Arthur Schopenhauer über Stolz

  • Die wohlfeilste Art des Stolzes ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt.

Arthur Schopenhauer

deutscher Philosoph

* 22.02.1788 Danzig
† 21.09.1860 Frankfurt am Main

Gedanken von Tom Borg zum Zitat

Arthur Schopenhauer, der weise Philosoph, bezeichnet den Nationalstolz als die "wohlfeilste Art des Stolzes". Doch weniger, weil er diese Form des Stolzes nicht mag, sondern weil er erkennt, dass der Nationalstolz meist von den Menschen hochgehalten wird, die es im Leben zu nichts anderem gebracht haben und es vielleicht auch gar nicht versuchen.

Nun wäre das kein großes Drama, da ein jeder Mensch so leben mag wie er es wünscht. Doch dem Hochhalten des Nationalstolzes wohnt eine unheilvolle Tendenz inne. Je mehr man sich dem Nationalstolz hingibt, desto weniger strebt man in der Regel nach Individualität. Man geht auf in der Rolle, ein Teil der Nation zu sein. Und was noch viel schlimmer ist: man wird unkritischer gegenüber Gesellschaft und Staat. Denn man ist ja schließlich stolz auf die Nation, also kann sie nicht allzu schlecht sein. In der Folge geht man dazu über, Fakten weniger objektiv zu bewerten, sondern die Dinge so zu sehen, wie man sie haben möchte.

Ein typisches Beispiel ist der inzwischen legendäre Blogartikel 50 facts about the Philippines, der im Januar 2008 erschien. Er listet 50 typische "Fakten" über das Land, an denen sich bis heute nichts geändert hat. Als Ausländer mit unpatriotischem Blick stimme ich den Punkten, abgesehen von 2 oder 3 Verallgemeinerungen, komplett zu. Das interessante an dem Artikel sind jedoch nicht die 50 Fakten, sondern die Kommentare zur Liste. Da regt sich kaum einer über die Missstände auf, die von einigen Besonnenen sogar eingeräumt werden, sondern die meisten schimpfen darüber, dass diese "angeblichen" Missstände überhaupt erwähnt werden, anstatt die Schönheiten des Landes aufzulisten. Und spätestens da zeigt sich die verheerende Wirkung des blinden Nationalstolzes: Kritik ist nicht mehr erwünscht, schlimmer, Kritik eliminiert sich geradewegs selbst, weil ja das Land großartig ist und in Folge dessen, natürlich nichts schlecht sein kann. Und selbst wenn es etwas zu kritisieren gäbe, dann soll man das gefälligst bleiben lassen. Oder wie es ein Kommentator so schön formuliert: Wer nichts Positives zu sagen hat, der soll besser gar nichts sagen.

Kritikloser Nationalstolz

Ein solches Volk wünscht sich jede Regierung. Und in der Tat führt der Nationalstolz dazu, dass die Bürger ihr eigenes Land und dessen Regierung weniger kritisieren. Schließlich ist es ja ein großartiges Land auf das ein jeder Bürger stolz ist. Wo wäre da Platz für eine korrupte Regierung? Schlimmer noch: Man nimmt es einfach als Normalzustand. Denn wenn das Land und seine Menschen großartig sind und es trotzdem Korruption gibt, dann kann Korruption nicht schlecht sein. Und in der Tat ist es das normalste im täglichen Leben, dass die Menschen lachend über die Korruption schimpfen - um sich dann Sekunden später umzudrehen und einen Beamten zu schmieren. Warum auch nicht, es machen schließlich alle so. Und wenn es alle machen und alle sich darin einig sind, dass sie im großartigsten Land der Welt leben, dann kann Korruption kein echter Makel sein.

Es klingt wie Satire, doch in manchen Länder ist das Überpinseln nationaler Mängel mit einer dicken Port Schicht Nationalstolz plumpe Realität. Und das gilt nicht nur für Entwicklungsländer. Ich erinnere mich an eine Fernsehshow wo der amerikanische Wrester Big Show einem russischen Wrester auf die Brust tippte und sagte: "Du wirst beim Publikum gegen mich nie eine Chance haben. Mich mögen die Leute zwar auch nicht immer, aber ich bin etwas was Du nie sein wirst - ich bin Amerikaner." Und es ging ein Jubelsturm durch den Saal…

