Zweites Kapitel.

Verhandlungen über ein Conzil und über Einigung unter den Protestanten. Legat Vergerius 1535. Wittenberger Concordie 1536.

Papst Paul III., der im October 1534 auf Clemens VII. folgte, schien sogleich darauf bedacht, das verheißene Conzil wirklich zu Stande zu bringen. Und er war wohl in der That dazu entschlossen. Er war gegen die eigentlich kirchlichen Interessen und das Bedürfniß gewisser Reformen nicht so gleichgiltig wie sein Vorgänger und hoffte, als geschickter Politiker das Conzil, dem sich doch nicht mehr ausweichen ließ, zu einem für das Papstthum günstigen Ziele zu leiten. Um darüber und namentlich über den Ort des Conzils, wozu er Mantua bestimmte, zu verhandeln, schickte er einen Botschafter, den Cardinal Vergerius, nach Deutschland.

Im August 1535 wurde Luther wegen der päpstlichen Anträge um ein Gutachten von seinem Kurfürsten angegangen. Er meinte, die Antwort, welche dieser vor zwei Jahren gegeben, genüge noch ganz: Der Fürst hatte damals allen Eifer dafür ausgesprochen, daß die kirchliche Einheit durch ein Conzil hergestellt werden möchte, zugleich aber auch gefordert, daß darauf nur nach Gottes Wort entschieden werde und erklärt, daß er ohne seine Verbündeten nicht definitiv zusagen könne. Uebrigens wollte er auch jetzt noch an keine wirkliche Vornahme des Conzils glauben.

Die Wittenberger Universität war in diesem Sommer wegen eines neuen Ausbruchs der Pest oder wenigstens neuer Angst vor ihr wieder nach Jena übergesiedelt, wo sie bis in den folgenden Februar verblieb, während Luther für seine Person wieder nichts vom Weggehen hören wollte. Er konnte diesmal auch in aller Ruhe und Heiterkeit mit Bugenhagen in Wittenberg aushalten und über leeren Schrecken bei den andern sich lustig machen. Dem um ihn besorgten Kurfürsten schrieb er am 9. Juli: nur ein oder zwei Krankheitsfälle seien vorgekommen, die Luft noch nicht vergiftet; weil die Hundstage vorhanden und die jungen Leute erschreckt seien, möge man sie ja wohl umher spazieren lassen, damit ihre Gedanken gestillt würden, bis man sähe, was da werden wolle; er merke aber, daß »etliche den Schwären auf dem Schubsack, etliche die Kolika in den Büchern, etliche die Gicht am Papiere kriegen«, auch haben wohl etliche die Mutterbriefe gefressen und davon Herzweh und Heimweh bekommen; die christliche Obrigkeit müsse gegen solche Krankheit, damit nicht ein Landsterben daraus werde, für eine starke Arznei sorgen, dem Satan, der aller Kunst und Zucht feind sei, zum Verdruß. Weiterhin wundert er sich, wie man außerhalb Wittenbergs so Vieles, davon man drinnen gar nichts erfahre, von der dortigen großen Pest wisse und wie die Lüge, je weiter sie wandere, um so gewisser und größer und dicker werde. Er versicherte dem mit der Universität weggezogenen Freund Jonas, daß er in der Einsamkeit dort, gottlob, ganz wohl und behaglich lebe; nur herrsche Mangel an Bier in der Stadt, im eigenen Keller habe er jedoch noch. Er ließ sich dann auch nicht erschrecken, als er wiederholte einzelne Todesfälle durch Pest anerkennen mußte und sein eigener Kutscher einmal von ihr befallen schien. Wohl aber quälten ihn den Winter über Husten und andere katarrhalische Beschwerden. Und einem Freunde schrieb er: »Die größte Krankheit aber hebt sich an mit mir, daß mir die Sonne so lang geschienen hat, welche Plage ihr wohl wisset, daß sie gemein ist und fast Viele dran sterben.«

