8.

Eine besondre Gemütsart, die mehrenteils aus Eigensinn entspringt, doch auch wohl zuweilen bloß Bizarrerie oder ungesellige Laune zur Quelle hat, ist die Zanksucht. Es gibt Menschen, die alles besser wissen wollen, allem widersprechen, was man vorbringt, oft gegen eigne Überzeugung widersprechen, um nur das Vergnügen zu haben, disputieren zu können; andre setzen eine Ehre darin, Paradoxa zu sprechen, Dinge zu behaupten, die kein Vernünftiger irgend ernstlich also meinen kann, bloß damit man mit ihnen streiten solle; endlich noch andre, die man Querelleurs, Stänker nennt, suchen vorsätzlich Gelegenheit zu persönlichem Zanke, um eine Art von Triumph über furchtsam Leute zu gewinnen, über Leute, die wenigstens noch feiger sind als sie, oder, wenn sie mit dem Degen umzugehen wissen, ihren falschen Mut in einem törichten Zweikampfe zu offenbaren.

In dem Umgange mit allen diesen Leuten rate ich die unüberwindlichste Kaltblütigkeit an, und daß man sich durchaus nicht in Hitze bringen lasse. Mit denen von der ersten Gattung lasse man sich in gar keinen Streit ein, sondern breche gleich das Gespräch ab, sobald sie aus Mutwillen anfangen zu widersprechen. Das ist das einzige Mittel, ihrem Disputiergeiste, wenigstens gegen uns, Schranken zu setzen und viel unnütze Worte zu sparen. Denen von der zweiten Gattung kann man je zuweilen die Freude machen, ihre Paradoxa ein wenig zu bekämpfen oder, noch besser, zu persiflieren. Die letztern aber müssen viel ernsthafter behandelt werden. Kann man ihre Gesellschaft nicht vermeiden, kann man in derselben durch ein entfernendes, fremdes Betragen sie sich nicht vom Leibe halten, ihren Grobheiten nicht ausweichen, so rate ich, einmal für allemal ihnen so kräftig zu begegnen, daß ihnen die Lust vergehe, sich ein zweites Mal an uns zu reiben. Saget ihnen auf der Stelle in unzweideutigen, männlichen Ausdrücken Eure Meinung und lasset Euch durch ihre Aufschneiderei nicht irremachen! Man wird mir zutrauen, daß ich über den Zweikampf so denke, wie jeder vernünftige Mann darüber denken muß, nämlich daß er eine unmoralische, unvernünftige Handlung sei; sollte nun aber auch jemand seiner bürgerlichen Lage nach, zum Beispiel ein Offizier, durchaus sich dem Vorurteile unterwerfen müssen, eine Beleidigung durch die andre und durch persönliche Rache auszulöschen, so kann doch dieser Fall nie dann eintreten, wenn er ohne die geringste Veranlassung von seiner Seite hämischerweise angetastet wird, und der hat doppelt unrecht, der gegen einen sogenannten Stänker mit andern Waffen als mit Verachtung, oder, wenn es ihm gar zu nahe gelegt wird, anders als mit einem geschmeidigen spanischen Rohre kämpft, und hat nachher unrecht, wenn er ihm Satisfaktion gibt, wie man das zu nennen pflegt.

Im allgemeinen aber wohnt in manchen Menschen ein sonderbarer Geist des Widerspruchs. Sie wollen immer haben, was sie nicht erlangen können, sind nie von dem zufrieden, was andre tun, murren gegen alles, was grade sie nicht also bestellt haben, und wäre es auch noch so gut. Er ist bekannt, daß man solche Leute sehr oft dadurch leiten kann, daß man ihnen entweder das Gegenteil von dem vorschlägt, was man gern durchsetzen möchte, oder auf andre Weise sorgt, daß sie unsre eigenen Ideen gegen uns durchsetzen müssen.

9.

Jähzornige Leute beleidigen nicht mit Vorsatz. Sie sind aber nicht Meister über die Heftigkeit ihres Temperaments, und so vergessen sie sich in solchen stürmischen Augenblicken selbst gegen ihre geliebtesten Freunde und bereuen nachher zu spät ihre Übereilung. Ich brauche wohl nicht zu erinnern, daß Nachgiebigkeit – vorausgesetzt, daß diese Leute andrer guten Eigenschaften wegen einiger Schonung wert scheinen, denn außerdem muß man sie gänzlich fliehn –, daß weise Nachgiebigkeit und Sanftmut die einzigen Mittel sind, den Jähzornigen zur Vernunft zurückzuführen. Allein ich muß dabei erinnern, daß phlegmatische Kälte dem Erzürnten entgegenzusetzen ärger als der heftigste Widerspruch ist; er glaubt sich dann verachtet und wird doppelt aufgebracht.

