Nationalismus in Japan

Die schlimmste Form der Knechtschaft ist es, wenn wir der Verzagtheit anheimfallen, denn sie raubt uns den Glauben an uns selbst und damit jede Hoffnung auf Befreiung. Man hat uns wiederholt und mit einem gewissen Recht gesagt, daß Asien in der Vergangenheit lebt – es ist wie ein reiches Mausoleum, das alle seine Pracht entfaltet, um die Toten unsterblich zu machen. Man hat von Asien gesagt, daß es niemals den Pfad des Fortschritts beschreiten könne, weil es nicht anders könne als den Blick nach rückwärts richten. Wir nahmen diesen Vorwurf hin und hielten ihn schließlich für berechtigt. Ich weiß, daß in Indien eine große Anzahl unserer Gebildeten die Demütigung, die in diesem Vorwurf liegt, nicht ertragen kann und nun ihre ganze Fähigkeit zum Selbstbetrug aufbietet, um ihn in ein Lob zu verwandeln und damit zu prahlen. Aber Prahlerei ist nur Schamgefühl unter falscher Maske, sie glaubt nicht wirklich an sich.

Als die Dinge so standen und wir Bewohner Asiens uns in den Glauben hinein hypnotisierten, daß es immer so bleiben müsse und auf keine Weise anders werden könne, erwachte plötzlich Japan aus seinem Schlummer, holte mit Riesenschritten die müßig verträumten Jahrhunderte nach und stand bald mit seinen Leistungen in der vordersten Reihe seiner modernen Zeitgenossen. Dies hat den Zauber gebrochen, in dem wir jahrhundertelang gebannt lagen, als wir glaubten, unser Los sei nun einmal das Los bestimmter Völker unter bestimmten Himmelsstrichen. Wir hatten vergessen, daß in Asien einst große Königreiche gegründet wurden, daß Philosophie, Wissenschaft, Kunst und Literatur bei uns blühten und alle großen Religionen hier ihre Wiege hatten. Man kann daher nicht sagen, daß in dem Boden und Klima Asiens irgend etwas ist, was geistige Untätigkeit erzeugt oder im Menschen den Trieb zum Fortschritt verkümmern läßt. Jahrhundertelang haben wir in Asien die Fackel der Kultur hochgehalten, als der Westen noch im Dunkel schlummerte und dies kann doch nicht das Zeichen von geistiger Schwerfälligkeit und engem Horizont sein.

Dann kam eine Zeit, wo das Dunkel der Nacht sich auf alle Länder des Ostens legte. Der Strom der Zeit schien plötzlich stillzustehen, und Asien hörte auf, neue Nahrung zu sich zu nehmen; es fing an, sich von seiner Vergangenheit, das heißt in Wahrheit, von sich selbst zu nähren. Es lag in Totenstille da, und die Stimme, die einst ewige Wahrheiten mit lautem Ruf verkündet und viele Menschenalter hindurch das Menschenleben rein gehalten hatte, wie der Ozean von Luft die Erde umspült und reinigt, – diese Stimme war verstummt.

Aber das Leben braucht auch seinen Schlaf, seine Perioden der Untätigkeit, wo seine Bewegungen aufhören, wo es keine neue Nahrung zu sich nimmt und von den Vorräten seiner Vergangenheit lebt. Dann wird es hilflos, seine Muskeln erschlaffen, und es ist leicht, es wegen seiner Stumpfheit zu verhöhnen. Im Rhythmus des Lebens sind diese Pausen nötig, damit das Leben sich erneuern kann. Ein tatenvolles Leben verausgabt sich beständig, verbrennt all sein Öl. Diese Verschwendung kann nicht unbegrenzt weitergehen, sondern immer muß ihr eine Zeit der Passivität folgen, wo keine Kräfte mehr verbraucht und keine Abenteuer mehr unternommen werden dürfen, wo Ruhe erste Pflicht ist, damit die Lebenskraft allmählich wieder wachsen kann.