Da kam nun der päpstliche Gesandte gar auch in die Stadt Luthers und wollte ihn selbst sprechen. Nachdem er nämlich in Halle mit Erzbischof Albrecht sich unterredet hatte, nahm er den Weg nach Berlin zum Kurfürsten von Brandenburg über Wittenberg. Am Nachmittag des 6. Novembers, eines Sonnabends, traf er in stattlichem Aufzug, mit 21 Pferden und einem Esel dort ein, um Nachtquartier zu halten und wurde mit großen Ehren im kurfürstlichen Schlosse vom Hauptmann Metzsch aufgenommen. Auf seinen Wunsch wurde Luther noch auf denselben Abend zur Mahlzeit bei ihm eingeladen und, da er dies ablehnte, auf den andern Morgen sammt Bugenhagen zum Frühmahle. Es war das erste Mal seit der Vorladung von Cajetan in Augsburg 1518, daß er einen päpstlichen Legaten zu sprechen bekam: er, der seither längst vom Papst als abscheuliches Kind des Verderbens verdammt und von dem dagegen dieser als der Antichrist erklärt war. So wichtig muß es dem Vergerius gewesen sein, auf ihn, den mächtigen Berather der protestantischen Fürsten, einen gewissen Einfluß zu versuchen, damit er ihm seine Pläne in Betreff eines Conzils nicht durchkreuze, und Vergerius muß sich wohl selbst in dieser Beziehung etwas Bedeutendes zugetraut haben.

Tags darauf ließ Luther schon ungewöhnlich früh des Morgens seinen Barbier kommen. Als dieser sich darüber wunderte, scherzte er: »Ich muß zu des Papstes Gesandtem; so ich mich ihm nun jugendlich zeige, mag derselbe denken: pfui Teufel, wenn der Luther, ehe er Greis geworden ist, uns schon solche Händel angestiftet hat, was wird er nicht bis dahin noch weiter anrichten.« Dann fuhr er in seiner besten Kleidung und mit einer goldenen Kette um den Hals sammt Stadtpfarrer Bugenhagen (dem Pommern, Pomeranus) nach dem Schlosse; unterwegs sagte er: »da fahren der deutsche Papst und Cardinal Pomeranus, Gottes Werkzeuge«.

Vor dem Legaten »spielte er,« wie er selbst nachher sich ausdrückte, »den ganzen Luther.« Er gebrauchte gegen ihn nur die unerläßlichsten Höflichkeitsformen und erlaubte sich die »verdrießlichsten« Reden. So fragte er, ob er in Italien für einen betrunkenen Deutschen gelte, erzählte dem Legaten auch unter Anderem von den Kindern, welche seine »ehrwürdige Nonne« ihm geschenkt habe. Als die Rede auf die Entscheidung der kirchlichen Streitfragen durch ein Conzil kam, erinnerte ihn Vergerius, daß ein einzelner Mensch sich nicht für weiser, als die Conzilien, alten Väter und anderen Theologen der Christenheit halten dürfe. Er hinwiederum warf ihm vor, daß die Päpstlichen es mit einem Conzil doch nicht ernst nähmen und darauf nur über unnütze Dinge, wie Mönchskutten, Priestertonsur, Speisegesetze u.s.w. handeln wollten, worauf der Legat sich zu einem dabei sitzenden Begleiter wegwandte mit den Worten. Der trifft die Hauptsache. Weiter erklärte ihm Luther: sie, die Evangelischen, hätten gar kein Conzil nöthig, weil sie ihrer Lehre schon gewiß seien, wohl aber die elenden, verführten Leute unter dem Papstthum. Sein eigenes Erscheinen aber sagte er für das verheißene Conzil zu, ob man ihn auch dort verbrennen möchte; es sei ihm auch gleich, ob es in Mantua oder Padua oder Florenz gehalten werden sollte. Vergerius erwiderte: »Wollt ihr wohl nach Bologna kommen?« Luther: »Wem gehört Bologna?« Vergerius: »Dem Papste.« Luther: »Guter Gott, hat der Papst auch diese Stadt geraubt? Gut, ich will dorthin zu Euch kommen.« Vergerius: »Der Papst wird sich auch nicht weigern, hieher nach Wittenberg zu kommen.« Luther: »Gut, er soll uns willkommen sein.« Vergerius: »Soll er mit Waffen kommen oder unbewaffnet?« Luther: »Wie er will, wir werden ihn, wie er immer kommen mag, erwarten und aufnehmen.« Als der Legat nach dem Mahle zu Pferde stieg, um abzureisen, sagte er noch zu Luther: »Seht zu, daß Ihr Euch zum Conzil bereit haltet.« Luther erwiderte: »Ja, Herr, mit diesem meinem Hals und Kopf.«

