23.

Das schlimmste dieser Worte heißt Kommunismus. Mit seiner Kritik wird die Kardinalfrage des Eigentums berührt. Es ist hier nicht der Ort, eine so schwierige Frage auch nur im Umriß darzulegen [1] und die tiefen Zusammenhänge zwischen Eigentum und Ehe, Eigentum und politischem Ideal, Eigentum und Weltanschauung in ihrer ganzen symbolischen Wucht zu beleuchten. Jede der großen Kulturen hat auch hier ihre eigne Sprache. Der abendländische Gedanke des Eigentums ist von dem antiken, indischen, chinesischen weit entfernt: Eigentum ist Macht. Was nicht dynamisch wirkt, aller tote Besitz, das »Haben« an sich gilt dem echt faustischen Menschen wenig. Darin liegt das Geheimnis der Hervorhebung des produktiven Eigentums vor allem andern, der bloßen »Habe«. Die sinnliche antike Freude an aufgehäuften Schätzen ist unter uns selten. Der Stolz des Eroberers, des Kaufmanns und Spielers, selbst des Sammlers von Kunstwerken ruht auf dem Bewußtsein, mit seiner Beute Macht erworben zu haben. Der spanische Golddurst, der englische Landhunger richten sich auf werbenden Besitz. Gegen diesen energischen Begriff des Eigentums erhebt sich in der Renaissance und in Paris ein andrer: das Rentnerideal. Nicht Wirkung, sondern Genuß, nicht »alles«, sondern »genug«, nicht Tat, sondern »Leben« war das Endziel dieser Habsucht. Die Kondottieri [2] wollten ihre Fürstentümer und Schätze haben, um die müßige Kultur ihres Jahrhunderts in vollen Zügen zu genießen. Das Bankhaus der Medici, eines der ersten Europas, war weit von dem Ehrgeiz entfernt, den Weltmarkt beherrschen zu wollen. Ludwig XIV. sandte seine Generäle und Steuerpächter aus, um eine gesicherte Unterlage für das olympische Dasein eines Sonnenkönigtums zu schaffen. Der französische Adel von Versailles war durchaus von Renaissancegefühlen beherrscht. Seine Kultur war nichts weniger als dynamischer Art. Reisende Engländer wie Young waren, kurz vor der Revolution, erstaunt, wie schlecht er seine Güter bewirtschaftete. Es genügte ihm, wenn er sie »hatte« und wenn der Intendant die Summen für das Leben in Paris zusammenbrachte. Diese Aristokratie des 18. Jahrhunderts bildete den strengsten Gegensatz zu der tätigen, erwerbenden und erobernden englischen und preußischen. Der bloße Selbsterhaltungstrieb des französischen Reichtums hat ihn zur Beherrschung des Weltmarktes und zu echter Kolonisation selbst in den großen Augenblicken der französischen Geschichte unfähig gemacht. Aber der Grandseigneur von 1750 ist als Typus durchaus der Vorgänger des Bourgeois von 1850, jenes harmlosen Rentners, den nur nationale Eitelkeit von Zeit zu Zeit gefährlich machte und dessen Namen Marx wirklich nicht zur Bezeichnung der kapitalistischen Gesellschaft hätte verwenden sollen.

