Seinem Denkmal


Dritter Kuß.

Der blinde Herzog von Aremberg, der schöne, dessen Zügen die geheiligte Würde der Legitimität aufgeprägt war, wollte gegen meinen Willen mir diesen Kuß geben, ich aber war wie die schwankende Blume im Winde, die der Schmetterling vergeblich umtanzt. Laß Dir's erzählen und ausmalen mit diesen bunten Farben aus dem Muschelkasten des Kindes, mit denen ich damals noch meine Welt ausmalte und sie verstand, und Du wirst sie auch verstehen und Dich freuen, daß Du mit mir in den Spiegel siehst, in dem ich mich erkenne und den Genius, der mich zu Dir lenkt.

Er war schön, der Herzog! – Schön für das großgewölbte Kinderauge, das noch kein Menschenantlitz erblickt hatte, dessen Züge Geist ausströmten. Wenn er stundenlang bei der Großmutter saß und sich von ihr erzählen ließ, stand ich neben ihm und starrte ihn an: ich war in Betrachtung dieser reinen erhabenen Züge versunken, die dem gewöhnlichen Menschen nie geschenkt werden.

Die reine, starke Stirn, deren Mitte eine Feuerstelle hatte für den göttlichen Brand des Zorns, diese Nase, höher, kühner, trotzbietender als sein schauerliches Schicksal, diese feinen feuchten Lippen, die mehr als alles andre Befehl und Herrscherwürde aussprachen, die Luft tranken und ausseufzten die tiefste Melancholie, diese feinen Schläfen, sich an den Wangen niederschmiegend zum aufgeworfnen Kinn, wie der metallne Helm der Minerva! – Laß mich malen, Goethe, aus meinem kleinen Muschelkasten, es wird so schön! Sieh sie an, die grellen abstechenden Farben, die der philosophische Maler vermeidet, aber ich, das Kind, ich male so; und Du, der dem Kinde lächelt wie den Sternen, und in dessen Begeistrung Kindereinfalt sich mischt mit dem Seherblick des Weisen, freue Dich der grellen bunten Farben meiner Phantasie.

So war er, der schöne, blinde Herzog, so ist er noch jetzt in dem Zauberspiegel der Erinnerung, der alle Bilder meiner Kindheit gefesselt hält, der sie in Perlen reiht und Dir als Opfer zu Füßen legt; so war seine Gestalt oft niedergebeugt im Schmerz um die erblindete Jugend, dann stolz erstreckt, sich aufrichtend, heiter verächtlich ironisch lächelnd, wenn er die tiefversunknen Augensterne gegen das Licht wendete. Da stand ich und starrte ihn an, wie der Schäferknabe tief vergessen seiner Herde und seines Hundes, den an den einsamen Felsen geschmiedeten, von der abgewendeten Welt unbeklagten Prometheus anstarrt; da stand ich und saugte den reinen Tau, den die tragische Muse aus ihrer Urne sprengt, um den Staub der Gemeinheit zu dämpfen, indem ich in tiefer, bewußtloser Betrachtung über ihn versunken war. – Es war in seinem zwanzigsten Jahr, im tollen, glühenden Übermut der Jugend, im Gefühl seiner überwiegenden Schönheit und im geheimen Bewußtsein alles dessen, was dieser zu Gebot stand, daß er am Tag der Jagd über die gedeckte Tafel sprang, mit seinen Sporen das Tischzeug mit Service und Prachtaufsatz auf die Erde riß und am Boden zerschmetterte, um seinem liebsten Freund an den Hals zu springen, zu umarmen, mit ihm tausend Abenteuer zu besprechen. Sie teilten sich auf der Jagd, und der erste Schuß, den der Freund tat, war in beide Augensterne des Herzogs.

Ich habe den Herzog nie bedauert, ich bin nie zum Bewußtsein über sein Unglück gekommen; so wie ich ihn sah, erschien er mir ganz zu sich und seinem Schicksal sich verhaltend, ohne Mangel; wenn ich andre hörte sagen: »Wie schade, wie traurig, daß der Herzog blind ist!« so fühlte ich's nicht mit, im Gegenteil dachte ich: »Wie schade, daß ihr nicht alle blind seid, um die Gemeinheit eurer Züge nicht mit diesen vergleichen zu dürfen!« Ja, Goethe! Schönheit ist ja das sehende Aug' Gottes, Gottes Auge, auf welchem Gegenstand es mit Wohlgefallen ruht, erzieht die Schönheit, und ob der Herzog auch nicht gesehen habe – er war dem göttlichen Licht vermählt durch die Schönheit, und dies war allemal nicht das bitterste Schicksal.

Wenn ich so neben ihm stand und in Gedanken versunken mit ihm seufzte, da fragte er: »Qui est la? – Bettine! Amie viens que je touche tes traits, pour les apprendre par cœur!« Und so nahm er mich auf den Schoß und fuhr mit dem Zeigefinger über meine Stirn, Nase und Lippen und sagte mir Schönes über meine Züge, über das Feuer meiner Augen, als ob er sie sehen könne. Einmal fuhr ich mit ihm von Frankfurt nach Offenbach zur Großmutter, ich saß neben ihm, er fragte, ob wir noch in der Stadt seien, ob Häuser das seien und Menschen? Ich verneinte es, wir waren auf dem Land, da verwandelte sich plötzlich sein Gesicht, er griff nach mir, er wollte mich ans Herz ziehen, ich erschrak; schnell wie der Blitz hatte ich mich den Schlingen seiner Arme entzogen und duckte nieder in der Ecke des Wagens; er suchte mich, ich lachte heimlich, daß er mich nicht fand, da sagte er: »Ton cœur est-il si méchant pour mépriser, pour se jouer d'un pauvre aveugle?« Da fürchtete ich mich der Sünde meines Mutwillens, ich setzte mich wieder an seine Seite und ließ ihn gewähren, mich an sich ziehen, mich heftig an sein Herz drücken, nur mit dem Gesicht beugte ich aus und gab ihm die Wange, wenn er nach dem Mund suchte. Er fragte, ob ich einen Beichtvater habe? – Ob ich diesem erzählen werde, daß er mich geküßt habe? Ich sagte naiv schalkhaft: wenn er glaube, daß dies dem Beichtvater Vergnügen machen werde, so wolle ich's ihm erzählen. »Non, mon amie, cela ne lui plaira pas, il n'en faut rien dire, cela ne lui plaira absolument pas, n'en dites rien à personne.« In Offenbach erzählte ich's der Großmutter, die sah mich an und sagte: »Mein Kind! Ein blinder Mann, ein armer Mann!« – Im Nachhausefahren fragte er, ob ich der Großmutter gesagt habe, daß er mich geküßt habe; ich sagte »ja.« »Nun, war die Großmutter bös?« – »Nein«; »Et bien? Est ce quelle n'a rien dit?« – »Oui!« – »Et quoi?« – »Ein blinder Mann, ein armer Mann!« »O oui!« rief er, »elle a bien raison! Ein blinder Mann, ein armer Mann!« und so rief er einmal ums andre: »Ein blinder Mann, ein armer Mann!« bis er endlich in einen lauten Schrei der Klage ausbrach, der mir wie ein Schwert durchs Herz drang, aber meine Augen blieben trocken, während seinen erstorbenen Tränen entfielen. Dem Herzog ist seitdem ein feierliches Monument in meinem Herzen errichtet.

Wir hatten einen schönen Garten am Haus, Ebenmaß und Reinlichkeit war seine Hauptzierde, an beiden Seiten liefen Spaliere hin mit ausländischen Fruchtbäumen, im mitten Gang standen diese Bäume so edel, so hoch, so frei von jedem Fehl, sie hingen ihre schlanken Äste schwertragend im Herbst an den Boden, es war so still in diesem Garten wie in einem Tempel, im Eingang waren auf beiden Seiten zwei gleichmäßige Teiche, in deren Mitte Blumeninseln waren, hohe Pappeln begrenzten ihn und vermittelten die Nachbarschaft zu den Bäumen in den angrenzenden Gärten. Denke doch, wie es mir da erging, wie da alles so einfach war, und wie ich Deiner bewußt ward.

Warum wühlt's mir im Herzen, wenn ich mich dran erinnere, daß die Blütenkätzchen von den Pappeln und diese braunen klebrigen Schalen von den Knospen mich beregneten, wie ich da so still in der Mittagsstunde saß und dem Streben der jungen Weinranken nachspürte, wie die Sonnenstrahlen mich umwebten, die Bienen mich umsummten, die Käfer hin und her schwirrten, die Spinne ihr Netz ins Gitter der Laube hing? – In solcher Stunde bin ich Deiner zum erstenmal innegeworden. – Da lauschte ich, da hörte ich in der Ferne den Lärm der Welt, da dachte ich: du bist außer dieser Welt, aber mit wem bist du? – Wer ist bei dir? – Da besann ich mich auf nah und fern, da war nichts, was mir angehörte. Da konnte ich nichts erfassen, mir nichts denken, was mein sein könne. Da trat zufällig, oder war's in den Wolken geschrieben, Deine Gestalt hervor; ich hatte von Dir nichts weiter gehört als Tadel, man hatte in meiner Gegenwart gesagt: Goethe ist nicht mehr so wie sonst, er ist stolz und hochmütig, er kennt die alten Freunde nicht mehr, seine Schönheit hat gewaltig abgenommen, und er sieht nicht mehr so edel aus wie sonst; noch manches wurde von der Tante und Großmutter über Dich gesprochen, was zu Deinem Nachteil war. Ich hatte es nur im Vergessen angehört; denn ich wußte nicht, wer Du seist. Jetzt in dieser Einsamkeit und abgeschloßnen Stille unter den Bäumen, die eben blühen wollten, da kamen diese Reden mir wieder ins Gedächtnis, da sah ich im Geist, wie die Menschen, die über Dich urteilen wollten, unrecht hatten, ich sagte zu mir selbst: Nein! Er ist nicht unschön, er ist ganz edel, er ist nicht übermütig gegen mich. Trotzig ist er nur gegen die Welt, die da draußen lärmt, aber mir, die freundlich von ihm denkt, ist er gewogen, und zugleich fühlte ich, als ob Du mir gut seist, und ich dachte mich von Deinem Arm umfaßt und getrennt durch Dich von der ganzen Welt, und im Herzen spürte ich Dir nach und führte freundliche Gespräche in Gedanken mit Dir, da kam nachher meine Eifersucht, wenn man von Dir sprach oder Deinen Namen sagte, es war, als habe man Dich aus meiner Brust gerufen. Vergesse nicht, Goethe, wie ich Dich lieben lernte, daß ich nichts von Dir wußte, als daß man Dich in meiner Gegenwart böslich erwähnt hatte; die Tante sprach von Deiner Freigeisterei, und daß Du nicht an den Teufel glaubst, ich glaubte auf der Stelle auch nicht an den Teufel und war ganz Dein und liebte Dich, ohne zu wissen, daß Du der Dichter seist, von dem die Welt so Großes spreche und erwarte, das kam alles später; damals wußt' ich nur, daß die Leute Dich tadelten, und mein Herz sagte: Nein, er ist größer und schöner als alle, und da liebte ich Dich mit heißer Liebe bis auf heut' und trotzte der ganzen Welt bis auf heut', und wer über Dich sprach, von dem wendete ich mich ab, ich konnte es nicht anhören. Wie ich aber endlich Deine Herrlichkeit fassen sollte, da dehnten mir große Schmerzen die Brust aus, ich legte in Tränen mein Angesicht auf das erste Buch was ich von Dir in Händen bekam, es war der »Meister«, mein Bruder Clemens hatte es mir gebracht. Wie ich allein war, da schlug ich das Buch auf, da las ich Deinen Namen gedruckt, den sah ich an als wie Dich selber. Dort auf der Rasenbank, wo ich wenig Tage vorher zum erstenmal Deiner gedacht und Dich im Herzen in Schutz nahm, da strömte mir eine von Dir geschaffne Welt entgegen, bald fand ich die Mignon, wie sie mit dem Freund redet, wie er sich ihrer annimmt, da fühlte ich Deine Gegenwart, ich legte die Hand auf das Buch, und es war mir in Gedanken, als stehe ich vor Dir und berühre Deine Hand, es war immer so still und feierlich, wenn ich allein mit dem Buch war, und nun gingen die Tage vorüber, und ich blieb Dir treu, ich hab' an nichts anders mehr gedacht, womit ich mir die Zeit ausfüllen solle. Deine Lieder waren die ersten, die ich kennen lernte, o wie reichlich hast Du mich beschenkt für diese Neigung zu Dir, wie war ich erstaunt und ergriffen von der Schönheit des Klangs, und der Inhalt, den ich damals nicht gleich fassen konnte, wie ich den allmählich verstehen lernte, was hat dies alles in mir angeregt, was hab' ich erfahren und genossen und welche Geschicke hab' ich erlebt, wie oft hat Eifersucht gegen diese Lieder mich erregt, und in manchen, da fühlte ich mich besungen und beglückt. – Ja, warum sollte ich mich nicht glücklich träumen? – Welche höhere Wirklichkeit gibt es denn als den Traum? – Du wirst nie im Schoß des ersehnten Glückes finden, was Du von ihm geträumt hattest. – Jahre gehen dahin, daß einer dem andern sich nahe wähnt, und doch wird sich nie die eigentümliche Natur ans Licht wagen, der erste Augenblick freier unbedingter Bewegung trennt Freundschaft und Liebe. Die ewige unversiegbare Quelle der Liebe ist ja eben, daß sie Geheimnisse in ihren klaren Wellen führt. Das Unendliche, der Sehnsucht Begehrliche des Geistes ist aber, daß er ewige Rätsel darlege. Drum mein Freund, träume ich, und keine Lehren der Weisheit gehen so tief in mich ein und begeistern mich zu immer neuen Anschauungen wie diese Träume; denn sie sind nicht gebaut auf Mißverständnisse, sondern auf das heilige Bedürfnis der Liebe. – Mein erstes Lesen Deiner Bücher! Ich verstand sie nicht, aber der Klang, der Rhythmus, die Wahl der Worte, denen Du Deinen Geist vertrautest, die rissen mich hin, ohne daß ich den Inhalt begriff, ja, ich möchte sagen, daß ich viel zu tief mit Dir beschäftigt war, als daß die Geschichte Deiner Dichtungen sich hätte zwischen uns drängen können; ach, es hatte mir niemand von Dir gesagt, er ist der größte, der einzige Mensch unter allen, ich mußte es alles selbst erfahren, wie ich Deine Bücher allmählich verstehen lernte, wie oft fühlte ich mich beschämt durch diese machtausübenden Begeistrungen, da stand ich und redete im Spiegel mit mir: »Er weiß von dir nichts, in dieser Stunde läuten ihm andere Glocken, die ihn da- und dorthin rufen, er ist heiter, der Gegenwärtige ist ihm der Liebste, armes Kind! Dich nennt sein Herz nicht«, da flossen meine Tränen, da hab' ich mich getröstet und hatte Ehrfurcht vor dieser Liebe als vor etwas ganz Erhabnem. Ja, es ist wahr, es ist ein höherer Mensch innewohnend, dem sollen wir immer nachgehen, seinem Willen Folge leistend, und keinem andern sollen wir Altäre bauen und Opfer bringen, nichts soll außer ihm geschehen, wir sollen von keinem Glück wissen als nur in ihm.

So hab' ich Dich geliebt, indem ich dieser inneren Stimme willfahrte, blind war ich und taub für alles, kein Frühlingsfest und kein Winterfest feierte ich mit, auf Deine Bücher, die ich immer lesen wollte, legte ich den Kopf und schloß mit meinen Armen einen Kreis um sie, und so schlief ich einen süßen Schlaf, während die Geschwister in schönen Kleidern die Bälle besuchten, und ich sehnte mich, immer früher zum Schlafen zu kommen, bloß um da zu sein, wo ich Dir näher war. So ging die Zeit zwischen sechzehn und achtzehn Jahren hin, dann kam ich zu Deiner Mutter, mit der ich von Dir sprach, als ob Du mitten unter uns seist, dann kam ich zu Dir und seitdem weißt Du ja, daß ich nie aufgehört habe, mit Dir innerhalb dieses Kreises zu wohnen, den ein mächtiger Zauber um uns zieht. Und Du weißt von da an alles, was in meinem Herzen und Geist vorgeht, drum kann ich Dir nichts andres mehr sagen, als zieh mich an Dein Herz und bewahr' mich an demselben Dein Leben lang.

Gute Nacht, morgen reise ich in die Wetterau.

