Drittes Kapitel

Über den Umgang mit Leuten von verschiedenen Gemütsarten, Temperamenten und Stimmung des Geistes und Herzens

1.

Man pflegt gewöhnlich vier Hauptarten von Temperamenten anzunehmen und zu behaupten, ein Mensch sei entweder cholerisch, phlegmatisch, sanguinisch oder melancholisch. Obgleich nun wohl schwerlich je eine dieser Gemütsarten so ausschließlich in uns wohnt, daß dieselbe nicht durch einen kleinen Zusatz von einer andern modifiziert würde, da dann aus dieser unendlichen Mischung der Temperamente jene feinen Nuancen und die herrlichsten Mannigfaltigkeiten entstehen, so ist doch mehrenteils in dem Segelwerke jedes Erdensohns einer von jenen vier Hauptwinden vorzüglich wirksam, um seinem Schiffe auf dem Ozean dieses Lebens die Richtung zu geben. Soll ich mein Glaubensbekenntnis über die vier Haupttemperamente ablegen, so muß ich aus Überzeugung folgendes sagen:

Bloß Cholerische Leute flieht billig jeder, dem seine Ruhe lieb ist. Ihr Feuer brennt unaufhörlich, zündet und verzehrt, ohne zu wärmen.

Bloß Sanguinische sind unsichre Weichlinge, ohne Kraft und Festigkeit.

Bloß Melancholische sind sich selbst, und bloß Phlegmatische andern Leuten eine unerträgliche Last.

Cholerisch-sanguinische Leute sind die, welche in der Welt sich am mehrsten bemerken, gefürchtet, welche Epoche machen, am kräftigsten wirken, herrschen, zerstören und bauen; cholerisch-sanguinisch ist also der wahre Herrscher, der Despotencharakter; aber noch ein Grad von melancholischem Zusatze, und der Tyrann ist gebildet.

Sanguinisch-Phlegmatische leben wohl am glücklichsten, am ruhigsten und ungestörtesten, genießen mit Lust, mißbrauchen nicht ihre Kräfte, kränken niemand, vollbringen aber auch nichts Großes; allein dieser Charakter im höchsten Grade artet in geschmacklose, dumme und grobe Wollust aus.

Cholerisch-Melancholische richten viel Unheil an; Blutdurst, Rache, Verwüstung, Hinrichtung des Unschuldigen und Selbstmord sind nicht selten die Folgen dieser Gemütsart.

Melancholisch-Sanguinische zünden sich mehrenteils an beiden Enden zugleich an, reiben sich selber an Leib und Seele auf.

Cholerisch-phlegmatische Menschen trifft man selten an; es scheint ein Widerspruch in dieser Zusammensetzung zu liegen; und dennoch gibt es deren, bei welchen diese beiden Extreme wie Ebbe und Flut abwechseln, und solche Leute taugen durchaus zu keinen Geschäften, zu welchen gesunde Vernunft und Gleichmütigkeit erfordert werden. Sie sind nur mit äußerster Mühe in Bewegung zu setzen, und hat man sie endlich in die Höhe gebracht, dann toben sie wie wilde Tiere umher, fallen mit der Tür in das Haus und verderben alles durch rasendes Ungestüm.

Melancholisch-phlegmatische Leute aber sind wohl unter allen die unerträglichsten, und mit ihnen zu leben, das ist für jeden vernünftigen und guten Mann Höllenpein auf Erden.

2.

Herrschsüchtige Menschen sind schwer zu behandeln und passen nicht zum freundschaftlichen und geselligen Umgange. Sie wollen allerorten durchaus die erste Rolle spielen; alles soll nach ihrem Kopfe gehn. Was sie nicht errichtet haben, was sie nicht dirigieren, das verachten sie nicht nur, nein, sie zerstören es, wenn sie können. Wo sie hingegen an der Spitze stehen, oder wo man sie wenigstens glauben macht, daß sie an der Spitze stünden, da arbeiten sie mit unermüdetem Eifer und stürzen alles vor sich weg, was ihrem Zwecke im Wege steht. Zwei herrschsüchtige Leute nebeneinander taugen zu gar nichts in der Welt und zertrümmern alles um sich her aus Privatleidenschaft. Hieraus nun ist leicht abzunehmen, wie man sich gegen solche Leute zu betragen habe, wenn man mit ihnen leben muß, und ich glaube darüber nichts hinzufügen zu dürfen.

