Weltlauf.
Positives Glück gibt es auf Erden nicht. Irdisches Glück heißt: Das Unglück besucht uns nicht zu regelmäßig.
Nichts wird in der Natur dir wahrhaft schön erscheinen, wenn dir nicht zugleich eine geistige Beleuchtung darauf fällt.
Wir träumen öfters das, was wir fürchten; seltener das, was wir hoffen. Das Glück aber, das uns im Traum beschert wird, ist gewöhnlich eine jener lächerlichen Überraschungen mit Annehmlichkeiten, an welche wir am allerwenigsten noch gedacht hatten, oder die Erfüllung eines jener uralten Wünsche, die wir längst, längst schon zu den Toten legten.
Der Dichter sagt: »Was du in der Jugend begehrst, hast du im Alter die Fülle!« Meinte Goethe damit die süßen Schauer deiner ersten idealen Wünsche? Deine träumerischen Hoffnungen auf den Sieg und das Recht der wahren Menschengröße? Mitnichten – ! Er meinte, das Alter bringt dir solche Erfüllungen, die dich nicht mehr beglücken. Unter den hochgetürmten Aschenhügeln des Alters glimmt und glüht es von weitaus andern Dingen, die du dir, wenn du den Wert, den sie künftig für dich haben sollten, geahnt hättest, in der Jugend viel lieber gewünscht haben würdest.
Gib mir, o Gott, Weisheit aus Erfahrung und aus – bittersten Leiden! Nur gib mir die größere nicht – aus Vergehen und Schuld!
Im Unglück tröstet nur die Gewöhnung an den ganzen, unverkürzten, durch nichts gemilderten oder weggeleugneten Umfang der schmerzlichen Tatsache selbst. Darum tröstet auch nur der, der mitfühlt, nicht der, der uns durch sogenannte Trostgründe erheben will.
Seltsam, was wir in späteren Jahren Frohes und Glückliches erleben, das erinnert uns nur zu bald an schönere Stunden, die wir schon erlebt haben, und wir legen's – zum Übrigen. Ärger aber und Verdruss, die sind uns immer vollständig neu, kommen uns ganz unerhört und haben keine Analogie im all schon verwundenen Ärger und Verdruss der Vergangenheit.
Ihr Verstandesmenschen, ja, eure Weisheit blieb über die Gemütsnaturen, die euch an Tiefe und Bedeutung weit überlegen waren, zuletzt siegreich! Ihr habt sie erdrückt, ihr habt sie beseitigt. Aber nach Jahren vergleiche Einer die Taten, die von Jenen und die, die von Euch zeugen! Wie stehen da die siegreichen Handlungen der Kaltvernünftigen so welk und entblättert, während aus den Irrtümern, aus den Niederlagen des Gemütes wie über Trümmern ein unverwelklicher Frühling emporragt.
Wie wenig bedarfst du, wenn du unglücklich bist! Unersättlich macht dich nur das Glück.
Willst du dir den abendlichen Frieden deines Lebens sichern, so ruf' deine Fahrzeuge zeitig vom hohen Meere heim! Wirf die Netze des Erfolgs nur noch am nächsten Ufer aus!
Ich entschuldige die kalte Handlungsweise und den Mangel an Aufopferung manches Egoisten dadurch, daß ich mir denke, er hat wohl ein vorahnendes Grauen, wie tiefe Wunden – Undankbarkeit schlägt.
Im Alter nimmt nicht die Fülle der Ideen ab, nur die Lust, sie auszusprechen.
Seid doch wach und zum Besuch der Gottheit gerüstet zu jeder Stunde! Weihestunden gibt es ja, wo wir Überirdisches zu empfinden wähnen und wo wir auch unser Bestes im Schaffen, im Denken, Fühlen und Handeln hervorbringen. Selten freilich werden solche Weihestunden diejenigen, auf welche wir uns erst mit der Erwartung, dass sie feierliche und weihevolle werden sollten, umständlich vorbereiteten.
Wir besitzen Schätze, die wir viel zu selten mustern und wären's nur Kleinigkeiten, wie die Fähigkeit, eine Frühlingsnacht zu empfinden.
Wird Liebe zur Leidenschaft, so ist ihr bekanntlich nichts so peinlich, als für die lodernde Flamme nicht immer neue Nahrung zu haben. Aber auch dem Hass geht es so. Auch der kann verzweifeln, wenn er nicht immer neue Nahrung findet, Veranlassungen, die sein Vorhandensein rechtfertigen sollen. Nichts macht ihn dann ergrimmter, als ohne Reizung in und an sich selbst ersticken zu sollen.