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Reise in die Wetterau.

Wie es hier aussieht, das muß ich Dir beschreiben. Eine weite Ebne, lauter Korn, von allen Seiten, als wär' die Erde ein runder Teller, aber doch mit einem Rand; denn sanft schwillt die Fläche in die Runde bergan, abwechselnd umkränzt von Wald und Berggipfeln. Da stehe ich in der Mitte im wogenden Korn! Hätte ich Pfeil und Bogen und schösse nach allen Richtungen vom Mittelpunkt aus, so würde mein Pfeil einer alten Burg zufliegen, ich lauf' nach allen Seiten, und wo eine auftaucht, da wandre ich hin; da hab' ich manchen Graben zu überspringen, manch Wasser zu durchwaten, Wälder zu durchkreuzen, steile Klippen zu erklettern; wären's Abgründe, reißende Ströme, Wüsteneien und schwindelhohe Felswände, so wär' ich der kühnste Abenteurer. An jeder alten Ruine ein kleines Schwalbennest von Menschenwohnung angemörtelt, wo wunderliche steinalte Leute wohnen, abgelöst von den meisten Beziehungen mit ihresgleichen, und doch mit einem herzrührenden wolkendurchblitzten Blick versehen. Gestern gingen wir wohl eine gute Stunde durch schön geordnete Traubengänge, bis wir an die steile Höhe kamen, wo die Festungsmauern beginnen und das Hinansteigen nur durch Geübtheit oder Kunstsprünge erleichtert wird. Da oben haben sich ein paar mitleidige Birnbäume erhalten und Eichen mit großem, breitem Laubdach und eine Linde im schwimmenden, heißen Dampf ihrer Blüte. Mitten in dieser ehrwürdigen Gesellschaft, den Zeugen früherer Tage, lag auf spärlichem Rasen ein alter Mann mit silbernem Haar und schlief. Das unreife Obst, was von den Bäumen gefallen war, lag gesammelt an seiner Seite, seinen Händen war wahrscheinlich das danebenliegende, sehr zerlesene offene Gesangbuch entfallen, auf das ein schwarzer Hund mit glühenden Augen die Schnauze gelegt hatte; er machte Miene zu bellen, allein um seinen Herrn nicht zu wecken, hielt er an sich, wir auch gingen in weiterem Kreise um das kleine Revier, um dem Hund zu zeigen, daß wir keine böse Absicht hatten. Aus dem Speisekorb nahm ich ein weißes Brot und Wein, ich wagte mich, so nah mir der Hund erlaubte, und legte es hin, dann ging ich nach der andern Seite und übersah mir das Tal; es war geziert mit Silberbändern, die ins Kreuz die grünen Matten einschnürten, der schwarze Wald umarmte es, die fernen Bergkuppen umwachten es, die Herden wandelten über die Wiesen, die Wolkenherde zog der Sonne nach, von ihrem Glanz durchschimmert, und ließ die blasse Mondessichel allein stehen, dort über dem schwarzen Tannenhorst; so umwandelte ich rund meine Burg und sah hinab und hinauf, überall wunderliche Bilder, hörte schwermütige Töne und fühlte leises, schauerliches Atmen der Natur, sie seufzte, sie umschmeichelte mich wehmütig, als wolle sie sagen: »Weine mit mir!« – Ach, was steht in meiner Macht? – Was kann ich ihr geben!

Da ich zurückkehrte, sah ich im Vorübergehen den Alten unter dem Baum mit dem Hund, der aufrecht vor ihm saß und ihm in den Mund sah, das weiße Brot verzehren, was ich bei ihm gelegt hatte.

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Gegenüber liegt eine andre Burg, da wohnt als Gegenstück eine alte Frau, umgeben von drei blonden Enkel-Engelsköpfchen, wovon das älteste drei Jahr' und das jüngste sechs Monate ist. Sie ist nah an siebenzig Jahre und geht an Krücken; im vorigen Jahr war sie noch rüstig, erzählte sie, und hatte vom Schulmeister den Dienst, die Glocken zu läuten, weil die Kirche höher lag wie das Dorf und näher an der alten Burgruine; ihr Sohn war Zimmermann, er ging in der kalten Weihnachtszeit in den Wald, um Holz zu fällen und zum Bau zu behauen, er kam nicht wieder, – er war erfroren im Wald. Da man ihr die Nachricht brachte, ging sie hinab in den Wald, um ihn noch einmal zu sehen, und da fiel sie zusammen und erlahmte, man mußte sie wieder die steilste Anhöhe hinauftragen, von der sie nun nicht wieder herabkommt. »Ich sehe alle Abend' die Sterne, die auf mein Grab scheinen werden, und das freut mich«, sagte sie, »ich habe Friede geschlossen mit allen Menschen und mit allem Schicksal, der Wind mag brausend daherfahren, wie in der Bibel stehet, und den alten Eichen den Hals umdrehen, oder die Sonne mag meine alten Glieder erwärmen – ich nehme alles dahin. Friede mit allen Dingen macht den Geist mächtig – der wahre Friede hat Flügel und trägt den Menschen noch bei Leibes Leben hoch über die Erde dem Himmel zu, denn er ist ein himmlischer Bote und zeigt den kürzesten Weg; er sagt, wir sollen uns nirgendwo aufhalten; denn das ist Unfriede; der grade Weg zum Himmel ist Geist, das ist die Straße, die hinüber führt, daß man alles versteht und begreift, wer gegen sein Schicksal murrt, der begreift es nicht, wer es aber in Frieden dahinnimmt, der lernt es auch bald verstehen; was man erfahren und gelernt hat, das ist allemal eine Station, die man auf der Himmelsstraße zurückgelegt; ja, ja! Das Schicksal des Menschen enthält alle Erkenntnis, und wenn man erst alles verstanden hat auf dieser irdischen Welt, dann wird man ja doch wohl den lieben Gott können begreifen lernen. Niemand lernt begreifen, denn durch Eingebung vom heiligen Geist; durch eigne Offenbarung lernt man fremde verstehen; – ich erkenne gleich in jedes Menschen Herz, was ihn sticht und was ihn brennt, und weiß auch, wann die Zeit kommt, die ihn heilt; ja, ich muß noch täglich weinen über meinen lieben Sohn, der erfroren ist, aber weil ich weiß, daß er die irdische Straße zurückgelegt hat, so hab' ich nichts dawider, ich lese auch täglich in diesem Buch, da stehen diese großen Wahrheiten alle geschrieben.« Sie gab uns einen alten Gesang zu lesen: »O Herr! Du führst mich dunkle Wege, am Ende aber seh' ich Licht«; in diesem stand zwar nichts von dem, was sie uns mitgeteilt hatte, als nur einzelne Hauptworte.

Im Nachhausegehen vertrieben uns die Gießener Studenten die Grillen, sie hatten sich am Abhang des Berges in großen Weinlauben gelagert, sie sangen, sie jauchzten, Gläser und Flaschen flogen hinab, sie tanzten, walzten und wälzten sich den Berg hinunter und durchschallten das Tal mit ihrem grausamen Gebrüll.

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Die Ammenburg.

So nenne ich die kleine Wohnung, die grade so groß ist, den einfachsten Bedürfnissen eines einzelnen Menschen in schöner wohltuender Ordnung zu genügen, sie ist mit roten Steinen oben auf eine mit samtnen Rasen begleitete, kegelrunde Bergkuppe aufgemauert. Vor drei Jahren stand sie noch nicht hier, da war die Liebe der einzige Schutz gegen Wind und Wetter, da kamen sie häufig zusammen vom Frühling bis zum Herbst, von Sonnenuntergang bis zu Sonnenaufgang lagen sie, vom Mond belacht, auf Blumenrasen zwischen silbernen Bergquellen, im Winter rief ihn die Kriegstrompete, Armide blieb allein, aber nicht lange, da kam Amor das Kind, sie legte ihn in die Wiege, sie nährte es mit der Milch ihrer Brüste und noch ein anderes dazu. Für den Ammenlohn kaufte sie sich diesen Fleck und baute das kleine Haus und wohnt jetzt mit ihren goldlockigen Bübchen hier oben, wo sie weit durchs Tal in die Ferne sieht und bei Windstille auch hören kann, wenn die Trommel sich rührt oder die Trompete zwischen den Felswänden schmettert. Vielleicht kehrt er zurück und erkennt an dem lustigen, buntbemalten Schornstein, der auf das Häuschen aufgepflanzt ist, daß das freudige Liebesglück nicht in Reue zerschmolzen ist.

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Heute zogen wir nach einer andern Burg. Sie liegt vier Meilen entfernt, ihre stolzen, wohlerhaltenen Türme streckt sie gen Himmel, als ob sie sie zum Schwur emporhebe; man sieht sie schon von mehreren Meilen, jede Viertelstunde macht sie eine andere Miene, bald treten Wälder hervor, die sie umkleiden, bald weiche Hügel, oft auch schwimmen Dörfer in den fruchtreichen Bahnen ihres langen und weiten Flurengewandes, die aber bald in seinen Falten wieder versinken. Wir waren alle beritten und zur Jagd gewappnet. Im Wald machten wir Mittag, ein Fuchs wurde verfolgt, das hielt unsere Reise auf. Da wir ankamen, stieg der Mond zwischen beiden Türmen herauf, wir aber ritten im finstern Tal durch die kleine Stadt mit holperigen Straßen; in einer großen Eisengießerei übernachteten wir. Am Morgen, vor Tag, eilte ich hinaus, ich wollte meine Schöne, die Natur, noch mit verschloßnen Augen überraschen, ich wollte sehen, wie sie auf dieser Seite, in dieser süßen Lage sich ausnähme. O Freund, alle Blumenkelche voll Tauspiegel, ein Gräschen malt sich im Perlenschmuck des andern, ein Blümchen trinkt sein Bild aus dem Kelche des Nachbarn, und Du! – und Dein Geist, der erquickende, was kann er mehr sein, was kann er anders sein als reiner Himmelstau, in dem sich alles in reinster Urschönheit spiegelt; Spiegel! – Tiefe weisheitsvolle Erkenntnis ist Dein Geist, in dem selbst Du nur Dich spiegelst, und alles Liebe, was der Menschheit durch Dich angetan, ist Spiegel ihrer (Idealität) reinsten, unverkümmerten Natur. Und nun kam ich von meinem Weg um die Burg, die ich zweimal in beflügeltem Lauf, wie Pindar sagt, umkreist habe, sie liegt auf runder kurzbegraster Kuppe, die Schafherde drängte sich wie ein Pelzkragen um ihre Zwinger: ein blökender Pelzkragen! Ich hatte Brot bei mir, das ich unter sie teilte, wie Deutschlands Kaiser unter die Tiroler, aber sie drängten mich auch wie jene den Kaiser und schrien: »Mehr Brot! Mehr Brot! – blä! blä!« – Ich hatte keins mehr wie der Kaiser auch; ich war in Gefahr, umgerissen zu werden wie er; ich riß mich durch und im vollen Galopp den Berg hinunter, die ganze Herde hinter mir drein, mitsamt dem bellenden Hund kam ich am Fuß des Berges vor dem Wirtshaus an, dort weckten sie die ganze Reisegesellschaft mit ihrem Geblök, und ich sage Dir, sie wollten mit Gewalt in die Wirtsstube, ich mußte sie zuriegeln, ich glaub', der Bock hätte sie sonst mit seinen Hörnern aufgeklemmt. Ei, hätten's die Tiroler auch so gemacht, der Kaiser hätte Brot schaffen müssen; die machten's aber wie der Schäfer, der blieb verdattert auf dem Berge stehen und sah seine Herde davoneilen. »Du kannst tausend Dummheiten in einen kleinen Raum einpferchen, wie der Schäfer die Herde«, sagte der Bruder Franz, da er mich mit der nachgeeilten Herde angekommen sah.

Bis alles sich reisefertig gemacht hatte, ging ich in den Kuhställen umher. Das Gehöfte ist unendlich groß, man könnte ein Vorwerk drin anlegen, sie rufen von der entferntesten Scheune zur andern mit einem Sprachrohr. Der Kuhstall inmitten bildet ein Amphitheater, ein Halbkreis von spiegelglatten Kühen, an jedem Ende durch einen Bullen abgeschlossen. An dem Ende, wo ich eintrat, ist der Ochs so freundlich, zärtlich, daß er jeden, der ihm nahe kommt, mit der Zunge zu erreichen sucht, um ihn zu belecken; er muhte mich an in hohem Ton, ich wollte ihn nicht vergeblich bitten lassen, mußte mein Gesicht von seiner schaumigen Zunge belecken lassen; das schmeckte ihm so gut, er konnte nicht fertig werden, er verkleisterte mir alle Locken, die Deine Hand immer in so schöne Ordnung streichelt. –

Jetzt beschreib' ich Dir die Burg, aber flüchtig; denn wo ich nicht in Worten liebkosen kann, da verweile ich nicht lange. – Sie ist besser erhalten wie alle andern, auch selbst die Gelnhäuser ist lange nicht so ganz mehr, und ich begreife nicht, daß man keine Rücksicht darauf nimmt. Sie gehörte ehemals den Herren von Griesheim, jetzt ist sie an die Grafen Stolberg gefallen. – Die Burg ist in ihrem Hauptgemäuer noch erhalten, nur innen ist manches eingestürzt, der Söller ist noch ganz, auf diesem kann man rund um die Burg gehen. Nach allen Seiten sieht man ins Fruchtland, das in der Weite wieder an andern Burgruinen hinaufsteigt. So blüht und reift der ewige Segen zwischen Gräbern und verlaßnem Gemäuer, und der Mensch braucht nur sich einzufinden, so ist er auch da und umwandelt und umkleidet ihn. Die Sonne schmeichelt's dem lieben Herrgott ab, daß er seinen Menschenkindern hundertfältige Ähren reifen läßt; die Sonne und der Gott liebkosen einander und dabei haben die Menschen gutes Spiel, und wer liebt, der stimmt ein in die Liebe Gottes, und durch ihn und in ihm reift auch der göttliche Segen.

In der Kapelle stehen noch etliche Säulen mit ihren gotischen Kapitälen; etliche liegen an der Erde, aber noch ganz erhalten, eins, was ich nur unvollkommen Dir hier abzeichne. Die Mondessichel hebt das Wappen in der Luft und bildet so das Kapitäl, unter ihr zwei Drachen, die sich verschlingen. Die Leute sagen, sie haben goldne Schaumünzen im Rachen gehabt, so sind sie in einer alten Chronik verzeichnet. Ein anderes ist noch viel schöner; ich wollt' es auch abzeichnen, aber es war so kalt und feucht da unten; Rosen, wunderschön in Stein gehauen, bilden einen Kranz, Schlangen winden sich durch und strecken ihre gekrönten Köpfchen aus und bilden so einen zweiten Kranz; es ist gar zu schön, hätt' ich's mitnehmen können, ich hätte Dir's gebracht! Während ich's durchzeichnen wollte, kam eine kleine Schlange unter dem Gras hervor und richtete sich vor mir auf, als wollte sie zusehen, wie ich das Bild ihrer Ahnen nachzeichnete, und das erschreckte mich in der Einsamkeit, so daß ich mit einem Schauder davoneilte.

In dem äußeren Burgtor sind noch die Türangeln, über dem innersten Burgtor auf dem Söller ist ein Steinherd mit einer kleinen Brandmauer umgeben, die wie eine Nische gebildet ist. Da haben sie das Pech glühend gemacht und durch ein Loch über der Mitte des Tores durchgegossen; alles wurde betrachtet, beachtet, erklärt, zurechtgerückt, noch manches blieb unerklärt, die Verwundrung über vorige Zeiten, und daß sie mit ihren Resten noch so derb in unsre hineinreichte, machte uns zu einfältigen Leuten; ja, mir ward angst, diese alte grobknochige Zeit könne plötzlich über den Augenblick der Gegenwart kommen und ihn verschlingen. O Goethe, mir ist nur eins wichtig, mein Dasein in Dir! Und nach diesem komme das End' aller Dinge.