Unser Geist neigt von Natur zur Sparsamkeit, er liebt es, Gewohnheiten anzunehmen und sich auf ausgefahrenen Gleisen zu bewegen, die ihm die Mühe sparen, bei jedem Schritt nachzudenken. Fertig übernommene Ideale machen den Geist träge. Er fürchtet, seinen Besitz zu verlieren, im Ringen nach neuem Erwerb. Er versucht, ihn sich zu sichern, indem er ihn in einer Festung von Gewohnheiten verschließt. Aber dies heißt in Wahrheit, sich den vollen Genuß seines Besitzes unmöglich machen. Es ist Geiz. Die lebendigen Ideale dürfen nicht die Berührung mit dem wachsenden, wechselnden Leben verlieren. Nicht innerhalb sie sorglich hütender Schranken sind sie wahrhaft frei, sondern draußen auf der Landstraße des Lebens mit all ihren Abenteuern und Möglichkeiten neuer Erfahrungen.

Eines Morgens blickte die ganze Welt in Staunen auf: Japan hatte in der Nacht die Mauern seiner alten Gewohnheiten durchbrochen und trat triumphierend daraus hervor. Es war in einer so unglaublich kurzen Zeit geschehen, wie das Wechseln eines Gewandes, nicht wie das langsame Errichten eines neuen Baues. Das neue Japan zeigte zugleich das zuversichtliche Kraftbewußtsein des reifen Alters und die Frische und unendliche Möglichkeitsfülle neu erwachten Lebens. Man fürchtete damals, daß es sich nur um eine plötzliche Laune der Geschichte handelte, um ein kindisches Spiel der Zeit, eine Seifenblase, zwar vollkommen in ihrer Rundung und Farbenschönheit, doch innen hohl und ohne Gehalt. Aber Japan hat endgültig gezeigt, daß die plötzliche Offenbarung seiner Macht nicht ein kurzlebiges Wunder war, eine zufällige und vorübergehende Erscheinung im Zeitenstrom, aus der dunklen Tiefe heraufgeschleudert, um im nächsten Augenblick mit den Fluten hinweggerissen zu werden ins Meer der Vergessenheit.

Denn Japan ist alt und modern zugleich. Es hat sein Erbe alter östlicher Kultur, jener Kultur, die dem Menschen zur Pflicht macht, wahren Reichtum und wahre Kraft in sich selbst, in seiner Seele zu suchen, jener Kultur, die ihm inneren Halt gibt gegenüber Verlust und Gefahr, die ihn opferwillig macht, ohne daß er an das denkt, was es ihn kostet, oder auf Lohn hofft, die ihn lehrt, dem Tod zu trotzen und sich den unzähligen Verpflichtungen zu unterwerfen, die er als Glied der Gesellschaft seinen Mitmenschen gegenüber hat. Es besitzt das Erbe jener Kultur, die uns in allen endlichen Dingen die Vision des Unendlichen gegeben hat, durch die wir erkannt haben, daß das Weltall von Leben und Seele durchtränkt ist, daß es nicht eine ungeheure Maschine ist, die einst vom Teufel Zufall zum Vorschein gebracht oder von einem teleologischen Gott geschaffen wurde, der in einem fernen Himmel lebt. Mit einem Wort, das moderne Japan ist aus dem uralten Osten entsprossen wie die Lotusblume, die sich leicht und anmutig in der Luft wiegt und doch fest und tief in dem Boden wurzelt, dem sie entsprungen.

Und Japan, dies Kind des alten Ostens, hat doch keck nach allen Gaben des modernen Zeitalters gegriffen. Es hat seinen kühnen Geist gezeigt, indem es die Schranken der Gewohnheit durchbrach, welche Trägheit nach und nach aufgerichtet hatte; seine eigene Tüchtigkeit und Wachsamkeit sollten hinfort seine Sicherheit und sein Schutz sein. So ist es in Berührung gekommen mit dem Leben der Zeit und hat mit bewundernswertem Eifer und erstaunlicher Begabung die Verpflichtungen der modernen Zivilisation auf sich genommen.

Dies ist es, was dem übrigen Osten Mut gemacht hat. Wir haben erkannt, daß Leben und Kraft in uns ist, es gilt nur, die trockene Rinde abzuwerfen und nackt hineinzutauchen in den verjüngenden Strom der Zeit. Wir haben erkannt, daß seine Zuflucht zu toten Dingen nehmen Tod bedeutet, und daß nur der lebt, der das ganze volle Wagnis des Lebens auf sich nimmt.