Es ist eine oft vorkommende Erscheinung, dass Gemütsmenschen für Verstandesmenschen und Verstandesmenschen für Gemütsmenschen genommen werden. Das Missverständnis entsteht daraus, dass der Gemütsmensch fürchtet, in der Welt, wie sie nun einmal ist, mit seinem Gemüt nicht auszukommen. Dadurch wird er immer geneigt sein, seinen Verstand, soviel er davon eben besitzt, in lebhafteste Tätigkeit zu versetzen. Er setzt ihn aus Angst in Tätigkeit und bei oberflächlicher Beurteilung kann er sogar als ein Dialektiker und Sophist erscheinen. Verstandesmenschen dagegen wirken um deswillen oft wie gleichsam gemütliche, weil sie sich vor den Gefahren des Gemüts vollkommen sicher wissen. Wehe jedoch dem, der dieser gemütlich behaglichen Ruhe, diesem Gemüt der Verstandesmenschen allzu sehr vertraut! Sie können dein innerstes Herz schon in Stücke gerissen haben und dich mit Lächeln verenden sehen, während ihre erste Zigarre noch nicht ausgeraucht ist.
Schreibe das, was du dir bei Andern als Mangel an Wertschätzung deutest und was dich oft so von Herzen bekümmern kann, in der Regel lieber auf die so weit unter den Menschen verbreitete Untugend der – Trägheit.
Mit deinem Glauben an die Menschen halte dich aufrecht, wenn sie dich auch hundertmal betrogen hätten. Denke dir, wenn dir je ein Freund zu Teil werden könnte, für den du das Erkennen verlernt hättest!
Wir schwachen Menschen leben lieber von den Vorschüssen, die wir der Zukunft abborgen, als von den zwar mäßigen, aber sichern Renten der Vergangenheit.
Hüte dich vor dem Ausfallenlassen der Tage! Die Zwischentage zwischen den im Kalender rotangestrichenen Tagen, die irgend einer Hoffnung, einer Erwartung, einer Freude gelten, bringt dir kein Gott wieder zurück.
Es gibt Menschen, die immer die Prinzipien ihres Wesens erläutern, immer von den Gründen ihres Handelns sprechen. Und gerade sie sind die schwächsten. Bäume, von denen allmählich die Wurzeln ihres Stammes ans Tageslicht kommen, erliegen dem nächsten Sturm.
Ein Geheimnis nicht nur der Chemie, sondern des ganzen Lebens ist, aus Kohle Diamanten zu schaffen.
Ein jedes Glück ist demjenigen vergänglich, der nicht in sich selbst den Himmel trägt und schon aus sich allein die Quellen strömen lässt, die seinen Durst nach Seligkeiten stillen.
Wir sehen, wie in einem durchsichtigen himmelblau klaren See, die verlorenen Tage der Vergangenheit schimmern. Ach, die glänzende Klarheit täuscht über die Erreichbarkeit der Tiefe!
Beruhige dich doch! Allerdings darfst du annehmen, dass dich die Welt nicht ganz so hoch anschlägt, wie du dir, wenn du übermütig bist, selbst erscheinst, aber sie schlägt dich auch nicht ganz so gering an, wie du dir selbst erscheinst, wenn du verzagst.
Ein Weiheaugenblick, zu entdecken, dass unser Leben im Herzen eines Freundes gebucht wurde, dass bei ihm Dinge, Handlungen und Äußerungen verzeichnet blieben, an die wir uns selbst, im Drang des Weiterlebenmüssens, kaum noch würden erinnert haben.
Das Meer ist salzig wie die Träne, die Träne ist salzig wie das Meer. Das Meer und die Träne sind sich durch die Einsamkeit verwandt. Das Meer hat sie schon, die Träne sucht sie.
Wie nur diejenigen Wunden heilen, die man ausbluten lässt, so verwindet man auch nur diejenigen schmerzlichen Erfahrungen, die man sich nicht wegleugnet und in ihren Folgen ganz auskostet, ohne sich daran etwas zu mildern oder zu beschönigen.
Welchem Alter gehört die Herrschaft der Welt? Dem Lebensalter von fünfzig Jahren. Es mögen Perioden kommen, wo die Zwanziger, die Dreißiger, Vierziger regieren; aber immer wieder drängt die Geschichte darauf hin, dass ihnen das Ruder der Dinge entwunden wird und sich die Besitztümer, die Erfolge, Meinungen und Überzeugungen nach den Interessen und Stimmungen derjenigen Menschenrasse regeln, die fünfzig Jahre alt und – voraussätzlich weise geworden ist.