Soll ich Dich denn noch weiter mitnehmen auf meinen Streifzügen, oder ist's genug der eingefallnen Mauern, der Wildnis, die alles überwuchert, des Efeus, der aus dem kalten Boden hevorsprießt, unermüdlich hinaufklettert an der öden Mauer, bis er die Sonne erblickt, und dann gleich wieder hinabsteigt, mit weit reichenden Ranken nach der feuchten, düsteren Tiefe verlangt? Gestern war der Himmel blau, heute rubinfarb und smaragden, und dort im Westen, wo er die Erde deckt, jagt er das Licht im Safrangewand vor sich her aus der Schlafstätte. Einen Augenblick kann sich die sehnende Liebe ergötzen daran, daß die ganze Natur schlummernd saugt; ja, ich fühl's: wenn die Nacht einbricht, daß jedes Würzelchen trinkt, in jedem liegt Begierde, Sehnsucht nach Nahrung, und diese Anziehungskraft zwingt die Erde, die ihre Nahrung nicht versagt jedem lebenden Keim; und so liegt in jedem Blumenhaupt schwärmende Begeistrung, die aus dem Licht der Sterne Träume herabzieht, die es umweben; geh über einen Wiesenteppich in stiller sternenflimmernder Nacht, da wirst Du, wenn Du Dich herabbeugst zur Flur, die Millionen Traumbilder gewahr werden, die da wimmeln, wo eins oft vom andern Eigenheiten, Farben und Stimmungen entlehnt; da wirst Du es fühlen, daß diese Traumwelt sich hinaufschwingt in den Busen des Beschauenden und in Deinem Geist sich als Offenbarung spiegelt; ja, die schöne Blume des Gedankens hat eine Wurzel, die saugt aus dem warmen, verborgnen Boden der Sinne ihre Nahrung und steigt aufwärts zum göttlichen Licht, dem sie ihr Auge öffnet und es trinkt und ihm ihren Duft zuströmt; ja die Geistesblume ersehnt sich die Natur und die Gottheit, wie jede Erdenblume.


Bruchstücke aus
Briefen, in Goethes Gartenhaus
geschrieben.

Anno 18.

Ich habe Dich heute nur wenig Augenblicke gesehen, und mir deucht, das ganze Leben gehöre dazu, um Dir alles zu sagen. Musik und Kunst und Sprache, alles möcht' ich beherrschen, um mich drin auszusprechen.

Ich sehne mich nach Offenbarung; Du bist's! – Nach Deinem Innern strebt die Liebe, sie will sich in seinen Tiefen empfinden.

Deine Gegenwart erschüttert mich, weil ich die Möglichkeit empfinde, Dir eine Ahnung meiner Sehnsucht zu geben.

Deine Nähe verändert alles äußerlich und innerlich, daß der Atem, den Du aushauchst, sich mit der Luft mische, die auch meine Brust trinkt, das macht sie zum Element einer höheren Welt; so die Wände, die Dich umfassen, sind magnetisch; der Spiegel, der Dein Bild aufnimmt, die Lichtstrahlen, die an Dir hinstreifen, Dein Sitz, alles hat eine Magie; Du bist weg, aber diese bleibt und vertritt Deine Stelle, ich lege mich an die Erde, wo Deine Füße standen, an diesem Fleck und an keinem andern ist mir wohl. – Ist das Einbildung? – Tränen fühl' ich in der Brust, Deiner so zu denken, wie ich jetzt denke, und diese Wehmut ist mir Wollust, ich fühle mich in ihr erhoben über's ganze Erdenleben, und das ist meine Religion. – Gewiß! Der Geliebte ist das Element meines zukünftigen Lebens, aus dem es sich erzeugt, und in dem es lebt und sich nährt. – O hätte ich Geist! – Hätt' ich den, was für Geheimnisse wollt' ich Dir mitteilen!

Offenbarung ist das einzige Bedürfnis des Geistes; denn das Höchste ist allemal das einzigste Bedürfnis.

Geist kann nur durch Offenbarung berührt werden oder vielmehr: alles wird zur Offenbarung an ihm.

So muß sich der Geist sein Paradies begründen. – Nichts außer dem Geist. – Himmel und Seligkeit in ihm. – Wie hoch steigt Begeistrung, bis sie zum Himmel sich steigert!

Wenn das ganze Leben des Geistes Element wird, so hat er Gewalt über den Himmel.

Der Schlüssel zum höheren Leben ist die Liebe, sie bereitet vor zur Freiheit. – Freiheit ist Geisterleben.

Denken ist Inspiration der Freiheit. –

Der hat Geist oder ist geistig, der mit sich selbst zusammenkommt. Inspiration dringt darauf, daß der Mensch zu sich selbst komme. – Wenn Du mich begeisterst, so forderst Du Dich selber von mir, und meine Begeistrung geht darauf aus, Dich Dir selber zu geben. – Wahre Liebe gibt dem Geliebten sich selber. – Wie wahr ist dies, da ich Dich nur denken kann und doch Dir alles geben muß.

Was ist Lieben? – Der Wächter auf der Zinne ruft die nahe Morgenstunde. Der regsame Geist ahnet schlummernd den Tag, er bricht aus seiner Traumwelt hervor, und der junge Tag umfängt ihn mit seinem Licht, – und das ist die Gewalt der Liebe, daß alles Wirklichkeit ist, was vorher Traum war, und daß ein göttlicher Geist dem in der Liebe Erwachten das Leben erleuchten wie der junge Tag dem aus der Traumwelt Erwachten.

Liebe ist Erkenntnis, und die ist Besitz.

Liegt der Same in der Erde, so bedarf er der Erde. Nun er zum Leben angeregt ist, müßte er sterben, wenn er ihr entnommen würde. In der Erde erst wandelt sich der Same um ins Leben, und die Erde wird erst Geist im Samen. – Wenn Du liebst, dringst Du ans Licht wie der Same, der in der Erde verborgen war. – Warum verbirgt die Natur den Samen im Schoß der Erde, eh' sie sein Leben ans Licht entläßt? – Auch das Leben liegt im geheimen Schoß des Geistes verborgen, ehe es als Liebe ans Licht dringt. – Der Boden, aus dem die Liebe entsteigt, ist Geheimnis.

Geheimnis ist Instinkt der Phantasie; wessen Geist diesen Instinkt hat, der hat den befruchtenden Boden für den Samen der Liebe. – Phantasie ist die freie Kunst der Wahrheit.

Und hier wär' ein Gewaltiges mitzuteilen, wenn die Müdigkeit mich nicht überwältigte; es muß mir genügen, daß ich's empfinde, wie die Phantasie die Vermittlerin ist zwischen der himmlischen Weisheit und dem irdischen Geist.

Jeder Gedanke hat Flügel und fliegt zu dem, der ihn eingibt; jeder Atemzug ein Gedanke, der zum Geliebten fliegt, nur was liebt, ist Gedanke und fliegt. – Ja, Gedanken sind geistige Vögel.

Wenn ich nicht im Bett wär', so schrieb' ich noch mehr, aber so zieht mich das Kopfkissen nieder.

In Deinem Garten ist's so schön! Alle meine Gedanken sind Bienen, sie kommen aus Deinem duftenden Garten zum Fenster hereingeflogen, das ich mir geöffnet habe, und setzen da ihren Honig ab, den sie in Deinem blütenreichen Garten gesammelt haben. Und so spät es ist, nach Mitternacht schon, so kommen sie doch noch einzeln und umsummen mich und wecken mich aus dem Schlaf; und die Bienen Deines Gartens und die Bienen Deines Geistes summen untereinander.

Liebe ist Erkenntnis, Schönheit ist das Geheimnis ihrer Erkenntnis, und so tief ist dies Geheimnis, daß es sich keinem mitteilt als nur dem Liebenden. Glaub's nur! Keiner besitzt das Geheimnis von Dir, wie ich es besitze, das heißt: keiner liebt Dich, wie ich Dich liebe.

Wieder ein Bienchen! – Deine Schönheit ist Dein Leben – es wollte noch mehr summen, aber der Wind jagte es wieder zum Fenster hinaus. – Daß ich in Deinem Garten schlafe eine Nacht, das ist wohl ein groß Ereignis. – Du hast oft hier herrliche Stunden verlebt, allein und mit Freunden; und nun bin ich allein hier und denke dem allen nach und seh' im Geist dem allen zu. Ach, und wie ich heute, eh' ich ins stille verlassene Haus eintrat, noch den Berg hinaufging zum obersten Baum, der so mit mannigfachem Grün umwachsen ist, das all von Deiner Hand geleitet wurde, der seine Äste schützend über den Stein verbreitet, in den die Weihe der Erinnerung eingegraben ist! Dort oben stand ich ganz allein, ein wenig Mondlicht stahl sich durch den Baum, ich fühlte an der Rinde des Baumes nach den eingeschnittenen Buchstaben. Ach, gute Nacht.

Stehle ich dem Schlaf noch länger die Träume, so werden meine Gedanken Schäume.

 

Da oben sah ich Dein Haus erleuchtet. Ich dachte: wenn Du bei diesem Licht meiner harrtest, und ich käm' herab den frischen Mondscheinweg mit so wohl vorbereitetem Herzen, und ich träte ein bei Dir, wie freundlich Du mich aufnehmen würdest. Bis ich herabkam, hatte mir meine Einbildungskraft weisgemacht, es könne möglich sein, daß Du da seist, und obschon ich wußte, daß dies Licht allein in meiner Kammer brenne, denn ich hatte es ja selber angezündet, so öffnete ich doch mit Zagen die Tür; und wie ich diese stille Einsamkeit gewahrte, auf dem Tisch die getrockneten Pflanzen und an den Wänden die Steine und die Muscheln und die Schmetterlinge und das erhabene Dunkel, was mit den Strahlen der Lampe spielte; und wie ich da eintrat, da blieb ich am Türpfosten angelehnt stehen und holte erst Atem.

Und nun lieg' ich in diesem Bettchen zum Schlafen, es ist hart, das Bett, ein einziger Strohsack und eine wollne Decke drüber und zum Zudecken eine graue Decke mit bunten Blumen, und kein Mensch weiß, daß ich die Nacht hier zubringe, als nur Du.

Irdische Jugend ist bewußtlos, sie steigt aus ihrer Knospe, ihre Entfaltung ist ihr Ziel. Bewußtsein der Jugend ist schon übersinnliche Jugend.

In Dir bin ich meiner Jugend bewußt. Ich sehe sie alle, die goldnen Tage, die ich in Dir verlebte, gekrönt ein jeder mit wunderbaren Blüten. Stolz erhaben einherschreitend feurigen, raschen Geistes; unberührt, keusch, vor der Gemeinheit sich flüchtend in höhere Regionen; ein milder Schimmer durchglänzt sie, es ist der Abendschein Deines Lebens. Ach, und der heutige Tag ist auch ein solcher, er schließt sich an die Reihe der verflossenen an, majestätisch, triumphierend; obzwar ich allein bin hier im verlassenen Haus, ohne Einrichtung, mich zu empfangen, hier sind noch die Spuren des vergangenen Winters.

Der Geist taucht unter in der Jugend als in einem Meer.

Jugend wird sein Element, in ihm wird der Geist zur Liebe. Jugend bereitet den Geist vor zur Ewigkeit, die ewige Jugend ist.

Ich glaub' an Deine Gegenwart in diesem einsamen Gemach, ich glaub', daß Du mich hörst, mich empfindest; ich spreche mit Dir. Du fragst, ich antworte Dir.

Jeder strebt nach Jugend, weil das Bedürfnis des Geistes Entwicklung in der Liebe ist.

Nachdem ich schon ein Weilchen geschlafen habe.

Nichts ist dem Genius neu, alles ist ihm Element. In der Liebe ist einer dem andern Genius und wird einer dem andern Element.

Du bist mir Element, und ich kann die Flügel regen in Dir, und das ist das einzige Erkennen, das einzige Empfinden, das einzige Haben.

Und Du magst Dich tausendfach aus Dir heraussehnen, nie wirst Du Dich selbst finden, als indem Du Dich in einen andern ergießest; nie wirst Du im andern sein, als wenn er in Dir ist.

Denken sieht und berührt, es ist innigste Berührung mit dem Geist des Bedachten.

Wenn der Geist zur Musik wird, dann wird Philosophie zur Empfindung.

Schon hundertmal hab' ich mich in die graue Decke eingehüllt, und wollte ich schlafen, so muß ich die Hand ausstrecken, um eine Zeile zu schreiben.

Wenn es wahr ist, daß es eine Magie des Lebens gibt, die vermöge der Selbsterleuchtung sich erzeugt, wer wollte dann außer ihren Kreisen stehen?

Gute Nacht! – Zu Deinen Füßen verschlaf' ich sie.

Ja, ich will glauben, daß Du da bist, und will keine Hand nach Dir ausstrecken, damit ich Dich nicht verscheuche, und doch berührst Du mich, die Luft verändert sich, der Schimmer der Lampe, die Schatten, alles gewinnt Bedeutung.

 

Am 28. August.

Den übergehen wir mit Stillschweigen. Du bist mir von Ewigkeit her. Wer wollte leugnen, daß die Sterne uns regieren. Du warst ihrem Einfluß willig, und so haben sie Dich zu sich erhoben, ich weiß alles: heimlich regieren sie Dich auch, daß Du mir geneigt bist. Ich seh's an Deinem Blick, Du bist mit mir zufrieden. Du sagst nichts, Du schließest Deine Lippen so fest, als habest Du Furcht, sie mögen gegen Deinen Willen plaudern. Goethe! Es ist mir genügend, was Dein Blick sagt, auch wenn er nicht auf mir weilt. Gestern, wie ich hinter Dir stand und mit dem Papier rauschte, da sahst Du Dich um, ich merkte es wohl; ich ging leise hinaus und schob die Tür nicht ganz zu, da sah ich Dich rasch den Brief ergreifen, dann ging ich weg, ich wollte Dich nicht länger belauschen, mich überlief ein leises Frösteln, wie ich mir vorstellte, daß Du jetzt lesen werdest, was ich zu Dir gedacht hatte in letzter Mitternacht. – Wie selig, Goethe! – denken: jetzt nimmt er diese Schmeicheleien auf, jetzt spricht sein Geist freundlich nach, was ich für ihn erdacht habe. Es ist schön, was ich Dir sage, es sind die Liebesgeister, die mit Dir sprechen, sie umkreisen jubelnd Dein Haupt.

Weißt Du, wie ich Dich mir denke heute an Deinem Geburtstag? – Am Meeresstrand, auf goldnem Thronsessel im weißen wollnen Gewand, den Purpur untergebreitet; in der Ferne die weißen Segel auf hoher See, geschwellt vom Wind, rasch aneinander vorüberfliehend, und Du, ruhend im Morgenlicht, gekrönt mit heiligem Laub, mich aber seh' ich zu Deinen Füßen, mit der reinen Flut, die ich am Meer geschöpft, um sie zu waschen. – So denk' ich mich zu Deinem Dienst in tausend Bildern, und es ist, als sei dies die Reife meines Daseins.

Hast Du schon in die untergehende Sonne gesehen, wenn sie schon milder leuchtet, so daß ein scharfes Aug' von ihrem Glanz nicht mehr geblendet wird? – Hast Du da schon gesehen, wie sich ihr eigen Bild von ihr ablöst und vor ihr am Horizont niedertaucht in die rote Flut und nach diesem Bild immer wieder ein anderes in leisen Brechungen der Strahlen immer wieder sich anders färbt? – Meine Seele, wenn der gewaltige Glanz Deiner vollen Erscheinung nicht mehr so stark blendet und die Ferne sanfte Schleier über Dich webt, sieht solche Bilder, die eins nach dem andern von Dir abstrahlen, sie tauchen alle unter in meiner Begeistrung wie im Feuerschoß der Natur, und ich kann mich nicht sättigen in dieser schönen Fülle.

*

Den 3. September.