Ja, in den USA ist es auch bis heute noch üblich, dass morgens die Schulleiterin eine kurze Ansprache hält, die als "moralische Aufbauung" verkauft wird, mit einem Gebet beginnt oder endet - oder beides - und natürlich das Singen der Nationalhymne beinhaltet. Doch gerade das entwertet die Nationalhymne. Wenn sie als tägliche Pflichtübung gesungen wird, ist sie so wertlos wie das heruntergeleierte Nachtgebet eines Kindes, das in Gedanken längst bei der Lieblingsapp ist. Der eigentliche Sinn der Hymne geht verloren. Auf den Philippinen beispielsweise spielen sie die Nationalhyme jeden Morgen zur Eröffnung größerer Geschäfte. In den Supermarkt kommt man erst, nachdem die Hymne gespielt wurde. Dabei lassen sich die Besucher vor der Tür nicht vom Schwatzen oder Telefonieren abhalten und die Daddelautomaten auf der anderen Seite der Tür werden auch nicht abgestellt. Es ist nichts Besonderes mehr - und dennoch etwas besonderes, weil es eben die Nationalhymne ist.

Wenn die Würde eines Staates von seinen Symbolen abhängt, dann bekommt auch ein Superstar wie Madonna Probleme, wenn sie sich, so wie kürzlich bei ihrem Auftritt in Manila, in die philippinische Flagge hüllt. Das gab sofort einen Aufschrei bis hin zur Aufforderung zur sofortigen Abschiebung.

Nationalstolz als schulisches Erziehungsziel

Ich lasse das immer wie ein nicht abwendbares Übel über mich ergehen. Aber wenn der Nationalstolz als schulisches Erziehungsziel definiert wird, dann hört auch bei mir der Spaß auf. In den Zeugnissen der Erstklässler steht doch tatsächlich eine Benotung für "gute und stolze Filipina". Der Nationalstolz und das entsprechende Verhalten geht in den Notenschnitt mit ein. Ebenso wie die "Werteerziehung", die mit über die Rangliste der schulischen Leistung entscheidet. Den Punkt "Kreativität" habe ich leider vergeblich gesucht…

Arthur Schoppenhauers Kritik wird somit noch übertroffen: Es ist nicht nur ein Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die ein Individuum stolz sein könnte, nein, es ist geradezu unerwünscht, dass solche Eigenschaften überhaupt entwickelt werden. Die Gesellschaft soll gottesfürchtig leben, der Regierung gehorsam folgen, und ansonsten einfach nur Spaß haben - und alles andere den Eliten überlassen, denn die wissen schon, was für das Volk gut ist.

Daraufhin müsste es eigentlich einen Aufschrei geben. Doch der bleibt aus - und das gleich dreifach. Auf den religiösen Philippinen würde niemand kirchliche Vorschriften infrage stellen. Auch die Kritik an der Regierung hält sich in Grenzen, denn die machen ja sowieso was sie wollen. Es war schon ein halbes Weltwunder, dass man sich aufraffte, den Diktator Marcos davonzujagen. Und im täglichen Leben begnügen sich die Menschen damit, möglichst viel Spaß zu haben, was auch nicht verkehrt ist, aber keine Zukunft hat bzw. keine Verbesserungen bringt. Aber an morgen denkt auf den Philippinen eh keiner.

In Europa grübeln wir dafür umso mehr und fordern immer offener mehr Nationalstaatlichkeit anstelle eines Vereinten Europas. Mit Nationalstolz lässt sich fast jeder Wahlkampf gewinnen, denn er übertüncht die Mängel und überbetont die Nation, das gemeinsame Hurra! Individuelle Eigenschaften oder der Mangel eben dieser wird dabei zur unwichtigen Nebensache. Dabei übersehen wir aber schnell, dass es nicht um eine europäische oder nationale Lösung geht, sondern um eine gute Lösung. Die hat aber herzlich wenig mit der Nationalität der Experten zu tun, sondern mit deren Kompetenz. Ob wir mit Stolz auf unsere nationalen Experten, Lösungen und Verhältnisse schauen, sagt leider wenig über deren Qualität aus. Dass wir dennoch immer und immer wieder die nationale Karte spielen wollen, sagt sehr viel darüber aus, wie tief auch heute noch bei uns der Nationalstolz verwurzelt ist, der uns dazu verleitet, individuelle Attribute zu vernachlässigen. Made in Germany ist top, deutscher Fußball sowieso… Und doch, spätestens seit der EM 2016 muss man zumindest letzteres etwas relativieren. Doch nur Erbsenzähler sehen darin etwas Negatives… "Wir" haben ein Fußballspiel verloren - aber die deutsche Fußballnationalmannschaft ist und bleibt die beste der Welt…

Doch wehe, wenn die Politik den Nationalstolz entdeckt und mit lauen Sprüchen einen mächtigen Sturm entfacht…

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