10.

Wenn der Jähzornige nur aus Übereilung Unrecht tut und über den kleinsten Anschein von Beleidigung in Hitze gerät, nachher aber auch ebenso schnell wieder das erwiesene Unrecht bereuet und das erlittene verzeiht, so verschließt hingegen der Rachgierige seinen Groll im Herzen, bis er Gelegenheit findet, ihm vollen Lauf zu lassen. Er vergißt nicht, vergibt nicht, auch dann nicht, wenn man ihm Versöhnung anbietet, wenn man alles, nur keine niederträchtigen Mittel anwendet, seine Gunst wieder zu erlangen. Er erwidert sowohl das ihm zugefügte wahre als vermeintliche Übel, und dies nicht nach Verhältnis der Größe und Wichtigkeit desselben, sondern tausendfältig; für kleine Neckereien wirkliche Verfolgung; für unüberlegte Ausdrücke, in Übereilung geredet, tätige Rache; für eine Kränkung unter vier Augen öffentliche Genugtuung; für beleidigten Ehrgeiz Zerstörung reeller Glückseligkeit. Seine Rache schränkt sich nicht auf die Person ein, sondern erstreckt sich auf die Familie, auf die bürgerliche Existenz und auf die Freunde des Beleidigers. Mit einem solchen Manne leben zu müssen, das ist in Wahrheit eine höchst traurige Lage, und ich kann da nichts raten, als daß man soviel wie möglich vermeide, ihn zu beleidigen, und zugleich sich in eine Art von ehrerbietiger Furcht bei ihm setze, die überhaupt das einzige wirksame Mittel ist, schlechte Subjekte im Zaume zu halten.

11.

Faule und phlegmatische Menschen müssen ohne Unterlaß getrieben werden, und da doch fast jeder Mensch irgendeine herrschende Leidenschaft hat, so findet man zuweilen Gelegenheit, durch Aufrührung derselben solche schläfrigen Geschöpfe in Bewegung zu setzen.

Es gibt unter ihnen solche, die bloß aus Unentschlossenheit die kleinsten Arbeiten jahrelang liegen lassen. Auf einen Brief zu antworten, eine Quittung zu schreiben, eine Rechnung zu bezahlen – ja das ist eine Haupt- und Staatsaktion, zu welcher unbeschreibliche Vorbereitungen gehören. Bei ihnen muß man zuweilen wirklich Gewalt brauchen, und ist das schwere Werk einmal überstanden, dann pflegen sie sich recht dankbar zu bezeigen, so übel sie auch anfangs unsre Zudringlichkeit aufnahmen.

12.

Mißtrauische, argwöhnische, mürrische und verschlossene Leute sind wohl unter allen die, in deren Umgange ein edler, grader Mann am wenigsten von den Freuden des geselligen Lebens schmeckt. Wenn man jedes Wort abwägen, jeden unbedeutenden Schritt abmessen muß, um ihnen keine Gelegenheit zu schändlichem Verdachte zu geben; wenn kein Funken von erquickender Freude aus unserm Herzen in das ihrige übergeht; wenn sie keinen frohen Genuß mit uns teilen; wenn sie die Wonne der seltenen heitern Augenblicke, welche uns das Schicksal gönnt, nicht nur durch Mangel an Teilnehmung uns unschmackhaft machen, sondern sogar mitten in unsern glücklichsten Launen uns unfreundlich stören, aus unsern süßesten Träumen uns verdrießlich aufwecken; wenn sie unsre Offenherzigkeit nie erwidern, sondern immer auf ihrer Hut sind, in ihrem zärtlichsten Freunde einen Bösewicht, in ihrem treuesten Diener einen Betrüger und Verräter zu sehn glauben; dann gehört wahrlich ein hoher Grad von fester Rechtschaffenheit dazu, um nicht darüber selbst schlecht und menschenfeindlich zu werden. Hierbei ist nichts zu tun, wenn ein ungezwungenes, immer gleich redliches Betragen vergebens angewendet wird; wenn es nicht hilft, daß man ihnen jeden Zweifel, sobald man denselben gewahr wird, hebt, als daß man sich um ihren Argwohn und um ihr mürrisches Wesen schlechterdings nichts bekümmere, sondern mutig und munter den Weg fortgehe, den uns Klugheit und Gewissen vorschreiben. Übrigens sind solche Menschen herzlich zu bedauern; sie leben sich und andern zur Qual. Es liegt bei ihnen nicht immer Bösartigkeit zugrunde, nein, eine unglückliche Stimmung des Gemüts, dickes Blut, oft auch Einwirkung des Schicksals, wenn sie gar zu oft sind hintergangen worden – das sind mehrenteils die Quellen ihrer Seelenkrankheit. Und diese Krankheit ist in jüngern Jahren nicht ganz unheilbar, wenn die, welche einen solchen Mann umgeben, stets edel und grade gegen ihn handeln, ohne sich um seine Grillen und Launen zu bekümmern, und er dadurch endlich überzeugt wird, daß es noch Redlichkeit und Freundschaft in der Welt gibt. Bei alten Personen hingegen faßt dies Übel immer tiefre Wurzel und muß mit Geduld ertragen werden.