Ich meinesteils kann nicht glauben, daß Japan das geworden ist, was es ist, dadurch, daß es dem Westen nachahmte. Wir können Leben nicht nachahmen, Kraft nicht lange heucheln, ja, bloßes Nachahmen tötet die Kraft, die da ist. Denn es fesselt unsere wahre Natur und hemmt uns überall. Es ist, als ob wir über unsere Knochen die Haut eines andern Menschen zögen und so zwischen beiden einen ewigen Kampf schüfen.

Die Wahrheit ist, daß die Wissenschaft nicht zur Natur des Menschen gehört; sie ist nur etwas Erlerntes und durch Schulung Erworbenes. Wenn ihr die Gesetze der äußeren Natur kennt, so ändert das noch nichts an eurer menschlichen Natur. Wissen könnt ihr von andern borgen, aber nicht Gaben des Gemüts.

Aber in der ersten Zeit unserer Ausbildung, wo wir noch nichts weiter tun als nachmachen, können wir noch nicht zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem, zwischen Übertragbarem und Nichtübertragbarem unterscheiden. Es ist wie mit dem Glauben des primitiven Geistes an die Zauberkraft zufälliger äußerer Formen, in denen sich ihm eine Wahrheit kundgibt. Wir fürchten, etwas Wertvolles und Wirksames zurückzulassen, wenn wir nicht die Schale mit dem Kern verschlucken. Aber während unsere Gier immer das Ganze sich aneignen will, verleiben unsere Leben schaffenden Organe die nährenden Stoffe dem Körper ein, und dies ist die rechte Art, wie ein lebendiger Organismus von den Dingen Besitz nimmt. Wo Leben ist, da behauptet es sich sicher dadurch, daß es das auswählt, was es zu seiner Erhaltung braucht, und das Schädliche zurückweist. Der lebendige Organismus wächst nicht in seine Nahrung hinein, sondern seine Nahrung wächst in ihn hinein. Und nur so kann er stark werden, nicht indem er sie nur in sich anhäuft oder indem er sich selbst aufgibt.

Japan hat seine Nahrung vom Westen eingeführt, aber nicht seine Lebensorgane. Japan kann nicht ganz in der wissenschaftlichen Ausstaffierung, die es vom Westen bekommen hat, untertauchen und zu einer bloßen übernommenen Maschine werden. Es hat seine eigene Seele, die sich vor allen andern Bedürfnissen geltend machen muß. Daß sie dies kann und daß Japan es versteht, die neuen Errungenschaften sich in rechter Weise zu eigen zu machen, das beweisen reichlich die Zeichen kräftiger Gesundheit, die wir an ihm wahrnehmen. Und ich hoffe aufrichtig, daß Japan über dem Stolz auf seine modernen Errungenschaften nie den Glauben an seine Seele verlieren wird, denn schon jener Stolz ist eine Demütigung und führt am Ende zu Armut und Schwäche. Es ist der Stolz des Gecken, der größeren Wert auf seine Kopfbedeckung legt als auf den Kopf selbst.

Die ganze Welt wartet, um zu sehen, was dieses große Volk des Ostens nun anfangen wird mit den Möglichkeiten und Verpflichtungen, die es aus den Händen der modernen Zeit empfangen hat. Ist es nur eine Nachbildung des Westens, so werden die großen Erwartungen, die es erweckt hat, unerfüllt bleiben. Denn es sind ernste Fragen, die die westliche Zivilisation aufgeworfen und noch nicht ganz gelöst hat. Der Konflikt zwischen Staat und Individuum, Arbeit und Kapital, Mann und Frau; der Konflikt zwischen materieller Gewinnsucht und Bedürfnis nach geistigem Leben, zwischen der organisierten Selbstsucht der Völker und den höheren Idealen der Menschlichkeit, und all die schlimmen Konflikte, die sich ergeben aus dem Gegensatz zwischen den riesigen Organisationen des Handels und des Staates und den natürlichen Instinkten des Menschen, die nach Einfachheit, Schönheit und Muße rufen – dies alles soll in Harmonie gebracht werden auf einem Wege, den noch niemand ahnt.

