Nachwort

Niccolo di Bernardo Machiavelli wurde am 3. Mai 1469 als Sohn eines Rechtsgelehrten zu Florenz geboren. Die Zeugnisse aus seiner Jugend sind recht dürftig. Früh muß seine Bewunderung für die römischen Schriftsteller und Roms Geschichte erwacht sein, denn ihnen gilt sein geistiges Interesse bis zum Tode. Mit neunundzwanzig Jahren wurde Machiavelli zum Sekretär der Signorie und kurz darauf zum Vorsteher der Kanzlei der Zehn des Krieges ernannt. Dies war im Jahre 1498. Florenz hatte soeben das Joch der Tyrannei abgeschüttelt. Das Haus Medici war vertrieben und Savonarola hingerichtet worden; die Republik erfreute sich wieder der Freiheit. Aber der scharfsinnige junge Beamte entdeckte bald die Mängel ihrer Verfassung, die er unaufhörlich mit seiner ganzen patriotischen Leidenschaft bekämpfte, – allerdings ohne ihre vollständige Beseitigung erzielen zu können. Zu dieser Zeit führte Florenz einen seiner zahlreichen Kriege mit Pisa. Verzweifelt verteidigten die Pisaner ihre Freiheit, bewaffneten alles, was Waffen tragen konnte, und machten dem reichen, aber unkriegerischen Florenz viel zu schaffen. Die Entschlossenheit und Opferbereitschaft des Feindes machten auf Machiavelli einen starken Eindruck. Während er den Feind zum letzten Einsatz für die Vaterstadt bereit fand, mußte er selbst auf Bestrafung der florentinischen Söldnerführer wegen Verrats dringen. Dieser erste Eindruck von dem Söldnerheere bestätigte sich in der weiteren politischen Erfahrung, und Machiavelli hat nie davon abgelassen, die Abschaffung der Söldnerheere und ihre Ersetzung durch ein Volksheer zu fordern.

Wiederholte diplomatische Sendungen boten Machiavelli Gelegenheit, das politische Handeln bis auf seinen verborgensten Kern zu durchschauen. Ein zeitgenössischer Fürst hat vor allem sein politisches Denken nachhaltig beeinflußt: Cesare Borgia. Dieser Glücksritter verübte seine Verbrechen, die übrigens damals an italienischen Fürstenhöfen als unentbehrliches Mittel der Politik angesehen wurden, mit einer skrupellosen Überlegenheit und schuf sich in kurzer Zeit eine Macht, die Machiavelli bewunderte und zugleich für seine Vaterstadt fürchtete. Er stellt Borgia wiederholt, in mehr oder weniger gesteigerter Idealisierung, als politisches Vorbild hin, wobei alle Schranken und Gebrechen allmählich verschwinden. Daß Borgias Verderben in seinen eigenen verbrecherischen Neigungen lag, hat der scharfsinnige Machiavelli merkwürdigerweise nicht erkannt. Für ihn war Borgia eben der Mann, der den Mut hatte, ganz böse zu sein und nicht auf halbem Wege stehen zu bleiben.

Machiavellis politische Erfahrung ist in der Hauptsache auf die kleinen Staaten des damaligen Italiens beschränkt. Die emporsteigenden großen Nationalstaaten, wie Frankreich und Spanien, scheint er in ihrer vollen Bedeutung nicht erkannt zu haben. Trotz seiner bewunderungswürdigen Fähigkeit, im Einzelnen die allgemeinen Grundsätze zu schauen, wäre er doch kaum zu seinen tiefsten Einsichten gelangt, hätte ihm nicht das Schicksal die Gelegenheit dazu aufgedrängt.