Denn Kapital ist das große Wort, in dem die englische Auffassung vom Eigentum liegt. Kapital bedeutet wirtschaftliche Energie; es ist die Rüstung, in der man den Kampf um den Erfolg aufnimmt. Dem französischen Kavalier und Rentner stehen hier die Börsen-, Petroleum- und Stahlkönige gegenüber, deren Genuß im Bewußtsein wirtschaftlicher Allmacht besteht. Daß eine Erkältung überall in der Welt die Kurse fallen läßt, daß ein Telegramm von drei Worten Katastrophen auf der andern Seite des Erdballs hervorruft, daß Handel und Industrie ganzer Länder im Bereich ihres persönlichen Kredits liegen, das ist ihr Begriff vom Eigentum und zwar vom Privateigentum. Man muß das ganze Pathos des Wortes zu würdigen wissen. Der Milliardär fordert die unumschränkte Freiheit, durch seine privaten Entschlüsse mit der Weltlage nach Gefallen zu schalten, ohne einen ethischen Maßstab als den des Erfolges. Er kämpft mit allen Mitteln des Kredits und der Spekulation den Gegner auf seinem Felde nieder. Der Trust ist sein Staat, seine Armee, und der politische Staat nicht viel mehr als sein Agent, den er mit Kriegen, wie dem spanischen und südafrikanischen, mit Verträgen und Friedensschlüssen beauftragt. Die Vertrustung der ganzen Welt ist das Endziel dieser echten Herrenmenschen: Mag das nominelle Eigentumsrecht des Durchschnittsmenschen unangetastet bleiben, mag er sein Hab und Gut als Rentnerkapital in voller Freiheit vererben, verkaufen, verteilen, die wirtschaftliche Kraft dieser Habe als Händlerkapital wird doch von einem Zentrum aus unsichtbar in bestimmte Richtung geleitet; damit ist der Geldmagnat Eigentümer in einem höheren Sinne und ganze Völker und Staaten arbeiten unter seinem schweigenden Befehl und nach seinem allgegenwärtigen Willen. Und diesem Eigentumsbegriff, in den sich der Liberalismus des Geschäfts verkleidet hat, tritt nun der preußische entgegen: Eigentum nicht als private Beute, sondern als Auftrag der Allgemeinheit, nicht als Ausdruck und Mittel persönlicher Macht, sondern als anvertrautes Gut, für dessen Verwaltung der Eigentümer dem Staate Rechenschaft schuldig ist; der nationale Wohlstand nicht als Summe individueller Einzelvermögen, sondern die Einzelvermögen als Funktionen der wirtschaftlichen Gesamtmacht. Das große Wort Friedrichs II. muß immer wiederholt werden: Ich bin der erste Diener meines Staates. Wenn jeder einzelne diese Anschauung zu seiner eignen macht, ist der Sozialismus eine Tatsache geworden. Es gibt keinen stärkeren Gegensatz als Ludwig XIV. mit der Tatsache: Der Staat bin ich. Preußentum und Jakobinismus, sozialistischer und anarchischer Instinkt sind, ob auf dem Thron oder in den Gassen, der stärkste überhaupt denkbare Gegensatz innerhalb des Abendlandes, und auf ihm beruht die unauslöschliche Feindschaft zwischen beiden Völkern. Napoleon hat auf St. Helena bemerkt: »Preußen war ein Hindernis für Frankreich seit den Tagen Friedrichs und wird es auch bleiben; es war das größte Hindernis in bezug auf meine Absichten für Frankreich.«

Denn in der Tat, die Form, in welcher das Revanchebedürfnis der französischen Arbeiterschaft den Besitzenden entgegentritt, ist das Gegenteil von Sozialismus: der Kommunismus im eigentlichen Sinne. Auch der Arbeiter will Rentner sein. Er haßt die Muße der andern, die er selbst auf keine Weise erreichen kann. Gleichheit des Genusses, gleiche Möglichkeit des Rentnerdaseins für jedermann ist das Ziel, das auch der berühmten, echt französischen Formel Proudhons zugrunde liegt: Eigentum ist Diebstahl. Denn hier bedeutet Eigentum nicht Macht, sondern die erworbene Möglichkeit des Genusses. Gütergemeinschaft und nicht Vergesellschaftung der Produktionsmittel, Verteilung des Reichtums (»Alles soll allen gehören«) und nicht Vertrustung der wertschaffenden Kräfte – das ist ein französisches Ideal gegen ein englisches. Und dem entspricht die sozialistische Utopie Fouriers: Auflösung der Staaten in kleine Gesellschaften, Kommunen, »Phalansterien«, die sich zusammentun, um bei möglichst geringer Arbeit einen möglichst reichen Lebensgenuß zu erzielen.