Wir haben gesehen, wie dieser große Strom der Zivilisation sich staute und gehemmt wurde durch die Trümmer, die seine unzähligen Kanäle ihm zutrugen. Wir haben gesehen, daß bei all ihrer vielgepriesenen Menschenliebe die Zivilisation sich selbst als die größte Bedrohung für den Menschen erwies, eine weit schlimmere als die plötzlichen Überfälle nomadischer Barbaren, durch die die Menschen in früheren Zeitaltern litten. Wir haben gesehen, daß sie, trotzdem sie mit ihrer Freiheitsliebe prahlte, schlimmere Formen der Sklaverei schuf, als je in einer menschlichen Gesellschaft üblich waren – eine Sklaverei, deren Ketten unzerbrechlich sind, entweder weil sie unsichtbar sind oder weil sie Namen und äußeren Schein der Freiheit haben. Wir haben gesehen, wie der Mensch im Bann ihrer ungeheuren Gemeinheit den Glauben verliert an all die hohen Ideale des Lebens, die ihn groß gemacht haben.

Daher könnt ihr Japaner nicht leichten Herzens die moderne Zivilisation annehmen mit all ihren Tendenzen, Methoden und Einrichtungen, in der Meinung, daß das alles dazu gehört. Ihr müßt euren östlichen Sinn, eure geistige Kraft, eure Liebe zur Einfachheit, eure Gefühle für soziale Verpflichtungen einsetzen, um einen neuen Weg zu bahnen für diesen großen, ungelenken, mißtönig rollenden Triumphwagen des Fortschritts. Ihr müßt die ungeheuren Opfer an Menschenleben und Freiheit, die er bei jedem Schritt auf seinem Wege fordert, auf das kleinste Maß bringen. Viele Menschenalter hindurch habt ihr auf eure eigene Art gefühlt, gedacht und gearbeitet, euch gefreut und eure Götter verehrt. Diese eure Art könnt ihr nicht wie ein altes Gewand ablegen. Denn sie ist in eurem Blut, in dem Mark eurer Knochen, in dem Gewebe eures Fleisches, in den Windungen eures Gehirns, und sie muß allem, was ihr berührt, ihren Stempel geben, ohne euer Wissen, selbst gegen euren Willen. Einst fandet ihr doch eine Lösung für die menschlichen Probleme, die euch befriedigte, und ihr hattet eure eigene Lebensphilosophie und eure eigene Lebenskunst. Dies alles müßt ihr jetzt auf die gegenwärtige Lage anwenden, und daraus wird eine neue Schöpfung entstehen, keine bloße Wiederholung – eine Schöpfung, welche ganz der Seele eures Volkes gehört und welche sie stolz der Welt darbietet als ihren Beitrag zum Wohl der Menschheit. Von allen Ländern in Asien habt ihr in Japan die Freiheit, das, was ihr vom Westen bekommen habt, nach eurem Sinn und eurem Bedürfnis zu nutzen. Ihr habt das Glück, nicht eingeengt zu sein von außen; daher ist eure Verantwortlichkeit um so größer, denn ihr antwortet im Namen ganz Asiens auf die Fragen, die Europa der Menschheit vorgelegt hat. In eurem Lande werden die Versuche fortgeführt, wodurch der Osten das Bild der modernen Zivilisation ändern wird, indem er da Leben einhaucht, wo sie Maschine ist, an Stelle kalter Berechnung menschliches Gefühl setzt, nicht so sehr nach Macht und Erfolg fragt, als nach harmonischem und lebendigem Wachstum, nach Wahrheit und Schönheit.