So müde wie ich war am späten Abend, so fest wie ich schlief am frühen Morgen, hab' ich drei Tage nicht geschrieben. Du hast nicht nach mir gefragt in dieser Zeit, und heut' am Abend bin ich zum erstenmal hinausgegangen und überlege hier auf der Bank, daß Du mich vergißt. Die Vögel sind schon gewohnt, daß ich hier sitze unbeweglich still. – Wie ist's doch so wunderlich hier im fremden Land! – Hierher bin ich gekommen an den verlassenen Ort, um tief in mich selbst zu versinken. Da seh' ich Bilder, Erinnerungen früherer Tage, die sich an den heutigen anschließen. Heute, wie sie in der frühen Morgenstunde vor dem römischen Haus Musik machten, und wie der Herzog hervortrat und die großen Hunde ungeduldig den Menschen zuvoreilten und ihm an den Hals sprangen, das kam mir so feierlich vor, wie er sich freundlich ihren ungestümen Liebkosungen preisgab und über sie hinaus dem Volk winkte, das ihn mit Jauchzen begrüßte. Da teiltest Du plötzlich die Menge, das Vivat verdoppelte sich bei Deiner Erscheinung; die beiden hohen Freunde miteinander auf und ab schreiten zu sehen, hoch an Geist und Milde, das war dem Volk ein heilig Schauspiel, und sie sagten alle: »Welch seltnes Paar!« – Und viel Schönes wurde von Euch gesprochen, jede Eurer Bewegungen wurde beachtet: Er lächelt, er wendet sich, der Herzog stützt sich auf ihn! Sie reichen einander die Hände! Jetzt lassen sie sich nieder! – So wiederholte das Volk mit heiligem Schauer alles, was zwischen Euch beiden vorging. Ach, mit Recht, denn aus Euer beider vereinten Liebe ging sein Glück hervor, das wissen sie alle; und wie Ihr lange miteinander Rede führtet, da harrte die Menge schweigend, als ob der Segen von Jahrhunderten auf es herabgerufen werde. Ich auch, Goethe! – Ich glaub' dran, daß Euch beiden als Wesen höherer Geschlechter Macht gegeben ist, Segen für die Zukunft zu versichern; denn in des Herzogs Brust ist die Milde schon lange als Frucht gereift, das hast Du selbst gesagt, und Dein Geist strömt Licht aus, Licht der Weisheit, die Gnade ist und alles gedeihen läßt.

Als Du weg warst, da ließ der Herzog mich rufen, er fragte, ob Du mich gesehen und begrüßt habest, das mußte ich verneinen; denn Du hattest mich ja übersehen. Erinnerst Du Dich noch an jenen Geburtstag? – Am Abend, wo ich hinter dem Pfeiler stand, Du suchtest mich mit dem Blick und fandest mich auch, ach, wie durchglühte das mein Herz, wie ich Dein Spähen belauschte, da reichtest Du mir Dein Glas, daß ich draus trinken sollte, und keiner merkte es in der Menge. Heute bin ich allein, viele Tage sind seitdem vergangen, dort liegt Dein Haus, ich könnte zu Dir gehen und Dich von Angesicht zu Angesicht sehen, doch zieh' ich's vor, hier allein in Deinem Garten Dich zu beschwören: o hilf mir Dich denken, Dich empfinden; mein Glaube ist mein Zauberstab, durch ihn erschaff' ich meine Welt, außer welcher mir alles fremd ist, und ich hege keinen Zweifel, daß ich nur in ihr wirklich lebe. Mein Denken ist wundertätig; ich spreche mit Dir, ich seh' in Dich hinein, mein Gebet ist, daß ich meinen Willen stärke, Dich zu denken.

*

In Goethes Garten.

Die ganze Welt umher beleuchtet von einer Sonne! Du, in mir allein beleuchtet, alles andre im Dunkel. Wie das die Liebe entflammt, wenn das Licht nur auf einen Gegenstand fällt!

Das waren Deine Worte gestern: ich solle schreiben, und wenn es Folianten wären, es sei Dir nicht zu viel. Ach, und Du weißt doch, daß meine Sprache nur einen kleinen Umfang an Kenntnis hat. Daß ich zwar glaube, jedesmal neu zu empfinden, was ich Dir zu sagen habe, aber doch ist es ewig dasselbe. Und Dir? Ist es Dir nicht zu viel? – Ich hab's versucht, wie ein Maulwurf mich durchs eigne Herz gewühlt und habe gehofft, einen Schatz zu entdecken, der im Dunkeln leuchte, den wollte ich Dir heraufbringen, aber vergeblich! – Es sind keine gewaltigen Dinge, die ich Dir zu sagen habe, es ist nichts als nur lieblich zu gestehen und unwiderstehlich dieses Nichts. Liebkosungen bestehen ja in der Mitteilung. – Wenn Du am Bach ruhst unter duftigen Kräutern und die Libelle mit ihren kristallnen Augen läßt sich auf Dir nieder, sie fächelt Deine Lippen mit ihren Flügeln, wirst Du ihr böse? – Wenn ein kleiner Käfer an Deinem Gewand hinaufklettert und endlich sich im Busen verirrt, nennst Du das allzu keck? – Das kleine Tierchen, so unbekannt mit dem schlagenden Herzen unter seinen Füßchen? – Und ich! Bekannt mit diesem erhöhten Takt Deiner Gefühle, bin ich zu tadeln, daß ich mich Dir ans Herz dränge? – Siehst Du! Das ist alles, was ich Dir zu sagen habe. – Der Abendwind eilt flüchtig über die Gräser bis zu mir herab, die ich am Fuß des Hügels sitze und daran denke, wie ich Dir diese Folianten ausfüllen soll.

*

Denk' ich an Dich, so mag ich nicht am Boden weilen. Gleich regt Psyche die Flügel, sie fühlt die irdische Schwere, fühlt sich befangen in manchem, was nicht zu ihrem himmlischen Beruf gehört, das macht Schmerz, das macht wehmütig.

Das Licht der Weisheit leuchtet nur in uns selbst. Was nicht innere Offenbarung ist, wird nie Früchte der Erkenntnis tragen. Die Seele kommt sich selber entgegen in der Liebe, sie findet sich und nimmt sich auf im Geliebten; so finde ich mich in Dir. Was kann mir Beglückenderes widerfahren? – Und ist es ein Wunder, daß ich Deine Knie umfasse? – Ich möchte Dir alles mitteilen, was ich von Dir lerne. – Wenn der Geist wäre, was das Wort wiederholen kann, so hätte der Begriff einen kleinen Umfang. Es ist noch was anders Geist, als was in dem Netz der Sprache gefangen wird. Geist ist das alles in sich verwandelnde Leben; auch die Liebe muß Geist werden. Mein Geist ist fortwährend geschäftig, diese Liebe in sich umzusetzen, daraus wird und muß mein unsterblich Leben hervorgehen, oder ich geh' unter. –

*

Die Sonne geht unter, ihr Purpurzelt breitet sich über Deinen Garten, ich sitze hier allein und übersehe die Wege, die Du durch diese Auen geleitet hast, alle sind verlassen, nirgends wandelt einer, – so einsam ist's, so ganz bis in die Ferne, und so lange schon hab' ich darauf gewartet, alles soll schweigen, dann wollt' ich mich besinnen und mit Dir sprechen – und jetzt fühl' ich mich so verzagt in der allmächtigen Stille. – Den Vogel im Busch hab' ich verscheucht, die Glockenblumen schlafen. Der Mond und der Abendstern winken einander, wo soll ich mich hinwenden? Der Baum, in dessen Rinde Du manchen Namen eingeschnitten hast, den hab' ich verlassen und bin herabgegangen zur Haustür und hab' die Stirne auf das Schloß gelegt, das Deine Hand wie oft aufgedrückt, und hast mit Freuden dagesessen und auch einsame Stunden verbracht. Du allein mit Deinem Genius hast's nicht gefühlt, das Schauervolle der Einsamkeit, glorreich triumphierend im Wettgefühl der Empfindung und Begeistrung gingen sie vorüber, diese stillen Abende. O Goethe, was denkst Du von meiner Liebe? – Die so ewig an Dich heranbraust wie die Flut ans Ufer und möchte mit Dir sprechen und kann nichts sagen als nur seufzen. Ja! Sage doch: was meinst Du, das diese Liebe will? – Ich selber erstaune oft, wie erwachend aus dem Traum, daß dieser Traum herrsche über mich. Aber bald beuge ich mich wieder unter das Schattendach seiner Wölbungen und schmiege mich seinem Flüstern und lasse die Sinne bewältigen durch das Flügelrauschen unbekannter Geister. – Göttlich will ich sein! Göttlich und groß wie Du, frei über den Menschen nur in Deinem Lichte stehend, nur von Dir verstanden. Pfeile will ich senden: Gedanken, Dich sollen sie treffen und keinen andern, Du sollst ihre Schärfe prüfen, und in diesem heimlichen Verkehr sollen meine Sinne gedeihen; sie sollen herzhaft sein, gesund, rasch, freudig, ewig aufwärts, nicht sinkend die Lebensgeister, ihrem Erzeuger zuströmend.

Es ist Nacht, ich schreib' beim Sternenlicht. Weisheit ist wie ein Baum, der seine Äste durch das ganze Firmament verbreitet, die goldnen Früchte, die ihr Gezweig zieren, sind Sterne. Wenn nun eine Begierde sich regt, die die Früchte vom Baum der Weisheit genießen möchte? Wie komme ich dazu, diese goldnen Früchte zu erlangen? – »Die Sterne sind Welten«, sagt man: ist der Kuß nicht auch eine Welt? – Und ist der Stern größer Deinem Auge als der Umfang eines Kusses? – Und ist der Kuß geringer Deinem Gefühl als das Umfassen einer Welt? Drum: – die Weisheit ist Liebe! Und ihre Früchte sind Welten, und der täuscht sich nicht, der im Kuß eine Welt empfindet; ihm ist eine reife Frucht, ein an dem Lichte der Weisheit gereifter Stern in den Busen gesunken. – Der aber, Freund, – der von solcher Himmelskost genährt wird, zählt er noch für vollgültig unter den Menschen? –

Ich gehe nun schlafen, die Stille der Nacht, die heimliche Zeit verwendet Psyche, um zu Dir zu dringen. Oft führt sie der Traum zu Dir, sie findet Dich vielleicht durchkreuzt von tausend Gedanken, deren keiner ihrer erwähnt. Doch sie senkt die Flügel und küßt den Staub Deiner Füße, bis Dein Blick sich ihr neigt.

Auf diesem Hügel überseh' ich meine Welt!
Hinab ins Tal, mit Rasen sanft begleitet,
Vom Weg durchzogen, der hinüber leitet,
Das weiße Haus inmitten aufgestellt,
Was ist's, worin sich hier der Sinn gefällt?

Auf diesem Hügel überseh' ich meine Welt!
Erstieg' ich auch der Länder steilste Höhen,
Von wo ich könnt' die Schiffe fahren sehen
Und Städte fern und nah von Bergen stolz umstellt,
Nichts ist's, was mir den Blick gefesselt hält.

Auf diesem Hügel überseh' ich meine Welt!
Und könnt' ich Paradiese überschauen,
Ich sehnte mich zurück nach jenen Auen,
Wo Deines Daches Zinne meinem Blick sich stellt,
Denn der allein umgrenzet meine Welt.

Gereimt und ungereimt sag' ich Dir dasselbe, und Du ermüdest nicht, mich anzuhören. Ich sitze hier auf der Bank in der Dämmerung, wo der sinkende Tag vom aufgehenden Mond noch das Licht borgt, und freue mich, meine Welt im Zwielicht zu überschauen. Vor wenig Minuten lag alles noch im Sonnenglanz, da war ich unruhig, ob ich bleiben oder gehen solle. Jetzt, seit der Mond gestiegen ist, weiß ich, daß ich bleibe; in seinem Licht erkenn' ich meine Welt, seine Strahlen ziehen mich in ihren Zauberkreis, und was ich auch Unglaubliches für wahr halte, das verneint er nicht wie das Sonnenlicht. Er schmiegt sich schmeichelnd in den Schoß der Täler, und ich fühle deutlich, wie sie ihn liebt, die Natur, und wie er ihr geneigt ist, der Mond.

Wär ich Dir, was die ganze Natur dem Mond ist, der lebenerregend in ihren Pulsen spielt, der leise Lüfte als Boten aussendet, der die samenbeflockten Schwingen des Abendwindes niederbannt ins tauige Gras und seinem befruchtenden Licht ihre Kraft aufregt: dann wär' mein ganzes Sein ein Empfängnis Deiner Schönheit. Soviel Blüten sich ihm erschließen, soviel Schmeichelreden Dir von meinen Lippen fließen, soviel Tautropfen in seinem Licht glänzen, soviel Tränen der Lust sich sammeln unter dem Einfluß Deines Geistes.

*

Ich danke Dir, daß Du gekommen bist, es war so grau und trüb, ich sah mich in der weiten Ferne um und dachte schon, es würde mich überkommen wie das Wetter, wo sparsame Tränen aus den Wolken träufelten und der Himmel schwer und traurig war und viel düsterer aussah, als wenn es noch so sehr geregnet hätte. – Da kamst Du. – Du hast nichts gesagt vom Abschied und hast mich beschämt; denn ich hatte es auf der Zunge zu klagen, ja, es war schöner so, daß wir nicht Abschied nahmen; wir beide nicht. – Wie hab' ich diese Zeit verbracht? – Gar zu glücklich! – Das Gefühl Deiner Nähe hat jeden Atemzug beseligt, das nenne ich mir himmlische Luft – und Du? – Hab' ich Dir auch nicht mißfallen? – Ach, beschäme mich nicht, vergesse, was Dir nicht zusagte, wenn ich manchmal zu heftig war und Deine leisen Winke nicht verstand. Meine leidenschaftlichen Stimmungen sind ohne Ansprüche, sie sind wie Musik, auch die verlangt keinen irdischen Besitz, aber sie stimmt den Geist, der ihr Gehör gibt, zum Mitgefühl, zur Nachempfindung, ja, kling's in Deinen Ohren, in Deinem Herzen noch eine Weile nach, alles, was ich Dir sagen durfte. Leidenschaft ist Musik, ein Werk höchster Mächte, nicht außer, sondern tief in uns, sie führt uns mit dem idealischen Ich zusammen, um dessentwillen der Geist in den Leib geboren ist: dies Ich, das allein Leidenschaft entzünden, sie gestalten und bilden kann. Der Mensch wird von der Begeistrung erzogen, das ganze irdische Leben verhält sich dann zu diesem Geistigen wie der Boden zum Fruchtkorn, das aus ihm emporsteigt, um tausendfältig zu tragen.

Nur die Ewigkeit gibt Wirklichkeit; denn was einmal zugrunde geht, mag's gleich zugrunde gehn, ob heute oder morgen, das ist einerlei; aber die Liebe trägt alles zum himmlischen Reich, sie ist allumfassend, alldurchdringend wie die Sonne, und doch bildet sie jeden geistigen Reiz zu einem in sich abgeschloßnen, sich selber anheimgegebenen Eigentum, sie bewegt den Geist, daß er ganz eigentümlich das Eigentümliche fasse. So macht's die Liebe mit mir, in Dir werd' ich meines Geistes mächtig – und Du? – Das leuchtende Grün, was der Baum in erneuter Frühlingskraft hervortreibt, das gibt Zeugnis, daß die Sonne ihm ins Mark dringt. – Und Du bist erfrischt durch diese Liebe, nicht wahr? –

Wer Dich mit leiblichen Augen sieht und sieht Dich nicht durch die Liebe, der sieht Dich nicht, Du erscheinst nur durch sie dem liebenden beschwörenden Geist. Je feuriger, je kräftiger die Beschwörung: je herrlicher Deine Erscheinung, je mächtiger Deine Einwirkung. Lieber Freund! Meiner Beschwörung hast Du Dich aufs innigste vergegenwärtigt, ich habe Dich in jedem Gedanken als in einem magischen Kreis umfaßt, und der Inhalt mag sein, welcher er wolle, Du durchwaltest ihn und wohnst in jeder Gestalt, die mein Geist ausspricht. –

Es ist wahr, Zauber ist Zauber, er hebt sich in sich selber auf, und darum leugnen sie seine Wirklichkeit; sie glauben: nur was sinnlichen Leib habe, sei wirklich, und ihnen muß Verstand nur als sinnlicher Boden gelten. Das Werk Gottes aber ist Magie, die Liebe in unserer Brust, die Unsterblichkeit, die Freiheit sind magische Erzeugnisse Gottes, sie werden nur durch die Kraft seiner Beschwörung in uns erhalten, sein Hauch ist ihr Leben, sie sind unser Element, und in diesem verewigen wir uns, und ob auch Zauber ins Nichts verschwinden könnte, wie leicht! – so ist er doch die einzige Basis der Wirklichkeit; denn er ist Wirkung des göttlichen Geistes.

Das Geborenwerden der göttlichen Natur ins irdische Leben und sein Sterben im vorbereiteten Schmerz ist magische Beschwörungsformel.

Schmerz liegt in der Natur als der mächtige Übergang aus dem Nichts ins magische Leben.

Leben ist Schmerz, aber da wir nur so viel Leben haben, als unser Geist verträgt, so empfinden wir diesen Schmerz gleichgültig, wär' unser Geist stark, so wär' der stärkste Schmerz die höchste Wollust.

In meiner Liebe, sei's Abschied oder Willkomm, schwankt mein Geist immer zwischen Lust und Schmerz; denn Du machst meinen Geist stark, und doch kann er's kaum ertragen. Übergehen ins Göttliche ist immer schmerzlich, aber es ist Leben.