3.

Ehrgeizige Menschen müssen ungefähr auf eben diese Art behandelt werden. Der Herrschsüchtige ist zugleich auch ehrgeizig, aber umgekehrt der Ehrgeizige nicht immer herrschsüchtig, sondern begnügt sich auch wohl mit einer Nebenrolle, insofern er darin nur mit einigem Glanze zu erscheinen hoffen darf; ja es können Fälle vorkommen, wo er selbst in der Erniedrigung Ehre sucht; doch verzeiht er nichts weniger, als wenn man ihn an dieser schwachen Seite kränkt.

4.

Der Eitle will geschmeichelt sein; Lob kitzelt ihn unaussprechlich, und wenn man ihm Aufmerksamkeit, Zuneigung, Bewunderung widmet, so braucht nicht eben große Ehrenbezeigung damit verbunden zu sein. Da nun jeder Mensch mehr oder weniger von dieser Begierde zu gefallen und vorteilhafte Eindrücke zu machen, an sich hat, so kann man ohne Sünde hie und da einem sonst guten Manne, dem diese kleine Schwachheit anklebt, in diesen Punkten ein wenig nachsehn, ein Wörtchen, so er gern hört, gegen ihn fallen lassen, ihm erlauben, an dem Lobe, so er einerntet, sich zu erquicken oder sich selbst nach Gelegenheit ein wenig zu loben. Das schändlichste Handwerk aber treiben die niedrigen Schmeichler, die durch unaufhörliches Weihrauchstreuen eiteln Leuten den Kopf so einnehmen, daß diese zuletzt nichts anders mehr hören mögen als Lob, daß ihre Ohren für die Stimme der Wahrheit verschlossen sind und daß sie jeden guten, graden Mann fliehen und zurücksetzen, der sich nicht so weit erniedrigen kann oder es für eine Art von Unbescheidenheit und Grobheit hält, ihnen dergleichen Süßigkeiten ins Gesicht zu werfen. Gelehrte und Damen pflegen am mehrsten in diesem Falle zu sein, und ich habe deren einige gekannt, mit denen ein schlichter Biedermann deswegen fast gar nicht umgehn konnte. Wie die Kinder dem Fremden nach den Taschen schielen, um zu erfahren, ob man ihnen keine Zuckerpletzen mitgebracht hat, so horchen jene auf jedes Wort, das Du sprichst, um zu vernehmen, ob es nicht etwas Verbindliches für sie enthält, und werden mürrischer Laune, sobald sie sich in ihrer Hoffnung betrogen finden. Der höchste Grad dieser Eitelkeit führt zu einem Egoismus, der zu aller gesellschaftlichen und freundschaftlichen Verbindung untüchtig macht, und dem Eiteln ebensosehr zur Last, als dem zum Ekel wird, der mit ihm leben muß.

Obgleich man nun solchen eiteln Leuten nicht schmeicheln soll, so hat doch auch nicht jeder Beruf, sie zu bessern, zum Pädagogen an ihnen zu werden, besonders nicht an solchen Menschen, die mit ihm in gar keiner Verbindung stehen, ihnen auf ungeschliffene Art den Text lesen, sie zu demütigen oder weniger Höflichkeit und Gefälligkeit gegen sie zu üben, als man jedem andern widmen würde, und es ist unbillig, wenn diejenigen, welche täglich mit ihnen leben müssen, dies von uns verlangen, wenn sie fordern, daß wir mit Hand anlegen sollen, ihre verzogenen Freunde umzubilden.