Ich muß euch an jene Zeiten erinnern, als der ganze Osten Asiens von Birma bis Japan mit Indien verbunden war durch das Band engster Freundschaft, das einzig natürliche Band, das zwischen Völkern bestehen kann. Damals bestand eine unmittelbare Verbindung von Herz zu Herz; wir bildeten alle zusammen ein lebendiges Nervensystem, wir spürten gleichzeitig die tiefsten Bedürfnisse der Menschheit. Wir lebten nicht in Furcht voreinander, wir brauchten uns nicht zu bewaffnen, um einander in Schach zu halten. Nicht Eigennutz und Habgier trieb uns zueinander, Ideen und Ideale wurden ausgetauscht, Gaben der höchsten Liebe dargeboten und empfangen. Verschiedenheit der Sprachen und Sitten hinderten nicht die innigste Seelengemeinschaft; kein Rassenstolz, keine freche Überhebung im Bewußtsein körperlicher oder geistiger Überlegenheit störte unsere Beziehung; neue Blätter und Blüten entsprossen dem Boden unserer Kunst und Literatur unter dem Sonnenlicht der Menschenliebe, und Völker von verschiedenen Ländern, Sprachen und Vergangenheiten bekannten sich zu dem, was die höchste Einheit der Menschen bildet und das stärkste Liebesband. Wollen wir nicht auch daran denken, daß damals, in jenem goldenen Zeitalter, als die Menschen gemeinsam nach den höchsten Lebenszielen strebten, eure Natur den Balsam der Unsterblichkeit für sich aufspeicherte, der eurem Volk zur Wiedergeburt in einem neuen Zeitalter verholfen hat und ihm die Kraft gegeben, seinen alten verbrauchten Leib abzutun und einen neuen Leib anzulegen und unversehrt hervorzugehen aus der Erschütterung der wunderbarsten Umwälzung, die die Welt je gesehen hat?

Die politische Kultur, die auf dem Boden Europas gewachsen ist und sich wie üppig wucherndes Unkraut über die ganze Erde ausgebreitet hat, gründet sich auf Ausschließlichkeit. Sie ist immer darauf bedacht, Fremde in Schach zu halten oder zu vernichten. Sie ist kannibalisch in ihren Neigungen, nährt sich von dem, was andere Völker notwendig zu ihrem Leben brauchen, und versucht, deren ganze Zukunft zu verschlingen. Sie fürchtet immer, daß andere Rassen auch zu Bedeutung gelangen, und erklärt es als eine Gefahr, und sie versucht, alle Keime von Größe außerhalb ihrer Grenzen zu ersticken, indem sie die Rassen, die schwächer sind als sie, zu Boden wirft, damit sie auf ewig in ihrer Schwäche verharren. Bevor diese politische Kultur zur Herrschaft kam und ihren hungrigen Rachen weit genug öffnete, um ganze Erdteile zu verschlingen, hatten wir wohl Kriege, Plünderungen, gewaltsame Thronwechsel, die Elend im Gefolge hatten, aber nie sahen wir solche furchtbare und hoffnungslose Raubgier, solch ein gegenseitiges Sichauffressen von Nationen, solche riesigen Maschinen zum Zerhacken ganzer Erdteile, nie sahen wir solche entsetzlichen Ausgeburten von Eifersucht, die immer ihre scheußlichen Zähne und Klauen bereit haben, sich gegenseitig die Eingeweide zu zerfleischen. Diese politische Kultur ist wissenschaftlich, nicht menschlich. Sie ist mächtig, weil sie alle ihre Kräfte auf ein Ziel richtet, wie der Millionär, der Geld erwirbt auf Kosten seiner Seele. Sie verrät das Vertrauen, schamlos spinnt sie Lügennetze, stellt riesige Götzenbilder der Gier in ihren Tempeln auf und ist sehr stolz auf die kostspieligen Zeremonien ihres Gottesdienstes, den sie Patriotismus nennt. Und man kann mit Gewißheit prophezeien, daß solch Treiben ein Ende finden muß, denn es gibt in dieser Welt ein sittliches Gesetz, dem nicht nur der einzelne, sondern auch die organisierten Gemeinschaften unterworfen sind. Ihr könnt nicht diese Gesetze im Namen eurer Nation beständig verletzen und als Individuen ihren Segen genießen. Dies öffentliche Untergraben der menschlichen Ideale wirkt auf jedes Mitglied der Gesellschaft, es macht allmählich und unmerklich die Menschen schwach und erzeugt jenes zynische Mißtrauen gegen alles, was in der menschlichen Natur heilig und ehrwürdig ist, das sichere Anzeichen von Greisenhaftigkeit. Ihr müßt bedenken, daß diese politische Kultur, diese Religion des nationalen Patriotismus, noch nicht lange auf die Probe gestellt ist. Die Fackel des alten Griechenlands ist in dem Lande, wo sie zuerst entzündet wurde, erloschen. Roms Macht liegt tot und begraben unter den Trümmern seines großen Reiches. Aber die Kultur, die sich auf die natürliche Gesellschaft und auf die geistigen Ideale der Menschen gründet, lebt noch in China und Indien. Wenn sie, an dem Maßstab der mechanischen Kraft unserer heutigen Zeit gemessen, auch schwach und klein aussieht, so gleicht sie doch den kleinen Samenkörnern, die Leben enthalten; sie wird emporsprießen und wachsen, ihre wohltätigen Zweige ausbreiten und Blüten und Früchte hervorbringen, wenn ihre Zeit kommt und der befruchtende Segen des Himmels auf sie herabströmt. Aber die Trümmer von Wolkenkratzern und zerbrochenen Maschinen, die traurigen Reste von Macht und Gier, kann selbst Gottes Segen nicht wieder aufrichten, denn sie waren nicht Kinder des Lebens, sondern Feinde allen Lebens – sie sind Spuren des Aufruhrs, der im Kampf gegen das Ewige zerschellte.