Jedes Aneignen im Geist ist schmerzlich, alles, was wir erlernen, erkennen, macht uns Schmerz im Erwerben, so wie es in uns übergegangen ist, so hat es unsern Geist erhöht und befähigt, dies Leben kräftiger zu fassen, und was uns früher weh tat, das wird jetzt Genuß.

Die Kunst ist auch Magie, sie beschwört auch den Geist in eine erhöhte sichtbare Erscheinung, und der Geist geht auch über die Schmerzensbrücke bis innerhalb des magischen Kreises.

Genie ist der vorgreifende, wollustahnende, durstende Instinkt, sein Trieb überwindet das schmerzliche Zagen und reizt den Geist zu ewig neuer Energie. – Je leidenschaftlicher der Genius im Menschen, je mehr wird ihm Seligkeit Bedürfnis, je gewaltiger überwindet er, je gewisser ist er seiner Befriedigung; – dies bejahest Du mir. – Ich stehe in meiner Liebe zu Dir zwischen diesem Schmerz und dieser genialischen Begierde, die Trägheit meines Geistes zu überwinden und Beseligung zu empfinden. Manchmal fühlt sich der Geist ganz verlassen, und ein Nichts nimmt die Stelle dieser enthusiastischen Begeistrung ein, und alles ist verschwunden. Aber wie könnte ich mir dies gefallen lassen. Nein, Du mußt Dich erzaubern lassen. Wenn Gott mich aus dem Nichts hervorberufen hat, wenn er mein Wesen gebildet hat als reinen Anspruch an die Seligkeit, so erwerb' ich diese in der Magie der Liebe; und aus Bedürfnis, aus göttlich eingeprägter Sehnsucht nach dem Schönen erhebt der Genius immer wieder die ermüdeten Flügel und hält treu und fest dies Herz zu Deiner Wohnung und die Seele Dich zu empfinden und den Geist, Dich zu fassen und zu bekennen, alles wie Du bist in Deiner innern Wesenheit.

Und wenn dies alles wahr ist, was ich hier sage, und wir werden einst uns wiedersehen in einem höheren Leben, dann denke, daß mein Genie Deinem Geist gewachsen sein werde.


An Goethe.

22. März 1832.

Hier aus den Bergesschluchten hervor wag' ich's und komme ungerufen, unerwartet, wie manchmal sonst auf Deinen Wegen. Im Böhmer Gebirg, wo ich wie ein Stoßvogel auf dem vorragenden Gefels über Dir hing, weißt Du noch? – Und wie ich dann niederkletterte, ganz erhitzt, daß mir alle Adern im Kopf klopften, und wie Deine Hand meine Augenwimper vom Staub reinigte, und die kleinen Reiser und Moose aus meinen Flechten sammeltest und legtest es sanft neben Dich auf den Sitz? Du weißt's nicht mehr. Scharen sind an Dir vorübergezogen, die Dich begrüßten mit lautem Ehrenruf, Kränze haben sie vor Dir hergetragen, die Fahnen haben sie vor Dir geschwenkt, die Könige kamen und berührten den Saum Deines Mantels und brachten Dir goldne Gefäße und legten Ehrenketten um Deine freie Brust. Du weißt's nicht mehr, daß ich Dir die gesammelten Blumen, die wilden Kräuter alle in den Busen pflanzte und die Hand darauf legte, um sie fester zu drücken, Du weißt's nicht mehr, daß meine Hand gefangen lag inmitten Deiner Brust, und daß Du mich den wilden Hopfen nanntest, der Wurzel fasse da und dann hinauf sich ranke und Dich überschlinge und umwachse, daß nichts mehr an Dir zu kennen sei als bloß der wilde Hopfen. Sieh, in dieser Doppelwand von Fels- und Bergesschluchten, da haust des Widerhalles froher Ruf; sieh, meine Brust ist eine so kunstreich gebildete Doppelwand, daß ewig und ewig tausendfältig der freudige Schall so süßer Märe sich durchkreuzt. Wo sollte es ein Ende nehmen, dies Leben jugendlicher Lust? – Es liegt ja bewahrt und umgeben vom reinsten Enthusiasmus – die Nahrung meiner Wiegezeit. Dein Hauch, dem der Gott Unsterblichkeit einblies, hat ja mir den Atem der Begeistrung eingeblasen. Lasse es Dir gefallen, daß ich Dir noch einmal die Melodien meiner schönsten Lebenswege vorsinge und zwar im begeisterten Rhythmus des augenblicklichen Genusses, wo die Lebensquellen von Geist und Sinne ineinanderströmen und so einander erhöhen, daß alles Bedeutung gewinne, daß nicht allein das Erfahrne sichtbar fühlbar werde, sondern auch das Unsichtbare, Ungehörte erkannt und erhört werde.

Sind's Pauken und Posaunen, die feierlichen Jubelschlag an die Wolken dröhnen? – Sind's Harfen und Zimbeln? – Ist's das Gewirr von tausend Instrumenten, das aufs Kommandowort sich ordnen läßt, in reiner Linie Takt sich bildend wendet, die Sprache himmlischer Influenzen redet, eindringt in den Menschengeist mit Farb' und Licht, die Sinne mit dem Geist vermählt? – Ist's dieser Erzeugung Kraft, die durch die Adern rinnt, das Blut beschwörend, das Irdische auszustoßen und die reine Frucht himmlischer Liebe, himmlischen Lichtes zu nähren, zu gebären? – Hast Du's nicht vollbracht in mir, wenn es noch leuchtet in meiner Seele? – Ja, es leuchtet, wenn ich Deiner gedenke; – oder sind es nur Schalmeien sinnig und wähnend, nur an Phantasie streifend, nicht von ihrer Offenbarung ergriffen, was ich diesen Blättern zu vertrauen habe? – Was es auch sei? – Bis in den Tod geleite mich der ersten Liebe Musik. Zu Deinen Füßen pflanze ich den Grundbaß ein, er wachse Dir zum Palmenhain auf, in dessen Schatten Du wandelst. Alles Liebe und Süße, was Du mir gesagt hast, flüstre von Zweig zu Zweig wie leise Melodien zwitschernder Vögel; – die Küsse, die Liebkosungen zwischen uns seien die honigtriefenden Früchte dieses Haines; das Element meines Lebens aber: die Harmonie mit Dir, mit der Natur, mit Gott, aus deren Schoß die Fülle der Erzeugung steigt, aufwärts ans Licht, ins Licht, im Lichte vergehend: das sei der Strom, der gewaltige, der diesen Hain umzingelt, ihn einsam macht mit mir und Dir.

Weißt Du's noch, wie Du in der Dämmerung mich wieder bestelltest? – Du weißt nichts, ich weiß alles, ich bin das Blatt, auf das die Erinnerung aller Seligkeit geätzt ist. Ja, ich ging um Dein Haus herum und wartete auf die Dämmerung und dachte, wenn ich an die Pforte kam: »Ob's wohl schon dunkel genug ist? – Und ob er dies wohl für die Dämmerung hält?« – Und aus Furcht, Deinen Befehl zu verfehlen, ging ich noch einmal um das Haus, und wie ich nun eintrat, da schmältest Du, daß ich zu spät gekommen, es sei schon lange dämmerig, Du habest lange schon auf mich gewartet. Dann ließest Du Dir ein weißes wollnes Gewand bringen und zogst das Tagskleid aus und sagtest: »Nun es gar Nacht geworden über dem Harren auf dich, so wollen wir recht nächtlich und bequem sein und recht feinwollig will ich gegen dich sein; denn du sollst mir heute beichten.« Da kniete ich vor Dir auf dem Schemel und umfaßte Dich und Du mich. Da sagtest Du: »Vertrau' mir doch und sag' mir alles, was in deinem Herzen Gewalt geübt hat, du weißt, ich hab' dich nie verraten, kein Wort, kein Laut von dem, was deine Leidenschaft zu mir gerast hat, ist je über meine Lippen gekommen, so sag' mir doch, denn es ist nicht möglich, daß dein Herz diese ganze Zeit über so ruhig war, sag' mir doch, wer war's, kenne ich ihn? – Und wie war's? Was hast du noch alles gelernt und erfahren, was dich meiner vergessen machte?«

Damals, lieber Freund, sagte ich Dir die Wahrheit, wie ich Dir beteuerte, daß mein Herz ganz still gewesen sei, daß nichts seitdem mich berührt habe; denn in demselben Augenblick war mir alles Wahn gegen Dich, und bleiches Schattenbild die ganze Welt und abgeschiednes Totes schien mir des Schicksals Los in Deiner Nähe, ich konnte es sagen in vollem Bewußtsein, daß ich Deiner Schönheit gebunden sei; denn ich sah Dich ja an. – Du aber ruhtest nicht und wolltest durchaus wissen die Geschichte, die ich mich vergebens bemühte zu erfinden; denn ich schämte mich beinah', daß mir gar keine Liebesgeschichte widerfahren war. Jetzt besann ich mich auf eine und wollte eben erzählen und hub an: »Ja! Aber glaube nicht, daß Dir die Liebe in den Weg gekommen, damals wandelte ich im Traum, jetzt wache ich wieder; hier im Mondschein an Deiner Brust weiß ich, wer ich bin, und was Du mir bist, wie ich nur Dir angehöre, wie Du mich bezauberst; aber einmal« – da begann ich meine Liebesgeschichte, von der ich nichts mehr weiß. Und Du, Herrlicher, ließest mich nicht weiter sprechen und riefst: »Nein, nein! Du bist mein! – Du bist meine Muse! Kein andrer soll sagen können, daß du ihm so zugetan warst wie mir, daß er deiner Liebe so versichert war wie ich, ich habe dich geliebt, ich habe dich geschont, die Biene trägt nicht sorgfältiger und behutsamer den Honig aus allen Blüten zusammen, wie ich aus deinen tausendfältigen Liebesergüssen mir Genuß sammelte.« – Da fielen meine Haarflechten nieder, Du nahmst sie und nanntest sie braune Schlangen und stecktest sie in Dein Gewand und zogst so meinen Kopf an Deine Brust, an der ich von Ewigkeit zu Ewigkeit ruhen sollte und des Denkens und des Treibens mich überheben, das wär' schön, das wär' wahr, das wär' so die rechte süße Faulheit meines Daseins, das ist die Paradiesesfrucht, nach der ich schmachten ruhen und schlafen in dem Bewußtsein, daß ich dem Herrlichsten nahe bin.


An meinen Freund.

Soweit hatte ich gestern geschrieben, dann ging ich abends spät noch in Gesellschaft, ich hatte den Vorsatz gefaßt, alles Liebliche und Tiefbedeutende, was ich mit Goethe erlebt, ihm in einem Zyklus solcher Briefe noch einmal darzulegen; jetzt stand mir alles so klar und deutlich vor Augen, als wenn mir's eben erst widerfahren wäre. Meine Seele war tief bewegt von diesen Erinnerungen und fern den Menschen wie der Mond, wenn er jenseits ist. Bei solchen Stimmungen bin ich immer auf eine sonderbare Spitze gehoben, nämlich zum Übermut. – Man war in der Gesellschaft schon von Goethes Tode unterrichtet, ich erzählte, daß ich eben nach Jahren zum erstenmal wieder an ihn geschrieben, sie machten alle trübe Gesichter, aber keiner teilte mir die Nachricht mit. Nachts um ein Uhr nach Haus; die Zeitung lag an meinem Bett, ich las die Anzeige seines Todes, ich war allein, ich brauchte keinem Red' und Antwort zu geben über mein Gefühl; ich konnte so ruhig dabei sein und entgegensehen allem, was es mir bringen werde; da war's ganz deutlich, daß diese Liebesquelle mir nicht versiegt sei mit dem Tod, ich schlief ein und träumte von ihm und erwachte, um mich zu freuen, daß ich ihn eben im Traum gesehen, und ich schlief wieder ein, um weiter von ihm zu träumen, und so verging mir diese Nacht voll süßem Trost, und ich war gewiß, sein Geist habe sich mit mir versöhnt, und nichts sei mir verloren.

Wem sollte ich nun wohl dies verwaiste Blatt vererben als dem Freund, der mit so innigem Anteil mich von ihm sprechen hörte, und wenn es ihm auch nur wär', was ein falbes Blatt ist, das der Wind vor seinen Füßen hinwirbelt, er wird doch erkennen, daß es am edlen Stamm gewachsen ist. –

Ich will den Ausgang jenes Abends mit Goethe hier auserzählen: Als ich wegging, begleitete er mit der Kerze mich ins zweite Zimmer, indem er mich umfaßte, fiel das brennende Licht an die Erde, ich wollte es aufheben, er aber litt es nicht. »Laß es liegen«, sagte er, »es soll mir ein Mal in den Boden brennen, wo ich dich zuletzt gesehen habe, sooft ich dran vorübergehe, will ich deiner lieben Erscheinung gedenken. Bleib mir treu, bleib mein«, sagte er; so küßte er mich auf die Stirn und schob mich zur Tür hinaus.

Wär' es nicht unrecht, daß am Fest der Verklärung die Nebel geheimer Vorwürfe aufstiegen und den sonnenhellen Horizont verdunkelten, so würde ich dem Freund hier verklagen, grade die, von der er weiß, daß sie gern rein und frei von jedem Fehl in der Liebe erscheinen möchte, ja, dies beschämte Herz! Sieh, wie groß seine Vergehen sind gegen die Liebe, der nicht bloß ein Zweig vom heiligen Baum des Ruhms anvertraut war, nein, der Baum selbst, der diese Sprossen sich ewig verjüngend treibt, war ihr zur Pflege befohlen, und sie hat sein nicht geachtet, ist nicht geblieben im Schutze dieses Baumes, der ohne sie fortgrünte.

*

An Goethe.

Aufgefahren gen Himmel! Die Welt leer, die Triften öde; denn gewiß ist's, daß Dein Fuß hier nicht mehr wandert. Mag auch Sonnenschein die Wipfel jener Bäume beglänzen, die Du gepflanzt hast! Mag sich das Gewölk teilen und der blaue Himmel sich ihnen auftun: sie wachsen nicht hinein; aber die Liebe? – Wie wär's, wenn die ihre Blütenkrone da oben als Teppich zu Deinen Füßen ausbreite? Wenn sie hinaufstrebte fort und fort, bis ihr Wipfel anstieß' an den Schemel Deiner Füße und dort alle Blüten entfaltend, ihren Duft um Dich schwenkend: – wär' das nicht auch zu den Himmelsfreuden zu zählen? – Ich hab' Vertrauen, daß Du mich hörst, daß mein Ruf aufwärts gehe zu Dir. – Hier auf Erden, da war's nicht möglich. Das Marktgewühl des alltäglichen Lebens ließ die Sehnsucht nicht durchdringen, keine einsame vertrauliche Zeit kam ihr zu Hilfe, ich selbst sagte mir hundertmal: »Es ist alles verloren.« Herr! Der mich hört, dem ich vertraue, daß er mich höre: gib Antwort. – Seit sie Dich tot sagen, klopft mir das Herz vor heimlicher Erwartung. Es ist, als hättest Du mich dahin bestellt, um mich zu überraschen wie sonst im Garten, wo Du aus umbuschten Nebenwegen hervortratst, den reifen Apfel in der Hand, den ich dann vor Dir herwarf, um Dich den Weg zu lenken in die Laube, wo die große Kugel am Boden lag. Da sagtest Du: »Da liegt die Welt zu deinen Füßen, und doch liegst du mir zu Füßen.« – Ja, die Welt und ich, wir lagen zu Deinen Füßen, jene kalte Welt, über der erhaben Du standest, und ich, die zu Dir hinaufstrebte. So kam's auch: die Welt blieb liegen, und mich zogst Du ans Herz. An Deinem Herzen, mein Freund, das warm schlug, wer kann ermessen, wie selig das war. Herr! Ist das alles wieder zu erwerben, mit süßem Bewußtsein noch einmal zu durchleben? –

O der falschen Welt, die uns trennte und mich wegführte, mich armes blindes Kind von meinem Herrn! Was hab' ich gesucht? – Was hab' ich gefunden? – Wer hat mich freudig angelächelt? Wessen Umarmung hab' ich ausgefüllt mit der liebenden Gewißheit, daß er nichts Seligeres umfassen könne? – Du warst zufrieden mit mir, Dich freute es zu sehen, wie aus dem Kinderherzen die Quelle der Begeistrung für Dich hervorbrach, warum mußte diese Quelle versiegen? – Konnte, sollte nicht der ganze Lebensstrom Deinem Lächeln, Deinem Grüßen und Nicken dahinfließen? – Wo war es schön als nur bei Dir? – Du kanntest die Grazien, ihr ferner Schritt schon gab den Rhythmus deiner Begeisterung. – Das stille Feuer Deiner dunklen Augen, die Ruhe Deiner Glieder, dein kindlich Lächeln zu meiner List im Erzählen, Deine gelehrige Andacht für meine Begeistrung. Ja, und Du senktest Dein heilig Haupt zu mir herab und sahst mich an, die ich geweiht war durch Deine Nähe.