Was die englische Unterklasse will, um das Eigentumsideal der herrschenden Oberklasse sich zugänglich zu machen, hat Owen in einer Art von Kapitalreform zu zeichnen versucht. Aber man kennt die Macht jener Wikingerinstinkte schlecht, wenn man glaubt, daß das englisch-amerikanische Kapital auch nur einen Schritt auf dem Wege der absoluten wirtschaftlichen Weltherrschaft zurückweichen werde. Die unbedingte persönliche Freiheit und die natürliche Ungleichheit, die aus ihr auf Grund persönlicher Fähigkeiten folgt, ist die Voraussetzung. An Stelle des autoritativen Sozialismus setzt der angelsächsische Milliardär einen allerdings großartigen Privatsozialismus, eine Wohltätigkeit und Fürsorge großen Stils, in der die eigne Macht noch einmal zum Genuß und in der das empfangende Volk auch moralisch besiegt wird. Über der glänzenden Art, in welcher diese Millionen ausgegeben werden, vergißt man, wie sie erworben sind: es ist die Haltung jener alten Korsaren, die beim Festmahl in eroberter Burg den Gefangenen die Brocken ihrer Tafel zuwarfen. Diese freiwillige Preisgabe von Eigentum verstärkt die Kraft des übrigen. Und daß dieser freie Willensakt nicht zur gesetzlichen Pflicht gemacht wird, ist im Grunde der prinzipielle Streitpunkt zwischen den wirtschaftlichen Zukunftsparteien in England und Amerika. Man ist heute bereit, weite wirtschaftliche Gebiete, die sich nicht zur Spekulation eignen, wie Bergbau und Eisenbahn, der Regierung eines Scheinstaates zu überweisen, aber man behält die stille Macht, diese Regierung selbst durch die demokratischen Formen des Parlamentarismus, das heißt durch Bezahlung der Wahlen und Zeitungen und damit der Anwerbung der Wähler und Leser, zu einem ausführenden Organ der eignen Geschäfte zu machen. Das ist die furchtbare Gefahr einer Versklavung der Welt durch das Händlertum. Ihr Mittel ist heute der Völkerbund, das heißt ein System von Völkern, die »Selbstregierung« nach englischer Art besitzen, das heißt in Wirklichkeit ein System von Provinzen, deren Bevölkerung von einer Händleroligarchie mit Hilfe erkaufter Parlamente und Gesetze ausgebeutet wird, wie die römische Welt durch Bestechung der Senatoren, Prokonsuln und Volkstribunen.

Dies werdende System hat Marx durchschaut und dagegen richtet sich der ganze Haß seiner Gesellschaftskritik. Er will diesen englischen Begriff des allmächtigen Privateigentums stürzen, aber er weiß wiederum nichts zu formulieren als eine Verneinung: Expropriation der Expropriateure, Beraubung der Räuber. Und trotzdem ist in diesem antienglischen Prinzip das preußische enthalten: mit der vollen germanischen Achtung vor dem Eigentum doch die in ihm ruhende Macht nicht dem einzelnen, sondern der Gesamtheit, dem Staate zuzuweisen. Das heißt Sozialisierung. Sie ist mit dem sichern Instinkt einer nicht durch Theorien verwirrten Regierung von Friedrich Wilhelm I. bis auf Bismarck, von den Kriegs- und Domänenkammern des ersten bis auf die Sozialpolitik des letzten fortschreitend entwickelt worden, bis die strenggläubigen und die abtrünnigen Marxisten der deutschen Revolution den Gedanken um die Wette verdarben. Sozialisierung heißt nicht Verstaatlichung auf dem Enteignungs- oder Diebstahlswege. Sie ist überhaupt keine Frage des nominellen Besitzes, sondern der Verwaltungstechnik. Dem Schlagwort zuliebe ohne Maß und Ziel Betriebe aufzukaufen und sie statt der Initiative und Verantwortung ihrer Besitzer einer Verwaltung überliefern, die zuletzt alle Übersicht verlieren muß, das heißt den Sozialismus zugrunde richten. Der altpreußische Gedanke war, unter sorgfältiger Schonung des Eigentums- und Erbrechtes die gesamte Produktivkraft in ihrer Form der Gesetzgebung zu unterstellen, die persönliche Unternehmungslust, das Talent, die Energie wie den Geist eines geübten Schachspielers unter Regeln und mit der Freiheit, welche gerade die Beherrschung der Regeln gewährt, arbeiten zu lassen. Das war in weitgehendem Maße schon in den alten Kartellen und Syndikaten der Fall und das müßte sich planmäßig auf die Arbeitsweise, Arbeitswertung, Gewinnverteilung und die dienstlichen Beziehungen zwischen dem anordnenden und dem ausführenden Element ausdehnen lassen. Sozialisierung bedeutet die langsame, in Jahrzehnten erst sich vollendende Verwandlung des Arbeiters in einen Wirtschaftsbeamten, des Unternehmers in einen verantwortlichen Verwaltungsbeamten mit sehr weitgehender Vollmacht, des Eigentums in eine Art erblichen Lehens im Sinne der alten Zeit, das mit einer gewissen Summe von Rechten und Pflichten verbunden ist. Der Wirtschaftswille bleibt frei wie der Wille des Schachspielers: nur die Wirkung nimmt einen geregelten Verlauf. Den preußischen Beamtentypus, den ersten der Welt, haben die Hohenzollern gezüchtet. Er bürgt für die Möglichkeit einer Sozialisierung durch seine ererbten sozialistischen Fähigkeiten. Er ist seit 200 Jahren als Methode das, was der Sozialismus als Aufgabe ist. In diesen Typus muß der Arbeiter hineinwachsen, wenn er aufhört Marxist zu sein, und dadurch beginnt Sozialist zu worden. Der »Zukunftsstaat« ist ein Beamtenstaat. Das gehört zu den unausweichlichen Endzuständen, die aus den Voraussetzungen unsrer in ihrer Richtung festgelegten Zivilisation folgen. Auch der Milliardärsozialismus würde ein Volk unvermerkt in ein Heer von Privatbeamten verwandeln. Die großen Trusts sind heute schon Privatstaaten, welche ein Protektorat über den offiziellen Staat ausüben. Preußischer Sozialismus bedeutet aber die Einordnung dieser Wirtschaftsstaaten der einzelnen Berufszweige in den Gesamtstaat. Die Streitfrage zwischen Konservativen und Proletariern ist im Grunde gar nicht die Notwendigkeit dieses autoritativ-sozialistischen Systems, dem man nur durch die Annahme des amerikanischen entgehen könnte (der Wunsch des deutschen Liberalismus), sondern die Frage des Oberbefehls. Es gibt heute scheinbar die Möglichkeiten eines Sozialismus von oben und von unten, beide in diktatorischer Form. In Wirklichkeit würden beide allmählich in dieselbe Endform auslaufen.

