Sechstes Kapitel.

Vom Augsburger Reichstag zum Nürnberger Religionsfrieden 1532; Tod Kurfürst Johannes.

Sobald Luther wieder in seine amtliche Thätigkeit in Wittenberg eintrat, nahm er hier auch schon wieder außerordentliche Arbeit auf sich. Denn noch im October ging Bugenhagen nach Lübeck, wie früher nach Braunschweig und Hamburg. Die wichtigsten Fortschritte, welche die Reformation überhaupt in jenen Jahren machte, wo sie so auf den Reichstagen erst noch heiß um ihre Berechtigung kämpfen mußte, waren die in den norddeutschen Städten. Luther hatte schon bald nach seiner Ankunft auf Coburg die Nachricht erhalten, daß die Städte Lübeck und Lüneburg sich ihr geöffnet haben. Die Lübecker Bürgerschaft wollte nur noch evangelische Prediger dulden und schaffte die unevangelischen Bräuche ab, obgleich eine Gegenpartei sich an den Kaiser wandte und auch wirklich ein Mandat, das die Neuerungen verbot, von ihm erlangte. Um die neuen Ordnungen durchzuführen, hätten die Lübecker am liebsten Luther selbst herbeigerufen. Gesandte von ihnen baten Kurfürst Johann in Augsburg wenigstens um Bugenhagen. Unter diesen Umständen war auch Luther einverstanden, daß man demselben Urlaub geben müsse, obgleich ihn die Wittenberger Gemeinde und Universität schwer entbehren könne. Man brauche, meinte er, jenen hier um so mehr, da er selbst nicht mehr viel zu brauchen sein werde; denn er sei seines Alters, seiner Gesundheitsumstände und vielmehr seines Lebens selbst so müde, daß diese verfluchte Welt ihn wohl nicht mehr lange sehen und ertragen werde.

Aber er übernahm sogleich wieder, soweit seine Gesundheit es erlaubte, die Amtsgeschäfte des Stadtpfarrers, welchen seine Aufgabe diesmal anderthalb Jahre lang, bis in den April 1532, von Wittenberg fern hielt: so nicht blos die Wochenpredigten, die dieser am Mittwoch und Sonnabend fortlaufend über das Matthäus- und Johannesevangelium zu halten pflegte, sondern auch die Seelsorge und die Verwaltungsgeschäfte; er klagte sich selbst an, daß unter ihm der Kirchenkasten vernachlässigt werde und er überhaupt oft zu müde und träge sei. In seinem leiblichen Befinden kehrten besonders Beschwerden des Kopfes, Schwindel und Herzaffectionen wieder, steigerten sich im März und Juni 1531 und wurden noch heftiger und beängstigender im folgenden Jahre.

Zugleich führte er jetzt in anhaltendem Fleiße seine Uebersetzung der Propheten zu Ende; im Herbst 1531 erzählte er dem Spalatin, daß er täglich zwei Stunden auf ihre Correctur verwende. Von den Psalmen ließ er eine neue Auflage in neuer Bearbeitung erscheinen, gab auch wieder ein paar Psalmen mit praktischer Auslegung heraus.

Neben diesen Arbeiten aber, in die er immer am liebsten sich vertiefte, verblieb dem Reformator die Hauptaufgabe, in den großen kirchenpolitischen Fragen, Verhandlungen und Gefahren, die mit dem Abschluß des Reichstags und vermöge des dort gestellten Termins erst recht dringend wurden, seinen Fürsten zu berathen, ja die protestantischen Glieder des Reiches insgemein durch seine gewichtigen Gewissensrathschläge zu leiten.