*

An den Freund.

Vielleicht verscherz' ich Dein bißchen Andacht zu mir, daß ich Dich so tief in den Schacht meines Herzens einsenke, wo es so wunderlich hergeht, daß die Leute sagen würden, es sei Narrheit. – Ja, Narrheit ist die rechte Scheidewand zwischen dem ewig Unsterblichen und dem zeitlich Vergänglichen. Es scheue keiner, die irdischen Gewande zu vermehren am göttlichen Feuer. Du bist mein Freund, oder bist Du's auch nicht, ich weiß es nicht, immer muß ich Dich so annehmen, da Du mitten im Geheimnis meiner Brust stehst wie ein Pfeiler, an den ich mich anlehne, und wie der gewandte Schwimmer von gefährlicher Höhe sich in die Fluten stürzt vor solchen Augen, denen er seine Kühnheit bewähren möchte, so wage ich, weil Du mir Zeuge bist, diesen dämonischen Gewalten mich anheim zu geben, diese Tränenflut, in der ich spiele, diese Frühlingsbegeistrung meiner Liebeszeit zu Goethe und die Vorwürfe, die in mir aufsteigen würden, mir das Herz zerreißen, wenn ich nicht den Freund hätte, der zuhörte und nachempfinde, was ich hier ausspreche.

Der letzte Akt der Blütezeit ist, daß sie ihren befruchtenden Staub mit dem Samen in ihrem Kelch mische, dann tragen die Lüfte sich spielend mit ihren gelösten Blättern und gaukeln eine Weile mit dem Schmuck der Begeistrung. Bald sieht kein Auge mehr von ihrem Glanz, ihre Zeit ist vorüber; der Same aber quillt und offenbart in der Frucht das Geheimnis der Erzeugung. Vielleicht, wenn diese Blätter der Begeistrung vom Stamme gelöst dahinwirbeln und wie jene kleinen Blütenkronen, nachdem sie ihren Duft ausgehaucht, vom irdischen Staub beschwert, flügellahm sich endlich unter die Erde betten, daß es dann in dem Herzen des Freundes, dem sie duften, auch quillt und der Segen dieser schönen Liebe zwischen dem Dichter und dem Kinde sich an seinem Geist bewähre und ihn zu der Schönheit befruchte, deren Abbild in seinen edlen Zügen sich malt.

*

An Goethe.

Wie begierig nach Liebe warst Du! Wie begierig warst Du, geliebt zu sein! – »Nicht wahr, du liebst mich? Nicht wahr, es ist dein Ernst, du betrügst mich nicht?« – so fragtest Du, und ich sah Dich an und schwieg. »Ich bin leicht zu betrügen, mich kann jeder betrügen, betrüge mich nicht, mir ist lieber die Wahrheit, und wenn sie auch schmerzt, als daß ich umgangen werde.« Wenn ich dann aufgeregt durch solche Reden Dir mein Herz aussprach, da sagtest Du: »Ja, du bist wahr, so was kann nur die Liebe sagen.« – Goethe, hör' mich an! Heute spricht auch die Liebe aus mir; heute am dreißigsten März, acht Tage nach dem, welchen man als den Tag deines Todes bezeichnet, seit welchem Tag alle Deine Rechte mir im Busen sich geltend machen, als läg' ich noch zu Deinen Füßen; heute will die Liebe Dir klagen: Du! Oben – über den Wolken, nicht getrübt durch ihre Schwere, nicht gestört durch ihre Tränen; können Klagen in Dein Ohr dringen? – O, löse meine Klagen auf und erlöse mich, mache mich frei von dieser Sehnsucht, erkannt zu werden, und daß man meiner auch bedürfen möge, hast Du nicht mich erkannt? ja, mit prophetischer Stimme schlummernde Kräfte der Begeistrung in mir geweckt, die mir ewige Jugend zusagen, die mich weit über die Fähigkeit der Menschen, sich mir zu nähern, hinwegtragen? Hast Du mir nicht reichlich ersetzt im ersten Einklang mit meinem Herzen alles, was je mir konnte entzogen werden? Du, an den zu denken mir leises Gewittern im Herzen erregt, wo's gleich elektrisch schauert durch den Geist, wo gleich Schlummer befällt das äußere Leben und keine Erkenntnis mehr von den Ansprüchen der äußeren Welt. Wer hat je mein Herz gefragt? – Wer hat sich geneigt zur Blume, um ihre Farbe zu erkennen und ihren Duft zu atmen? – Wem hätte der Klang meiner Stimme (von der Du sagtest: Du fühlest, was Echo fühlen müsse, wenn die Stimme eines Liebenden an ihrer Brust widerhalle) eine Ahnung gegeben, welche Geheimnisse kraft Deiner dichterischen Segnungen sie auszusprechen vermöge? O Goethe! Du allein hast den Schemel Deiner Füße mir hingerückt und mir erlaubt, in Deiner Nähe meine Begeistrung auszuströmen. Was jammere ich denn? – Daß es so still ist um mich? Daß ich so einsam bin? – Nun wohl! In dieser einsamen Weite, wenn es einen Widerhall meiner Gefühle gibt, kannst nur Du es sein; wenn eine Tröstung mir zuweht aus freier Luft, so ist es der Atem Deines Geistes. Wer würde auch verstehen, was wir hier miteinander sprechen, wer würde sich feierlich fügen dem Gespräch Deines Geistes mit mir. – Goethe! – Es ist nicht mehr süß, unser Zusammensein! Es ist kein Kosen, kein Scherzen; die Grazien räumen nicht mehr um Dich her auf und ordnen jede Liebeslaune, jede Spielerei des Witzes zu heiteren Gedichten. – Die Küsse, die Seufzer, Tränen und Lächeln jagen und necken einander nicht mehr, es ist feierliche Stille, es ist feierliche Wehmut, die mich ganz durchgreift. In meiner Brust ordnen sich die Harmonien, die Tonarten lösen sich voneinander, jede fühlt die Organe ihrer Verwandtschaften in sich mächtig, und was sie vermag. So ist es in meiner Brust, weil ich's wage, mich vor Dich zu stellen, mitten in Deinen Weg, den Du eilend durchjagst, und Dich zu fragen: Kennst Du mich noch? – die außer Dir niemand kennt? – Siehe, inmitten dieser Brust steht der reine Kelch der Liebe, gefüllt bis zum Rand mit herbem Trank, mit bitteren Tränen schmerzlichen Entbehrens. Wenn die Harmonien übergehen ineinander, dann wird der Kelch erschüttert, dann strömen die Tränen; sie fließen Dir, der Du die Totenopfer liebst, der Du sagtest: »Unsterblich sein, um nach dem Tode tausendfach in jedem Busen zu erwachen.« Ja! Damals wollte ich: allein in meinem Busen solltest Du erwachen; und es ist wahr geworden, und dicht hinter mir und Dir ist das Leben abgeschlossen. Ach, ich bin Deiner heiligen Gegenwart nicht gewachsen, ich wage zu viel und stürze zusammen und sehne mich nach einer Brust, die lebt unter den Lebenden, die meine Geheimnisse aufnimmt und mich wärmt; denn: vor Dir stehen gibt schauerliche Kälte; und die Hände muß ich ringen, daß ich Deiner so verinnigt zu denken wage. Nein! – Nicht Dich rufen! – Nicht die Hände nach Dir ausstrecken, in dieser seltsamen schauerlichen Stunde nach Dir forschen über den Sternen, hinaufsehen, Deinen Namen rufen? – Ich wage es nicht! – O, ich fürchte mich! – Besser bescheiden den Blick senken auf das Grab, was Dich deckt; Blumen sammeln, sie Dir hinstreuen; ja, die süßen Blumen der Erinnerung, alle wollen wir sammeln, sie duften so geistig, mag sie einer bewahren zu Deinem und meinem Gedenken, oder mag sie der Zufall verwehen, einmal will ich die süßen Geschichten der Vergangenheit noch durchgehen.

Heute erzähle ich Dir, wie Du mich in dunkler Nacht unbekannte Wege führtest, das war in Weimar auf dem Markt, als wir an eine Treppe kamen und Du zuerst niederstiegst und als ich unsicher zu folgen versuchte, mich in Deinen Mantel gehüllt dahin trugst; Herr! Ist es wahr! – Hast mich in beiden Armen schwebend getragen? Wie schön warst Du da, wie groß und edel, wie leuchtete Dein durchdringender Blick dunkel im Glanz der Sterne mich an. Da oben mit beiden Armen Dich umschlingend, wie war ich selig! Wie lächeltest Du, daß ich so selig war, wie freute es Dich, daß Du mich hattest, über Dir schwebend mich trugst, wie freute ich mich, und dann schwang ich mich hinüber auf die rechte Schulter, um die linke nicht zu ermüden. Du ließt mich durch die erleuchteten Fenster sehen, eine Reihe friedlicher Abende von alt und jung, bei Lampenschein oder bei hellem Küchenfeuer, auch der kleine Hund und das Kätzchen waren dabei. Du sagtest: »Ist das nicht eine allerliebste Bildergalerie?« – So kamen wir von einer Wohnung zur andern aus den finstern Straßen hervor unter die hohen Bäume, ich reichte an die Äste, da rauschten die Vögel auf, da freuten wir uns, wir beide, Kinder, ich und Du. Und nun? – Du ein Geist, aufgefahren zu den Himmeln, und ich? – Unerleuchtet, unerfüllt, unerwartet, unverstanden, ungeliebt, ja, sie könnten mich fragen: »Wer bist du und was willst du?« Und wenn ich Antwort gäbe, würden sie sagen: »Wir verstehen dich nicht.« Du aber erkanntest mich und öffnetest mir die Arme, und das Herz und jede Frage war gelöst und jeder Schmerz beschwichtigt. – Dort im Park zu Weimar gingen wir Hand in Hand unter den dichtbelaubten Bäumen, das Mondlicht fiel ein, Du gabst mir viele süße Namen, es klingt noch in meinen Ohren: »Lieb Herz! Mein artig Kind!« Wie war ich erfreut zu wissen, wie ich Dir heiße; dann führtest Du mich an die Quelle, sie kam mitten aus dem Rasen hervor, wie eine grüne kristallne Kugel, da standen wir eine Weile und hörten ihrem Getön zu. »Sie ruft der Nachtigall«, sagtest Du, »denn die heißt auf Persisch Bulbul, sie ruft dich, du bist meine Nachtigall, der ich gern zuhöre.« Dann gingen wir nach Hause, ich saß an Deiner Seite, da war's so stille, nah an Deinem Herzen; ich hörte es klopfen, ich hörte Dich atmen, da lauschte ich und hatte keine Gedanken als bloß Deinem Leben zuzuhören. O Du! – Hier lang nach Mitternacht, allein mit Dir im Angedenken jener Stunde vor vielen Jahren, durchdrungen von Deiner Liebe, daß meine Tränen fließen; und Du! Nicht auf Erden, jenseits! – Wo ich Dich nicht mehr erreiche. – Ja, Tränen! – Alles umsonst. – So verging die Zeit an Deiner Brust, keine Ahnung, daß sie verging, es war alles für die Ewigkeit eingerichtet. Dämmerung – die Lampe warf einen ungewissen Schein an die Decke, die Flamme knisterte und leuchtete auf, das weckte Dich aus Deinem tiefen Sinnen. – Du wendetest Dich nach mir und sahst mich lange an, dann lehntest Du mich sanft aus Deinen Armen und sagtest: »Ich will gehen, sieh, wie unsicher das Nachtlicht brennt, wie beweglich die Flamme an der Decke spielt, grade so unsicher brennt eine Flamme in meiner Brust, ich bin ihrer nicht gewiß, ob sie nicht auflodere und dich und mich versehre.« Du drücktest meine Hände, Du gingst, ohne mich zu küssen. Ich blieb allein; erst, wie es sonderbar mit Liebenden ist, war ich ruhig, ich fühlte mich von Glanz umgeben und von Glanz erfüllt, aber plötzlich durchdrang mich der Schmerz, daß Du gegangen warst. Wem sollte ich's klagen, daß ich Dich nicht mehr hatte? Ich trat vor den Spiegel, da sah mein blasses Antlitz heraus, so schmerzlich sah das Auge mich an, daß ich vor Mitleid gegen mich selbst in Tränen ausbrach.

*

Dem Freund.

Es ist, als ob jeder Atemzug sich wieder aus der Vergangenheit erhebe, was ich vergessen zu haben glaubte, greift mit Macht in mich ein und erregt aufs neue das Feuer verhaltner Schmerzen.

So weit habe ich in der Nacht geschrieben, heut' am Tag schreibe ich noch als psychologische Merkwürdigkeit her, auf welche wunderbare Weise ich mich beschwichtigte, wie die geängstete, mit aller Willenskraft der Jugend ausgerüstete Seele sich half. – Auf dem Tisch vor dem Spiegel kniend, bei dem unsicheren Flackern der Nachtlampe, hilfesuchend im eignen Auge, das mir mit Tränen antwortete, die Lippen zuckten, die Hände so festgefaltet auf der Brust, die bedrängt, erfüllt war von Seufzern. Siehe da! – Wie oft hatte ich gewünscht, auch einmal vor ihm seine eigne Dichtung aussprechen zu dürfen, plötzlich fielen mir die großen gewaltigen Eichen ein, wie die vor wenig Stunden im Mondlicht über uns gerauscht hatten, und zugleich der Monolog der Iphigenia auf Tauris, der so beginnt: »Heraus in eure Schatten, rege Wipfel des alten heiligen dichtbelaubten Haines.« – Ich stand aufrecht vor dem Spiegel, es war mir, als ob Goethe zuhöre, ich sagte den ganzen Monolog her, laut, mit einer gewiß zum höchsten Grad des Kunstgefühls gesteigerten Begeistrung. Oft mußte ich innehalten, das leise verhaltne Beben der Stimme gab mir die Pausen ein, die in diesem Monolog so wesentlich sind, weil unmöglich die nach allen Seiten sich scharfrichtenden Blicke auf Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart, die seinen Inhalt ausmachen, alles in einem ununterbrochnen Lauf auffassen können. Meine Rührung, mein tief von Goethes Geist erschütterter Geist waren also Veranlassung, mein dramatisches Kunstgefühl zu steigern; ich empfand deutlich die Begeistrung der Begeistrung. – Ich fühlte mich wie in einer Wolke gebettet aufwärts schwebend, eine göttliche Gewalt trieb diese Wolke entgegen dem Ersehnten und zwar in der Verklärung seines eignen Werkes, welche schönere Apotheose seiner Einwirkung auf mich war zu erleben? – So waren denn alle Schmerzen der Sehnsucht gelöst in freudiges Flügelrauschen des Geistes. Wie ein junger Adler mit den Flügeln der Sonne zuwinkt, ohne sich emporzuschwingen, und im Gefühl seiner Kraft sie auf ihre Bahn zu verfolgen sich genügen läßt: so war ich heiter und froh. – Ich ging zu Bett und der Schlaf fiel über mich her wie ein erquickender Gewitterregen.

So ist von jeher und bis auf die heutige Stunde alles unbefriedigte Begehren durch Kunstgefühl aufgelöst worden. Jedes in der heiligen Natur begründete sinnliche Gefühl, alle unbefriedigte Leidenschaft steigert sich schon hier zu der Sehnsucht, überzugehen in eine höhere Welt, wo das Sinnliche auch Geist wird.