Aber man macht uns den Vorwurf, daß unsere Ideale unbeweglich sind, daß sie nicht die Triebkraft haben, uns zu neuen Ausblicken zu führen und neue Gebiete von Wissen und Macht zu erschließen, daß die philosophischen Systeme, die Hauptstützen der morschen östlichen Kultur, alle äußeren Beweise verschmähen und in ihrer subjektiven Gewißheit sich töricht zufriedengeben. Dies beweist nur, daß wir, wenn unser Wissen unklar ist, geneigt sind, dem Gegenstand unseres Wissens Unklarheit vorzuwerfen. Für einen europäischen Beobachter ist unsere Kultur nichts als Metaphysik, wie für einen Tauben das Klavierspiel nur Fingerbewegung, aber nicht Musik ist. Er kann es nicht glauben, daß diese Kultur eine tiefe, lebendige Wirklichkeit als Grundlage hat, auf der sich unser Leben aufbaut.

Unglücklicherweise ist der Beweis für die Wirklichkeit eines Dinges nur seine sichtbare Vergegenwärtigung. An die Wirklichkeit eurer Umgebung glaubt ihr, weil ihr sie seht, aber es ist schwer, einem Ungläubigen zu beweisen, daß unsere Kultur nicht ein nebelhaftes System von abstrakten Spekulationen ist, daß sie uns etwas gegeben hat, was positive Wahrheit ist – eine Wahrheit, die dem Menschenherzen Schutz und Nahrung gibt. Sie hat einen innern Sinn in uns entwickelt, die Gabe, in allen endlichen Dingen das Unendliche zu schauen.

»Aber«, sagt der Europäer weiter, »ihr macht gar keine Fortschritte, in euch ist keine Bewegung.« Ich frage ihn: Woher wißt ihr das? Fortschritte wollen nach ihrem Ziel beurteilt werden. Der Eisenbahnzug macht seine Fortschritte auf die Endstation zu – das ist Bewegung. Aber ein ausgewachsener Baum hat keine Bewegung dieser Art, sein Fortschritt ist der Fortschritt des Lebens in ihm. Er lebt, und sein Streben zum Licht tönt in seinen Blättern und rinnt in seinem Saft.

Auch wir haben jahrhundertelang gelebt, leben noch und streben nach einer Wirklichkeit, deren Erfüllung kein Ende hat – nach einer Wirklichkeit, die über den Tod hinausgeht und ihm erst einen Sinn gibt, die sich über alles Elend und alle Trübsal dieser Welt erhebt und in freudiger Entsagung Frieden und Reinheit bringt. Die Frucht dieses inneren Lebens ist lebendige Frucht. Nach ihr verlangt der Jüngling, wenn er müde und staubbedeckt heimkehrt, der Soldat, wenn er verwundet ist; nach ihr verlangt man, wenn der Reichtum verpraßt und der Stolz gedemütigt ist, wenn das Menschenherz in dem verwirrenden Durcheinander der Tatsachen nach Wahrheit und im Widerstreit seiner Neigungen nach Harmonie ruft. Ihr Wert liegt nicht in ihrer äußeren Fülle, sondern in ihrer Vollkommenheit.