Am 19. November wurde jener Reichsabschied trotz des Widerspruchs der Protestanten in Augsburg verkündigt. Sie behielten die Bedenkzeit bis zum 15. April; aber Kaiser und Reich bestanden fest auf den alten kirchlichen Ordnungen, und schon jetzt wurden jene angehalten, die Kirchen- und Klostergüter herauszugeben. Es wurde auch von ihnen bemerkt, daß nicht einmal eine wirkliche Friedenszusage von Seiten des Kaisers im Reichsabschied enthalten, sondern nur den Ständen Frieden zu halten geboten sei. In der That hatte der Kaiser schon am 4. October dem Papste zugesagt, jetzt zu ihrer Unterdrückung alle seine Kraft aufzubieten. Zunächst ließ er das Obergericht des Reiches, das sogenannte Kammergericht, einer Visitation unterwerfen und anweisen, dem Inhalt des Reichsabschieds in den kirchlichen und religiösen Dingen streng nachzukommen. So konnte das Einschreiten gegen die Protestanten mit Prozessen, welche gegen sie – namentlich wegen kirchlicher Güter – eingeleitet wurden, beginnen. Ferner sollte jetzt, um auch während der Abwesenheit des Kaisers seine Autorität und die Leitung des Regiments in seinem Sinne zu sichern, sein Bruder Ferdinand zum römischen König gewählt werden. Johann von Sachsen, der einzige Protestant unter den Kurfürsten, widerstrebte der Wahl; er berief sich darauf, daß beim Ausschreiben derselben eine Bestimmung des Reichsgesetzes, der goldenen Bulle, verletzt war, wonach die Vornahme einer solchen Wahl bei Lebzeiten eines Kaisers vorher einmüthig durch die Kurfürsten beschlossen sein mußte. Dagegen hatte der Kaiser ein päpstliches Breve in den Händen, wonach er Johann als Ketzer von der Wahl ausschließen konnte, fand übrigens doch nicht für gut, hievon Gebrauch zu machen. Die Wahl erfolgte wirklich am 5. Januar 1531.

Die Protestanten suchten jetzt durch eine feste, wohl organisirte Verbindung untereinander sich zu schützen. Sie traten dazu an Weihnachten 1530 in Schmalkalden zusammen.

Je mehr aber die Gefahr, der man zu begegnen hatte, drängte, um so mehr forderte vor Allem jene Frage, ob man auch dem Kaiser Widerstand leisten dürfe, ihre Entscheidung. Die Juristen, welche hiefür sich aussprachen, trugen Verschiedenes vor, ohne jedoch recht klare, durchschlagende rechtliche Begriffe und Gründe an's Licht zu bringen. Sie zogen privatrechtliche Grundsätze bei; die Bestimmung, daß bei einem Prozeß die Entscheidung eines Richters, gegen welche an eine höhere Instanz appellirt sei, nicht mit Gewalt von ihm durchgesetzt und vielmehr Widerstand gegen eine solche Gewalt geübt werden dürfe, glaubten sie auf die Appellation der Protestanten an ein künftiges Conzil und auf ein vorheriges Einschreiten des Kaisers gegen sie übertragen zu können. Besser trafen sie die Sache, indem sie darauf sich beriefen, daß nach der Reichsverfassung oder nach den kaiserlichen Rechten selbst die Herrschaft des Kaisers keineswegs eine unbeschränkte und jeden Widerstand ausschließende sei; nur war hiemit das Recht einzelner Stände zum Widerstand gegen Beschlüsse, wie sie der Kaiser jetzt auf ordentlichem Reichstag mit der Majorität desselben gefaßt hatte, noch nicht bewiesen. Es war ein Mangel an Klarheit und Sicherheit, der mit der Entwickelung, worin die staatlichen Verhältnisse und Rechtsanschauungen damals erst noch begriffen waren, zusammenhing. Hierüber also hatte jetzt auch Luther mit andern Wittenberger Theologen wieder Gutachten zu geben. Auch mit ihnen verhandelten die Juristen, besonders Kanzler Brück.

In der Frage wegen Ferdinands Erhebung zum römischen König rieth Luther schon vor der Wahl seinem Fürsten mit Wärme zum Nachgeben. Denn die Gefahr, welche dieser sonst sich und dem ganzen deutschen Vaterland bereite, dünkte ihm viel zu groß: man werde Anlaß suchen, ihm die Kurwürde zu nehmen und etwa dem Herzog Georg zu verleihen; Deutschland werde in sich zerrissen und in Krieg und Jammer gestürzt werden. So rieth Luther, wiewohl er, »als in geringerem Stande vor der Welt, in solchen hohen Sachen nicht viel zu rathen verstehe«, ja, »in solchen Weltsachen zu kindisch sei«.