Am mehrsten sind diejenigen zu beklagen, bei denen dies Mißtrauen bis zum Menschenhaß gestiegen ist. Der liebenswürdige Verfasser des Schauspiels »Menschenhaß und Reue« August von Kotzebue läßt in demselben den Major sagen, ich hätte vergessen, Vorschriften für den Umgang mit dieser Art von Menschen zu geben. Es ist wahr, ich habe wenig darüber gesagt; allein es ist auch unmöglich, dazu allgemeine Regeln vorzuschlagen, da es notwendig ist, bei jedem einzelnen Falle genau mit den Quellen des Übels bekannt zu sein.

13.

Neidische, schadenfrohe, mißgünstige und eifersüchtige Gemütsarten sollten wohl nur das Erbteil hämischer, niederträchtiger Menschen sein; und doch trifft man leider einen unglücklichen Zusatz in diesen bösen Eigenschaften in den Herzen solcher Leute an, die übrigens manche gute Eigenschaft haben. – Allein so schwach ist die menschliche Natur! – Ehrgeiz und Eitelkeit können in uns das Gefühl erwecken, andern ein Glück nicht zu gönnen, nach welchem wir ausschließlich streben; sei es nun Vermögen, Glanz, Ruhm, Schönheit, Gelehrsamkeit, Macht, ein Freund, eine Geliebte, oder was es auch sei; und sobald dann diese Empfindung einen gewissen Widerwillen gegen die Person in uns erzeugt hat, die, trotz unsrer Mißgunst, trotz unsrer Eifersucht, im Besitze jenes ihr beneideten Guts bleibt, so können wir uns heimlich eines schadenfrohen Kitzels nicht erwehren, wenn es dieser Person ein wenig hinderlich geht, und die Vorsehung unsre feindseligen Gesinnungen, besonders nachdem wir schwach genug gewesen sind, diese bekannt werden zu lassen, gleichsam rechtfertigt. Ich werde bei den Gelegenheiten, wenn von Künstler-, Gelehrten- und Handwerksneide, von Mißgunst unter Fürsten, Vornehmen, Reichen und Leuten, die in der großen Welt leben, von Eifersucht unter Ehegenossen, Freunden und Geliebten die Rede sein wird, manches sagen, was auch hier anwendbar, aber überflüssig zu wiederholen sein würde, und es bleibt mir wirklich nichts hinzuzufügen übrig, als daß, um allem Neide in der Welt auszuweichen, man auf jede gute Eigenschaft, sowie auf alles, was Erfolg unsrer Bemühungen und Glück heißt, Verzicht tun, und wenn es darauf ankommt, mitten unter einem Schwarme von mißgünstigen Leuten zu leben und dennoch dem Neide und der Eifersucht so wenig als möglich Nahrung zu geben, man seine Vorzüge, seine Kenntnisse und seine Talente mehr verbergen als kundmachen, keine Art von Eminenz zeigen, anscheinend wenig fordern, wenig begehren, auf weniges Ansprüche machen und wenig leisten müsse.

Jener Neid nun erzeugt dann oft die schrecklichen Verleumdungen, denen auch der edelste Mann ausgesetzt ist. Es läßt sich nicht fest bestimmen, wie man sich immer zu betragen habe, wenn man verleumdet wird. Oft erfordern Redlichkeit und Klugheit die schnellste und deutlichste Darstellung der wahren Beschaffenheit; oft hingegen ist es unter der Würde eines rechtschaffenen Mannes, sich auf Erläuterungen einzulassen. Der Pöbel hört nicht auf, uns zu necken, wenn er sieht, daß dies uns anficht, und die Zeit pflegt früh oder spät die Wahrheit an das Licht zu ziehn.

