefurt betrachten, ehe Sie ihm die charakteristische Seite abgewinnen und alle Motive beisammen haben; doch scheuen Sie die Mühe nicht, studieren Sie alles wohl und stellen Sie es dar; der Gegenstand verdient es. Ich selbst hätte es längst gemacht; allein ich kann es nicht, ich habe jene bedeutenden Zustände selbst mit durchlebt, ich bin zu sehr darin befangen, so daß die Einzelnheiten sich mir in zu großer Fülle aufdrängen. Sie aber kommen als Fremder und lassen sich vom Kastellan das Vergangene erzählen und sehen nur das Gegenwärtige, Hervorstechende, Bedeutende.«

Ich versprach, mich daran zu versuchen, obgleich ich nicht leugnen könne, daß es eine Aufgabe sei, die mir sehr fern stehe und die ich für sehr schwierig halte.

»Ich weiß wohl,« sagte Goethe, »daß es schwer ist, aber die Auffassung und Darstellung des Besonderen ist auch das eigentliche Leben der Kunst.

Und dann: solange man sich im Allgemeinen hält, kann es uns jeder nachmachen; aber das Besondere macht uns niemand nach. Warum? Weil es die anderen nicht erlebt haben.

Auch braucht man nicht zu fürchten, daß das Besondere keinen Anklang finde. Jeder Charakter, so eigentümlich er sein möge, und jedes Darzustellende, vom Stein herauf bis zum Menschen, hat Allgemeinheit; denn alles wiederholt sich, und es gibt kein Ding in der Welt, das nur einmal da wäre.

Auf dieser Stufe der individuellen Darstellung«, fuhr Goethe fort, »beginnet dann zugleich dasjenige, was man Komposition nennet.«

Dieses war mir nicht sogleich klar, doch enthielt ich mich, danach zu fragen. Vielleicht, dachte ich, meint er damit die künstlerische Verschmelzung des Idealen mit dem Realen, die Vereinigung von dem, was außer uns befindlich, mit dem, was innerlich uns angeboren. Doch vielleicht meinte er auch etwas anderes. Goethe fuhr fort:

»Und dann setzen Sie unter jedes Gedicht immer das Datum, wann Sie es gemacht haben.« Ich sah ihn fragend an, warum das so wichtig. »Es gilt dann«, fügte er hinzu, »zugleich als Tagebuch Ihrer Zustände. Und das ist nichts Geringes. Ich habe es seit Jahren getan und sehe ein, was das heißen will.«

Es war indes die Zeit des Theaters herangekommen, und ich verließ Goethe. »Sie gehen nun nach Finnland!« rief er mir scherzend nach. Es ward nämlich gegeben: ›Johann von Finnland‹ von der Frau von Weißenthurn.

Es fehlte dem Stück nicht an wirksamen Situationen, doch war es mit Rührendem so überladen, und ich sah überall so viel Absicht, daß es im ganzen auf mich keinen guten Eindruck machte. Der letzte Akt indes gefiel mir sehr wohl und söhnte mich wieder aus.

Infolge dieses Stückes machte ich nachstehende Bemerkung. Von einem Dichter nur mittelmäßig gezeichnete Charaktere werden bei der Theaterdarstellung gewinnen, weil die Schauspieler, als lebendige Menschen, sie zu lebendigen Wesen machen und ihnen zu irgendeiner Art von Individualität verhelfen. Von einem großen Dichter meisterhaft gezeichnete Charaktere dagegen, die schon alle mit einer durchaus scharfen Individualität dastehen, müssen bei der Darstellung notwendig verlieren, weil die Schauspieler in der Regel nicht durchaus passen und die wenigsten ihre eigene Individualität so sehr verleugnen können. Findet sich beim Schauspieler nicht ganz das Gleiche, oder besitzt er nicht die Gabe einer gänzlichen Ablegung seiner eigenen Persönlichkeit, so entsteht ein Gemisch, und der Charakter verliert seine Reinheit. Daher kommt es denn, daß ein Stück eines wirklich großen Dichters immer nur in einzelnen Figuren so zur Erscheinung kommt, wie es die ursprüngliche Intention war.

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