In seinen Gedanken über jenes Recht des Widerstandes aber vollzog sich nun doch eine Wendung. Sie führte zu einem dem früheren entgegengesetzten Ergebniß, indem sie von seinen bisherigen Grundprinzipien aus weiter schritt. Er lehrte, daß die Obrigkeiten und obrigkeitlichen Ordnungen überhaupt von Gott seien, und verstand darunter dem apostolischen Worte gemäß die verschiedenen Rechtsordnungen verschiedener Staaten, soweit sie irgendwo Bestand gewonnen hatten. Mit Bezug auf Deutschland schloß, wie wir sahen, seine gut monarchische Anschauung schon bisher nicht aus, daß die Gesammtheit der Reichsfürsten einen unwürdigen Kaiser entsetzte. Die entscheidende Frage war für ihn nun die, was die Rechtsordnung des deutschen Reiches oder das Gesetz des Kaisers selbst über einen Widerstand einzelner Reichsstände, die sich und ihre Unterthanen in ihren Rechten und der Erfüllung ihrer Pflichten verletzt finden, bestimme. Die Antwort darauf aber war ihm nicht mehr Sache der Theologen, sondern der Rechtsverständigen und Politiker. Jene haben ihm nur auszusprechen, daß zwar der Christ als bloßer Christ auch Unrecht gern leiden, daß aber die weltliche Obrigkeit und so auch jeder deutsche Fürst als Obrigkeit das von Gott gegebene Amt wahren und die Unterthanen gegen Unrecht schirmen müsse. Darüber, was die bestimmten Ordnungen und Rechte eines jeden Landes seien, haben die Juristen zu urtheilen und die Fürsten bei ihnen sich Rath zu holen. Demnach erklärten die Wittenberger Theologen jetzt: »wenn die Rechtsverständigen begründen, daß man in gewissen Fällen nach dem Reichsrecht der höchsten Obrigkeit widerstehen könne und daß gegenwärtig solche Fälle vorliegen, so können auch sie, die Theologen, das mit der heiligen Schrift nicht anfechten; früher haben sie sich deswegen dagegen erklärt, weil sie nicht gewußt haben, daß Solches der Obrigkeit Rechte selbst geben.« Das Resultat war, daß die Verbündeten wirklich sich zum Widerstand auch gegen den Kaiser für befugt erachteten und dazu rüsteten. Die Verantwortung dafür sollten übrigens nach Luthers Erklärungen immer die Fürsten und Politiker selbst behalten, sofern sie selbst zusehen müßten, ob sie Recht haben. Wir, sagte er, behaupten das nicht und wissen es nicht; ich lasse sie machen.

Vor der Oeffentlichkeit ließ Luther seinem Unwillen über den Reichsabschied und über die gewaltsamen Anschläge der Gegner zu Anfang des Jahres 1531 in zwei Schriften den Lauf, einer »Glossa auf das vermeinte kaiserliche Edict« und einer »Warnung an seine liebe Deutschen«. In jener nahm er den Inhalt des Edictes und die Lästerungen, welche es gegen die evangelische Lehre sich erlaube, durch, indem er, wie er sagte, damit nicht wider die kaiserliche Majestät sich wenden wollte, sondern gegen die Verräther und Bösewichte, ob's auch Fürsten oder Bischöfe wären, die ihren boshaften Willen zu vollbringen vornähmen, und sonderlich gegen den Hauptschalk, den sogenannten Statthalter Gottes und seinen Legaten. Die andere Schrift nimmt das »Allerärgste«, was jetzt drohe, in Aussicht, nämlich einen Krieg durch Gewaltmaßregeln des Kaisers und Widerstand der Protestanten. Und da wollte nun Luther als geistlicher Prediger nicht zum Kriege, sondern vielmehr zum Frieden rathen, wie ihm auch alle Welt bezeugen müsse, daß er es bisher auf's Fleißigste gethan. Aber er erklärte jetzt auch öffentlich: Wenn es, da Gott vor sei, zum Krieg komme, so wolle er diejenigen, welche sich wider die blutgierigen Papisten zur Wehre setzen, nicht aufrührerisch gescholten haben, sondern wolle es gehen lassen, daß sie es eine Nothwehr heißen, und wolle sie damit in's Recht und zu den Juristen weisen. – An diese Schriften reihte sich noch ein neuer Handel mit Herzog Georg, der gegen Luther ihretwegen und wegen gewisser, fälschlich diesem beigelegter Briefe wieder eine Anklage beim Kurfürsten erhob und sodann gegen die erstgenannte Schrift eine Erwiderung unter fremdem Namen herausgab. Luther entgegnete diesem »Schmachbüchlein« mit einer Flugschrift »Wider den Meuchler zu Dresden«: nicht als ob er, wie dies Manche verstanden, dem Herzog mörderische Anschläge hätte vorwerfen wollen, sondern weil sein Buch wegen der darin enthaltenen Verleumdungen ein Meuchelbuch sei. Der Ton, den sich Luther darin erlaubte, erinnert uns wieder an sein Wort, daß auf einen groben Klotz ein grober Keil gehöre. Er mußte sich dafür doch eine neue Vermahnung von Seiten seines Fürsten gefallen lassen und bat sich dann nur aus, daß Georg auch ihn künftig in Frieden lasse.