Vergerius berichtete nachher über die Besprechung mit der größten Erbitterung auf die »Bestie« Luther nach Rom. Er gebrauchte jetzt für sie den Vorwand, daß Luther und Bugenhagen als die einzigen damals in Wittenberg befindlichen Gelehrten, mit denen er sich lateinisch unterhalten könnte, zu ihm geladen worden seien. In den Absichten, die er für sie gehegt hatte, fühlte er sich offenbar sehr unangenehm getäuscht. Komisch klingt in seinem Bericht für uns, die wir jene vorangegangene Aeußerung Luthers kennen, die Angabe über ihn, daß er viel jünger aussehe, als er es wirklich sei. Zehn Jahre später übrigens, nachdem Vergerius mit dem Inhalt der evangelischen Lehre im Kampf gegen sie vertraut geworden war, ist dieser hochgestellte Mann selbst zu ihr übergetreten.

Inzwischen gestalteten sich in Deutschland, während die Blicke auf ein Conzil gerichtet blieben, die Verhältnisse für die Evangelischen in der nächsten Zeit möglichst günstig.

Den Kaiser hielt während des Sommers 1535 eine Unternehmung ferne, welche er gegen den Corsaren Chaireddin Barbarossa in Tunis ausführte. Luther freute sich über den großen Sieg, mit welchem Gott ihn dort gekrönt habe. Der König von Frankreich drohte mit neuen Ansprüchen auf italienische Besitzungen. Die Eifersucht zwischen Oesterreich und Baiern bestand fort. In kirchlicher Beziehung lernte König Ferdinand das Lutherthum wenigstens als eine Gegenmacht gegen die Fortschritte des schlimmeren Zwinglianismus schätzen. Johann Friedrich reiste im November 1535 nach Wien, um von ihm im Namen des Kaisers endlich die Belehnung mit der Kurwürde zu empfangen, und fand freundliche Aufnahme.

Unter diesen Umständen durfte der Schmalkaldische Bund auf einem Convent zu Schmalkalden im Dezember 1535 beschließen, auch andere Reichsstände beizuziehen, welche im Religionsfrieden noch nicht als Genossen des Augsburger Bekenntnisses anerkannt waren. Diesem waren jetzt namentlich auch die Herzoge Barnim und Philipp von Pommern beigetreten. Philipp vermählte sich auch mit einer Schwester Johann Friedrichs. Luther verrichtete am Abend des 27. Februars 1536 zu Torgau die Trauung und Bugenhagen sprach, wie es üblich war, am andern Morgen, nach dem Beilager, den Segen über das junge Ehepaar, weil jener daran durch einen neuen Anfall seines Schwindels verhindert wurde. Im folgenden Frühjahr nahm dann ein Convent der Verbündeten zu Frankfurt a. M. den Herzog von Würtemberg, die Pommernherzoge, die Fürsten von Anhalt und mehrere Städte in den Bund auf.

Außerhalb Deutschlands suchten die Könige von Frankreich und von England Gemeinschaft mit den Verbündeten. Natürlich kam auch hiefür vor Allem die kirchliche und religiöse Frage in Betracht: Luther hatte mit zu rathen.

König Franz, unter welchem so viele evangelisch gesinnte Unterthanen über Druck und Verfolgung klagten, gab, während er einen neuen Feldzug nach Italien im Schild führte und deshalb Verbindung mit den deutschen Protestanten gegen den Kaiser suchte, diesen gegenüber angelegentlich vor, daß er doch auf sehr ernste kirchliche Reformen ausgehe und auch hiefür Beihilfe von ihnen haben möchte. Sie sollten ihm den Melanchthon und Luther dazu senden. Mit diesen verhandelte er auch selbst. Melanchthon fühlte sich durch die große verdienstliche Wirksamkeit, die sich ihm hier zu eröffnen schien, sehr angezogen. Der Kurfürst dagegen verweigerte ihm die Erlaubniß zur Reise und verwies es ihm, daß er schon so tief in die Sache sich eingelassen habe. Sicher war Melanchthons Erwartung eine sehr eitle: dem König war es nur um seine politischen Absichten zu thun und auf keinen Fall wollte er irgend welchen Unterthanen ein Recht religiöser Ueberzeugungen zugestehen, die dem ihm selbst gutdünkenden kirchlichen Standpunkt widersprochen hätten. Ueberdies war Johann Friedrichs Verhältniß zu König Ferdinand damals ein so friedliches geworden, daß er es nicht durch eine Verbindung mit dem Feinde des Kaisers stören wollte. Melanchthon aber war durch die Abweisung und den Verweis sehr aufgeregt; er argwöhnte, daß man böswillig bei seinem Fürsten gegen ihn intriguirt habe. – Luther hatte anfangs, durch Melanchthons Wunsch und durch Bitten evangelisch gesinnter Franzosen bewegt, den Kurfürsten gutherzig und warm gebeten, er möge jenem »in Gottes Namen erlauben, in Frankreich zu ziehen«; »wer weiß,« sagte er, »was Gott thun will.« Nachher erschrak auch er seines Freundes wegen über das scharfe Schreiben des Kurfürsten, mußte aber diesem in seinem Mißtrauen gegen das französische Vorbringen Recht geben.