Es gibt Dinge, die nicht warten können. Wollt ihr kämpfen oder den besten Platz auf dem Markt haben, so müßt ihr euch in Marsch setzen und laufen und stürzen. Ihr spannt eure Nerven aufs äußerste an und seid immer auf dem Posten, wenn ihr Gelegenheiten ergreifen wollt, die sich nur im Fluge erhaschen lassen. Aber es gibt Ideale, die nicht ein Versteckspiel treiben mit unserm Leben; sie wachsen langsam vom Samenkorn zur Blüte und von der Blüte zur Frucht; sie brauchen unendlich viel Raum und Himmelslicht, um zu reifen, und die Früchte, die sie tragen, können jahrelang verschmäht und vergessen liegen, ohne daß sie faulen. Der Osten mit seinen Idealen, der in seinem Busen das Licht der Sonne und das Schweigen der Sterne von Jahrhunderten bewahrt, kann geduldig warten, bis dem Westen, der dem Nutzen nacheilt, der Atem ausgeht und er stillsteht. Europa wirft, während es eiligst zu seinen Geschäften fährt, einen verächtlichen Blick aus dem Wagenfenster des Zuges auf den Schnitter, der auf dem Felde sein Getreide mäht, und in der rasenden Geschwindigkeit der Fahrt muß es ihm vorkommen, als ob der da draußen sehr langsam wäre und immer weiter zurückginge. Aber die Geschwindigkeit nimmt einmal ein Ende, die Geschäfte verlieren ihren Sinn, und das hungernde Herz Europas jammert nach Nahrung, bis es endlich zu dem bescheidenen Schnitter kommt, der im Sonnenschein seine Ernte einbringt. Denn wenn auch das Geschäft und das Kaufen und Verkaufen oder die Vergnügungssucht nicht warten können, die Liebe wartet und mit ihr die Schönheit und die Weisheit im Leiden und all die Früchte frommer Demut und gläubiger Hingebung. Und so wird der Osten warten, bis seine Zeit kommt.

Ich will jedoch nicht zögern, das Große in Europa anzuerkennen, denn Großes hat es ohne Zweifel. Wir können nicht anders als es von Herzen lieben und bewundern – dies Europa, von dem sich in Kunst und Literatur ein unerschöpflicher Strom von Schönheit und Wahrheit ergießt, alle Länder und Zeiten befruchtend; dies Europa, das mit titanischem Geiste in nie ermüdender Kraft die Höhen und Tiefen des Weltalls durchmißt, das unendlich Große und unendlich Kleine mit seinem Wissen umfaßt und alle Kräfte von Herz und Verstand dazu verwendet, die Kranken zu heilen und all das Elend zu mildern, das wir bis jetzt in hoffnungsloser Resignation hinnahmen, dies Europa, das die Erde dahin bringt, uns mehr Frucht zu spenden, als möglich schien, indem es mit Güte und Gewalt alle großen Kräfte der Natur in den Dienst des Menschen zwingt. Wahre Größe wie diese kann nur auf Geistesstärke beruhen. Denn nur der Geist des Menschen kann seines endlichen Erfolges gewiß, allen Schranken trotzen, seinen Scheinwerfer hinter das unmittelbar vor Augen Liegende richten, freudig zum Märtyrer werden für ferne Ziele, die er selbst nie erreichen kann und von denen er durch keinen Fehlschlag sich abbringen läßt. Im Herzen Europas fließt der reinste Strom von Menschenliebe, Gerechtigkeitsliebe und Opferwillen für höhere Ideale. Jahrhundertelange christliche Kultur hat es tief bis ins Lebensmark durchdrungen. Wir haben gesehen, wie zu allen Zeiten in Europa edle Geister für die Rechte des Menschen ohne Rücksicht auf Farbe und Bekenntnis eintraten, wie sie, Verleumdungen und Schmähungen von Seiten ihres eigenen Volkes trotzend, für die Sache der Menschheit kämpften und ihre Stimmen erhoben gegen die wilden Orgien des Militarismus, gegen die Raserei brutaler Rachgier und Raubsucht, die bisweilen ein ganzes Volk ergreift. Wir sehen, wie sie immer bereit sind, das Unrecht wieder gutzumachen, das ihre eigenen Nationen früher andern zugefügt, und wie sie vergebens versuchten, die Flut feigherziger Ungerechtigkeit aufzuhalten, die ungehindert weiter strömt, weil der Widerstand von Seiten der Geschädigten schwach und ohne Wirkung ist. Sie sind da, diese fahrenden Ritter des modernen Europas, die den Glauben nicht verloren haben an selbstlose Liebe zur Freiheit, an die Ideale, die keine nationale Selbstsucht und keine geographischen Schranken kennen. Sie sind da, und beweisen uns, daß die Quellen ewigen Lebens in Europa nicht vertrocknet sind, und von dorther wird immer wieder seine Wiedergeburt kommen. Da jedoch, wo Europa zu bewußt am Werk ist, das Gebäude seiner Macht aufzurichten und seine bessere Natur verleugnet und verspottet, da häuft es seine Missetaten zum Himmel auf und fordert Gottes Rache heraus, indem es die giftige Saat physischer und moralischer Häßlichkeit über die ganze Erde sät und durch sein herzloses Treiben des Menschen Gefühl für das Schöne und Gute freventlich verletzt. Europa ist äußerst gut in seinem Wohltun, solange es seinen Blick auf die ganze Menschheit richtet, und es ist äußerst böse in seinem Übeltun, sobald es seinen Blick nur auf sein eigenes Interesse richtet und alle Kraft zur Größe nur auf Zwecke verwendet, die dem Unsterblichen und Ewigen im Menschen entgegen sind.