Nur der Jugend steht die Torheit an. Dem Alter steht Alles so, wie es ist, oder – noch schlimmer.
Ein ganzes Unglück verdrießt uns nicht so sehr, wie ein nur zur Hälfte eingetroffenes Glück.
Wer immer getäuscht wurde und immer noch hofft, ist entweder ein Narr oder ein Engel.
An das Entbehren kann sich der Mensch in solchem Grade gewöhnen, dass ihm sogar der erste Lichtblick eines neuen Glücks fremdartig und unzugänglich wird.
In Augenblicken übersprudelnder Freude sind wir für die Verdrießlichkeiten des Alltagslebens am allerempfindlichsten.
Grauenhaft ist das Bewusstwerden unsrer irdisch beschränkten und tierischen Natur, wenn viele Menschen in einem und demselben Augenblick einer gleichen Gefahr ausgesetzt sind. Der einzige grässliche Schrei beim Zusammenbrechen einer von hundert Menschen bestandenen Estrade, das Umschlagen eines zu stark bemannten Bootes, oder das gemeinsame sorglose und doch gefahrvolle Schlafen bei einer nächtlichen Eisenbahnfahrt, die Seekrankheit auf einem Schiffe und ähnliche gemeinsame und gleichbedingte Erlebnisse machen uns in dem Grade zu einer wenn auch etwas höher organisierten Tiergattung, dass auf Augenblicke unsere kühnsten Einbildungen vom Werth unseres Daseins zerstört werden können.
Leider lässt der rechte Augenblick meistenteils so lange auf sich warten, dass wir von all unserer Aufmerksamkeit bereits ermüdet sind, wenn er endlich wirklich eintrifft.
Scheint es manchmal, als wenn wir uns förmlich beeiferten, uns unglücklich zu machen, so möchte man fast annehmen, wir ahnten den Wert des Unglücks für unser besseres Selbst.
Der Himmel verhängt nicht immer Widerwärtigkeiten über uns, um uns zu demütigen, sondern auch, um uns stolz zu machen.
In den Schwankungen des Lebens hältst du dich nur aufrecht, wenn du für jede und alle Lagen deinen Schwerpunkt in Wahrheit und Gerechtigkeit suchst.
Wenn ihr nur wüßtet, wie wohl wir hinter dem, was ihr an uns lobt, euern Tadel erkennen!
Ein alter Gesangbuchvers rät uns an, so zu leben, wie wir, wenn wir sterben, wünschen würden, gelebt zu haben. Man kann dem Spruch auch die Anwendung geben: Lebe mit jedem Menschen so, wie du, wenn er stirbt, wünschen wirst, mit ihm gelebt zu haben!
Denke zuweilen darüber nach: Wer wird wohl einst deinem Sarge folgen? Wer wird wohl einst geneigt sein, für dein Grab einen Kranz zu winden?
Bleiben wird von uns nur das, was wir dem Allgemeinen geweiht.
Nicht mit dem scheidenden Herbst fühlen wir uns älter werden, weit mehr mit dem kommenden Frühling.
Wohl sind die Königinnen der Blumenwelt die, die auf der Höhe des Frühlings blühen, Maiblume, Jasmin und Rose. Aber auch am noch gefrorenen Fenster dem schlanken Wuchs der über dem Wasserglase schwebenden Hyacinthe, dem Krokus, der noch aus dem Schneegefilde heraus sein buntes Glockenköpfchen heben muss, zu lauschen, es kann über die Wonnen der Rosenzeit gehen. Erinnerung, Sehnsucht, Hoffnung sind die Begleiter der ersten Frühlingsboten und Sehnsucht beglückt oft mehr als Besitz.
Wir können uns in späteren Jahren vieler und oft wunderbar vereinzelter Dinge erinnern, die unser Emporkommen betrafen; allein das eigentliche Entwickeln und Wachsen unseres Wesens können wir vollständig nicht übersehen. Die Krone des Baums sieht wohl auf ihre Zweige herab, aber nicht auf den Stamm. Deshalb sind alle Selbstbiografien, auch die strengsten und gewissenhaftesten, unvollständig.