*

Ich danke Dir, Freund, daß ich Dir alles sagen darf, unter allen Menschen weiß ich keinen zweiten, dem ich diese Blätter hätte vertrauen mögen, ich will nicht zweifeln, daß Du ihren Wert erkennst, sie enthalten das Heiligtum von Goethes Pietät, aus der sein unendlicher Genius hervorgegangen war, der den Feuergeist des Lieblings sanft zu lenken verstand, daß er sich stets glücklich und in vollkommner Harmonie mit ihm. Mein Freund! – Dir ist's geschenkt, daß zutage komme, was sonst nie, nicht einmal in meinen einsamen Träumen sich wiederholt haben dürfte. Ich kann nicht über mich selbst entscheiden, was in mir vorgehe, ich fühle mich in einem magischen Kreis von Wunderwahrheiten eingeschlossen durch diese tiefen Erinnerungen, so daß ich sogar das Wehen der Luft von damals mit zu empfinden glaube, daß ich mich umsehe, als stände er hinter mir, und daß ich jeden Augenblick empfinde, wie durch die Berührung des irdischen Geistes von einem himmlischen überirdischen Geist alles Denken in mir entsteht. So will ich denn mein inniges Zutrauen zu Dir nicht verlieren und trotz schauerlichen Nachtgespenstern, die Du mir entgegenscheuchst, dennoch fortfahren, Dir mitzuteilen, wozu nur erprobte Treue berechtigt.

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Von ungemeßner Höhe strömt das Licht der Sterne herab zur Erde, und die Erde ergrünt und blüht in tausend Blumen den Sternen entgegen. Der Geist der Liebe strömt auch aus ungemeßner göttlicher Höhe herab in die Brust, und diesem Geist entgegen lächeln auch die Liebkosungen eines blühenden Frühlings empor! Du! Wie sich's die Sterne gefallen lassen, daß ihr Widerschein am frisch begrünten Boden im goldnen Blumenfeld erblüht, so lasse auch Dir es gefallen, daß Dein höherer Geist Dir tausendfältige Blüten der Empfindung aus meiner Brust hervorrufe. Ewige Träume umspannen die Brust, Träume sind Schäume, ja, sie schäumen und brausen die Lebensflut himmelan. Sieh, er kommt! – Ungeheure Stille in der weiten Natur, – es regt sich kein Lüftchen, es regt sich kein Gedanke; willenlos zu seinen Füßen der ihm gebundne Geist. – Kann ich lieben – ihn, der so erhaben über mir steht? – Welt, wie bist Du enge? – Nicht einmal dehnt der Geist die Flügel, so breitet er sie weit über Deine Grenze. Ich verlasse Wald und Aue, den Spielplatz seiner dichterischen Lust, ich glaubte den Saum seines Gewandes zu berühren, ich streckte die Hände aus nach ihm! – Es war mir, als fühle ich seine Gegenwart im blendenden Schimmer, der sich zwischen Tränen malt. – Es ist ja ein so einfacher Weg zwischen den Wolken durch, warum soll ich ihn nicht kühn wandeln? – Siehe, der Äther trägt mich so gut wie der Rasen – ich eile ihm nach, wenn ich ihn auch nicht erreiche, kurz vor mir ist er diesen Wolkensteig gewandelt, sein Atem verträgt sich noch mit dem Luftstrom, mag ich ihn doch trinken.

Nimm mich zurück, hilf mir herab, – das Herz bricht mir, ja das Herz ist nicht stark genug, die leidenschaftliche Gewalt, die sich über die Grenze bäumt, zu tragen. Führ' mich zurück auf die Ebne, wo mein Genius mich ihm einst entgegenführte in der blühenden Zeit zwischen Kindheit und Jugend, wo sich der Augenstern zum erstenmal zum Licht erhob, und wo er mit vollen Strahlen mir den Blick einnahm und jedes andre Licht mir wegdunkelte.

*

O komm herein, wie Du zum erstenmal kamst vor das Antlitz des erblassenden, verstummten, dem Verhängnis der Liebe folgenden Kindes, wie es da zusammensank, da es das Richtschwert in Deinen Augen blitzen sah, wie Du es auffingst in Deinen Armen. Die seit Jahren gesteigerte Sehnsucht nach Dir mit einem Male lösend, der Friede, der mich überkam an Deiner Brust! Der süße Schlaf, einen Augenblick, oder war's Betäubung? – Das weiß ich nicht. Es war tiefe Ruhe, wie Du den Kopf über mich beugtest, als wolltest Du mich in seinem Schatten bergen, und wie ich erwachte, sagtest Du: »Du hast geschlafen!« »Lange?« – fragte ich. »Nun, Saiten, die lange nicht in meinem Herzen geklungen haben, fühlt' ich berührt, so ist mir die Zeit schnell genug vergangen. Wie sahst Du mich so mild an! – Wie war mir alles so neu! – Ein menschlich Antlitz zum erstenmal erkannt, angestaunt in der Liebe. Dein Antlitz, o Goethe, das keinem andern vergleichbar war, zum erstenmal mir in die Seele leuchtend. – O, Herrlicher! – Noch einmal knie ich hier zu Deinen Füßen, ich weiß, Deine Lippen träufeln Tau auf mich herab aus den Wolken, ich fühle mich wie belastet mit Früchten der Seligkeit, die all Dein Feuergeist in mir gezeitigt, ja, ich fühl's, Du siehst auf mich herab aus himmlischen Höhen, lasse mich bewußtlos sein, denn ich vertrag's nicht, Du hast mich aus den Angeln gehoben, wo steh' ich fest? – Der Boden wankt, schweben soll ich fortan, denn weil ich mich nicht mehr auf Erden fühle; keinen kenne ich mehr, keine Neigung, keinen Zweck als nur schlafen, schlafen auf Wolken gebettet an den Stufen Deines himmlischen Thrones, Dein Auge Feuerwache haltend über mir, Dein allbeherrschender Geist sich über mich beugend im Blütenrausch der Liebeslieder. Du! Säuselnd über mir, Nachtigall flötend: das Gestöhn meiner Sehnsucht. Du! Stürmend über mir, wetterbrausend: die Raserei meiner Leidenschaft. Du! – Aufjauchzend, himmelandringend die ewigen Hymnen beglückender Liebe, daß der Widerhall ans Herz schmettert, ja, zu Deinen Füßen will ich schlafen, Gewaltiger! Dichter! Fürst! Über den Wolken, während Du die Harmonien ausbreitest, deren Keime zuerst Wurzel faßten in meinem Herzen.

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Dem Freund.

Gebete steigen gen Himmel, was ist er, der auch himmelan steigt? – Er ist auch Gebet, gereift unter dem Schutz der Musen. – Eros, der himmlische, leuchtet vorauf und teilt ihm die Wolken, ich aber kann's nicht sehen, ich muß mich verbergen.

Sein Stolz! – Sein heiliger Stolz in seiner Schönheit. Heute sagt jemand, das sei nicht möglich, er sei sechzig Jahre alt gewesen, wie ich ihn zum erstenmal gesehen, und ich eine frische Rose. O, es ist ein Unterschied zwischen Frische der Jugend und der Schönheit, die der göttliche Geist den menschlichen Zügen einprägt, Schönheit ist ein von der Gemeinheit abgeschloßnes Dasein, sie verwelkt nicht, sie löst sich nur von dem Stamm, der ihre Blüte trug, aber ihre Blüte sinkt nicht in den Staub, sie ist beflügelt und steigt himmelan. Goethe, Du bist schön! Ich will Dich nicht zum zweitenmal in Versuchung führen, wie damals in der Bibliothek, Deiner Büste gegenüber, die in Deinem vierzigsten Jahr das vollkommne Ebenmaß Deiner höchsten Schönheit ausdrückte; da standst Du im grünen Mantel gewickelt an den Pfeiler gelehnt, forschend, ob ich doch endlich in diesen verjüngten Zügen den gegenwärtigen Freund erkenne, ich aber tat nicht dergleichen, ach, Scherz und geheime Lust ließen mir's nicht über die Lippen. »Nun?« – fragte er ungeduldig. »Der muß ein schöner Mann gewesen sein«, sagte ich. – »Ja wahrlich! Dieser konnte wohl sagen zu seiner Zeit, er sei ein schöner Mann«, sagte er erzürnt; ich wollte an ihn herangehen, er wies mich ab, einen Augenblick war ich betroffen; – »halte stand wie dies Bild«, rief ich, »so will ich Dich wieder sanft schmeicheln, willst Du nicht? – Nun, so laß ich den Lebenden und küsse den Stein so lange, bis Du eifersüchtig wirst.« – Ich umfaßte die Büste und küßte diese erhabne Stirn und diese Marmorlippen, ich lehnte Wang' an Wange, da hob er mich plötzlich weg und hielt mich hoch in seinen Armen über seiner Brust, dieser Mann von sechzig Jahren sah an mir hinauf und gab mir süße Namen und sagte die schönen Worte: »Liebstes Kind, du liegst in der Wiege meiner Brust«, dann ließ er mich an die Erde, er wickelte meinen Arm in seinen Mantel und hielt mir die Hand an sein klopfend Herz und so gingen wir langsamen Schrittes nach Haus; ich sagte: wie schlägt Dein Herz! – »Die Sekunden, die mit solchem Klopfen mir an die Brust stürmen«, sagte er, »sie stürzen mit übereilter Leidenschaft dir zu, auch du jagst mir die unwiederbringliche Zeit vorwärts.« – So schön fing er die Bewegung seines Herzens in süßen Worten ein, der heilige unwidersprechliche Dichter. –

Mein Freund, ich sage Dir gute Nacht. Weine mit mir einen Augenblick – schon ist Mitternacht vorüber, die Mitternacht, die ihn weggenommen hat.

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Gestern hab' ich noch viel an Goethe gedacht, nein, nicht gedacht: mit ihm verkehrt. Schmerz ist bei mir, nicht Empfinden, es ist Denken, ich werde nicht berührt, ich werde erregt. Ich fühle mich nicht schmerzlich behandelt, ich handle selbst schmerzlich. – Das hat also weh getan, wie ich gestern mit ihm war. – Ich hab' auch von ihm geträumt. – Er führte mich längs dem Ufer eines Flusses schweigend und ruhig und bedeutsam, ich weiß auch, daß er sprach, einzelne Worte, aber nicht was. Die Dämmerung schwärmte wie vom Wind gejagte zerrissene Nebelwolken, ich sah das zitternde Blinken der Sterne im Wasser, mein gleichmäßiger Schritt an seiner Hand machte mir das Bewegte, Irrende in der Natur um so fühlbarer, das rührte mich und berührt mich jetzt, während ich schreibe. Was ist Rührung? Ist das nicht göttliche Gewalt, die eingeht durch meine Seele wie durch eine Pforte in meinem Geist, eindringt, sich mischt und verbindet mit einer Natur, die vorher unberührt war, mit ihr neue Gefühle, neue Gedanken, neue Fähigkeiten erzeugt! Ist es nicht auch ein Traum, der den grünen Teppich unter Deinen Füßen ausbreitet und ihn mit goldnen Blumen stickt? – Und alle Schönheit, die Dich rührt, ist sie nicht Traum? Alles, was Du haben möchtest, träumst Du nicht gleich Dich in seinen Besitz? – Ach, und wenn Du so geträumt hast, mußt Du dann es nicht wahr machen oder sterben vor Sehnsucht? – Und ist der Traum im Traum nicht jene freie Willkür unseres Geistes, die alles gibt, was die Seele fordert? Der Spiegel dem Spiegel gegenüber, die Seele inmitten, er zeigt ihre Unendlichkeit in ewiger Verklärung.

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Dem Freund.

Du willst, ich soll Dir mehr noch von ihm sagen, alles? – Wie kann ich's? – Gar zu schmerzlich wär's, von ihm getrennt, alle Liebe zu wiederholen; nein! Wenn mir's wird, daß ich ihn selbst seh' und spreche, wie mir's in diesen beiden Tagen erging, wenn ich zu ihm bitten kann wie sonst, wenn ich hoffen kann, daß er mir wieder die ewige heilige Rede seines Blickes zuwendet, dann will ich die Erinnerungen, die aus diesem Blick mir zuwinken, Dir mitteilen. So wird's auch kommen: es ist nicht möglich, daß, bloß weil die leichte Hülle von ihm gesunken, dies alles nicht mehr sein oder sich ändern sollte. Ich will vertrauen, und was andre für unmöglich halten, das soll mir möglich werden. Was wär' die Liebe, wenn sie nichts anders wär', als was die unregsame Menschheit an sich erfährt; ach, sie erfährt nichts als ihren Ablauf. Schon in dem Augenblick, wo wir kühn genug sind, die Ewigkeit zum Zeugen unseres Glückes aufzufordern, haben wir die Ahnung, daß wir ihr nicht gewachsen sind, ach und nicht einmal: wir wissen vielmehr gar nichts von ihr. Von ihr wissen und in ihr sein ist zweierlei; gewußt hab' ich von ihr, wie ich nicht mehr in ihr war. Dies ist der Unterschied: in ihr leben, da lebt man im Geheimnis, der innere Mensch umfaßt, begreift nicht die Wirkung, die es auf ihn hat. Von ihr leben: da lebt man in der Offenbarung, man wird gewahr, wie eine höhere Welt uns einst in sich aufgenommen hatte, man fühlt die Merkzeichen früherer göttlicher Berührung das, was Scherz der Liebe schien, erkennen wir nun als himmlische Weisheit, wir sind erschüttert, daß der Gott uns so nah war, daß unser irdisch Teil in ihm sich nicht verzehrte, daß wir noch leben, noch sind, noch denken, daß wir nicht auf ewig aufgegeben haben, was man so gern in glücklicher Stunde, am Busen des Freundes aufgibt, nämlich, was anders zu sein als tief empfunden von dem Geliebten.

Einmal stand ich am Fenster mit ihm, es war Mondschein, die Blätter der Reben schatteten sich ab auf seinem Antlitz, der Wind bewegte sie, so daß sein Aug' bald in Schatten kam, bald wieder im Mondlicht glänzte. Ich fragt': »Was sagt dein Aug'?« – Weil mir's schien, als plaudre es. – »Du gefällst mir!« – »Was sagen deine Blicke?« – »Du gefällst mir wie keine andre mir gefällt«, sagte er; »o ich bitte, sage doch, was willst du mit deinem durchdringenden Blick?« fragte ich; denn ich hielt seine Rede für keine Antwort auf meine Frage. – »Er beteuert«, sagte er, »was ich sage, und beschwört, was ich nicht wage, daß kein Frühling, Sommer, Herbst und Winter meinen Blick dir soll verlocken. Denn du lächelst mir ja zu, wie der Welt du niemals lächelst, soll ich dir da nicht beschwören, was der Welt ich nie geschworen?«

Es ist mir häufig nur gleich einem Lichtstreif, der mir durch die Sinne fährt und Erinnerungen in mir erhellt, von denen ich kaum weiß, ob sie bedeutend genug sind, daß man sie als etwas Erlebtes bezeichne. – In der Natur ist's auch so, was spiegeln kann, das gibt wider die Schrift der Liebe, der See malt die hohen Bäume, die ihn umgeben, grade die höchsten Wipfel in die tiefste Tiefe, und die erhabenen Sterne finden noch tiefere Tiefe in ihm, und die Liebe, die alles erzeugte, bildet zu allem den Grund, und so kann ich mit Recht sagen: unergründlich Geheimnis lockt alles zum Spiegel der Liebe, sei es auch noch so gering, sei es auch noch so entfernt.

Wie ich ihn zum erstenmal sah, da erzählte ich ihm, wie mich die Eifersucht gequält habe, seit ich von ihm wisse; es waren nicht seine Gedichte, nicht seine Bücher, die mich so ganz leidenschaftlich stimmten, ich war viel zu bewegt, noch eh' ich ihn gesehen hatte, meine Sinne waren viel zu verwirrt, um den Inhalt der Bücher zu fassen, ich war im Kloster erzogen und hatte noch nicht Poesie verstehen lernen: aber ich war schon im sechzehnten Jahr so von ihm hingerissen, daß, wenn man seinen Namen nannte, man mochte ihn loben oder tadeln, so befiel mich Herzklopfen; ich glaub', es war Eifersucht, ich ward schwindlig, war es bei Tisch, wo meine Großmutter manchmal von ihm sprach, so konnt' ich nicht mehr essen, währte das Gespräch länger, so vergingen mir die Sinne, ich ward nichts mehr gewahr, es brauste um mich her, und wenn ich allein war, dann brach ich in Tränen aus, ich konnte die Bücher nicht lesen, ich war viel zu bewegt, da war's gleichsam, als erstürzte der Strom meines Lebens über Fels und Geklüft in tausend Kaskaden herab, und es dauerte lang', ehe er sich wieder zur Ruh' sammelte. – Da kam nun einer, der trug einen Siegelring am Finger und sagte, den habe Goethe ihm geschenkt. Das klagte ich ihm, wie ich ihn zum erstenmal sah, wie sehr mich das geschmerzt habe, daß er einen Ring so leichtsinnig habe verschenken können, noch ehe er mich gekannt. Goethe lächelte zu diesem seltsamen Liebesklagen nicht, er sah milde auf mich herab, die zutraulich an seinen Knien auf dem Schemel saß. Beim Weggehen steckte er mir den Ring an den Finger und sagte: »Wenn einer sagt, er habe einen Ring von mir, so sage du: Goethe erinnert sich an keinen wie an diesen.« – Nachher nahm er mich sanft an sein Herz, ich zählte die Schläge. – »Ich hoffe, du vergißt mich nicht«, sagte er, »es wäre undankbar, ich habe ohne Bedingungen alle deine Forderungen soviel wie möglich befriedigt.« – »Also liebst Du mich«, sagte ich, »und ewig; denn sonst bin ich ärmer wie je, ja, ich muß verzweifeln.«

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Heute morgen hab' ich einen Brief vom Kanzler Müller erhalten, der folgendes über Goethe schrieb: »Er starb den seligsten Tod, selbstbewußt, heiter, ohne Todesahnung bis zum letzten Hauch, ganz schmerzlos. Es war ein allmählich sanftes Sinken und Verlöschen der Lebensflamme, ohne Kampf. Licht war seine letzte Forderung, eine halbe Stunde vor dem Ende befahl er: ›Die Fensterladen auf, damit mehr Licht eindringe.‹«

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An Goethe.