Ostasien hat seinen alten Pfad verfolgt und eine Kultur entwickelt, die nicht politisch, sondern sozial ist, nicht räuberisch und mechanisch wirksam, sondern geistig und auf all die mannigfachen tieferen menschlichen Beziehungen gegründet. Es hat in stiller Zurückgezogenheit für die Lebensprobleme der Völker Lösungen ersonnen und hat sie im Schutz seiner Abgeschlossenheit, kaum berührt von dynastischen Wechseln und Einfällen fremder Völker, ausgeführt. Aber jetzt, da die Welt von außen über uns hereingebrochen ist, ist unsere Abgeschlossenheit für immer dahin. Und doch dürfen wir dies nicht beklagen, wie eine Pflanze es nicht beklagen darf, wenn sie aus dunkler Erde zum Licht emporgezogen wird. Jetzt ist die Zeit gekommen, wo wir die Aufgabe der ganzen Welt zu unserer Aufgabe machen müssen; wir müssen den Geist unserer Kultur mit der Geschichte aller Nationen der Erde in Einklang zu bringen suchen, wir dürfen uns nicht in törichtem Stolz in der Samenhülle und in der Erdrinde, die unsere Ideale schützen und nährten, festhalten, denn beide, Hülle und Rinde, müssen durchbrochen werden, wenn das Leben in all seiner Kraft und Schönheit emporschießen soll, um der Welt im Licht des Tages seine Gaben zu bieten.

Diese Aufgabe, die Schranke zu durchbrechen und in die Welt hinauszutreten, hat von den Völkern des Ostens Japan zuerst auf sich genommen. Es hat das Herz ganz Asiens mit Hoffnung belebt. Diese Hoffnung gibt uns die heimliche Flamme, die jedes Schöpfungswerk braucht. Asien fühlt jetzt, daß es sein Leben beweisen muß, dadurch, daß es lebendige Werke schafft; daß es nicht müßig schlafend daliegen oder, durch Furcht oder Schmeichelei betört, in schwächlicher Nachahmung dem Westen huldigen darf. Dafür sagen wir dem Land der aufgehenden Sonne Dank und bitten es feierlich, immer dessen eingedenk zu sein, daß es die Mission des Ostens zu erfüllen hat. Es muß dem Herzen der modernen Kultur den Lebenssaft tieferer Menschlichkeit einflößen. Es darf sie nicht vom Unterholz ersticken lassen, sondern muß sie hinaufführen zu Licht und Freiheit, zu reiner Luft und weitem Raum, wo sie im Licht des Tages und im Dunkel der Nacht die Stimme des Himmels vernehmen kann. Auf daß die Erhabenheit seiner Ideale allen Menschen sichtbar werde wie sein schneegekrönter Futschijama, der aus dem Herzen seines Landes aufsteigt in die Region des Unendlichen und sich stolz von seiner Umgebung abhebt, schön wie ein Mädchen in dem wundervollen Schwung seiner Linien, und doch fest und stark und von ruhiger Majestät.

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