Eitle Leute pflegen gern andre zu schmeicheln, um dagegen wieder mit Weihrauch eingeräuchert zu werden und weil sie das für das einzige würdige Opfer, für die einzige vollwichtige Münze halten.

5.

Von Herrschsucht, Ehrgeiz und Eitelkeit ist Hochmut sowie von Stolz unterschieden. Ich möchte gern, daß man Stolz als eine edle Eigenschaft der Seele ansähe; als ein Bewußtsein wahrer innrer Erhabenheit und Würde; als ein Gefühl der Unfähigkeit, niederträchtig zu handeln. Dieser Stolz führt zu großen, edlen Taten; er ist die Stütze des Redlichen, wenn er von jedermann verlassen ist; er erhebt über Schicksal und schlechte Menschen und erzwingt selbst von dem mächtigen Bösewicht den Tribut der Bewundrung, den er wider Willen dem unterdrückten Weisen zollen muß. Hochmut hingegen brüstet sich mit Vorzügen, die er nicht hat, bildet sich auf Dinge etwas ein, die gar keinen Wert haben. Hochmut ist es, der den Pinsel von sechzehn Ahnen aufbläht, daß er die Verdienste seiner Vorfahren – die oft nicht einmal seine echten Vorfahren sind und oft nicht einmal Verdienste gehabt haben – daß er diese sich anrechnet, als wenn Tugenden zu dem Inventar eines alten Schlosses gehörten. Hochmut ist es, der den reichen Bürger so grob, so steif, so ungesellig macht. Und wahrlich, dieser pöbelhafte Hochmut ist, da er mehrenteils von Mangel an Lebensart und ungeschickten Manieren begleitet wird, womöglich noch empörender als der des Adels. Hochmut ist es, der den Künstler mit so viel Zuversicht zu Talenten erfüllt, die, sollten sie auch von niemand anerkannt werden, ihn dennoch in Gedanken über alle Erdensöhne hinaussetzen. Er wird, wenn niemand ihn bewundert, eher auf die Geschmacklosigkeit der ganzen Welt schimpfen, als auf den natürlichen Gedanken geraten, daß es wohl mit seiner Kunst nicht so ganz richtig aussehn müsse.

Wenn dieser Hochmut nun gar in einem armen, verachteten Subjekte wohnt, dann wird er ein Gegenstand des Mitleidens und pflegt eben nicht viel Unheil anzurichten. Er ist aber übrigens fast immer mit Dummheit gepaart, also durch keine vernünftigen Gründe zu bessern und keiner bescheidenen Behandlung wert. Hier hilft nichts, als Übermut gegen Übermut zu setzen, oder zu scheinen, als bemerkte man ein hochmütiges Betragen gar nicht; oder Leute, die sich aufblasen, gar keiner Achtsamkeit zu würdigen, sie anzusehn, als wie man auf einen leeren Platz hinblicke, selbst wenn man ihrer bedarf; denn wahrhaftig! – ich habe das oft erfahren – je mehr man nachgibt, desto mehr fordern, desto übermütiger werden sie, bezahlt man sie aber mit gleicher Münze, so weiß ihre Dummheit nicht, wie sie das Ding nehmen soll, und spannt gewöhnlich andre Saiten auf.

6.

Mit sehr empfindlichen, leicht zu beleidigenden Leuten ist es nicht angenehm umzugehn. Allein diese Empfindlichkeit kann verschiedene Quellen haben. Hat man daher nachgespürt, ob der Mann, mit welchem wir leben müssen, und der leicht durch ein kleines unschuldiges Wörtchen oder durch eine zweideutige Miene oder durch einen Mangel an Aufmerksamkeit gekränkt und vor den Kopf gestoßen wird, ob dieser Mann, sage ich, aus Eitelkeit, wie es mehrenteils der Fall ist, oder aus Ehrgeiz, oder weil er oft von bösen Menschen hintergangen und geneckt worden, oder endlich deswegen so leicht zu beleidigen ist, weil sein Herz zu zärtlich fühlt, weil er von andern ebensoviel verlangt, als er ihnen selbst gibt, so muß man sein Betragen darnach einrichten, und jeden Anstoß von der Art zu vermeiden suchen; doch pflegt das schwer zu sein. Ist er übrigens redlich und verständig, so wird seine Verstimmung nicht lange dauern; er wird durch eine grade, freundliche Erklärung bald zu besänftigen sein; er wird nach und nach seinen besten Freunden trauen lernen und vielleicht zuletzt, wenn man immer edel und offen mit ihm verfährt, von seiner Schwachheit zurückkommen.