14.

Der Geiz ist eine der unedelsten, schändlichsten Leidenschaften. Man kann sich keine Niederträchtigkeit denken, zu welcher ein Geizhals nicht fähig wäre, wenn seine Begierde nach Reichtümern in das Spiel kommt, und jede Empfindung beßrer Art, Freundschaft, Mitleid und Wohlwollen finden keinen Eingang in sein Herz, wenn sie kein Geld einbringen; ja er gönnt sich selber die unschuldigsten Vergnügungen nicht, insofern er sie nicht unentgeltlich schmecken kann. In jedem Fremden sieht er einen Dieb und in sich selber einen Schmarotzer, der auf Unkosten seines bessern Ichs, seines Mammons, zehrt.

Allein in den jetzigen Zeiten, wo der Luxus so übertrieben wird; wo die Bedürfnisse, auch des mäßigsten Mannes, der in der Welt leben und eine Familie unterhalten muß, so groß sind; wo der Preis der nötigen Lebensmittel täglich steigt; wo die Macht des Geldes soviel entscheidet; wo der Reiche ein so beträchtliches Übergewicht über den Armen hat; endlich, wo von der einen Seite Betrug und Falschheit und von der andern Mißtrauen und Mangel an brüderlichen Gesinnungen in allen Ständen sich ausbreiten und daher die Zuversicht auf die Hilfe der Mitmenschen ein unsichres Kapital wird; in diesen Zeiten, meine ich, hat man unrecht, wenn man einen sparsamen, vorsichtigen Mann ohne nähere Prüfung seiner Umstände und der Bewegungsgründe, welche seine Handlungen leiten, sogleich für einen Knicker erklärt.

Es gibt ferner unter den wirklich geizigen Leuten solche, die neben dieser Geldbegierde noch von einer andern mitherrschenden Leidenschaft regiert werden. Diese scharren dann zusammen, sparen, betrüben andre und versagen sich alles, außer wo es auf Befriedigung dieser Leidenschaft ankommt; sei es nun Wollust, Gefräßigkeit, Ehrgeiz, Eitelkeit, Neugier, Spielsucht, oder was es auch immer sei. So habe ich Menschen gekannt, die, um einen Louisd'or zu gewinnen, Bruder und Freund verraten und sich der öffentlichen Beschimpfung ausgesetzt haben würden, für den sinnlichen Genuß eines Augenblicks hingegen hundert hingegebene Gulden für gut angelegtes Geld hielten.

Noch andre kalkulieren so schlecht, daß sie Heller sparen und Taler wegwerfen. Sie lieben das Geld, aber sie verstehen nicht, damit umzugehn. Um also die Summen wieder zu erhaschen, um welche sie von Gaunern, Abenteurern und Schmeichlern betrogen werden, geben sie ihrem Gesinde nicht satt zu essen, und um tausend Taler wiederzugewinnen, die sie verschleudert haben, wechseln sie auf die unanständigste Weise allerorten einzelne feine Gulden ein, damit sie an jedem vielleicht einen Heller Agio gewinnen.

Endlich noch andre sind in allen Stücken freigebig und achten das Geld nicht, in einem einzigen Punkte aber, worauf sie grade Wert setzen, lächerlich geizig. Meine Freunde haben mir oft im Scherze vorgeworfen, daß ich auf diese Art karg in Schreibmaterialien sei, und ich gestehe diese Schwachheit. So wenig reich ich bin, so kostet es mich doch geringre Überwindung, mich von einem halben Gulden, als von einem holländischen Briefbogen zu scheiden, obgleich man für zwölf Groschen vielleicht ein Buch des feinsten Papiers kaufen kann.

Die allgemeine Regel im Umgange mit geizigen Leuten ist wohl die, daß wenn man ihre Gunst erhalten will, man nichts von ihnen fordern müsse. Da dies nun aber nicht immer zu ändern ist, so scheint es der Klugheit gemäß, daß man prüfe, zu welcher der vorhin geschilderten Gattungen von Geizigen der Mann, mit dem man es zu tun hat, gehöre, um darnach seine Behandlung einzurichten.

Über den Umgang mit Verschwendern brauche ich nichts zu sagen, als daß der verständige Mann sich nicht durch ihr Beispiel zu törichten Ausgaben verleiten lassen und daß der redliche Mann von ihrer übel geordneten Freigebigkeit weder für sich noch für andre Vorteile ziehn soll.

 Top