Ist dein Ehrgeiz ein so brennender, dass du für jede einzelne kleine Niederlage durchaus sogleich eine Genugtuung haben willst, so kannst du dir den Lauf deines ganzen Lebens in Frage bringen. Das Schicksal gewährt Schadloshaltungen, selten aber andere als unerwartete. Harre aus – ! Das Schicksal zahlt nicht selten in solchen Fällen das Kapital mit sämtlichen rückständigen Zinsen wieder.
Schon die herbste Prüfung des Charakters ist die, dass man sich, eben als »Charakter«, nicht einmal soll umsehen dürfen, wenn Gassenbuben nach uns mit Steinen werfen.
Willst du dich in deinen alten Tagen vor Leid bewahren, so gib, wenn es irgend in deiner Kraft liegt, jede Unternehmung auf, deren Erfolg außer von dir noch von Andern oder von einer besonderen Gunst des Schicksals abhängt. Auch ohne diesen äußern Grund sollten wir uns viel öfter, als wir tun, ein Geständnis über das machen, was unsere Kraft noch in ihrer vollen Gewalt hat und was nicht.
Wenn es uns schlecht geht, werden wir noch immer weit mehr wahres Mit-Leid finden, als wahre Mit-Freude, wenn es uns gut geht.
Die großen Schmerzen des Todes sind darum da, dass wir uns anständigerweise vor dem Tode fürchten dürfen.
Wie die Gestirne sichtbar werden, wenn die Nacht heraufzieht, so zeigt sich des Menschen wahrer Wert erst im Unglück.
Was dir auch begegnen mag im Leben, es soll dir, wenn nicht Alles an die Spitze des Degens, doch Nichts an den Griff kommen.
Habe nur keine Sorge, du bescheidener großer Mann! Haben dich die Menschen einmal anerkannt, so werden sie sich durch alle nur möglichen späteren Einwände von den für sie so drückenden Pflichten der Verehrung bald wieder los zu winden suchen.
Ein glücklicher Zufall, der aber auch zu glücklich ist, gehört zu den bedenklichen Dingen.
Anerkennung geht in der Regel nur so weit, als sie dazu dient, dem Anerkennenden selbst Relief zu geben.
Von so manchem abgünstigen Urteil sagt man wohl – und manchmal in der Hauptsache mit Recht – es entspränge dem Neide. Wollte man aber der Quelle genauer nachforschen, so würde man finden, dass es nur aus einem unabweislichen Trieb zur Gerechtigkeit entsprang. Wer nun diesen Trieb entweder nicht hat oder ihn mit Vorsicht zu beherrschen versteht, der erfreut sich nicht selten der Auszeichnung, als edel gepriesen zu werden.
Je mehr unser Geist erfährt, desto mehr nimmt er auf. Je mehr unser Herz erfährt, desto mehr muss es hingeben.
Schmerz um die Wunden, die uns die Welt schlug, wird Philosophie, Schmerz um die Wunden, die wir uns selbst schlugen, Poesie.
Jedes Leid, das einen von Nahrungssorgen Gepeinigten trifft, wird ihm noch dreimal größer erscheinen, als an sich schon nötig gewesen wäre. Nahrungssorgen gleichen den in einem sonst gleichmäßigen Flussbett plötzlich eintretenden Felseneinschnitten, die sofort böse Wirbel und gefährliche Stromschnellen veranlassen. In ihrer beschleunigten Bewegung ziehen sie alles mit sich abwärts.
Wenn sich unedle Naturen endlich entschließen müssen, ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen, so pflegen sie gewöhnlich hintennach noch ein Extrastückchen ihres Charakters, irgendetwas Gemeines, als unverlangtes Agio draufzugeben.
Kein Tod ist so tragisch, wie der des Gecken.
Um sich mit den Mängeln dieser Welt auszusöhnen, muss man das Behagen beobachten, wie selbst eine Gruppe des Elends das nächste physische Atmen, das Leben und Weben und Sein in der Luft, die allen zugeteilt ist, genießt. Auch Kranke und Krüppel gewöhnen sich glücklicherweise mit der Zeit, die schwachen Fäden, mit denen sie am Leben hängen, so auszuspinnen, als wären sie vom reinsten Golde. Da will man sagen – die Strafe der ewigen Gefangenschaft wäre härter als die Todesstrafe!
Die Liebe ist uns gegeben, den Tod willkommen zu heißen. Wir gehen so gern, löscht eine Kerze nach der andern aus.
Die letzte Stunde wünsche ich mir nicht zu frühe und wünsche sie mir nicht zu spät.
Nur Begeisterung hilft über die Klippen hinweg, die alle Weisheit der Erde nicht zu umschiffen vermag.