Der Drang der gemeinsamen Gefahr begünstigte jetzt auch das Verlangen der Oberdeutschen nach Einigung mit den deutschen Protestanten und die darauf gerichteten Bestrebungen Butzers. Luther selbst erkannte in einem Brief an diesen an, wie sehr eine Verbindung mit ihnen noth thue und welch großen Schaden der bisherige Zwiespalt dem Evangelium bringe, ja daß, wenn sie einig wären, das ganze Papstthum und die Türken und die gesammte Welt und die Pforten der Hölle demselben nicht solchen Schaden hätten thun können. Er vermochte zwar trotzdem über den noch fortbestehenden Lehrunterschied Gewissens halber nicht wegzusehen, wollte auch nicht begreifen, warum die früheren Gegner, wenn sie jetzt eine wahre Gegenwart des Leibes im Abendmahl zugäben, nicht auch vollends eine Gegenwart desselben für den Mund und Leib aller Abendmahlsgäste zugestehen, und hielt es für genügend, daß man jetzt das Schreiben gegen einander unterlasse und abwarte, bis »vielleicht Gott in solcher Stille weiter Gnade gebe«. Die Schmalkalder Verbündeten aber waren durch die neuen Erklärungen soweit befriedigt, daß sie die früheren Bedenken gegen eine Aufnahme der Oberdeutschen in den Bund fallen ließen.

So erfolgte zu Ende des März 1531 ein Abschluß des Schmalkaldischen Bundes zu gegenseitiger bewaffneter Vertheidigung auf sechs Jahre zwischen dem Kurfürst Johann, dem Landgrafen Philipp, drei Herzogen von Braunschweig-Lüneburg, dem Fürsten Wolfgang von Anhalt, den Grafen Albrecht und Gebhard von Mansfeld, den niederdeutschen Städten Magdeburg, Bremen und Lübeck und den oberdeutschen Straßburg, Constanz, Memmingen, Lindau, ferner Ulm, Reutlingen, Biberach, Isny. Auch Luther erhob dagegen keine Einwendung mehr.

In dieser ihrer Verbindung mit einander standen die Protestanten fest und mächtig unter den Gliedern des deutschen Reiches da. Die Gegner waren nicht eben so in ihren Interessen einig. Namentlich herrschte zwischen den Herzogen von Baiern und zwischen dem Kaiser und Ferdinand eine politische Eifersucht, vermöge deren jene sogar mit den Ketzern gegen den neugewählten König zusammenhielten. Außerhalb Deutschlands reichte Dänemark dem Schmalkaldischen Bunde die Hand: denn der von dort vertriebene König Christian II., der früher sich an den sächsischen Kurfürsten gewandt und mit Luther freundlich gethan hatte, suchte jetzt, nachdem er wieder ein ergebener Diener der christlichen Kirche geworden, mit Hülfe seines Schwagers, des Kaisers, das Land wieder unter sich zu bringen. Ebenso bereit war der König von Frankreich, sich gegen die steigende Macht des Kaisers mit diesen deutschen Fürsten zu verbinden.

Bei Luther finden wir indessen nirgends eine Kenntnißnahme von hierauf bezüglichen Plänen und Verhandlungen oder gar eine Betheiligung an solchen. Eben jetzt stand auch ein Bruch zwischen Heinrich VIII. von England und dem Kaiser bevor und bereitete sich jener zum Abfall von der römischen Kirche. Denn Heinrich wollte Scheidung seiner Ehe mit Katharina, einer Tante des Kaisers, indem er sich darauf berief, daß sie vorher einem verstorbenen Bruder von ihm vermählt und deshalb seine Verheirathung mit ihr unzulässig gewesen sei; und als der Papst trotz langer Verhandlungen aus Rücksicht für den Kaiser seinem Begehren nicht nachkam, ließ er von einer Reihe europäischer Universitäten und Gelehrten Gutachten über die Zulässigkeit und Giltigkeit jener Ehe einziehen, die wirklich großentheils gegen dieselbe ausfielen. Da wandte sich denn ein geheimer Unterhändler des früheren »Beschützers des Glaubens« auch an die Wittenberger und den von ihm so geschmähten Luther. Dieser aber erklärte sich (am 5. Septbr. 1531) gegen die Scheidung: denn die Ehe mit des Bruders Frau sei nicht durch das in der heiligen Schrift bezeugte göttliche Recht, sondern nur durch menschliches Kirchenrecht verboten. Die politische Seite der Angelegenheit zog er gar nicht in seine Erwägung herein. Mit einer gewissen Wehmuth äußerte er sich damals Spalatin gegenüber über böse Gesinnungen des Papstes gegen den Kaiser, über Umtriebe, die derselbe wohl auch in Frankreich gegen ihn mache, und über eine feindliche Stellung Heinrichs VIII. gegen ihn wegen jenes Ehehandels; er bemerkte dazu: »so geht es in dieser schlechten Welt; – Gott wolle uns den Kaiser in Obhut nehmen.«