Heute wollen wir der Leier andre Saiten aufziehen! Heute bin ich so glücklich! Herr und Meister! Heute ist mir ein so herrlicher überraschender Entschluß aus der Seele hervorgegangen, der mich Dir so nah' bringen wird. Du hast mich wie ein läuterndes Feuer durchgriffen und alles Überflüssige, alles Unwesentliche, weggezehrt. Es rauscht so selig durch mich – keine lustvollere, keine jugendlichere Zeit von heut' an bis zu Dir hinüber.

Wer kann sich mit mir messen? – Was wollen die? – die über mich urteilen? – Wer mich kennt, wer mich fühlt, will nicht urteilen. – Wie die Sonne freundlich mit ihren Streiflichtern auf Deinem Antlitz spielt, so spielt die Liebe, die Laune mir am Herzen, und wen ich liebe, dem bringt es Ehre, und wen ich Freund nenne, der kann sich drüber freuen, dem hab' ich Ehre erzeugt, denn er kam gleich nach Dir. Wenn's in mir klopfte und tobte, dann strömte mir die Liebeslust die Melodien dazu, und die Begeistrung nahm sie in den allumrauschenden Ozean der Harmonien auf. Du hörtest mir zu und ließest die andern den Verstand haben, sich meiner Narrheit zu entsetzen; unterdessen strömte Ewiges durch Deine Lieder, und der Eifersucht Brand teilte die Nebelschauer auseinander, der Sonne kräftiger Strahl lockte Blüte und Frucht.

Ja, ewiger Rausch der Liebe und Nüchternheit des Verstandes, Ihr stört einander nicht, die eine jauchzt Musik, die andre liest den Text. – Bildet euch, urteilt, macht euch Namen, nützlich, herrlich und groß. Habt Launen und was ihr versäumt? – erkennt es nie! Denn ich und er, der mir im ungemeßnen Leben zuströmte, ersetzt mir alles.

Du bist oben, Du lächelst herab! O, dieses Jahres Frühlingsregen, die Gewitter seiner Sommerzeit, sie kommen aus Deinem Bereich. Du wirst mir zudonnern, Du wirst Deine gewaltige tiefe Natur mir ans Herz schmettern, und ich jauchze mich hinauf.

Wenn die Begeistrung den Weg zum Himmel nimmt, dann schwingt sie sich tanzend im Flug, und die Götterjünglinge stehen gereiht und freuen sich ihrer Kühnheit. – Und Du? – Du bist stolz, daß sie der Liebling Deiner irdischen Tage ist, die den Luftozean mit lustbrausender Ungeduld durchrudert, aufspringt mit gleichen Füßen am Himmelsbord und mit hochauflodernder Fackel Dir entgegenfliegt, sie über Dir schwingend, dann sie hinschleudernd in die hallenden Himmelsräume, daß sie dem Zufall leuchte zum Dienst, ihr ist's einerlei wie; sie liegt im Schoß des Geliebten, und Eros, der Eifersüchtige, hält Wache, daß nicht ähnliche Flammen in ihrer Nähe sich zünden.

In Böhmen, am Waldesrand auf der Höhe, da harrtest Du meiner, und wie ich Dir entgegenkam, den steileren kürzeren Weg kletternd, da standest Du fest und ruhig wie eine Säule; der Wind aber, der Bote des heranrückenden Wetters, raste gewaltig und wühlte in den Falten Deines Mantels und hob ihn und warf ihn Dir übers Haupt und wieder herab und wehte an beiden Seiten ihn mir entgegen, als wolle er Dich mit herabziehen zu mir, die ich ein kleines Weilchen unweit Deiner Höhe ausruhte vom Steigen, um die klopfenden Schläfen und die erhitzten Wangen zu kühlen, und dann kam ich zu Dir, Du nahmst mich vor Dich an die Brust und schlugst die Arme um mich, in Deinen Mantel mich einhüllend. Da standen wir im leisen Regen, der sich durch das dickbelaubte Gezweig stahl, daß hie und da die warmen Tropfen auf uns fielen. Da kamen die Wetter von Osten und Westen, wenig wurde geredet. Wir waren einsilbig. »Es wird sich verziehen jenseits«, so sagtest Du, »wenn es nur nicht da unten so schwarz heraufkäme.« – Und die Scharen der Wolken ritten am Horizont herauf, – es ward dunkel, – der Wind hob kleine Staubwirbel um uns her Deine linke Hand deutete auf die Ferne, während die rechte das Gekräut und die bunten Pflanzen hielt, die ich unterwegs gesammelt hatte. – »Sieh, dort gibt's Krieg! – Diese werden jene verjagen; wenn meine Ahnung und Erfahrungen im Wetter nicht trügen, so haben wir ihrer Streitsucht den Frieden zu danken.« – Kaum hattest Du diese Worte ausgesagt, so blitzte es und brach wie von allen Seiten der Donner los; – ich sah über mich und streckte die Arme nach Dir, Du beugtest Dich über mein Gesicht und legtest Deinen Mund auf meinen, und die Donner krachten, prallten aneinander, stürzten von Stufe zu Stufe den Olympos herab, und leise rollend flüchteten sie in die Ferne, kein zweiter Schlag folgte. –

»Hält man das Liebchen im Arm: läßt man die Wetter überm Haupt sich ergehen!« Das waren Deine letzten Worte da oben, wir gingen hinab, Hand in Hand. – Die Nacht brach ein, in der Stadt zündete die Obstfrau eben ihr Licht an, um ihre Äpfel zu beleuchten, Du bliebst stehen und sahst mich lange an. – »So benützt Amor die Leuchte der Alten, und man betrachtet bei einer Laterne seine Äpfel und sein Liebchen.« – Dann führtest du mich schweigend bis zu meiner Wohnung, küßtest mich auf die Stirn und schobst mich zur Haustür hinein. Süßer Friede war die Wiege meiner träumenden Lust bis zum andern Morgen.

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An den Freund.

Nach zehn Jahren ward dies schöne Ereignis, was so deutlich in meinem Gedächtnis eingeprägt blieb, Veranlassung zur Erfindung von Goethes Monument. Moritz Bethmann aus Frankfurt am Main hatte es bestellt, er wünschte, der unwidersprechliche Charakter des Dichters möge drin ausgedrückt werden. Er traute mir das Talent zu, daß ich die Idee dazu finden würde, obschon ich damals noch nichts mit der Kunst zu schaffen gehabt hatte. – In demselben Augenblick fiel mir Goethe ein, wie er damals am Rand des Berges gestanden, den Mantel unter den Armen hervor zusammengeworfen, ich an seiner Brust. – Das Erfindungsfieber ergriff mich, oft mußt' ich mich zerstreuen, um nur nicht mich ganz überlassen zu dürfen dem Gebrause der Imagination und den Erschütterungen der Begeistrung. Nachdem ich die Nächte nicht geschlafen und am Tag nichts genossen, war meine Idee gereinigt vom Überflüssigen und entschieden fürs Wesentliche.

Ein verklärtes Erzeugnis meiner Liebe, eine Apotheose meiner Begeistrung und seines Ruhms; so nannte es Goethe, wie er es zum erstenmal sah.

Goethe in halber Nische auf dem Thron sitzend, sein Haupt über die Nische, welche oben nicht geschlossen, sondern abgeschnitten ist, erhaben, wie der Mond sich über den Bergesrand heraufhebt. Mit nackter Brust und Armen. Den Mantel, der am Hals zugeknöpft ist, über die Schultern zurück, unter den Armen wieder hervor, im Schoße zusammengeworfen, die linke Hand, welche damals nach den Gewittern deutete, hebt sich jetzt über der Leier ruhend, die auf dem linken Knie steht; die rechte Hand, welche meine Blumen hielt, ist in derselben Art gesenkt und hält, nachlässig seines Ruhms vergessend, den vollen Lorbeerkranz gesenkt, sein Blick ist nach den Wolken gerichtet, die junge Psyche steht vor ihm wie ich damals, sie hebt sich auf ihren Fußspitzen, um in die Saiten der Leier zu greifen, und er läßt's geschehen, in Begeistrung versunken. Auf der einen Seite der Thronlehne ist Mignon als Engel gekleidet mit der Überschrift: »So laßt mich scheinen, bis ich werde«, jenseits Bettina, wie sie, zierliche kindliche Mänade, auf dem Köpfchen steht, mit der Inschrift: »Wende die Füßchen zum Himmel nur ohne Sorge! Wir strecken Arme betend empor, aber nicht schuldlos wie Du.«

Es sind jetzt acht Jahre her, daß ein hiesiger Künstler die Gefälligkeit hatte, mit mir eine Skizze in Ton von diesem Monument zu machen, es steht in Frankfurt auf dem Museum, man war sehr geneigt, es in Ton ausführen zu lassen, da gab Goethe das Frankfurter Bürgerrecht auf, dies verminderte zu sehr das Interesse für ihn, als daß man noch mit der Energie, die dazu nötig war, die Sache betrieben hätte, und so ist's bis heute unterblieben. Ich selbst hab' oft in mich hineingedacht, was meine Liebe zu ihm denn wohl bedeute, und was daraus entspringen könne, oder ob sie denn ganz umsonst gewesen sein solle, da fiel mir's in diesen letzten Tagen ein, daß ich so oft schon als Kind überlegte, wenn er gestorben wär', was ich da anfangen solle, was aus mir werden solle, und daß ich da immer mir dachte, auf seinem Grab möchte ich ein Plätzchen haben, bei seinem Denkmal möchte ich versteinert sein wie jene Steinbilder, die man zu seinem ewigen Nachruhm aufstellen werde; ja, ich sah im Geist mich in ein solches Hündchen, das gewöhnlich zu Füßen hoher Männer und Helden als Sinnbild der Treue ausgehauen liegt, darin möcht' ich mich verwandeln. Heute nacht dachte ich daran, daß ich früher öfter in solche Visionen versunken war, und da war mir's so klar, daß dies der Keim sei zu seinem Monument, und daß es mir obliege, seine Entstehung zu bewirken. Seit ich diesen Gedanken erfaßt habe, bin ich ganz freudig und habe große Zuversicht, daß es mir gelingen werde. Goethe sagte mir einmal folgende goldne Worte: »Sei beständig, und was einmal göttlicher Beschluß in dir bedungen, daran setze alle Kräfte, daß du es zur Reife bringst. Wenn die Früchte auch nicht derart ausfallen, wie du sie erwartest, so sind es doch immer Früchte höherer Empfindungen, und die allseitig erzeugende lebenernährende Natur kann und soll von der ewigen göttlichen Kraft der Liebe noch übertroffen werden.« – Dieser Worte gedenkend, die er damals auf unsre Liebe bezog, und ihnen vertrauend, daß sie noch heute meine schwache Natur zum Ziel leiten, werde ich verharren in diesem Beschluß; denn solche Früchte erzeugt die Liebe; wenn es auch die nicht sind, die ich damals erwartete, so traue ich doch seiner Verheißung, es werde mir gelingen.

Zur Geschichte des Monuments gehört noch, daß ich es selbst zu Goethe brachte. Nachdem er es lange angesehen hatte, brach er in lautes Lachen aus; ich fragte: »Nun! Mehr kannst du nicht als lachen?« – Und Tränen erstickten meine Stimme. – »Kind! Mein liebstes Kind!« rief er mit Wehmut, »es ist die Freude, die laut aus mir aufjauchzt, daß du liebst, mich liebst; denn so was konnte nur die Liebe tun.« – Und feierlich mir die Hände auf den Kopf legend: »Wenn die Kraft meines Segens etwas vermag, so sei sie dieser Liebe zum Dank auf dich übertragen.« – Es war das einzigemal, wo er mich segnete, anno 24 am 5. September.

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Der Freund weiß, daß die Sehnsucht nicht ist, wie der Mensch sich von ihr denkt, wie von dem Brausen des Windes und von beiden falsch; nämlich, daß beide so sind und auch wohl wieder vergehen; und die Frage: Warum und woher und wohin, ist ihnen bei der Sehnsucht wie bei dem Wind. Aber: wie hoch herab senken sich wohl diese Kräfte, die das junge Gras aus dem Boden hervorlocken? – Und wie hoch hinauf steigen wohl diese Düfte, die sich den Blumen entschwingen? – Ist da eine Leiter angelegt? – Oder steigen alle Gewalten der Natur aus dem Schoß der Gottheit herab und ihre einfachsten Erzeugnisse wieder zu ihrem Erzeuger hinauf? – Ja gewiß! – Alles, was aus göttlichem Segen entspringt, kehrt zu ihm hinauf! Und die Sehnsucht nach Ihm, der erst niedersank wie Tau auf den durstigen Boden des menschlichen Geistes, der hier in seine herrlichste Blüte sich entfaltete, der aufstieg im Duft seiner eigenen Verklärung: sollte diese Sehnsucht nicht auch himmelan steigen? – Sollte sie den Weg zu ihm hinauf nicht finden?


Dieses Fleisch ist Geist geworden.

Diese Worte habe ich als Inschrift des Monuments erwählt. Was der Liebende dir zuruft, Goethe, es bleibt nicht ohne Antwort. Du belehrst, du erfreust, du durchdringst, du machst fühlbar, daß das Wort Fleisch annimmt in des Liebenden Herz.

Wie der Ton hervorbricht aus dem Nichts und wieder hinein verhallt, der das Wort trug, was nie verhallt, was in der Seele klingt und alle verwandten Harmonien ausruft: so bricht auch die Begeisterung hervor aus dem Nichts und trägt das Wort ins Fleisch und verhallt dann wieder. – Der Geist aber, der sich vermählt mit der Weisheit des Wortes, wie jene himmlischen Kräfte sich im Boden vermählen mit dem Samen, aus dessen Blumen sie im Duft wieder aufsteigen zu ihrem Erzeuger, der wird auch emporsteigen, und ihm wird Antwort ertönen vom himmlischen Äther herab.

Der Zug der Lüfte, die auch aufseufzen und daherbrausen wie die Sehnsucht, von denen wir nicht wissen, von wannen, die haben auch keine Gestalt; sie können nicht sagen: »Das bin ich!« Oder: »Das ist mein!« – Aber der Atem der Gottheit durchströmt sie, der gibt ihnen Gestalt; denn er gebärt sie durch das Wort ins Fleisch. – Du weißt, daß die Liebe die einzige Gebärerin ist; – daß, was sie nicht darbringt dem himmlischen Erzeuger, nicht zur ewigen Sippschaft gehöre? – Was ist Wissen, das nicht von der Liebe ausgeht? – Was ist Erfahrung, die sie nicht gibt? – Was ist Bedürfnis, das nicht nach ihr strebt? – Was ist Handeln, das nicht sie übt? Wenn Du die Hand ausstreckst und hast den Willen nicht, die Liebe zu erreichen, was hast Du da? – Oder was erfassest Du? – Der Baum, den du mit allen Wurzeln in die Grube einbettest, dem Du die fruchtbare Erde zuträgst, die Bäche zuleitest, damit er, der nicht wandern kann, alles habe, was ihn gedeihen macht, der blüht Dir und Deine Sorge schenkst Du ihm darum; ich auch tue alles, damit sein Andenken mir blühe. – Die Liebe tut alles sich zu lieb', und doch verläßt der Liebende sich selber und geht der Liebe nach.


Ende des Tagebuchs.

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