Von diesen allen sind in der Tat diejenigen am schwersten zu befriedigen und der Gesellschaft am lästigsten, die sich jeden Augenblick vernachlässigt, zurückgesetzt, nicht genug geehrt glauben: Man hüte sich also, in diesen Fehler zu verfallen, wodurch man sich selber quält und andern peinliche Mühe macht.

7.

Eigensinnige Menschen sind viel schwerer zu behandeln als sehr empfindliche. Noch ist mit ihnen auszukommen, wenn sie übrigens verständig sind. Sie pflegen dann, insofern man ihnen nur in dem ersten Augenblicke nachzugeben scheint, bald von selbst der Stimme der Vernunft Gehör zu geben, ihr Unrecht und die Feinheit unsrer Behandlung zu fühlen und wenigstens auf eine kurze Frist geschmeidiger zu werden; ein Elend aber ist es, Starrköpfigkeit in Gesellschaft von Dummheit anzutreffen und behandeln zu müssen. Da helfen weder Gründe noch Schonung. Es ist da mehrenteils nichts weiter zu tun, als einen solchen steifsinnigen Pinsel blindlings handeln zu lassen, ihn aber so in seine eigenen Ideen, Pläne und Unternehmungen zu verwickeln, daß er, wenn er durch übereilte, unkluge Schritte in Verlegenheit gerät, sich selbst nach unsrer Hilfe sehnen muß. Dann läßt man ihn eine Zeitlang zappeln, wodurch er nicht selten demütig und folgsam wird und das Bedürfnis geleitet zu werden fühlt. Hat aber ein schwacher, eigensinniger Kopf von ungefähr ein einzigmal gegen uns recht gehabt oder uns über einen kleinen Fehler erwischt, dann tue man nur Verzicht darauf, ihn je wieder zu leiten. Er wird uns immer zu übersehn glauben, unsrer Einsicht und Rechtschaffenheit nie trauen; und das ist eine höchst verdrießliche Lage.

Bei beiden Gattungen von Leuten aber helfen in dem ersten Augenblicke keine weitläufigen Vorstellungen, indem sie dadurch nur noch mehr verhärtet werden. Hängen wir von ihnen ab, und sie geben uns Aufträge, wovon wir wissen, daß sie dieselben nachher selbst mißbilligen werden, so kann man nichts Klügeres tun, als ihnen ohne Widerrede Gehorsam zu versprochen, aber entweder die Befolgung so lange zu verschieben, bis sie sich indes eines Bessern besinnen, oder in der Stille die Sache nach eigenen Einsichten einzurichten, welches sie gewöhnlich in ruhigen Augenblicken zu billigen pflegen, insofern man nur etwa tut, als habe man ihren Befehl also verstanden, sich aber ja nie seiner größern, kaltblütigen Einsicht rühmt.

Nur in sehr wenig eiligen oder sonst höchst wichtigen Fällen kann es nützlich und nötig sein, Eigensinn gegen Eigensinn aufzuspannen und schlechterdings nicht nachzugeben. Doch geht alle Wirkung dieses Mittels verloren, wenn man es zu oft und bei unbedeutenden Gelegenheiten oder gar da anwendet, wo man unrecht hat. Wer immer zankt, der hat die Vermutung gegen sich, immer unrecht zu haben; es ist also weise gehandelt, dein andern in diesen Fall zu setzen.

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