Bei Karl V. und Ferdinand mußte in der Frage wegen Krieg oder Frieden endlich wieder die Türkengefahr schwer ins Gewicht fallen; ja sie gab wohl den Ausschlag. Auch Luthers Blick blieb stets auf sie gerichtet; er verhieß schon nach der Publication des Reichsabschiedes die Strafe Gottes den Wüthenden, die auf einen Krieg ausgehen, während sie den Türken im Nacken und vor Augen haben. Ferdinand bemühte sich vergebens um einen Friedensvertrag mit dem Sultan, der von ihm zunächst die völlige Räumung Ungarns verlangte und weitere Eroberungen sich vorbehielt. Er ward hiedurch im März 1531 dazu gebracht, selbst seinen Bruder um eine friedliche Vereinbarung mit den Protestanten zu bitten, damit man ihrer kriegerischen Hilfe sicher sei. So wurden denn Versuche zu einer Vermittlung durch die Kurfürsten von der Pfalz und von Mainz eingeleitet. Jener Termin des 15. Aprils ging still vorüber. Der Kaiser ließ auch den auf den Reichsabschied sich gründenden Prozessen bei dem Kammergericht Einhalt thun.

Den Sommer über zogen sich dann die Verhandlungen ohne Energie und ohne bestimmte Ergebnisse hin. Ein für sie gestelltes gemeinsames Gutachten Luthers, Melanchthons und Bugenhagens wollte sogar die Herstellung der bischöflichen Gewalt nicht schlechthin verweigern: man müsse dabei nur auf der Forderung bestehen, daß den Gemeinden und Geistlichen ihre reine Predigt des Evangeliums von den Bischöfen zugestanden werde, worauf diese doch nicht eingehen werden.

Luther hatte in dieser Zeit den Schmerz, auch seine Mutter zu verlieren. Sie starb am 30. Juni, nachdem er auch ihr in ihrer letzten Krankheit noch ein tröstliches Schreiben zugeschickt hatte. Seines eigenen körperlichen Leidens in diesem Monat haben wir schon oben gedacht. So schrieb er den 26. d. M. an Link: der Satan übe ihn mit allerhand Faustschlägen (vgl. 2. Korinth. 12, 7), so daß er nur selten etwas schreiben oder thun könne; wohl möge ihn derselbe bald vollends tödten; aber nicht sein Wille möge geschehen, sondern der Wille dessen, der denselben schon mit seinem ganzen Reiche gestürzt habe.

Nachher wurde bei den Gegnern die Neigung, dennoch zu Gewaltmaßregeln zu greifen, durch eine Niederlage neu angeregt, welche die reformirten Orte der Schweiz durch die kleinen katholischen Kantone erlitten, obgleich hier die Machtverhältnisse für den evangelischen Theil weit günstiger als in Deutschland standen. Der Kampf, welchen Luther fort und fort von Deutschland fern zu halten bemüht war, war hier besonders durch Zwingli's Einwirkung zum blutigen Ausbruch gekommen. Zwingli selbst fiel am 11. October in dem Treffen bei Kappel, ein Opfer der patriotischen Pläne, mit denen er für sein Vaterland eine große politische, kirchliche und sittliche Reform zugleich erstrebt, für die er aber die eigenen Glaubensgenossen zu keinem umsichtigen und einheitlichen Wirken zu bringen vermocht hatte. König Ferdinand triumphirte über dieses erste große Ereigniß zu Gunsten der katholischen Kirche. Er war jetzt zu einem demüthigen Verzicht auf Ungarn bereit, um durch einen Frieden mit dem Sultan für sich und den Kaiser freie Hand in Deutschland zu bekommen. Luther sah in dem Falle Zwingli's ein neues Gericht Gottes über den Münzerischen Geist und in dem ganzen Verlauf jenes Krieges eine dringende Warnung für die Schmalkalder Verbündeten, auf keinen menschlichen Bund zu pochen und alles Mögliche für die Erhaltung des Friedens zu thun.