Eine Verbindung mit England hätte insofern mehr Sicherheit dargeboten, als bei Heinrich VIII. keine Rückkehr unter das Papstthum mehr zu fürchten und wegen seines Ehehandels auch schwerlich mehr eine Versöhnung mit dem Kaiser zu erwarten war. Gesandte von ihm erschienen i. J. 1535 in Kursachsen und auf dem Convent zu Schmalkalden. Auch er wollte den Melanchthon haben, um über das richtige christliche Dogma und Kirchenthum mit ihm zu verhandeln, und Luther bat auch hier um Erlaubniß für diesen beim Kurfürsten. Aber schon bei den Verhandlungen, die sie mit den Gesandten in Deutschland pflogen, stellte es sich heraus, wie wenig sie in Hauptpunkten, wie in der Lehre von der Rechtfertigung oder von der Messe auf Uebereinstimmung mit Heinrich VIII. hoffen dürften, der als Alleinherrscher eben so scharf auf einer ihm noch feststehenden katholischen Orthodoxie als auf einem Widerspruch gegen die päpstliche Gewalt bestand. Luther war schon im Januar die unnützen Verhandlungen mit den Engländern bis zum Ekel satt: man werde da zum Narren, indem man weise sein wolle (Röm. 1, 22). Er gab dann in einem Gutachten für seinen Kurfürsten zu, daß man bei England mit den richtigen Reformen Geduld haben müßte, verwahrte sich aber dagegen, daß man deshalb von den Grundlehren des Glaubens weichen und daß man dem König von England mehr als dem Kaiser und Papst einräumen sollte. Die Entscheidung darüber, ob man dennoch ein politisches Bündniß mit jenen annehmen dürfte, gab er als weltliche Sache dem Fürsten und seinen Räthen anheim; doch dünkte es ihm gefährlich, wo die Herzen nicht eines Sinnes seien. Wie bedenklich es war, mit Heinrich VIII. sich einzulassen, zeigte gleich nachher sein Verfahren gegen seine zweite Gattin, Anna Boleyn, die er am 19. Mai 1536 hinrichten ließ: Luther nannte das eine ungeheuerliche Tragödie.

Inmitten der deutschen Protestanten aber reiften jetzt die Verhandlungen über das Bekenntniß vom Abendmahl glücklich bis zu einer förmlich ausgesprochenen »Concordia« weiter. Auch ein Friedensstand mit den Schweizern wurde erreicht.

Nachdem Luther einmal Vertrauen zu jenen Einigungsversuchen gefaßt hatte, nahm er sie auch selbst in die Hand und schritt mit ihnen weiter voran. Im Herbst 1535 sandte er Briefe in eine Reihe oberdeutscher Städte, an Prediger und Magistrate, nach Augsburg, Straßburg, Ulm, Eßlingen. Er schlug eine Zusammenkunft vor, bei der man sich gegenseitig näher kennen lernen und zusehen möchte, was etwa noch getragen, was nachgegeben, wozu etwa ein Auge zugedrückt werden dürfte. Nichts wünsche er heißer, als sein Leben, dessen Ende nahe sei, in Frieden, Liebe und Einheit des Geistes mit jenen beschließen zu dürfen. Auch sie möchten »so fortfahren, helfen, beten und trachten, damit solche Einigkeit fest und beständig werde und dem Teufel sein Rachen gestopfet werde, der sich solcher Uneinigkeit hoch gerühmt und gleich: Hui gewonnen! geschrieen hat.« Man fühlt seinen Briefen an, wie wohl es ihm selbst dabei ist, die Sache so weit gebracht zu sehen und weiter fördern zu können. In der Correspondenz, die er mit jenen und zugleich mit seinem Kurfürsten über die beabsichtigte Zusammenkunft führte, rieth er auch, nicht zu viele Theilnehmer beizuziehen, damit nicht unruhige, störrische Köpfe darunter kämen, welche die Sache verdürben. Er kannte jetzt unter seinen eigenen Anhängern solche, die ihm im dogmatischen Eifer zu weit gingen.