Im Jahre 1512 wurde die Republik Florenz wieder gestürzt und Machiavelli seines Amtes entsetzt. Später wurde er sogar der Beteiligung an einer Verschwörung gegen die Medici bezichtigt und auf der Folterbank verhört. Seine Bemühungen, die Gunst der zur Herrschaft zurückgekehrten Medici zu gewinnen, blieben so gut wie erfolglos. Es ist, als hätte sich dieses Fürstengeschlecht Machiavellis eigene Warnung ans Herz gelegt und gegen ihn gekehrt: ›Ein Staat muß sich wohl hüten, einem Mann, der früher eine blutige Beleidigung erdulden mußte, ein wichtiges Amt anzuvertrauen.‹ (Vom Staate III, 17.) Durch seine Bemühungen um den Fürsten wurde Machiavelli sogar den Anhängern der Republik verdächtig, und er erhielt daher nach der abermaligen Vertreibung der Medici sein altes Amt nicht wieder. Er konnte das schmerzliche Schicksal nicht verwinden und starb am 22. Juni 1527.

Die unfreiwillige Muße, die den praktischen Politiker kaltstellte, wurde für Machiavelli als Theoretiker der Politik von größter Bedeutung. Er hat dies selber unübertrefflich ausgedrückt in einem Brief an seinen Freund Vettori am 10. Dezember 1513. ›Ich wohne auf dem Lande; seit meinem politischen Unglücksfall bin ich, alles in allem gerechnet, keine zwanzig Tage in Florenz gewesen. Krammetsvögel habe ich gefangen, eigenhändig mit Leimruten, zwei bis sechs Stück am Tag. Das ist auch eine Beschäftigung ...‹ Es folgt eine äußerst witzige Beschreibung seines ärmlichen, jeder geistigen Anregung baren Landlebens. ›Wenn ich abends heimkomme, gehe ich in mein Arbeitszimmer. An der Schwelle lege ich die kotbespritzten Bauernkleider ab und hülle mich in festliche Hofgewänder; so würdig angetan, trete ich unter die Männer des Altertums. Freundlich von ihnen empfangen, nähre ich mich von der Speise, die allein mir zusagt und für die ich geboren wurde. Ich scheue mich nicht, mit ihnen zu sprechen und sie nach den Gründen ihres Handelns zu fragen, und sie in ihrer Leutseligkeit stehen mir Rede und Antwort. Vier Stunden lang empfinde ich keinen Verdruß, vergesse alle Beschwerden, fürchte nicht die Armut, ängstige mich nicht vor dem Tode: ich lebe ganz in ihnen. Und da Dante sagt, das sei kein Wissen, etwas verstanden zu haben, ohne es sich zu merken, so habe ich aufgezeichnet, was ich aus dem Umgang mit ihnen gewonnen habe, und eine kleine Schrift verfaßt: ›De principatibus‹›. Ich versenke mich, soweit es mir möglich ist, in diese Gedankenwelt und erörtere die Herrschaft, ihre verschiedenen Arten, die Mittel zu ihrer Erwerbung und Behauptung, die Ursachen ihres Verlustes; und wenn Euch je eine meiner Grillen gefiel, so dürfte Euch diese nicht mißfallen.‹

Bereits in der praktischen Arbeit herrscht bei Machiavelli die Neigung vor, die Grundsätze des politischen Handelns aufzudecken. Briefe, Gesandtschaftsberichte und Denkschriften legen davon Zeugnis ab. Vor seinem politischen Sturz jedoch sind diese allgemeinen Betrachtungen meist beiläufig und flüchtig und vornehmlich an dem engen Kreis seiner Erfahrung orientiert. Jetzt dagegen findet er nicht nur Zeit zum tieferen Nachdenken; die Beschäftigung mit der Historie erweitert gewaltig seinen geistigen Horizont und lehrt ihn die römische Weltmacht verstehen. An Hand der römischen Geschichte hat er seine tiefsten politischen Einsichten entwickelt, – ebenso genial, im einmaligen Ereignis die zeitenthobenen Grundsätze zu erkennen, wie schlagfertig, sie durch historische Beispiele zu erläutern.