Aber die Schweizer Vorgänge boten doch keine Handhabe gegen diese dar, welche mit den Zwinglianern keine Gemeinschaft gemacht hatten, noch waren sie selbst dadurch in ihrer Macht und Organisation geschwächt. Und die Oberdeutschen mußten jetzt um so fester an ihrer Einigung mit den lutherischen Fürsten und Städten halten; die Zwingli'sche Richtung erlitt auch gleich darauf durch den Tod Oekolampads am 1. Dezember einen schweren Verlust. Der Sultan endlich ließ sich auch durch Ferdinands wiederholte Anerbietungen nicht befriedigen, bereitete vielmehr fürs Frühjahr 1532 einen neuen gewaltigen Feldzug gegen Oesterreich vor; gegen Ende Aprils brach er zu demselben auf.

Das steuerte der Kriegslust von Deutschen gegen Deutsche und trieb vielmehr die Vergleichsverhandlungen, die während der ersten Monate des Jahrs 1532 in Schweinfurt und weiterhin in Nürnberg geführt wurden, zu praktischen Resultaten hin. Sie liefen darauf hinaus, daß man auf eine Einigung in den religiösen und kirchlichen Streitfragen bis auf das gehoffte Conzil verzichtete und, wie es längst Luthers Meinung war, an einem politischen Frieden, der beide Theile in ihrem gegenwärtigen Stande anerkannte, sich genügen ließ. Man stritt sich besonders noch darüber, wie weit dieser auszudehnen sei: ob nur auf die Schmalkaldischen Verbündeten, mit denen gegenwärtig verhandelt wurde, oder auch auf solche Reichsstände, welche etwa künftig noch von der alten Kirche, die doch die Kirche des Kaisers und des Reichs im Ganzen blieb, zur neuen Lehre übertreten möchten, und weiter etwa auch auf Anhänger dieser Lehre in den Gebieten katholisch gesinnter Reichsfürsten. Dazu kam immer noch die Frage über die Giltigkeit der Wahl Ferdinands zum römischen Könige. Luther wurde deshalb wieder und wieder um sein Urtheil angegangen.

Auf Luther lastete damals in seinem persönlichen, leiblichen Befinden wieder ein besonders schwerer Druck, der ihn fortwährend an ein nahes Ende denken ließ. Dazu mußte er um das Leben seines ihm sehr werthen Kurfürsten besorgt sein. Er selbst erlitt, wie sein Hausgenosse Dietrich uns erzählt, in der Frühe des 22. Januars wieder einen heftigen Angriff auf Kopf und Herz. Die Freunde, die zu ihm gekommen waren, sprachen schon von dem Eindruck, den sein Tod den Papisten machen würde, worauf er erklärte: »Aber ich werde jetzt nicht sterben, ich bins gewiß; denn Gott wird die papistischen Gräuel nicht jetzt, nachdem Zwingli und Oekolampad gestorben, noch durch meinen Tod stärken; der Satan möchte es wohl, er geht mir alle Augenblicke auf dem Fuße nach; aber es wird nicht geschehen, was er, sondern was der Herr will.« Der Arzt meinte, es drohe ein Schlagfluß und Luther werde schwerlich davonkommen. Der heftige Anfall scheint rasch vorübergegangen zu sein, Luthers Kopf aber blieb leidend. Wenige Wochen nachher, gegen Ende Februars, mußte er den Kurfürsten in Torgau besuchen, der dort in großen Schmerzen darniederlag und sich den erkrankten großen Zehen des linken Fußes abnehmen lassen mußte. Ueber sich selbst schrieb Luther von dort an Dietrich, er meditire jetzt über die Vorrede zu seiner Uebersetzung der Propheten, leide aber so an Schwindel und Quälerei des Satans, daß er fast an seinem Leben und an seiner Rückkehr nach Wittenberg verzweifle: »Der Kopf,« sagt er, »will's nicht mehr thun; darum denkt, ob ich stürbe, daß Ihr Eure Kunst und Eloquenz in der Vorrede brauchet.« Ueber einen Monat lang war er, wie er zu Anfang Aprils bemerkte, am Lesen, Schreiben und Doziren verhindert. Ebenso meldete er in einem Briefe vom 20. Mai dem Spalatin, daß er gegenwärtig nach Gottes Willen feiern müsse, während Bugenhagen den Brief für ihn schrieb. Und am 13. Juni berichtete er dem Amsdorf, daß sein Kopf durch die Fürbitten der Freunde sich allmählich wieder erhole, daß er aber an seinen natürlichen Kräften verzweifle.