Die Conferenz wurde dann auf's folgende Frühjahr, und zwar auf den 14. Mai, den vierten Sonntag nach Ostern, nach Eisenach festgesetzt. Luthers leibliches Befinden gestattete keine Reise an fernere Orte und in winterlicher Jahreszeit. Eben jetzt, im März 1536, quälte ihn mehrere Wochen lang auch ein neues Leiden, nämlich unerträgliche Schmerzen in der linken Hüfte, und weiterhin berichtet er einem Freunde, er sei an Ostern (16. April) mit Christus vom Tod erstanden, denn er sei damals so krank gewesen, daß er fest geglaubt und auch sehnlich gewünscht habe, zum Herrn Christus abscheiden zu müssen.

Die Oberdeutschen folgten bereitwillig der Einladung. Die Straßburger ließen dieselbe auch an die Schweizer weiter gehen und wünschten, daß namentlich Bullinger aus Zürich theilnehmen möchte. Diese, an welche man von Wittenberg aus gar nicht direct sich gewandt hatte, lehnten ab: sie wollten einfach bei ihren Glaubenssätzen bleiben, welche sie soeben in der sogenannten »ersten Helvetischen Confession« neu zusammengefaßt und in welchen sie wenigstens zu einem geistigen Genusse, der in den sacramentlichen Zeichen dargeboten werde, nachdrücklich sich bekannt hatten. Sie konnten eine weitere Frucht mündlicher Verhandlungen nicht absehen. Doch baten sie, ihre Confession Luthern freundlich zu überbringen und speziell ließ Bullinger sich und die evangelischen Kirchen der Schweiz ihm empfehlen. Die Prediger, welche aus den verschiedenen süddeutschen Städten nach Eisenach entsandt wurden, reisten über Frankfurt a. M., wo damals gerade die Schmalkalder Verbündeten tagten. Am 10. Mai brachen sie, elf an der Zahl, nach Eisenach auf: die Gemeinden von Straßburg, Augsburg, Memmingen, Ulm, Eßlingen, Reutlingen, Fürfeld und Frankfurt waren in ihnen vertreten.

Da schien im letzten Augenblick doch noch der ganze Erfolg, ja das Zustandekommen der Conferenz überhaupt in Frage gestellt. Melanchthon war schon vorher bange und verzagt, indem er von der bevorstehenden mündlichen Verhandlung ein heftigeres Wiederaufflammen des Streites fürchtete. Luther war eben jetzt gegen die Zwinglianer neu erregt worden durch eine Schrift aus Zwingli's Nachlaß, welche Bullinger damals mit großen Lobsprüchen herausgegeben hatte, und durch einen neu erschienenen Briefwechsel zwischen Zwingli und Oekolampad. Wollten doch Butzer und seine Genossen immer auch noch mit diesen Zwinglianern Freundschaft halten. Jener Briefwechsel war durch ein Vorwort aus seiner Feder eingeleitet. Ferner waren Luther Briefe zugekommen, wonach in den oberdeutschen Städten das Volk doch nicht wirklich über die wahre Gegenwart des Leibes im Abendmahl belehrt wurde. Dazu kamen bei ihm noch schwere Nachwirkungen von jener Krankheit, so daß er auch bis Eisenach zu reisen nicht im Stande war. Mit Rücksicht hierauf schickte er am 12. Mai den Abgesandten die Bitte entgegen, sie möchten bis Grimma reisen, wo er entweder selbst erscheinen, oder, wenn er auch dazu zu schwach wäre, wenigstens leichter brieflich mit ihnen und seinen dort erschienenen Freunden verkehren werde.