Machiavellis Theorie der Politik wurzelt also in praktischer Erfahrung und theoretischer Einsicht. Hieraus erwächst der Lehre ein scheinbarer Widerspruch. Als Diplomaten interessiert Machiavelli in erster Linie die Technik des politischen Handelns; als Theoretiker geht er mehr in die Tiefe und fragt nach den Bedingungen kraftvoller und für den Staat glücklicher Politik. Bei der ersten Fragestellung ist jede moralische Rücksicht ausgeschaltet. Gefragt wird nur: Durch welche Mittel erreiche ich mein Ziel? Hier kann Cesare Borgia Vorbild sein. Beim zweiten Gesichtspunkt aber erhält die politische Tugend einen tieferen Sinn, der über bloße Zweckmäßigkeit weit hinausgeht. Es ist wichtig, sich diese verschiedenen Stufen oder, wenn man so will, die starken Spannungen in Machiavellis Lehre klarzumachen. Legt man nämlich der Lehre vom politischen Handeln normative Bedeutung bei, wie es viele Interpreten und Ankläger Machiavellis getan haben, so scheint die politische Tugend, die virtù, zur bloßen Naturgegebenheit und die politische Notwendigkeit zur selbstischen Zweckmäßigkeit herabzusinken. Politisch richtig handeln hieße dann, die zur Erreichung seiner augenblicklichen Ziele zweckmäßigen Mittel zu verwenden. Aber mit dieser Auffassung ist Machiavellis Lehre nicht erschöpft und deshalb mißverstanden.

Diese Seite an Machiavellis Staatslehre, die in seiner Schrift ›Vom Fürsten‹ ihre klassische Darstellung gefunden hat, erfuhr von dem großen Preußenkönig eine ebenso herbe wie berühmte Kritik. In seinem ›Antimachiavell‹ geht der junge Kronprinz mit Machiavelli ins Gericht. Von jugendlichem Überschwang und aufklärerischer Verblendung abgesehen, hat Friedrichs Kritik ihre tiefe Berechtigung und trifft manchen empfindlichen Punkt in Machiavellis Buch vom Fürsten. Bisweilen jedoch verfehlt diese Kritik ihr Ziel infolge der grundverschiedenen weltanschaulichen Voraussetzungen beider Denker. Denn Friedrich huldigt dem Fortschrittsgedanken der Aufklärung, während Machiavelli voraussetzt, daß die Menschen und die Triebfeder ihrer Handlungen immer die gleichen sind. Anders ausgedrückt: der junge Friedrich legt allen Nachdruck auf das Sein-Sollende, Machiavelli auf das Seiende. ›Da ich etwas Nützliches für den Unterrichteten schreiben will, so dürfte es nach meiner Meinung besser sein, wenn ich dem wirklichen Wesen der Sache nachgehe als einem Phantasiebild von ihr.‹ So lautet der Satz im 15. Kapitel des Buches vom Fürsten, der als Motto über dieser Schrift stehen könnte. Friedrich dagegen meint: ›Das Gute sollte der einzige Beweggrund unserer Handlungen sein, denn was ist das Gute anders als das Vernünftige?‹ (Antimachiavell, Kapitel 9). Da die Moral in Machiavellis Lehre keineswegs vorherrschend ist, in der erwähnten Schrift, der einzigen, die Friedrich kannte, sogar eine höchst nebensächliche Rolle spielt, muß Friedrich diese Lehre grundsätzlich verwerfen. Aber er begnügt sich nicht mit moralischen Argumenten, sondern fragt weiter: Was heißt denn eigentlich politische Zweckmäßigkeit? Sicherlich nicht das, was allein den selbstischen Interessen des Fürsten dient, denn dieser soll der erste Diener seines Volkes sein. Ebensowenig der rücksichtslose Betrug, der heute einen Scheinerfolg hat und morgen an dem allgemeinen Mißtrauen scheitert. Meuchelmord und Betrug, wie sie Machiavelli dem Fürsten vorschreibt – so behauptet Friedrich –, müssen jedes geordnete Staatswesen zugrunde richten und die Bevölkerung ins Elend stürzen, statt ihr Wohlstand und Sicherheit zu gewähren. Solche Mittel sind für keinen großen Herrscher brauchbar. Die räuberischen Tyrannen des zersplitterten und politisch ohnmächtigen Italiens können nicht als Vorbilder für politisches Handeln aufgestellt werden. Dies sind Friedrichs stärkste Beweise gegen Machiavelli. Im übrigen waren die Staatsauffassungen beider Männer einander nicht so fremd, wie es der ›Antimachiavell‹ dartun möchte, obgleich zwischen ihnen eine ideengeschichtliche Entwicklung von zweieinhalb Jahrhunderten liegt. In seiner gewaltigen Lebensarbeit lernte Friedrich der Große die harte politische Notwendigkeit, die er bei Machiavelli verkannt hatte, zur Genüge kennen und schlug manchen Weg ein, auf den Machiavelli seinen Fürsten nachdrücklich hingewiesen hatte. Hätte Machiavelli Friedrich den Großen, sein Heer und seine Staatsordnung gekannt, würde er gerade ihn als politisches Vorbild hingestellt haben. Auf der oben erwähnten höheren Stufe seiner Staatslehre fordert Machiavelli gerade eine solche Staatsordnung. Er findet auch nicht seine größten politischen Vorbilder unter den Fürsten des damaligen Italiens, sondern entnimmt sie der Reihe der Gründer und Lenker des römischen Weltreiches.