In solcher Lage und Stimmung fuhr Luther fort, warme, ruhige, ermuthigende Friedensworte in Betreff jener Verhandlungen an Kurfürst Johann und an seinen Sohn Johann Friedrich zu richten.

Ueber die Wahl Ferdinands äußerte er sich gegen Beide am 12. Februar und desgleichen späterhin: daran dürfe man einen Friedensvertrag nicht scheitern lassen. Wenn dort gegen einen geringen Artikel der goldenen Bulle gesündigt worden sei, so sei das keine Sünde gegen den heiligen Geist und Gott könnte den Protestanten diesem Splitter gegenüber wohl Balken in den eigenen Augen offenbaren. Es müßte eine unerträgliche Last für das Gewissen des Kurfürsten werden, wenn deshalb Krieg entstünde; es möchte ja »wohl geschehen, daß darüber das Reich zerrissen und den Türken eingeräumt würde und damit Evangelium und Alles zu Grunde ginge«.

Nicht minder rieth ein Gutachten, das am 16. Mai von Luther und zugleich Bugenhagen übergeben wurde, zur Nachgiebigkeit in jener Frage über die Ausdehnung des Friedens, wenn davon das Zustandekommen desselben abhinge. Denn wenn der Kaiser jetzt den gegenwärtigen protestantischen Ständen Sicherheit gewähre, so geschehe das aus Gnaden und sei ein persönliches Privilegium für sie. Sie können ihn nicht zwingen, dieselbe Gnade auch Andern zu erzeigen. Andere müßten es auf Gottes Gnade wagen und hoffen, gleichfalls Sicherung zu erlangen. Jedermann sei schuldig, das Evangelium auf eigene Gefahr anzunehmen.

Schon damals bekam Luther den Vorwurf zu hören, daß hiedurch die Bruderliebe verläugnet werde: denn die Christen sollen auch der Anderen Heil und Wohlfahrt suchen. Neuere warfen ihm vor, daß er das protestantische Ideal religiöser Freiheit und confessioneller Gleichberechtigung verläugnet habe. Anders wird der urtheilen, der sich in die damaligen rechtlichen Verhältnisse Deutschlands und die den Protestanten und Katholiken gemeinsamen kirchlich-politischen Anschauungen hinein versetzt und fragt, was von hier aus auf Wegen des Friedens und positiven Rechtes zu erreichen war. Daß katholische Landesherren in ihren eigenen Ländern dem evangelischen Gottesdienst Duldung zusichern sollten, widerstritt den allgemeinen Grundsätzen, nach denen auch umgekehrt die Protestanten gegen katholische Unterthanen verfuhren. Danach war für Unterthanen, welche dem fürs Land angeordneten Kultus widerstrebten, nicht mehr als freier Abzug zu beanspruchen. Mit Recht sagte hier Luther: »Was du nicht willt, daß dir geschehe, sollt du Anderen auch nicht thun.« Was sodann die Frage nach den künftig übertretenden Fürsten betrifft, so klingt es zwar naiv, wenn Luther von einem gegenwärtigen bloßen Gnadenacte des Kaisers redet. Aber der Gedanke ist ganz richtig, daß eine Conzession, vermöge deren ein Theil der Reichsstände von dem bisher fürs Reich bestehenden einheitlichen Kirchenthum sich absondern und selbständig kirchlich organisiren durfte, auf das bis zur Reformation bestehende Reichsrecht durchaus nicht begründet und insofern eben nur als freie Conzession von Kaiser und Reich gegen einzelne Glieder betrachtet werden konnte; ebensowenig lag ein Recht für diese vor, die Ausdehnung der Conzession noch auf Andere zu erzwingen und deshalb den Reichsfrieden aufs Spiel zu setzen. Es war schon damit etwas erreicht, daß wenigstens keine Beschränkung ausgesprochen, eine künftige Ausdehnung also offen gelassen wurde; und für die, welche daran Theil bekommen wollten, war, wenn jetzt der Friede zu Stande kam, die Gefahr wenigstens vermindert. Dürfen wir ein Verdienst darin sehen, daß damals der deutschen Nation ein in seinen verderblichen Folgen unübersehbarer, blutiger Kampf noch erspart und eine friedliche Entwicklung für eine Reihe von Jahren gesichert worden ist, so kommt dieses Verdienst vor Allem unserem Reformator zu. Er hat darin ebenso als treues Kind seines Vaterlandes, wie als treuer christlicher Lehrer und Gewissensrathgeber gehandelt.