Diese aber reisten jetzt kurzweg zu ihm selbst nach Wittenberg weiter. In Thüringen schlossen sich ihnen noch die Geistlichen Menius aus Eisenach und Mykonius aus Gotha an, zwei Freunde Luthers, die mit ihm treulich auf Einigung bedacht waren. Der stete persönliche Verkehr auf der gemeinsamen Fahrt diente sehr zur gegenseitigen Verständigung.

So langten sie am 21. Mai, einem Sonntag, in Wittenberg an.

Tags darauf hatten die beiden Straßburger, Capito und Butzer, eine erste Besprechung mit Luther, dem seine Leibesschwäche längere Verhandlungen erschwerte. Er sprach ihnen offen und nachdrücklich die Bedenken aus, die er noch immer und auf's Neue dagegen hegte, sich für einig mit ihnen zu erklären. Lieber wollte er es bei dem Stand der Dinge, der bisher erreicht war, belassen, als auf eine Eintracht sich einlassen, die nur erdichtet wäre und aus übel ärger machen müßte. Butzer erwiderte in Betreff jener Zwingli'schen Publikationen, daß er mit seinen Genossen dafür durchaus nicht verantwortlich und jenes Vorwort, das aus einem Briefe von ihm bestand, ohne sein Wissen und Wollen gedruckt worden sei. Die Entscheidung in Betreff der Abendmahlslehre spitzte sich jetzt vollends ganz zu der Frage zu, ob dort auch die Unwürdigen und Gottlosen den Leib des Herrn wirklich genießen. Luther bestand darauf: es war ihm die nothwendige Consequenz einer Gegenwart des Leibes, die einfach vermöge der Stiftung und gewissen Zusicherung Christi statthabe, wozu dann der Glaube nur vertrauend und hinnehmend sich verhalten müsse. Butzer stimmte der objectiven Gegenwart und Darbietung an sich mit aller Entschiedenheit bei; aber einen wirklichen Empfang dessen, was dort von oben dargeboten werde, konnte er nur bei denjenigen Communicanten zugeben, die wenigstens durch einen gewissen Glauben sich dazu in innere geistige Beziehungen setzen und die Stiftung des Herrn annehmen, nicht bei denen, welche nur mit dem Leib und leiblichen Munde dabei seien. Um von einem Empfang des Leibes reden zu können, genügte ihm auch schon der Glaube, der noch nicht der rechte Herzensglaube und noch mit sittlicher Unwürdigkeit verbunden sei, so daß dann solche Abendmahlsgäste sich das Mahl zum Gericht äßen. Er gestand so zu, daß Unwürdige, nicht aber, daß ganz Ungläubige Leib und Blut Christi zu genießen bekommen. Luther durfte sich so darauf verlassen, daß Butzer mit ihm jede Ansicht ablehnte, nach welcher im Sacramente der Leib Christi nur für die subjective Vorstellung und Phantasie gegenwärtig werden, oder nach welcher der Glaube dort von sich aus zum Herrn sich aufschwingen und nicht vielmehr nur das Dargebotene ergreifen und durch die Darbietung selbst hiezu erweckt und gestärkt werden sollte. Aber unverkennbar haben doch beide die Art der Gegenwart und die Art des Empfangens sich wieder in verschiedener Weise gedacht, beide freilich in geheimnißvoller und schwer definirbarer Weise. Auch für Luther kann der Unterschied, der noch vorlag, und der Mangel, woran dann nach seiner festen Ueberzeugung die Lehre der Oberdeutschen noch litt, sich nicht verborgen haben. Es fragte sich, ob er darüber doch wegsehen, ob er in der Lehre, für die er so scharf gekämpft, nun doch Wesentliches und Unwesentliches oder Minderwesentliches unterscheiden könne und wolle.

Am Dienstag versammelten sich bei ihm die sämmtlichen Abgesandten mit seinen Wittenberger Genossen und Menius und Mykonius. Da befragte er nun, nachdem Butzer wieder für jene das Wort genommen hatte, auch jeden einzeln, zog sich, als sie demselben sämmtlich beistimmten, mit seinen Freunden zu einer Besprechung in ein anderes Zimmer zurück und erklärte hierauf in seinem und ihrem Namen jenen: sie seien jetzt, nachdem sie ihrer aller Antwort und Bekenntniß gehört, mit ihnen eins und nehmen sie als liebe Brüder in dem Herrn an; über den Anstoß, den jene noch der Gottlosen halber nehmen, während doch auch von ihnen bekannt werde, daß die Unwürdigen den Leib des Herrn mitempfangen, wollen sie nicht zanken. Luther sprach diese Worte, wie Mykonius berichtet, mit großem Geist und Muth, der auch in seinen Augen und seinem ganzen Antlitz zu sehen war. Capito und Butzer konnten die Thränen nicht halten. Alle standen mit gefalteten Händen da und dankten Gott.