Im Augenblick wird dies noch in dem Grade verkannt, daß beide Parteien in der Verfassung das Entscheidende sehen. Es kommt aber nicht auf Sätze, sondern auf Persönlichkeiten an. Gelingt es den Arbeiterführern nicht, in kurzer Zeit die von ihnen erforderten hohen staatsmännischen Fähigkeiten zum Vorschein zu bringen, so werden andre sie ablösen. In einer Organisation, die den Unterschied von Arbeitern und Beamten grundsätzlich aufhebt, indem sie jedem Befähigten eine geregelte Laufbahn von der Handarbeit untersten Ranges über Aufsichtsämter bis zur Leitung eines Wirtschaftskörpers eröffnet, werden unter der Hand eines gebornen Staatsmannes konservative und proletarische Endziele: die vollkommene Verstaatlichung des Wirtschaftslebens nicht durch Enteignung, sondern durch Gesetzgebung, schließlich doch zusammenfallen. Die oberste Leitung aber kann nicht republikanisch sein. Republik bedeutet heute, wenn man alle Illusionen beiseite setzt, die Käuflichkeit der ausübenden Gewalt durch das Privatkapital. Ein Fürst gehorcht der Tradition seines Hauses und der Weltanschauung seines Berufs. Mag man davon denken, wie man will: das enthebt ihn der Interessenpolitik der Parteien heutigen Schlages. Er ist ihr Schiedsrichter, und wenn in einem sozialistisch gedachten Staat die Berufsräte bis zum obersten Staatsrat eine Auslese nach praktischen Fähigkeiten, so kann er eine engere Auswahl nach sittlichen Eigenschaften treffen. Ein Präsident oder Premierminister oder Volksbeauftragter aber ist die Kreatur einer Partei und eine Partei ist die Kreatur derer, die sie bezahlen. Ein Fürst ist heute der einzige Schutz einer Regierung vor dem Händlertum. Die Macht des Privatkapitals führt sozialistische und monarchische Prinzipien zusammen. Das individualistische Eigentumsideal bedeutet Unterwerfung des Staates unter die freien Wirtschaftsmächte, das heißt Demokratie, das heißt Käuflichkeit der Regierung durch den privaten Reichtum. In einer modernen Demokratie stehen die Massenführer nicht den Führern des Kapitals, sondern dem Gelde selbst und dessen anonymer Macht gegenüber. Die Frage ist, wie viele der Führer dieser Macht widerstehen können. Wenn man wissen will, wie sich eine nicht mehr junge und deshalb von ihrer eignen Vortrefflichkeit begeisterte Demokratie in Wirklichkeit von der in ideologischen Köpfen vorhandenen unterscheidet, so lese man Sallust über Catilina und Jugurtha. Es ist kein Zweifel, daß uns Römerzustände bevorstehen, aber eine monarchisch-sozialistische Ordnung kann sie unwirksam machen.

Das sind die drei Eigentumsideale, die heute im Kampfe stehen: das kommunistische, das individualistische und das sozialistische mit den Endzielen der Verteilung, Vertrustung und Verwaltung des gesamten produktiven Eigentums der Welt.

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Anmerkungen:
  1. Das wird im Untergang des Abendlandes, Band II, geschehen.
  2. Die Borgia waren Spanier!
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