Nicht Reichtümer, sondern Opferbereitschaft und Heldenmut verbürgen den Sieg. So lautet der Grundsatz der politischen Ethik Machiavellis. Für ihn bedeutet höchste politische Tugend, daß ein Volk vital und gesinnungsgemäß wehrhaft sei und die Freiheit höher schätze als das Leben. Dies ist die virtù, die aufsteigenden Völkern geschenkt, den alternden aber genommen wird. Durch weise Umsicht des Staatslenkers kann sie gesteigert oder erhalten werden. Ein genialer Herrscher vermag sogar ein Volk, das politisch in Verfall geraten ist, wieder aufzurichten und auf die rechte Bahn zu leiten, wenn er die Härte nicht scheut, die das politische Handeln nun einmal erfordert. In diesem höheren Begriff der politischen Tugend, den Machiavelli vornehmlich in seinen Betrachtungen über die römische Geschichte, dem Buch vom Staate, entwickelt hat, gewinnt auch die politische Notwendigkeit einen tieferen Sinn, der über einfache technische Zweckmäßigkeit weit hinausgeht.

Für seine Behauptung, daß recht angewandte, vorübergehende Härte grausames Geschick von einem Volke abwenden könne, liefert Machiavelli die Geschichte seiner Vaterstadt und des zersplitterten Italiens Beweise genug. Er hat selbst eine Geschichte von Florenz geschrieben. Sie ist ein flammender Protest gegen die innere Zersplitterung und die daraus folgende politische Ohnmacht. Hier ergießt er seinen Spott über die unbotmäßigen und feigen Söldnerheere und führt uns die Trägheit und politische Kurzsichtigkeit der reichen Florentiner mit bewunderungswürdiger Klarheit vor Augen. Jedem Abschnitt dieser Geschichte hätte als Geleitwort der Satz Machiavellis vorangestellt werden können: Krieg führt man mit Eisen und nicht mit Gold! Und wenn sich auch Machiavelli zweifellos eher als Bürger des florentinischen Freistaates denn als Sohn Italiens fühlte, so ging ihm doch die wachsende Not des Vaterlandes immer mehr zu Herzen. Der Aufruf zur Befreiung Italiens, der das Schlußkapitel des ›Principe‹ bildet (vergleiche Seite 61 ff.), ist kein rein rhetorischer Schmuck, sondern die glühende Überzeugung eines politischen Sehers. Was gilt Gut und Böse, Milde oder Härte, wenn das Wohl des Vaterlandes auf dem Spiele steht? Ist ein Mann durch politische Fähigkeiten ausgezeichnet, so hat er die unausweichliche Pflicht, sie dem Wohle seines Vaterlandes zu weihen. Denn nicht ohne Absicht hat ihn die virtù begnadet. Die Wunden des Kampfes heilen bei einem gesunden Volke, die eiternden Geschwüre der Zwietracht dagegen vergiften den Volkskörper und lassen ihn vorzeitig altern und verfallen. Dieser Überzeugung entsprang Machiavellis Forderung nach Einheit und Stärke seines Vaterlandes.

 Top