An den folgenden Tagen kamen noch andere Punkte zur Sprache, über welche man noch der Verständigung bedurfte und diese nun auch ohne Schwierigkeit erreichte: so namentlich die Bedeutung der Kindertaufe und die Uebung der Beichte und Absolution. Die Oberdeutschen mußten auch noch über einzelne an sich gleichgiltige äußere Formen des Gottesdienstes, welche sie in den sächsischen Kirchen vom Katholizismus her beibehalten fanden, beruhigt werden.

Am Donnerstag wurden die Verhandlungen durch die Feier des Himmelfahrtsfestes unterbrochen. Luther hielt da die Vesperpredigt über den Text: »Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Creatur«. Mykonius erzählt davon: »Ich habe Luther sonst oft gehört, aber damals war mir, als redete er nicht allein, sondern donnerte vom Himmel her in Christi Namen.«

Erst am Sonnabend entledigten sich Butzer und Capito ihrer Aufträge von Seiten der Schweizer. Luther erklärte, nachdem er die Confession derselben gelesen hatte, daß ihm gewisse Ausdrücke in ihr bedenklich seien, wünschte aber, daß die Straßburger noch weiter mit ihnen verhandeln möchten, und diese machten ihm Hoffnung, daß die Gemeinden dort, des Streites müde, nach Einigung begehren.

Der brüderlichen Gemeinschaft wurde am Sonntag durch gemeinsame Feier des Abendmahls und durch Predigten, welcher der Reutlinger Alber in der Frühe und Butzer des Vormittags hielten, ein schöner Ausdruck gegeben.

Am andern Morgen, den 29. Mai, schloß die Versammlung damit, daß sie die Artikel, welche Melanchthon in ihrem Auftrag entworfen hatte, unterzeichneten. Beim Abendmahl wurde darin der Empfang des Leibes auch durch Unwürdige anerkannt, ohne daß über die Ungläubigen etwas bemerkt wurde. Die Unterzeichneten erklärten die Augsburger Confession und die Apologie derselben für ihre gemeinsamen Bekenntnisse. Veröffentlicht sollte jedoch dieser Act erst werden, wenn auch die Gemeinden, die er anging, mit ihren Pastoren und Obrigkeiten beigestimmt hätten. Man dürfe, sagte Luther, nicht vor der Zeit ein Siegeslied anstimmen, noch Andern Anlaß zu einer Klage darüber geben, daß die Sache ohne ihr Wissen und in einem Winkel abgemacht worden sei. Luther selbst fing auch schon an jenem Montag an Briefe zu schreiben, um von verschiedenen Seiten her die Zustimmung einzuholen. Unter seinen eigenen Genossen war jedenfalls sein vertrauter Freund Amsdorf in Magdeburg nicht so versöhnlich gestimmt gewesen; ihm theilte er auch erst nach acht Tagen das Ergebniß der Conferenz mit.

So war jetzt für den deutschen Protestantismus, abgesehen von der Schweiz, die Einheit im Bekenntniß hergestellt; denn keine der betheiligten Kirchen versagte jene Zustimmung. Den Schweizern gegenüber that jetzt auch Luther selbst einen Schritt, indem er an den Bürgermeister Meyer zu Basel schrieb, der der Einigung besonders geneigt war und ihm eine recht freundliche und hoffnungsvolle Antwort gab. Weiter suchte Butzer bei ihnen zu arbeiten. Aber in die Wittenberger Artikel konnten sie sich nicht finden. Sie, nämlich die Magistrate und Geistlichen von Zürich, Bern, Basel und einigen andern Städten sprachen nur ihre Freude über Luthers gegenwärtige freundliche Gesinnung nebst Hoffnung auf fernere Eintracht aus und ersuchten Butzer, demselben weitere Mittheilungen über ihr eigenes Bekenntnis und ihre Bedenken gegen das seinige zu machen. Er wollte dies auf einem Convent thun, den die Schmalkalder Verbündeten wegen des angekündigten Conzils für den Februar 1537 nach Schmalkalden ausschrieben.

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