Zu den streitigen Fragen gehörte dann auch noch die über ein Conzil, bis zu welchem man sich vertragen wollte. Indem nämlich auf die Entscheidung eines künftigen »freien christlichen Conzils« hingewiesen werden sollte, forderten die Protestanten noch einen Beisatz, daß dasselbe »nach dem reinen Worte Gottes« entscheiden müßte. Hierüber aber wollte Luther nicht weiter streiten, denn er bemerkte praktisch richtig: der Zusatz würde nichts helfen; die Gegner würden doch jedenfalls den Ruhm haben wollen, daß sie nach dem reinen Gotteswort sprächen.

Im Juni kamen noch einmal ungünstige Gerüchte aus Nürnberg, als ob die Papisten das Werk vereitelt hätten. Luther rief wieder wie nach dem Augsburger Reichstag aus: »Wohlan, wohlan! Ihr Blut komme über ihr Haupt, wir haben genug gethan.«

Nur um so dringender wiederholte er, als gegen Ende des Monats der Kurfürst sich ein neues Gutachten von ihm geben ließ, seine Warnungen auch für diejenigen unter den Protestanten selbst, welche »allzu klug und gewiß sein und, wie ihre Worte lauten, einen undisputirlichen Frieden haben wollen.« Er bat den Kurfürsten aufs Allerunterthänigste, derselbe möge »mit Ernst einen guten, harten Brief den Unseren schreiben«, damit sie doch ansähen, wieviel der Kaiser gnädig nachgebe, was mit gutem Gewissen anzunehmen sei, und ja nicht solchen gnädigen Frieden um etlicher spitziger, genau gesuchter Pünktlein willen abschlagen; Gott werde solche geringe Mängel wohl heilen und versorgen.

Am 23. Juli kam der Friede wirklich in Nürnberg zum Abschluß, am 2. August wurde er vom Kaiser bestätigt. Beide Theile sollten bis zum Conzil sich mit einander christlich vertragen, wobei als der eine Theil die gegenwärtigen schmalkaldischen Verbündeten namentlich aufgeführt wurden. Welchen Werth dies für den Bestand des Protestantismus im deutschen Reich hatte, bezeugte der Unwille, welchen die päpstlichen Legaten über die Zugeständnisse des Kaisers von Anfang an an den Tag legten.

Kurfürst Johann durfte den Frieden noch erleben, für welchen unter den Fürsten vorzugsweise er gewirkt hatte. Kurz nachher, am 15. August, wurde er bei einer Jagd vom Schlage gerührt und ging Tags darauf zum ewigen Frieden ein. Luther und Melanchthon, welche noch schnell zu ihm nach Schweinitz gerufen wurden, trafen ihn ohne Bewußtsein. Luther sagte, es werde dem lieben Fürsten beim Erwachen fürs ewige Leben zu Muthe sein, als käme er von der Jagd aus der Lochauer Haide, er werde nicht wissen, wie ihm geschehen sei, nach dem Worte des Propheten (Jes. 57, 1 ff.): »Der Gerechte wird weggerafft und legt sich in sein Kämmerlein und Ruhbettlein.« Er predigte bei seiner Bestattung zu Wittenberg, wie vor sieben Jahren bei der seines Bruders, und weinte dabei nach einem Berichte Spalatins vor tiefer Bewegung wie ein Kind.

Johann war bei seiner Regierung bis zu diesem ihrem Schlusse stets gewissenhaft bemüht, dem göttlichen Worte, wie Luther es vortrug, zu folgen und die Aufgaben und Gefahren im Glauben an Gott zu bestehen. Man hat ihm so mit Recht den Beinamen des Standhaften gegeben. Namentlich rühmte Luther in dieser Beziehung sein Verhalten beim Augsburger Reichstag; er habe dort oft zu seinen Räthen gesprochen: »Saget meinen Gelehrten, daß sie thun, was recht ist, Gott zu Lob und Ehre, und mich oder mein Land und Leute nicht ansehen.« Als die Grundzüge seines ganzen Charakters hob Luther Frömmigkeit und Gütigkeit hervor, wie in Kurfürst Friedrich besondere Weisheit und Verstand gewesen sei: »Wären,« sagte er, »die zwei Fürsten Eine Person gewesen, so wäre es ein groß Wunderwerk.«

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